Worüber reden Europas Nationalisten miteinander?

FPÖ-Vormann Strache fordert aktuell ein Referendum zur Wiedervereinigung Tirols. Südtirol wieder zu Österreich? Was würde die Wiederkehr des Nationalismus bedeuten, von der in diesen Tagen oft gesprochen wird? Denken wir die Sprüche zu Ende.

Jüngst meldete sich die Jugendorganisation der AfD, kurz „Alternative Jugend“, zu Wort, um die Zusammenarbeit mit der Molodaja Gwardija (Junge Garde), der Jugendorganisation der Putin-Partei „Einiges Russland“, zu verkünden. Alexander Gauland, nationaler Chefprovokateur der AfD, begrüßte diesen Schritt, war er doch selbst bei seiner Reise nach Sankt Petersburg mit dem nationalfaschistischen Kreml-Ideologen Alexander Dugin und einem Vertrauten Putins zusammengekommen. Auch aus den engen Verbindungen zu anderen rechtsnationalen Gruppierungen wie der Europa-feindlichen UKIP des Vereinigten Königreichs oder der vom Kreml mit Millionen unterstützten Nationalen Front der Französin Marine LePen macht Gaulands Partei keinen Hehl.

Worüber unterhalten sich Nationalisten unterschiedlicher Nationen?

Jenseits dessen, dass auch hier die alte Spruchweisheit gilt, wonach die Wahl der Freunde Auskunft darüber gebe, wer man sei, soll nun eine bislang in den Medien weder gestellte geschweige denn beantwortete Frage betrachtet werden:  Worüber reden Europas Parteien, die sich selbst als national, patriotisch, nationalistisch verstehen, eigenlich miteinander, wenn sich ihre Vertreter treffen? Was bedeutet eine politische Agenda des Nationalistischen in Europa. Denn eigentlich – um dies vorweg zu nehmen – müssten sie sich gegenseitig derart intensiv hassen, dass eine gemeinsame Ebene zur Kommunikation kaum zu finden ist.

Dugin und die europäischen  Vasallen

Werfen wir beispielsweise einen Blick auf jenen Dugin. Seine Philosophie könnte in weiten Teilen im gerade wiederveröffentlichten Basiswerk der Deutschen Nationalen Sozialisten eines Österreichers namens Adolf Hitler abgeschrieben worden sein. Nur dass Dugin überall dort, wo Hitler „Deutschland“ und „deutsches Volk“ geschrieben hatte, die entsprechenden russischen Pendants eingesetzt hat.

Für Dugin steht unzweifelhaft fest: Das eigentliche Herrenvolk auf diesem Planeten sind die Russen. Ihnen gehört das Recht, die Welt zu beherrschen. In einem ersten, baldmöglichst zu realisierenden Schritt soll dieses Russische Empire seine Grenzen im Westen bis an den Atlantik zur portugiesischen Hauptstadt Lissabon ausdehnen. Im Osten träumt der Nationalfaschist von der Rückeroberung der Südmandschurischen Gebiete und der vorgelagerten, noch nicht russisch besetzten Inselwelt des Westpazifik und – selbstverständlich – von der Wiedereingliederung des damals von beiden Vertragspartnern als weitgehend wertlos erachteten, nordamerikanischen Alaska, welches Zar Alexander 2 im Jahr 1867 aus Geldnot für 7,2 Millionen Dollar an die USA verkaufte.

Für den russischen Herrenmenschen Dugin sind die Europäer westlich des Don ebenso wie Sibirer und andere Asiaten bestenfalls Vasallenvölker, die sich dem Willen Russlands widerspruchslos unterzuordnen haben.

Von Rosbifs, Froggies, Huns und Boches

Nicht viel anders sieht das bei den westeuropäischen AfD-Partnern aus. Ob Le Pen oder Farage – für sie steht ihre Nation im Sinne der aktuell verpönten ersten Strophe des Deutschlandliedes „über alles in der Welt“. Nicht anders findet sich die nationale Ausrichtung auch im Programmentwurf der AfD.

