Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung des Politiker-Rücktritts

Dass Frankfurts Oberbürgermeister seinen Posten verliert, ist erfreulich. Doch dass er abgewählt werden musste, ist auch trostlos. Wenn selbst offenkundig diskreditierte, des Versagens überführte Politiker nicht mehr selbst zurücktreten, läuft etwas gewaltig schief.

IMAGO / Schüler
Peter Feldmann, abgewählter OB von Frankfurt am Main

Die guten Nachrichten zuerst: Der Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, Peter Feldmann, wurde von den Frankfurter Bürgern abgewählt. Fast 42 Prozent der Wahlberechtigten stimmten zu gut 95 Prozent gegen ihn. Schön für die Demokratie, könnte man meinen. „Historisches“ habe Feldmann damit erreicht, heißt es in der FAZ.

Wählen hilft also doch? 

Schon empfiehlt eine Frankfurter Professorin die Möglichkeit der Abwahl als gutes Verfahren, um eine stärkere Verbindung zwischen Bürgern und Politiker herzustellen“. „Politiker sind motiviert, eine bessere Politik zu machen, wenn sie eine Abwahl befürchten müssen“, meint die Politikwissenschaftlerin Brigitte Geißel.  

Ach. Ist das so? Das einzige Grund also, der Politiker motivieren könnte, sich nicht nur anständig zu verhalten, sondern auch noch vernünftig zu agieren, ist die Furcht vor Abwahl?

Stephans Spitzen:
Wir sind Katar: Sigmar Gabriel wieder voll daneben
Das wäre nun allerdings nichts Neues. Wie kürzlich bei der Niedersachsenwahl gesehen, schieben Politiker gerne alles, was ihrer Klientel nicht gefallen könnte, wie etwa den Weiterbetrieb des KKW Emsland, auf die lange Bank, bis die Wahl vorüber ist. Mit guter Politik hat das nichts zu tun, im Gegenteil.

Die Furcht vor der Abwahl generiert keine gute Politik, sondern Opportunismus. Regiert wird schon längst gemäß der Demoskopie. Und wann ist eigentlich das letzte Mal ein Politiker wegen eklatanter Unfähigkeit zurückgetreten? Der damalige Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann musste 1993 wegen eines Einkaufswagenchips gehen, der Bundespräsident Christian Wulff fiel 2012 über ein Bobbycar und der einstige Hoffnungsträger Karl-Theodor zu Guttenberg legte 2011 alle Ämter nieder, weil herauskam, dass seine Doktorarbeit keine genuine Eigenschöpfung war.

Das ist lange her. Mittlerweile machen Politikerinnen auch nach dem Nachweis eines Plagiats ungerührt weiter, warum auch nicht, die Frage stellt sich schon lange, ob ein akademischer Grad Lebenserfahrung ersetzen kann. Auch im Bundestag sitzen viel zu viele Akademiker, Studienabbrecher mitgezählt. Und sie alle haben Angst vor der Abwahl, zum einen sowieso, zum anderen jetzt erst recht seit dem Wahldesaster in Berlin. Werden dort die Wahlen wiederholt, nicht nur die zum Abgeordnetenhaus, sondern auch zum Bundestag, könnte es Heulen und Zähneklappern geben, die ganze PDS-Fraktion könnte aus dem Bundestag fliegen.

Und dann auch noch das: Wahlen sind teuer, nicht nur die Wahlkämpfe der Parteien. Vorsorglich klagen Berliner Behörden bereits über die Kosten für Papier (wird immer teurer) und Porto (dito) für die Wahlbenachrichtigungen. Es wäre die Stadt weit billiger gekommen, hätte man von vornherein für den ordnungsgemäßen Ablauf gesorgt. Ist wegen der chaotischen Zustände, zu denen auch noch ein Marathonlauf beitrug, irgendein Verantwortungsträger zurückgetreten? Innensenator Geisel gesteht zwar kokett: „Es ist nicht so, dass ich nicht Verantwortung spüre“, aber an Rücktritt denkt er nicht.

Das, scheint mir, ist die Crux. Verantwortung wird vielleicht noch gespürt, übernehmen aber ist aus der Mode. Rücktritte erst recht.

Stephans Spitzen:
Gestern stand man am Abgrund, heute ist man einen Schritt weiter
Und deshalb kann man durchaus gespalten sein, was die Freude über die Abwahl Peter Feldmanns betrifft. Das Trostlose ist doch, dass es einen Wahlvorgang brauchte, um den Mann, der sich in vieler Hinsicht diskreditiert hat, loszuwerden, der selbst in der eigenen Partei, der SPD, keinen Rückhalt mehr hatte. Was hätte der Mann der Stadt ersparen können?

