Stephans Spitzen: Mitleid mit den Enttäuschten und Getäuschten

Die Gehässigkeit ist erschütternd, mit der ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit den Millionen Mitbürgern begegnet, die sich nicht gegen Corona impfen lassen. Sie dienen als Sündenbock für enttäuschte Hoffnungen.

Vielleicht muss man es ihnen nachsehen, wenn sie voller Wut auf auch nur den kleinsten Einwand gegen das derzeitige Impfregime reagieren. Vielleicht muss man ihnen verzeihen, wenn sie einen enthemmt beschimpfen, nur weil man Zweifel daran äußert, dass Impfen der „Gamechanger“ sei. Vielleicht muss man es sogar ertragen, dass sie eine ganze Bevölkerungsgruppe – die Ungeimpften – einsperren oder wenigstens aussperren möchten, was unter anderen Umständen als „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ strafwürdig wäre. 

Kaum noch erträglich finde ich allerdings den beliebten Verweis auf die Intensivstationen, auf denen lauter röchelnde Covidkranke lägen – und den Wunsch, man möge ungeimpft Erkrankten das Intensivbett verweigern. Das widerspricht nicht nur den Belegungszahlen auf den Intensivstationen (in diesem Jahr mit weniger Betten ausgestattet als im vergangenen Jahr), dort liegen überwiegend bedauernswerte Menschen aus ganz anderen Gründen. Es ist auch von einer Gehässigkeit, die mich langsam erschüttert. 

Und ganz und gar unverständlich finde ich Meldungen wie „Die Zahlen explodieren“. Ja, welche denn? Die Zahlen positiver Tests? Die Zahlen Infizierter? Die Zahlen Erkrankter? Die Zahlen Hospitalisierter? Die Zahlen der Toten? Ohne solche Differenzierungen betreibt man, mit Verlaub, nichts als Panikmache. Es wiederholt sich der schlechte Stil von 2020: nichts dazugelernt.

Die Panikmache zeitigt üble Folgen. Den mit dem Versprechen auf Normalität Getäuschten und somit Enttäuschten wird von allen Seiten ein Sündenbock schmackhaft gemacht: die Ungeimpften. Denn Enttäuschung braucht ein Ventil.

Ich erinnere mich noch gut an die Nachricht eines Verwandten im April, seine Familie sei bereits geimpft, was viele „neidisch“ mache. Stolz darauf sein, dass man Neid erzeugt? Hm. Der Absender war ein Pfarrer.

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Noch besser erinnere ich mich an die vielen Facebook-Freunde, die sich als glücklich bekannten und Fotos von ihrem „Pieks“ zeigten. Glücklich, weil sie glaubten, dem Tod von der Schippe gesprungen zu sein, wie ihnen suggeriert worden war? Da waren mir die reinen Opportunisten lieber, die sich impfen ließen, um nicht mehr behelligt zu sein von all den Einschränkungen und „Maßnahmen“, die für angemessen erklärt wurden, um ein Virus einzudämmen, das die Mehrheit der damit Infizierten oft unbemerkt überstanden hat. Die von Politik und Medien geschürte Panikpandemie aber ist mittlerweile noch infektiöser geworden. 

Wenn alle geimpft sind, kehrt die Normalität zurück? Mitnichten. Das Impfen hat keine Immunität erzeugt – womit im übrigen auch nicht zu rechnen war. Doch das wurde versprochen. Die „Schutzwirkung“ lässt rasant nach. Auch das widerspricht der anfänglichen Euphorie. Selbst doppelt und dreifach Geimpfte können infiziert und ansteckend sein, und wer sich endlich frei gefühlt hat, sein Leben wieder ungehindert und in vollen Zügen auskosten zu dürfen, ohne Rücksicht nehmen zu müssen, erweist sich nun womöglich als weit gefährlicher als ein regelmäßig getesteter gesunder Ungeimpfter.

