Wie sinnvoll ist das „C“ im Namen der CDU/CSU?

CDU und CSU tragen den Begriff „christlich“ in ihrem Parteinamen. Aber was ist eigentlich „christliche Politik“?

IMAGO / Christian Spicker

Viele Menschen meinen das zu wissen. Eine Partei sei dann christlich, wenn sie sich um Arme und Schwache, um Randgruppen und Fremde, um Frauen und Kinder, um Frieden und Gerechtigkeit, um Umweltschutz und Klimaschutz kümmert. Das tue die CDU/CSU erwiesenermaßen nicht so richtig. Darum ziehe die CDU/CSU mit ihrem Namen und mit ihrer Unglaubwürdigkeit Jesus Christus in den Schmutz. Teile der CDU und der CSU stünden „in einem Überbietungswettbewerb, wer die unchristlichste Partei in Deutschland sein will“ (SPD-Generalsekretärin Katarina Barley 2016). „Die Partei sollte sich von der Lebenslüge des C verabschieden“ (Vorwärts, 2021).

Solche Kritik gegen die CDU/CSU kehrt seit 1945 alle Jahre wieder. Ich finde es erstaunlich, wie selbst Atheisten und Christentumsverächter in ihrer Polemik gegen die CDU/CSU zu Christentumsverstehern werden, die haargenau wissen, was eine christliche Politik ausmacht; das sind selten marktwirtschaftlich-liberale Ansätze, sondern meist staatsdirigistische Umverteilungsansätze. Kritische Aussagen Jesu gegenüber Geld und Reichtum werden als Plädoyer für den Sozialismus ausgeschlachtet.

Eine evangelische Theologie, die von Martin Luthers Zwei-Reich-Lehre geprägt ist, ist in punkto „christliche Politik“ zurückhaltender. Die Zwei-Reich-Lehre betont: Wenn Gott einem Mörder vergibt und ihn freispricht, dann heißt das noch lange nicht, dass die Gesellschaft den Mörder ebenfalls freisprechen muss. Oder allgemein ausgedrückt: Es gibt aus dem Reich des Glaubens keine direkten und alternativlosen Konsequenzen für den Bereich des Politischen. Während in der Beziehung zu Gott, zu dem die Vernunft keinen rechten Zugang findet, in erster Linie das Evangelium gilt, so gilt im Bereich der Politik in erster Linie die Vernunft. Die Vernunft aber hat keine Partei für sich alleine gepachtet; die Vernunft kommt am besten im offenen Dialog zwischen den unterschiedlichen Parteien zur Geltung.

Provozierend zugespitzt: Die Forderung nach einer „christlichen Politik“ ist genauso unsinnig wie die Forderung nach christlichen Brötchen, christlichen Waschmaschinen oder christlichen Kondomen. Gerade die Befreiung des Politischen aus den Klammern von religiösen Überhöhungen aller Art ist der spezifische und wertvolle Beitrag des Christentums zu unserer politischen Kultur. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johannesevangelium 18,36). Die CDU/CSU ist dann christlich, wenn sie keine christliche, das heißt keine religiös überhöhte Politik macht; auch wenn natürlich der Glaube im ganzen Leben und damit auch in der politischen Existenz eines Christen eine wichtige Hintergrundbasis ist.

Bei der CDU/CSU selber erkenne ich drei Hauptlinien der Interpretation des Parteinamens:

Die einen spielen die inhaltliche Bedeutung des Namens konsequent herunter: Namen seien Schall und Rauch. Früher habe das „C“ vielleicht mal eine Bedeutung gehabt. Heute stehe die CDU/CSU für eine weltoffene und moderne Partei, die für Menschen aller Glaubensrichtungen und Weltanschauungen attraktiv sei. Diese Ansicht ist vielleicht die klügste Art, das Problem mit dem eigenen Parteinamen ad acta zu legen. Mein Vater hieß „Wolfgang“; ich weiß zwar nicht, warum und weshalb er so hieß; aber er war trotzdem ein guter Vater.

Andere argumentieren formal: Das „C“ betone, dass die Partei im Gegensatz zur katholisierenden Zentrumspartei sowohl für katholische als auch für evangelische Christen offen sei; „C“ im Sinne von „ökumenisch“ und „für alle da“, weil 1945 über 90 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehörten. Denkt man diese Argumentationsfigur zu Ende, müsste die CDU/CSU schleunigst ihren Namen ändern, weil heute in Deutschland die Mehrheit nicht mehr einer christlichen Kirche angehört und damit das „C“ einen exklusiv-ausschließenden Charakter bekommen hat.

Und dann gibt es CDU/CSUler, die inhaltlich-offensiv den Parteinamen verteidigen. Das „C“ stehe für christliche Werte, die auch für Atheisten und Andersgläubige attraktiv seien: Lebensschutz, Menschenwürde, Nächstenliebe, Solidarität, Frieden, Gerechtigkeit, Subsidiarität, Familie. Das Ganze läuft dann unter der Zauberformel, die in Sonntagsreden immer wieder aus dem Hut gezaubert wird: „Für die CDU/CSU ist das christliche Menschenbild die Richtschnur ihres politischen Handelns“ (CDU/CSU-Fraktion 2014: „Das christliche Menschenbild und unsere Politik“).

