Baut Kathedralen

„Wir haben wiederentdeckt, wozu große Nationen in der Lage sind: das Unmögliche zu schaffen. Diese Kathedrale ist ein glückliches Sinnbild dafür, was eine Nation sein kann und was die Welt sein sollte“, erklärt Emmanuel Macron mit einem Pathos, das uns in Deutschland fremd geworden ist. Hierzulande wird nicht mehr gebaut, sondern abgerissen. Doch wenigstens das in großem Stil.

IMAGO / ABACAPRESS

Was bemächtigt Menschen, Großes und Bleibendes zu erschaffen? Reicht ihr Selbst, das sich ja ziemlich aufpumpen müsste, um das nötige Zutrauen in die eigene Größe zu bewerkstelligen, damit auch nur der Anfang gelingt?

Bach muss eine andere Quelle zur Verfügung gehabt haben, um das „Jauchzet, frohlocket“ des Weihnachtsoratorium zu erschaffen. Auch die Ungläubigen wissen, was diese Quelle war: der christliche Glaube.

Der gedeiht heute nur noch selten da, wo die Kirche, ob protestantisch oder katholisch, das Sagen hat. Da wedelt man mit Lappen in Regenbogenfarben oder strickt gegen rechts, das erhebt nicht, weshalb sich niemand mehr damit aufschwingt. Insbesondere die protestantische Kirche versteht sich nicht mehr als Glaubensgemeinschaft, sondern als moralische Instanz, wobei man jeder neuen woken Mode folgt.

Immerhin: das steinerne Gehäuse über der bunten Fahne und dem Orgelton erinnert noch an gewagte Größe – näher, mein Gott, zu dir? Hoch hinaus, wie die höchste Kathedrale der Welt? Der Kölner Dom (Baubeginn 1248) überragte bis 1884 alle und alles. Und was die Ausmaße betrifft – ummauerte Fläche, Fassungsvolumen – ist womöglich der Petersdom die größte Kirche der Welt. Doch lange Zeit beanspruchte die Abtei von Cluny diesen Titel.

Cluny im Burgund wurde 910 von Wilhelm I, Herzog von Aquitanien, als Benediktinerkloster gegründet. Die Besonderheit: Wilhelm I. schloss jegliche Einmischung weltlicher oder geistlicher Gewalt in die internen Angelegenheiten des Klosters aus. Heute liegt Cluny wie ein geschändeter Riese da: 1790 wurde die Abtei Cluny geschlossen, 1793 ihre Archive verbrannt. 1798 wurde die Abteikirche an einen Händler verkauft und 1801 als Steinbruch erst für den Straßenbau, dann für die Häuser der Stadt verwendet. So erging es auch vielen Tempeln und anderen antiken Kultstätten in der Türkei oder in Griechenland. Spolien aus Cluny, heute wertgeschätzt, adeln manchen Hühnerstall.

Wer hat die gotischen Gotteshäuser in Frankreich gebaut? Ihnen hat ein englischer Unterhaltungsschriftsteller ein Denkmal gesetzt, Ken Follett. Er würdigt in seinem fünfteiligen Opus über Kingsbridge die Baumeister, die Steinmetze und Bildhauer, die Schreiner und Zimmerleute, die Maler und die Orgelbauer, die Glockengießer, die Künstler, die die Glasfenster schufen. Ganz am Rande diejenigen, die sich selbst womöglich mit solchen Bauten ein Denkmal setzten wollten.

„In einem Zeitraum von drei Jahrhunderten – von 1050 bis 1350 – wurden in Frankreich mehrere Millionen Tonnen Steine für den Bau von 80 Kathedralen, 500 großen Kirchen und einigen zehntausend Pfarrkirchen gehauen. Das bedeutet, dass im Frankreich jener drei Jahrhunderte mehr Steine hin- und hergekarrt wurden als zu irgendeiner Zeit im alten Ägypten – und das, obwohl die Große Pyramide allein einen Raum von 2.500.000 m3 einnimmt“ (Jean Gimpel, Die Kathedralenbauer).

Ob es nun hilft, sich an die wiedererstandene französische Kirche Notre Dame de Paris zu klammern, um wieder etwas Größe zu gewinnen? Macron mag sich das vorgestellt haben und versucht, die vor fünf Jahren lichterloh brennende und nun frisch renovierte Notre-Dames in der Mitte von Paris in einem Staatsakt „zu einer Art Emblem des Nationalstolzes einer säkular-laizistischen Republik zu machen“, wie David Engels schreibt.

„Wir haben wiederentdeckt, wozu große Nationen in der Lage sind: das Unmögliche zu schaffen. Diese Kathedrale ist ein glückliches Sinnbild dafür, was eine Nation sein kann und was die Welt sein sollte“, erklärt Emmanuel Macron mit einem Pathos, das uns in Deutschland fremd geworden ist.

Obwohl Notre-Dame wie viele andere französische Kirchen dem Staat gehört, wird der eine oder andere die Feier des Staatschefs als Sakrileg betrachtet haben. Denn hat Macron bislang auch nur ein einziges Mal dazu Stellung genommen, dass fast wöchentlich eine christliche Kirche Opfer von Brandstiftung wird?