Wie soll man da die Frustration der Geimpften nicht verstehen, jener tapferen Versuchskaninchen, wie Olaf Scholz sie getauft hat? Doch ihr Zorn entlädt sich über den Falschen. Der „Solidarität“, die es gebiete, sich impfen zu lassen, wäre womöglich schon genüge getan, wenn sich wenigstens alle testen lassen – obwohl, da hat Jens Spahn wohl recht, die Pandemie dann niemals aufhören würde…

Und da befinden wir uns nun: In einer Endlosspirale, aus der niemand mehr herausfindet. Eine sachliche Ebene des Austauschs existiert nicht. Stattdessen greift zum stets beliebten Mittel der Moralisierung, wer zum Halali auf den Sündenbock bläst: Egoistisch sei der „Impfverweigerer“, der womöglich einfach nur ein Skeptiker ist, unsolidarisch, er gefährde das Leben aller, sorge für volle Intensivstationen und dafür, „dass unsere Angehörigen auf ihre Krebsoperationen warten müssen“. 

Wie macht er das nur, der gesunde, mehrfach getestete Mensch, der doch im übrigen von allen Angelegenheiten ausgeschlossen ist, bei denen er auf gute, solidarisch Geimpfte treffen könnte? Warum muss ein Geimpfter Angst haben vor einem Ungeimpften, wenn die Impfung doch Schutz verheißt? Und wie kann es sein, dass sogar der Aufenthalt ausschließlich unter Geimpften zur Infektion führen kann?

Kurz: Es impfe sich, wer will. Das Versprechen aber, damit aus dem Schneider zu sein, ist eine womöglich noch nicht einmal bewusste Täuschung gewesen. So verständlich der Frust darüber ist: man sollte ihn nicht an den Falschen auslassen.


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Kommentare ( 80 )

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Blanker Hans
3 Jahre her

Ich hatte die Demokratietauglichkeit der sogenannten „Mitbürger“ seit jeher angezweifelt. Ich sage nur: von Jugoslawien lernen. Damals hatten sich nach kurzer Zeit angeblich „gute“ Nachbarn massakriert. Dazu brauchte es noch nicht einmal ein Virus. Besonders verwerflich ist das totalitäre Verhalten jedoch aufgrund der deutschen Geschichte. Offenbar ist die Mehrheit nicht Willens oder fähig die Parallelität zu den Ereignissen im Jahr 1933 zu sehen. Ein Parlament, das sich selbst entmachtet, gezielte Medienhetze, willfährige Untertanen, usw. Es handelt sich nicht um Gesundheit, nein wir sind bereits im mehr oder weniger unverhohlenen Faschismus angelangt und die Massen jubeln wieder dazu. Entschuldigen Sie Frau… Mehr

Tizian
3 Jahre her
Antworten an  Blanker Hans

So ist es. Auf den Punkt! Wir werden uns noch wundern, was hier abgehen wird, wenn das Aufhetzen der Masse und die Schuldzuweisungen an die Minderheit der Umgeimpften auf die Spitze getrieben wird. Nur so kann und wird die Politik verhindern, daß sie für das bisherige völlige Versagen, für das gesamte Chaos der letzten 2 Jahre und das Ruinieren dieses Landes auf allen möglichen Ebenen und eines großen Teils der Bürger selbst, zur Verantwortung gezogen werden könnte.