Die Furcht vor einer Abwahl ersetzt nicht Charakter, Rückgrat, Demut, Ehrgefühl, Pflichtbewusstsein und Einsicht. Es muss ja nicht gleich Seppuku sein – eine alte japanische Weise, aus dem Leben zu scheiden, wenn man wegen einer Pflichtverletzung sein Gesicht verloren hat.

Rücktritt beizeiten genügt. Das sollte wieder Mode werden.


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Kommentare ( 15 )

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15 Comments
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Rainer Schweitzer
2 Jahre her

„Verantwortung wird vielleicht noch gespürt, übernehmen aber ist aus der Mode. Rücktritte erst recht.“ Die wird nicht einmal mehr gespürt. Wie sonst wollte man erklären, daß in der größten Energiekrise seit dem Krieg der Wirtschaftsminister und die Bundesregierung eben nicht alles tun, sie zu beseitigen, sondern im Gegenteil daran arbeiten, sie längerfristig noch zu verschärfen, indem z.B. funktionsfähige Kraftwerke zusätzlich ersatzlos abgeschaltet werden sollen? Wie wollte man ansonsten z.B. die Aussage des rheinlandpfälzischen Innenministers zur Flutkatastrophe an der Ahr erklären, er habe in der Flutnacht kein klares Lagebild gehabt, also sei er schlafen gegangen. Unabhängig von der Frage, ob das… Mehr

Boudicca
2 Jahre her

Politiker sollten für den Schaden den sie in ihrer Amtszeit anrichten mit ihrem Privatvermögen mindesten in Höhe ihrer erhaltenen Diäten und Nebenverdiensten haften müssen und auf die Amtszeit auf 2 Legislaturperioden begrenzt werden. Dann hätten wir keine fähigen Politiker? Haben wir denn fähige Politiker, die mit beiden Beinen in der Realität verhaftet sind? Unser Land ist zu groß und wirtschaftlich zu bedeutend? Momentan „arbeiten“ die „verantwortlichen“ Parteibonzen aller Parteien daran, dass sich dies gewaltig ändert und verhökern den Wohlstand der länger hier lebenden Bürger wie auf dem Basar. Wir werden alle ärmer werden, prophezeit der Wirtschaftsminister, statt alles zu tun,… Mehr

Alf
2 Jahre her

Daß ein Oberbürgermeister von Bürgern abgewählt werden muß, ist eine Schande. Nicht die eigene Fraktion, nicht die Opposition waren in der Lage dies ohne Abwahl zu erreichen. Auf Bundesebene und in vielen anderen Bundesländern ist eine Abwahl gar nicht möglich. Aber auch hier hat die eigene Fraktion und/oder die Opposition kein Problem mit dem Wegschauen. Da müsen sich Politdarsteller schon besonders blöd anstellen, daß ein Rücktritt unvermeidlich ist. Aber manchmal hilft auch die Doppelmoral SPD-Bundesfamilienministern Franziska Giffey gibt ihren Doktortitel zurück. Doch das ist kein Einzelfall. Vor neun Jahren stolpert Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg, damals wettert die SPD gegen… Mehr

Kassandra
2 Jahre her
Antworten an  Alf

In Berlin ist das mit der Wahl so eine Sache, wie die „youngsters“ bei TE überaus fleißig festgestellt haben. Ob Giffey ihren Posten regelrecht einnimmt, weiß man, wie bei all den anderen, die im Senat zu sitzen kommen, bei der von vornherein falsch vorbereiteten wie dann im Chaos versunkenen Wahl nicht wirklich. Auch die Direktmandate der Linken zur Bundestagswahl stehen zur Disposition. Und keiner von denen zeigt Rückgrat und dringt darauf, dass „geordnete Verhältnisse“ geschaffen werden. Nein. Sie tun alle so, als könnten sie kein Wässerchen trüben, statt dass sie ihre Pöstchen ruhen ließen und auf Neuwahlen drängen würden. Sodom… Mehr

Alf
2 Jahre her
Antworten an  Kassandra

„Sodom und Gommorha“ beschreiben die politischen Verhältnisse in unserem Land. Aber auch in der EU scheint es mit den Wahlen nicht weit her zu sein. Die Bürger werden vor der Wahl hinter die Fichte geführt und haben nach der Wahl keinerlei Rechte. Unsere Politdarsteller werden nicht müde, auf andere Länder zu zeigen, auch wenn im eigenen Land alles im Argen ist. Und Berlin ist unsäglich. Die Wahl-Wiederholung in Berlin fällt auf Sankt Nimmerlein.Das Ganze bis 2024 dauern. https://www.tichyseinblick.de/meinungen/bundestagwahl-wiederholung-berlin/ Das wird nichts mehr. Kann man abschreiben. Hier hilft nur noch ein Rücktritt der Ampel. Aber wollen wir auch mal lustig sein:… Mehr

Kassandra
2 Jahre her
Antworten an  Alf

Wo sollte er auch hin, mit seinem vielen Geld, woher auch immer?
Wurde nicht in Österreich eine Regierung gesprengt, weil ein gewisser Strache auf Ibiza „überwacht“ wurde, als sie ihm in den Mund legten, die Kronenzeitung kaufen zu wollen?
Tja.
War da aber nicht insgesamt etwas ziemlich unglaublich Fettes hinsichtlich Medien und der Kanzlerpartei? Jetzt halt dann auch die taz.