Die gotischen Kathedralen sind die Verkörperung des altehrwürdigen Europa. Doch offenbar werden die grandiosen Kunstwerke unserer Kultur von den säkularen Europäern weniger ernstgenommen, als von jenen, die sie in Brand setzen. Fanatisierte Muslime wissen, was sie tun, wenn sie die lästigen christlichen Symbole abfackeln.

Doch die Linke sieht nicht den Steinmetz und die Bildhauer, sondern erkennen in den prächtigen Bauwerke lediglich die Verkörperung der Hybris gaunerischer Klerikaler, die das Volk ausrauben. Dabei haben diese Kirchen eben immer auch dem Volk gehört, noch nicht einmal ausschließlich den Gläubigen.

Egal. Wer wagt es in Deutschland schon noch, von Nation und nationaler Kultur zu sprechen, wenn ungewählte Figuren in der EU darüber bestimmen können, ob deutsche Landfrauen noch selbstgebackenen Kuchen auf Weihnachtsmärkten verkaufen dürfen? Hierzulande wird nicht mehr gebaut, sondern abgerissen. Doch wenigstens das in großem Stil.

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Kommentare ( 11 )

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Deutscher
28 Tage her

Eine klassische Kathedrale könnte D heute gar nicht mehr bauen, schon gar nicht eine, die Jahrhunderte lang stehen bleibt. Völlig unfähig – und davon abgesehen unbezahlbar!

Maunzz
30 Tage her

Der französische Staat hat keinen Euro für den Wiederaufbau von Notre-Dame ausgegeben. Es waren weltweite Spenden.

Albert Pflueger
30 Tage her

Da wird in Sonntagsreden die Nation beschworen, die man alltags mit aller Macht vernichten will- oh, ich vergaß, diese Macke haben nur wir Deutschen! Es geht darum, die Deutsche Nation zu vernichten, alle anderen sind damit einverstanden, und unsere Altparteien bejubeln das und verfolgen jene, die damit nicht einverstanden sind, weil sie sie für „Nazis“ halten.

chez Fonfon
30 Tage her

Macron hat in seiner sehr gebildeten Rede den Bogen geschlagen von den französischen Königen des Mittelalters bis zu den beiden Weltkriegen, nach deren Beendigung Notre Dame jeweils geläutet hat. Bei uns weiß eine Bundestagsabgeordnete nicht mal, wer Bismarck war. Wenn erst das Band zur eigenen Geschichte erst durchtrennt ist, was mit Absicht betrieben wird und längst der Fall ist – , dann haben auch die Bauten aus der Vergangenheit ausgedient. Wozu braucht man dann noch Burgen und Schlösser, Kirchen und Kathedralen, wenn kein Schwein mehr weiß, wozu die mal gebaut wurden, wer sie gebaut hat und warum man den alten… Mehr

Haba Orwell
30 Tage her

> Hierzulande wird nicht mehr gebaut, sondern abgerissen.

Dem Heiligen Klima zum Ehren werden Windräder gebaut, die jede Kathedrale überragen – davon Tausende. Für die Wirtschaft weniger nützlich als ägyptische Pyramiden – diese bringen wenigstens Touristen.

Laurenz
1 Monat her

Man hätte lieber schöne & vernünftige Schulen gebaut anstatt Kathedralen….

Ho.mann
1 Monat her

Kathedralen ein glückliches Sinnbild, was eine Nation sein kann und was die Welt sein sollte? Nix da, es wird nur noch abgerissen, was eine Nation kulturell auszeichnete. Nationale Identität und noch vorhandener Nationalstolz wird dem Volk aus den Rippen gebrügelt. Patriotisches Gedankengut wird verteufelt und hat in einer seelenlosen Zukunft keinen Platz. Eine kulturlose Zukunft, wie sie nur einige machtbesessene und stinkreiche Spinner erträumen, muss verhindert werden, doch dazu müsste man die Welt erst von etlichen kulturzerstörenden Psychopathen befreien.

Last edited 1 Monat her by Ho.mann
chez Fonfon
30 Tage her
Antworten an  Ho.mann

Ich denke nicht, dass „stinkreiche Spinner“ daran schuld sind, dass es eine „kulturlose Zukunft“ gibt, das machen die vielen kleinen Helfershelfer (Lehrer, Richter, Politiker) schon von ganz alleine, weil sie sich selbst hassen und das Land und seine Menschen dazu. Sie fühlen sich mit dieser destruktiven Haltung anderen überlegen und halten sich für Intellektuelle.

Lars Baecker
1 Monat her

Man könnte auch zunächst mal damit beginnen, Kirchen zu erhalten, anstatt sie massenhaft zu schließen, zu schleifen und die Grundstücke gewinnbringend zu verkaufen.

Talleyrand
1 Monat her

Die jüngsten Bilder der „Eliten“ in der Notre Dame vor Augen, wie sie die Kathedrale zur Selbstbeweihräucherung mißbrauchen, drängt sich mir spontan ein Bibelwort aus Psalm Neunundsiebzig auf: „Gott, es sind Heiden in dein Erbe eingefallen; die haben deinen heiligen Tempel entweiht.“ Ich hoffe, es gibt wenigstens noch ein paar Nüchterne, die diesen Gedanken nachvollziehen können.

Epouvantail du Neckar
30 Tage her
Antworten an  Talleyrand

Immerhin konnte man mit dem profanen Auftritt dieser Südafrikanerin gefühlt auch ein wenig Kolonialschuld abtragen.