Mit der „Mutter aller Schlachten“ drohte der damalige irakische Diktator Saddam Hussein 1990 den Vereinigten Staaten von Amerika . Eine wahre „Mutter aller Schlachten“ beginnt nun im Norden des Irak. Ein Beitrag über die Hintergründe und Folgen.
Der Aufmarsch der Anti-IS-Kämpfer
Die Gemengelage unterschiedlichster Interessen und Ansprüche prägt auch heute die Situation der Stadt, wenn in den kommenden Tagen die Attacke auf Mosul beginnen sollte.
Die kurdischen Peshmerga der heute Autonomen Region Kurdistan um das nordirakische Erbil werden sich an den Kämpfen aus dem Osten beteiligen. Im Nordwesten steht ungebeten die reguläre türkische Armee – angeblich um die kurdischen Peshmerga auszubilden. Tatsächlich jedoch hat sie, wie Erdogan jüngst im sa‘udischen Fernsehen unterstrich, einen klaren Kampfauftrag, den sie im Zweifel auch ohne Kooperation mit den irakischen Einheiten ausführen wird. An der Seite der Türkei befinden sich sunnitische Milizen, deren genaue Herkunft und Zusammensetzung jedoch im Dunkeln liegt. Gut vorstellbar, dass es sich hierbei um Islamfundamentalisten handelt, die auch in Syrien an der Seite der Türkei kämpfen.
Die Truppen des Irak haben sich in mühsamen Auseinandersetzungen bis auf derzeit rund 50 Kilometer von Süden an die zweitgrößte Stadt des Landes herangekämpft. Der Irak selbst lehnt jede Zusammenarbeit mit den Türken ab. Sein Ministerpräsident fordert seit Dezember vergangenen Jahres den Rückzug der Türkei aus irakischem Hoheitsgebiet: „Die Türken haben weder die Erlaubnis, sich im Irak aufzuhalten, noch sind sie erwünscht“, stellt er fest. Der US-Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte gegen den Islamischen Staat unterstreicht – trotz gemeinsamer NATO-Mitgliedschaft – die Position des Irak: „Die Türkischen Einheiten sind kein strategischer Bestandteil der alliierten Streitkräfte“ – heißt: Die Eroberung Mosuls soll ohne den türkischen NATO-Partner stattfinden.
Konfliktpotential mit der Türkei
Während der Irak der Türkei mittlerweile offen mit einem direkten Krieg droht, sollte sie tatsächlich ihre Einheiten nicht nur nicht zurückziehen, sondern in den Kampf um Mosul eingreifen, gibt sich Erdogan unbeeindruckt. Er hat mittlerweile den 19. Oktober als den Tag des Beginns der Offensive ausgegeben. Allein das schon ist strategisch kaum nachvollziehbar – denn damit können sich die in Mosul stehenden Kräfte des Islamischen Staats optimal auf die bevorstehenden Kämpfe vorbereiten. Mit einem Überraschungsangriff wäre es somit vorbei. Das wiederum ist ein Schlag ins Gesicht der Irakischen Allianz – denn es setzt sie unter Zugzwang und könnte ihr das Heft des Handelns aus der Hand nehmen und somit den Erfolg der Offensive in Frage stellen.
Was also hat Erdogan tatsächlich bewogen, hier wie im Norden Syriens einen Alleingang gegen die Interessen selbst des NATO-Verbündeten USA zu wagen?
Erdogans Signale an die sunnitische Welt
Parallel zur Ankündigung seiner Offensive gegen Mosul hat der Türke mehrere Signale ausgesandt. Zum einen beteuert er, keine imperialistischen Ziele der territorialen Erweiterung zu haben. Gleichzeitig aber stellt er hinsichtlich der griechischen Inseln in der Ägäis die Ergebnisse der Lausanne-Verträge in Frage – und damit diese Vereinbarung zur Neuordnung der Region nach dem Ersten Weltkrieg insgesamt.
In Erdogan-nahen, türkischen Medien wurden dieser Tage durch nationaltürkische „Wissenschaftler“ Artikel veröffentlicht, die eine Großtürkei sowohl mit der türkischen Küste vorgelagerten Ägäis-Inseln und dem Norden Griechenlands sowie dem heutigen Armenien als auch jenem Vilayet Mosul einschließlich der autonomen Region Kurdistan als „historischen Anspruch“ der Türkei definieren.
Erdogan selbst stellte in einem Interview mit einem sa’udischen TV-Sender kategorisch fest, dass in einem befreiten Mosul nur noch „sunnitische Araber, Kurden und Türken“ leben dürften. Das wiederum ist ein unverhohlener Affront sowohl gegen die Jeziden wie gegen christliche Aramäer und Chaldäer. Denn das spätantike und mittelalterliche Mosul war trotz der Herrschaft von Sassaniden und Muslimen eine christlich geprägte Stadt mit Bischofssitz und beherbergte bis zum 2. Februar 2015 die von den Islamfundamentalisten zerstörte, älteste chaldäisch-katholische Kirche Mesopotamiens. Allerdings waren die Christen seit Langem ständigen Repressionen ausgeliefert, weshalb sich ihre Zahl zuletzt auf rund 35.000 verringert hatte. Mit dem Einmarsch des Islamischen Staats sollen nun auch die letzten überlebenden Christen die Stadt verlassen haben – sie vegetieren derzeit überwiegend in Lagern nahe der kurdischen Stadt Erbil.