Last edited 2 Jahre her by Kassandra
Kassandra
2 Jahre her

Jens Spahn geht an solche Sachen ganz anders heran. Er redet von „Verzeihenden“, die eine „Aufklärung“ möglich machen sollen: https://twitter.com/richtig__falsch/status/1590025606301122561?cxt=HHwWgoDU9ar385AsAAAA Mir allerdings scheint das wie ein Gruß aus einer satanischen Parallelwelt. Einer, vor der man das große Grausen bekommt, wenn auch nur ein kleiner Einblick gelingt. Denn hört man nicht zwischen den Zeilen, wie all die Maskentragerei,die Arrestierungen, die Betriebsschließungen, all die Zwangsimpfungen von Grund auf falsch waren und Menschen, die ihm oder diesem Lauterbach vertrauten, großen Schaden zufügten? WEF-Spahn ist einer, der 100% glaubt, dass alles, was er angeht, in seinem Sinne richtig wäre. Einhalt war ihm hinsichtlich seiner… Mehr

johndoe19
2 Jahre her

Kleiner Hinweis: Der ehemalige OB Sauerland (Duisburg) musste ebenfalls aus dem Amt gewählt werden. Er hatte zwar nach monatelangen Diskussionen irgendwann die „politische Verantwortung“ für die Love-Parade.Katastrofe übernommen. Er war aber der Meinung, es sei nach einem Jahr Aufregung und persönlicher Zurückhaltung endlich wieder Zeit, um zum normalen politischen Geschäft (wie vor der LoPa) zurück zu kehren. Auch er dachte nicht einen Moment daran vom OB-Amt zurück zu treten. Er war vom Donner gerührt, als die Duisburger ihn aus dem Amt wählten.

bkkopp
2 Jahre her

Für Bürgermeister sollte man zuallererst die Direktwahl abschaffen. Die Wahlbeteiligung bei solchen Wahlen liegt meist bei 30-40%. Wegen der besonderen Umstände in Frankfurt war die Wahlbeteiligung für die Abwahl Feldmanns deutlich höher als jemals bei einer Wahl in das Amt – 42%. Eine sehr niedrige Wahlbeteiligung konstituiert allgemein keine faire, demokratische Repräsentanz. Diese sollte im Gemeinderat gesucht und konzentriert sein. Dieser wählt dann den Bürgermeister, und könnte ihn auch abwählen. Der Bürger sucht keine Wahl-Mitwirkung in der Gemeinde einmal für den Gemeiderat und dann für den Bürgermeister. Das haben sich die Politiker selbst erfunden, um “ mehr Demokratrie “ vorzugaukeln.

usalloch
2 Jahre her

Bei Schiller heißt es.“ Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt,“. Bei einigen Poltikern stattdessen, -an sich selbst, nicht zuletzt.

Carlos
2 Jahre her

Deshalb wird Karl Lauterbach vermutlich demnächst Generaldirektor bei der WHO. Besser wäre er allerdings im Panikorchester von Udo Lindenberg aufgehoben.

Niklot
2 Jahre her

Danke Frau Stephan, ich unterschreibe jedes Wort . In der letzten Bundesregierung ist niemand zurückgetreten, der nicht noch besser versorgt wurde.

Kassandra
2 Jahre her
Antworten an  Niklot

Tja. Auch die Frau aus der Uckermarck hat sich ein Büro mit 9 hoch dotierten Angestellten auf unsere Kosten dauerhaft bereitstellen lassen – auch das ein Skandal, der bislang unter der Decke gehalten wird.
Denn: was machen die da? Die Preise dafür, dass sie uns seit 2015 die Migranten und weiteres zum Unwohle zumutet, kann sie ja wohl alleine bei den UN abholen? Wer weiß, was uns das Altkanzler*innenbüro monatlich kostet – und ob es ein Organigramm gibt, wo die Funktionen der für sie Beschäftigten gelistet sind?

alter weisser Mann
2 Jahre her

Wenn Frankfurts Oberbürgermeister als Politiker bezeichnet wird, dann läuft auch was schief. Ein Bürgermeister ist ein kommunaler Wahlbeamter auf Zeit und Chef der Statdtverwaltung. Zwar gerieren sich manche Bürgermeister als seien sie mehr und blasen z.B. zur Flüchtlingspolitik die Backen auf, aber das ist deren Irrtum über ihre eigene Rolle und Bedeutung.