Da bleiben für die Nationalfranzosen die Inselbewohner traditionell „Rosbifs“, so wie Lafarges Truppe den Nerv der britischen Cockneys trifft, wenn sie die „Froschfresser“ auf den anderen Seite Kanals in traditioneller Überheblichkeit als „froggies“ bezeichnet. Selbstverständlich – um auch das festzuhalten, bleiben für den nationalen Briten die Deutschen „krauts“ oder „huns“ und für den nationalen Franzosen dickschädelige, barbarische „boches“.

Ein Dialog der Abscheu?

Wenn nun die eigene Nation „über allem in der Welt“ steht und der Blick auf den Nachbarn traditionell von oben herab erfolgt  – säuseln sich dann Gauland und Dugin, Lafarge und Le Pen in den Gesprächen ihrer nationalistischen Internationale  gegenseitig ins Ohr, dass sie sich eigentlich zutiefst verabscheuen? Erklären sie sich gegenseitig in vereinter Überzeugung, dass ihr minderwertiges Land eigentlich keinerlei historischen Anspruch auf Nichts hätte?

Bei Dugin – und damit bei Putin – ist der Fall bereits geklärt. Für ihn sind Gauland, L Pen und Farage die nützlichen Idioten, die das russische Herrenvolk benötigt, um seinen imperialen Anspruch bis an den Atlantik auszuweiten. AfD, FN und UKIP sind für die Strategen im Kreml nichts anderes als ihre fünften Kolonnen zur Vernichtung der demokratischen Ausrichtung Westeuropas, zur Implosion der verhassten Europäischen Union und zum Abschalten des US-amerikanischen Einflusses in Europa.

Das ist aus russischer Sicht angesichts der dort vertretenen, imperialen Ansprüche in jeder Hinsicht legitim. Aus ähnlichen Erwägungen unterstützte das Deutsche Reich 1917 den Berufsrevolutionär Wladimir Iljitsch Lenin und in den 1930ern nationalfaschistische Bewegungen in den europäischen Nachbarstaaten.

Deutschland zuerst! Oder auch nicht …

Was aber nun, wenn Gauland auf Le Pen trifft? Der Deutsche müsste in seinem „Deutschland-zuerst“-Anspruch als erstes die Rückgabe der nach dem sogenannten Dreißigjährigen Krieg in Folge eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs erworbenen reichsdeutschen Gebiete des Elsass und Lothringens einfordern. Tut er dieses nicht, so verrät er deutschnationale Interessen. Die Französin hingegen müsste den Anspruch auf die Saar, zumindest die linksrheinischen Gebiete Westdeutschlands und das badische Land unterstreichen.

Beim Gespräch mit dem nationalbritischen Farage wäre darauf hinzuweisen, dass die gewaltsame Übernahme der deutschen Schutzgebiete in Südwest- und Ostafrika sowie in Kamerun und Togo noch nicht abschließend geregelt ist. Schließlich erfolgten diese gewaltsamen Übernahmen als Bruch des deutsch-britischen Vertrages vom 1. Juli 1890, in dem die beiden Reiche ihre gegenseitigen Kolonialinteressen regelten.

Farage könnte im Gegenzug beispielsweise darauf verweisen, dass der von Deutschland veranlasste Waffengang ab Herbst 1939 England nicht nur bei den Amerikanern weiter verschuldet, sondern letztlich zum Zusammenbruch des britisch-kolonialen Empires geführt hat, wofür nun Deutschland gerade zu stehen habe. Was nun Gauland wiederum – ganz im Sinne der gemeinsamen nationalen Denkansätze – den Hinweis abnötigen könnte, dass die Kriegserklärung des Vereinigten Königreichs vom 3. September 1939 ein illegaler Akt gewesen und als völkerrechtwidriger Angriffskrieg zu werten sei, weil Deutschland schließlich nicht das Königreich angegriffen habe, sondern lediglich seine eigenen, nationalen Interessen in seinen ehemaligen, durch einen nicht minder völkerrechtswidrigen Diktatfrieden verlorenen Ostgebieten durchzusetzen gedachte. Als national denkender Brite sollte Farage dieser Logik durchaus folgen können – und es müsste ihn gleichzeitig inspirieren, mit ähnlicher Argumentation eine Strafexpedition gegen die aufmüpfigen und EU-ergebenen Schotten ebenso wie die Heimholung der abtrünnigen Iren durch den Deutschen absegnen zu lassen.