Erdogans Signal an den IS
Wenn Erdogan nun ein religiös-reines, sunnitisches Mosul fordert – und sich dabei gleichzeitig als Schutzmacht der Turkmenen betrachtet, deren Existenz er durch einen – wörtlich – „Genozid“ seitens der schiitischen Iraker und Kurden gefährdet sieht, dann ist das faktisch ein klares Signal an seine de-facto-Verbündeten vom Islamischen Staat. Denn damit definiert er dessen Ziele als seine eigenen, als Interessen der Türkei.
Plötzlich macht dann auch die Bekanntgabe eines Angriffsdatums Sinn. Bis zum 19. Oktober haben die IS-Kämpfer nun Zeit, sich klammheimlich abzusetzen und in neuen Uniformen in die sunnitischen Milizen der Türkei einzugliedern. Wenn diese dann gemeinsam mit den Türken ihre Offensive starten, könnten sie große Teile der Stadt kampflos übernehmen, bevor die irakische Allianz oder die kurdischen Peshmerga dort sind. Erdogan hätte mit Hilfe seiner sunnitischen Verbündeten Fakten geschaffen – Mosul wäre eine von Türkei-nahen Sunniten gehaltene und verwaltete Stadt.
Die Kriegsdrohung des Irak gegen die Türkei macht insofern doppelt Sinn – denn die Stadt, die die ölreiche Provinz beherrscht, ist für die schiitische Regierung in Bagdad von fundamentaler Bedeutung.
Die kurdische Karte
Gleichzeitig aber liegt auch immer noch die kurdische Karte auf dem Tisch. Erdogan hat bereits angekündigt, dass er eine Teilnahme der PKK und deren syrischer YPG-Verbündeter an der Befreiung Mosuls keinesfalls dulden werde. Doch diese sind längst Bestandteil der Anti-IS-Koalition – und bislang die erfolgreichsten Kämpfer gegen den IS im Nordirak und gegen die islamfundamentalistischen Verbündeten der Türken in Nordsyrien. Die Freien Kurden, in deren Reihen auch jene von Erdogan als künftige Bürger Mosuls ausgeschlossenen Jeziden und Christen kämpfen, werden sich jedoch durch türkische Drohungen nicht davon abhalten lassen, ihren Teil zur Befreiung ihrer Stadt beizutragen.
Den kurdischen Peshmerga-Kämpfern um Masud Barzani schwant seit jenem Interview des Türken vom 2. Oktober, dass sie möglicherweise auf das falsche Pferd gesetzt haben. Bislang kooperierten sie mit der Türkei – vor allem wirtschaftlich hatten sich zwischen der Autonomen Region im Irak und der Türkei zum Leidwesen der Freien Kurden enge Beziehungen entwickelt. Wenn nun aber in von Erdogan gesteuerten Medien Landkarten auftauchen, in denen das Vilayet Mosul als integraler Bestandteil einer künftigen Großtürkei gezeigt wird, dann bedeutet dieses, dass die Unabhängigkeit der Barzani-Kurden in Erdogans Großmachtphantasien auch nur eine vorübergehende Größe ist.
Erdogan und seine SITA
Für den türkischen Präsidialdiktator geht es um weit mehr als nur um das Vilayet Mosul. In seinem Interview mit dem sa’udischen Sender ließ er durchblicken, wohin seine Reise gehen soll – und wo seine tatsächlichen Ziele liegen. Er sprach mit gewohnter Deutlichkeit davon, dass „der Westen“ – also die USA und ihre europäischen Verbündeten, gezielt gegen die islamischen Staaten vorgingen Wörtlich nannte er dabei die derzeit mit den USA verbündeten Länder Türkei, Sa’udi-Arabien und Pakistan.
Tatsächlich befindet sich das Verhältnis der westlichen Führungsmacht zu diesen fragwürdigen Verbündeten angesichts des außenpolitischen Versagens der Obama-Administration in einer tiefen Krise. Erdogans Türkei macht „den Westen“ mitverantwortlich für den der Gülen-Bewegung angelasteten, vorgeblichen Putschversuch. Die amerikanischen Abgeordneten setzten gegen den Willen ihres Präsidenten durch, dass gegen Sa’udi-Arabien gerichtliche Verfahren wegen der Anschläge von 9/11 eingeleitet werden können. Der pakistanische Geheimdienst gilt in den USA ohnehin seit Jahren als heimlicher Unterstützer der fundamental-islamischen Milizen und Terroristen nicht nur in Afghanistan.
Erdogan versucht die weltpolitische Schwäche der USA zu nutzen. Er strebt ein sunnitisch-islamisches Militärbündnis an, welches wir der Einfachheit halber in Anlehnung an die NATO als SITA (Sunnite Islamic Treaty Alliance) abkürzen. Für diese SITA versucht Erdogan derzeit, mit den ebenfalls wahabistischen Sa’ud und den nicht minder fundamentalistischen Pakistani zwei militärisch hochgerüstete Partner als Gründungsmitglieder zu gewinnen. Sollte er erfolgreich sein, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Länder wie Afghanistan und die Golf-Emirate ebenfalls dazu gehören werden. Nicht dabei sein wird bis auf weiteres Ägypten. Dieses aus Sicht Erdogans von einem „Putschisten-General“ geführte Land am Nil ist derzeit Zielschiebe geballten türkischen Hasses. Erst wenn „der demokratisch gewählte Präsident Mursi aus der Haft entlassen ist“, könne man vielleicht über eine Normalisierung der Beziehungen nachdenken, befindet der Türke. Vermutlich allerdings würde er dann umgehend auch noch die Wiedereinsetzung seines Muslimbruders fordern – weshalb Ägypten so oder so bis auf weiteres nicht zu den Freunden der Türkei gehören wird.
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