Fred Schneider
3 Jahre her

Große Teile der Politik und der Medien nehmen schwerste Schuld auf sich. Denn alle hier beschriebenen Missstände wurden und werden aktuell von „oben“ im Wege einer unverantwortlichen Wortwahl und Gesinnung verursacht und immer wieder neu befeuert mit dem Ziel, das eigene Versagen einem Sündenbock zuzuschreiben und auf diese Weise zu vertuschen. Mitbürger in gesellschaftlicher Verantwortung, Mitbürger in Machtpositionen und Mitbürger von hohem Rang – also Menschen von vermeintlich höherer Intelligenz und Bildung – verwenden eine Sprache, befürworten Methoden, leugnen Wahrheiten, die an ganz schlimme Jahre in der Geschichte unseres Landes erinnern. Es ist unbegreiflich, es ist entsetzlich wie einfach die… Mehr

Al Gruna
3 Jahre her

Das vermeintlich stärkste Argument der Coronaimpfbefürworter ist ja immer was mit Krankenhaus. Wer bis zu den Zulassungsstudien der Impstoffhersteller vorstößt und nicht deren Marketingabteilungen auf den Leim geht, hätte bereits da starke Zweifel bekommen. Die Firmen konzentrieren sich immer nur auf die verhinderten Covidtoten- und kranken. Ein extremer Impfgegner würde übrigens nur die Impfgeschädigten unter völliger Ausblendung von Covid hervorheben. Wählt man den Ansatz, den auch Dr. Wodarg auf seiner Seite erwähnt, dass man alle schwerer Erkrankten nach Ablauf der Studie in den beiden Gruppen vergleicht, bemerkt man, dass bei allen Herstellern in der Impfgruppe mehr Kranke zu finden sind… Mehr

Physis
3 Jahre her

So, ich habe habe es jetzt doch gemacht. Ich habe mich heute mal selber getestet. Und ich muss zugeben, dass ich ein wenig enttäuscht bin, denn das Ergebnis war negativ! Warum ich das blöd finde? Nun, bei einem positiven Ergebnis wäre ich demnächst zu einem Arzt gegangen und hätte Antikörper nachweisen können, da ich mich noch nie so gesund gefühlt habe, wie in letzter Zeit… Und bei der kommenden 3-G-Verpflichtung kommt allerdings noch etwas auf mich zu, ich muss mich (und wahrscheinlich meine Mitarbeiterin) dann nämlich alle 24 Stunden testen. Wie man das bei einen Arbeitstag Montag-Freitag von 9-18.oo Uhr… Mehr

Weiss
3 Jahre her

Meine Schwester erzählte mir gerade am Telefon von einer 80 jährigen Jüdin in Berlin, die nicht geimpft sei… Sie wolle die Lage abwarten und irgendwie die Zeit bis zum Frühling durchstehen…

Bin jetzt schon gespannt, welche Schimpfwörter die BRD-Politik und die angeschlossenen Staatspropagandamedien für diese Frau, die nur knapp die Shoah überlebt hat, finden wird ?

FerritKappe
3 Jahre her

Aufwachen und den Kopf freibekommen. Die ganzen Propagandalügen loswerden!
Das ist für viele unmöglich!

Wenn man heute einen Schnupfen hat dann lässt man sich testen und freut sich hinterher über einen leichten Verlauf!
Die Erkenntnis das es sich anfühlt wie ein Schnupfen, so lange dauert wie ein Schnupfen und deswegen einfach ein Schnupfen ist, die stellt sich nicht ein.

elly
3 Jahre her

Es ist auch von einer Gehässigkeit, die mich langsam erschüttert. „
lese ich die Kommentare, schwankt mein Gefühl zwischen erschüttert und angewidert. Immer wieder die Forderungen von Lesern Ungeimpften die Behandlung zu verweigern bzw. die Kosten der Behandlung aufzubrummen. Was für eine Zukunft gestalten sich diese Schwachdenker?

Weiss
3 Jahre her
Antworten an  elly

Ich fühle mich immer mehr an eine finstere Zeit deutscher Geschichte zurückerinnert.

Die schlimmsten Eigenschaften der Deutschen kommen jetzt wieder zum Vorschein.

Die Firnis der Zivilisation ist sehr dünn.