Nun – wir können davon ausgehen, dass derartige, dem jeweiligen „nationalen Interesse“ einer „Mein-Land-zuerst“-Doktrin entsprechenden Aneinanderreihung gegenseitiger Schuldvorwürfe und Ansprüche sicherlich nicht die aktuellen Gespräche prägen wird. Statt dessen werden wir unterstellen dürfen, dass im Mittelpunkt der aktuellen Zusammenarbeit nationaler Blockheads die gemeinsame Gegnerschaft steht. Diese wiederum rekrutiert sich derzeit vorrangig aus Europäischer Union als administratives Bürokratiemonster zu Lasten der „Nationalen Interessen“ und – selbstverständlich – den immer-bösen US-Yankees, die – gleich ob weiß oder schwarz geführt – kein anderes Ziel verfolgen, als die multilaterale Welt friedliebender Nationen dem Diktat des Wallstreet-Kapitalismus zu unterwerfen.

Der Feind meines Feindes ist mein Freund

Einmal mehr greift hier das schon in der Frühantike bekannte Muster der Regel: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Gemeinsame Gegnerschaft eint. Und sie eint gegenwärtig all jene, die in ihrer national-exklusiven Ausrichtung bei sachlicher Betrachtung ihrer Selbst und ihrer entsprechenden, aus nationalen Demütigungen erwachsenen Ansprüche einander spinnefeind sein müssten.

Liegen wir also falsch wenn wir unterstellen, dass diese Freundschaften der Nationalisten unterschiedlicher Nationen nur so lange halten werden, wie die gemeinsame Gegnerschaft funktioniert? Brauchen Putin und Gauland, Le Pen und Farage nicht die EU ebenso als Lebenselixier wie den Todfeind USA?

Spinnen wir den Faden weiter und unterstellen wir, diesen Herrschaften gelänge es, die sie derzeit einenden Ziele zu erreichen. Die EU bricht unter dem Zustrom illegaler Einwanderer und dem Trommelfeuer nationalfaschistischer Gegner mit logistischer Unterstützung aus Russland auseinander. Die USA eines ebenfalls den nationalfaschistischen Ideen offenbar nicht gänzlich abgeneigten Donald Trump hätten von ihren irren Partnern in Europa abschließend die Nase voll und würden die NATO als  Nordamerikanisch-Australisches Verteidigungsbündnis ohne die zunehmend an Bedeutung verlierenden Kleinstaaten Europas zur POTO (Pacific Ocean Treaty Organization) neu ordnen. Und dann?

Nach EU- und NATO-Ende heim ins Reich

Dann hätten die Nationalen von Gauland bis Putin endlich ihre gemeinsamen Ziele erreicht – und nun die Chance, ihre eingeforderten, ureigensten nationalen Interessen durchzusetzen.

Gaulands Deutschland könnte also in umgehende Verhandlungen mit Frankreich, Dänemark, Polen und Belgien zwecks Rückgabe der seit 1918 verlorenen Gebiete eintreten. Das tschechische Parlament könnte zwecks Vermeidung ernster Konsequenzen aufgefordert werden, entweder die deutschen Sudetengebiete umgehend freizugeben oder als die neuen Bundesländer Böhmen und Mähren der Bundesrepublik beizutreten. In Österreich könnte die FPÖ – wäre sie konsequent – gleichzeitig die Volkabstimmung über einen entsprechenden Beitritt der neuen Länder von Vorarlberg bis Burgenland zur Großdeutschen Bundesrepublik im Sinne der Revolution von 1848  einleiten. Die deutsch-österreichische Forderung, den Südtirolern ebenso eine basisdemokratische Abstimmung über ihren freiwilligen Beitritt zur Bundesrepublik zu ermöglichen, läge dann bereits als gemeinsame diplomatische Note in Rom auf dem Tisch.