Bei genauerem Hinsehen drängen sich bei diesem hehren Worte- und Wertegeklingel mit seinen äußerst dehnbaren Interpretationsmöglichkeiten grundlegende Fragen auf:

  • Mit welchem Recht werden bestimmte Werte wie Liebe, Familie und Frieden christlich vereinnahmt, wenn Nichtchristen diese mindestens genauso gut vertreten können?
  • Besteht das Wesen des christlichen Menschenbildes nicht darin, dass der Mensch immer nur in Beziehung zu Gott als seinem Schöpfer und Erlöser richtig verstanden werden kann?
  • Wie kann dann das christliche Menschenbild die Richtschnur einer politischen Partei sein, wenn die Gottesbeziehung den Horizont einer politischen Partei in einem säkularen Staat bei weitem übersteigt?
  • Verdunkelt die CDU/CSU nicht geradezu das christliche Menschenbild, indem sie ethische Werte losgelöst von der Gottesbeziehung betrachtet und damit die Ethik und nicht die Gottesbeziehung zum Zentrum des Humanum macht?

Fazit: Theologisch, ethisch und politisch kann das „C“ im Namen der Partei nur schwer überzeugen. Da helfen kaum angestrengte Klimmzüge zur Ehrenrettung des Namens. Doch Menschen werden das der CDU/CSU verzeihen, sollte sie durch vernünftige Politik und kluge Köpfe auffallen. Letztlich gilt auch für eine Partei die Fußballweisheit: „Grau is’ alle Theorie – aber entscheidend is’ auf’m Platz“ (Alfred Preißler).

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Kommentare ( 23 )

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Manfred_Hbg
1 Jahr her

Naja, nach 16 Jahre Merkel-CDU und nach nun gut 2 Jahre Merz-CDU, könnte und sollte man hier nicht eher die Frage stellen: Wie sinnvoll ist überhaupt noch die CDU insgesamt?!

Waldorf
1 Jahr her
Antworten an  Manfred_Hbg

Frankreich, Spanien und Italien sind uns bei diesem Erkenntnisprozess schon ein paar Jahre voraus: die beiden alten großen Volksparteien, Sozialdemokraten/Sozialisten und irgendwas mit christlich/bürgerlich/konservativ haben sich überlebt und sind schlicht überflüssig, entbehrlich. Die modernen Zeitgeistparteien sind Grüne, Progressive, Kommunisten und ihr neuer, politischer Gegenpol sind Anti-Zeitgeistparteien, die von den Zeitgeistlern Populisten, Rechte oder Neurechte etc genannt werden. Die alten Sozen, Christdemokraten und Liberalen versuchen oft, sich den Woken, Zeitgeistlern anzubiedern, ihre Themen irgendwie abzukupfern, bei uns insbesondere sich den Grünen anzubiedern. Damit verraten sie aber automatisch ihre politische Seele, ihr Profil, ihre Stammwähler etc und stärken nur die Zeitgeistigen (Grünen)… Mehr

verblichene Rose
1 Jahr her
Antworten an  Waldorf

Glauben Sie wirklich, dass die „die alten Sozen, Christdemokraten und Liberalen“ sich wirklich einen Kopf darüber machen, auf welcher Seite sie stehen?
Wes‘ Brot ich fress‘, des Lied ich sing (bei vollem Erhalt der Abgeordnetendiäten!).
Und die Mehrheitsbeschafferpartei namens Grüne verlangen dann schlicht Satisfaktion für all die schönen neuen Posten der „Altgedienten“!
Mit ein paar Bronzen, oder geschlechtergerechten, klimaneutralen Klos in Afrika lassen die sich jedenfalls nicht abspeisen.
Mithin haben die von Ihnen genannten Parteien bei mir lebenslang verloren.
Denn merke:
Wer einmal lügt….

Deutscher
1 Jahr her

Wer den Kirchen folgt und diesen gar Geld zukommen lässt, kann es auch gleich an die Antifa überweisen.

Deutscher
1 Jahr her

Wie sinnvoll ist das C überhaupt in Europa? Eine Importreligion wie der Islam. Dass sie schon länger hier ist, macht sie nicht indigener.

verblichene Rose
1 Jahr her
Antworten an  Deutscher

Tja, das ist das Problem, wenn man keinen eigenen Glauben EIGENE Hoffnung hat.
Schon die Bibel bezieht sich auf zwei „Testamente“ und die machen es einem Normalsterblichen nicht gerade leichter, den „lieben Gott“ im Himmel und seinem auf der Erde verstorbenen Sohn zu frönen.