Allerdings begreife ich jetzt auch immer besser die Unmenschlichkeit, die damals gegenüber Ausgegrenzten, Andersdenkenden und sog. „Sozialschädlingen“ in Deutschland ausgeübt wurde.

mitdenkerin
3 Jahre her

Liebe Frau Stephan,

danke, für alle Texte von Ihnen – auch auf der Achse des Guten veröffentlicht – sie schenken mir Kraft, Mut und Ausdauer, manche halten meinen Humor lebendig angesichts der Unbarmherzigkeit und Gehässigkeit gegenüber den nicht geimpften Menschen, die mich bis ins Mark erschüttert, weil ich die Hässlichkeit des Hasses nicht mehr ertragen kann.
Bleiben Sie behütet und beschützt!

tube
3 Jahre her

„es impfe sich wer will“ – nein auf keinen Fall nachgeben, die „Impfung“ ist eine Gentherapie mit ungewissem Ausgang.
Einfacher zu ertragen ist die Pogromstimmung der Medienmeute, wenn man sich vorstellt die wären alle bei der Stasi beschäftigt, was ja eigentlich genau so zutrifft. Als geborener Ostler ist man gewohnt gewesen als asoziales Element, Staatsfeind oder Feind des Sozialismus verunglimpft zu werden. Laßt die grölende Meute in ihrer eigenen Propagandajauche absaufen.

Last edited 3 Jahre her by tube
Aboriginal
3 Jahre her
Antworten an  tube

Die Impfung ist nicht zwingend eine Gentherapie. Die Vektorimpfstoffe (AstraZ, J&J) sind ziemlich traditionell hergestellter Impfstoff. Die Wirkung der Impfstoffe ist völlig unterschiedlich, von Mensch zu Mensch, meine J&J Impfung hat so gut wie keine Antikörper erzeugt, aber zumindest dazu geführt, dass ich Reisen konnte. Wenn jeder, vor allem auch unsere Journalisten, vor seiner Haustüre kehrt und sich nur um seinen Kram kümmert, wäre schon viel erreicht. Einige meiner besten Freunde sind nach wie vor aus Überzeugung ungeimpft – na und, das ist deren Entscheidung und das Bier schmeckt gemeinsam immer noch am besten.

Politkaetzchen
3 Jahre her

So sehr ich die Motivation der Geimpften verstehen kann (Verstehen heißt aber noch lange nicht gut heißen), ist mein Mitleid eher auf die Größe einer Puppentasse beschränkt. Eher empfinde ich selbst Enttäuschung, da ich getäuscht war, dass ich zu wissen glaubte wie meine Mitmenschen ticken. Doch gerade dieses Spritzdebakel zeigt wo die Prioritäten der meisten Menschen liegen: Auf Konsum, Komfort und Selbstdarstellung. Niemand hat nachgedacht was die Gier auf die Spritze und den Ruf nach immer mehr Staat und immer härtere Maßnahmen sich auf die Freiheit auswirkt, schließlich fühlen sie sich nur frei, wenn es angenehm, bequem ist und noch… Mehr

elly
3 Jahre her
Antworten an  Politkaetzchen

„Doch gerade dieses Spritzdebakel zeigt wo die Prioritäten der meisten Menschen liegen: Auf Konsum, Komfort und Selbstdarstellung.“ Falsch das zeigte sich bereits am Anfang der Pandemie. Das Narrativ „Risikogruppen schützen“ zeigte doch bereits, wie die Mehrheit tickt. Keine Gruppe, die nicht durch lautes Lamenti auf ihren ganz großen Verzicht nur für die Alten aufmerksam machte. Unbarmherzig steckten sie Pflegeheimbewohner in Isolationshaft, ließen Sterbende alleine liegen, verweigerten Angehörigen den Abschied, Besuch ihrer Verwandten und fühlten sich auch noch ganz besonders gut dabei. Dann neideten sie den Älteren die die Priorisierung beim Impfen, danach den Impfstoff. Ganz ehrlich, jeden Tag bin ich… Mehr