Russland hätte nun endlich die Chance, die von ihm beanspruchten Miniländer im Baltikum ebenso zu reintegrieren wie Finnland, die Ukraine, Rumänien und Bulgarien. Gleichzeitig sähe es sich mit der deutschen Forderung konfrontiert, Ostpreußen ebenso wie die vor 1918 deutsch-baltischen Gebiete zu räumen. Die Serben würden sich in einem Beistandspakt dem neurussischen Reich anschließen – Griechenlands national-sozialistische Koalitionsregierung, nunmehr auf Jahrhunderte verschuldet und völlig auf sich selbst gestellt, diesem Schritt folgen.

Alte Konflikte mit modernen Waffen neu beleben

Selbstverständlich würden die Verhandlungen zwischen Gauland-Deutschland und Le Pen-Frankreich über die beiderseitigen Rheinprovinzen nicht zu einem einvernehmlichen Ergebnis führen. Die jeweiligen nationalen Interessen ließen dieses nicht zu.

Gleichzeitig würden die Polen versuchen, sich gegen die doppelte Bedrohung durch Russland und Deutschland irgendwie zu wappnen – nur wie? Vermutlich würden sie umgehend an der nationalen A-Bombe arbeiten – als letzte Möglichkeit, den militärisch überlegenen Nachbarn etwas entgegen zu setzen. Daran käme übrigens auch Deutschland nicht vorbei, denn wenn die nationalen Interessen bei allen wieder ganz oben auf der Agenda stehen und Deutschland, wie von der AfD gefordert, zur Selbstverteidigung ohne Partner fähig sein soll, dann muss Deutschland damit rechnen, dass der bisherige Verbündete Russland doch bei passender Gelegenheit daran geht, den Dugin’schen Traum der russischen Atlantikküste Wirklichkeit werden zu lassen. Auch muss die neue Bundesrepublik selbstverständlich abgesichert sein gegen eine vorstellbare französische A-Bomben-Drohung für den Fall, dass der Rückgabeforderung zum ehemaligen Reichsland Elsass-Lothringen nicht stattgegeben wird.

Dieses gedachte, aber in der Logik der Kumpelei zwischen AfD, Putinpartei, Front National und UKIP irgendwann eigentlich unvermeidbare Szenario wird – hoffen wir jedenfalls – in dieser Form vermutlich nicht eintreffen. Zumindest nicht Eins zu Eins.

Der übernationale Konflikt der nationalen Einheitsfront

Dennoch bleibt die Frage: Wovon sprechen und träumen Gauland und Dugin, Le Pen und Farage, wenn sie sich in ihrer Gemeinschaft der Nationalisten treffen? Eigentlich können sich diese Gespräche tatsächlich nur in der gemeinsamen Gegnerschaft erschöpfen – und im Hinterkopf denkt sich ein jeder: „Haben wir EU und NATO erst einmal geschafft, dann bist Du dran, mein Lieber!“

Alles andere zumindest macht in der politischen Logik keinen Sinn. Es sei denn, es reicht Politikern wie Gauland und Co., ihre persönliche Machtperspektive in der Vasallenschaft als Unterführer der vorrangigen nationalen Interessen einer anderen Nation erschöpft zu sehen. In diesem Falle allerdings sei vorsorglich gemahnt: Solche Abhängigkeiten können, wie die Geschichte schon in der späten Kupferzeit bewiesen hat – für den Vasallen schnell tödlich und für das Vasallenvolk schnell in der Knechtschaft enden.

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