Lupo A
1 Jahr her

In meiner Eigenschaft als Atheist und Christentumsverächter kann ich nur wie folgt poleminisieren: Es ist mir vollkommem egal, ob sich diese Parteien nun CDU/CSU oder UVW/XYZ nennen. Das für mich wesentliche ist, dass diese Parteien in 16 Jahren Deutschland auf den Abgrund zu gesteuert haben und selbst jetzt noch unfähig sind, die Notwendigkeit einer umfassenden Kurskorrektur zu erkennen. Mit anderen Worten: Sie haben einen lausigen Job gemacht und tun dies noch heute. Und das Abliefern einer noch dazu mit Gewalt und Gesellschaftlichen Kollateralschäden durchgesetzten schlechten Leistung kann überhaupt nicht mit christlichen Werten zu vereinbaren sein. Jedenfalls nicht, wenn sich hinter… Mehr

achijah
1 Jahr her

Ja. Ein ganzer Himmel mit vielen orientierenden Wertesternen. Das hilft allerdings in der konkreten Situation ohne Vernunft nicht weiter.

Waldorf
1 Jahr her

Fast jeder Hunanist vertritt alle „christlichen“ Werte, nur ohne „Gottesbezug“. Ein rein menschliches Regelwerk, ohne jeden Jenseitsbezug, kann sehr vernünftig, ethisch und gerecht sein, wie ein Regelwerk (aka Gesetzwesen) mit Gottesbezug unvernünftig, unethisch und ungerecht sein kann. Zudem weiß heute jeder, daß zwischen Regelwerk und gelebter Realität riesige Lücken klaffen können. Insbesondere in der Politik und Medien-Öffentlichkeit tummeln sich seit jeher die Heuchler, Lügner, Opportunisten, Schauspieler und Quacksalber, denen es oft um ihre Eigeninteressen geht, möglichst komfortabel an möglichst viel Geld zu kommen. Die aufrechten Recken, die ehrlich darum bemüht sind, anderen Leuten außer sich selbst was gutes zu tun,… Mehr

Deutscher
1 Jahr her
Antworten an  Waldorf

Richtig! Die „christlichen“ Werte sind seit jeher Bestandteil menschlicher Kultur.

Chris Groll
1 Jahr her

Lieber Herr Zorn, Sie schreiben; und dann gibt es CDU/CSUler die meinen das C stehe für:
Lebensschutz, Menschenwürde, Nächstenliebe, Solidarität, Frieden, Gerechtigkeit, Subsidiarität, Familie.
Tut es leider nicht mehr. Übrig geblieben ist lediglich Solitarität, und die auch nur mit den Zugereisten und hereingeschleusten.
Dann sehe ich es wie aus E, der schreibt : ……..den Parteinamen einfach wegzudenken, und das „C“ beider Unionsparteien als mohammedanischen Halbmond zu interpretieren.
Ihnen einen schönen Sonntag.

KoelnerJeck
1 Jahr her

Wann wäre die CDU christlich? Dann wäre sie eine libertäre „Partei“ und würde das Eigentum achten! Das Christentum beruht auf Freiwilligkeit, es lässt sich ohne Eigentum gar nicht denken. Das Naturrecht entstammt der katholischen Rechtslehre. (vgl. „Jesus, der Kapitalist“ von Robert Grözinger) Staatsgläubigkeit ist mit der christlichen Lehre nicht zu machen: Du sollte keine anderen Götter haben. Weiter geht’s mit: Du sollst nicht töten, Du sollst nicht stehlen, Du sollst nicht neidisch auf den Erfolg anderer sein (nicht begehren Deines Nächsten …) usw. Steuern? Maximal 10 %
All diese Punkte finden sich nicht bei der CDU. Das C ist Heuchelei.

Last edited 1 Jahr her by KoelnerJeck
Gabriele Kremmel
1 Jahr her

„…Werte wie Liebe, Familie und Frieden christlich vereinnahmt…“ Der christliche Glaube vereinnahmt die Werte nicht, er vertritt sie – neben vielen anderen und ohne einen Anspruch auf Exclusivrechte. Als da wären die 10 Gebote, in denen u.a. steht „Du sollst Vater und Mutter ehren“, was ein christlicher Kindergarten gerade in dümmlich anmaßender Weise für ungültig und nicht mehr zeitgemäß erklärt hat. Einem ähnlichen Denkfehler bzgl. angeblicher Vereinnahmung unterliegen die gendernden Sprachverhunzer, die aus der Verwendung des generischen Maskulinums einen Männlichkeitsanspruch herauslesen, obwohl es explizit das Gegenteil davon regelt, nämlich die geschlechtsneutrale Verwendung maskuliner Substantive. Zum Gendern neigt, wer entweder eindimensional… Mehr

murphy
1 Jahr her

Das C im Namen der CDU kommt von Adenauer der diese Partei als Mitte und offen für Evangele und Kathole gründete. Der katholische Adenauer brauchte eine breite Machtbasis, sonst nix. Macht war Adenauer das Entscheidende. Vordergründig natürlich die üblichen politischen Werbesprüche. Da braucht man sich nur mal die Figur Adenauer/CDU in dieser Notiz auf meiner Webseite anzusehen! Dass Adenauers politische Entscheidungen ausschließlich auf seine eigene Macht orientiert waren, sollte mittlerweile jeder erkannt haben. Aber war das bei Kohl, Merkel, Merz usw anders? Es geht in der CDU, als auch in den Ampelparteien, ausschließlich um Macht. Und das in einer kranken… Mehr