Teil 8 – Wer die Spielregeln bestimmt, gewinnt

Der russische Überfall auf das Nachbarland war das Ergebnis des putinschen Lernprozesses, dass Russland keine existenzgefährdende Gefahr droht, wenn es in die Ukraine einmarschiert. Einen Militäreinsatz auf dem Boden der Ukraine hatte die Nato unmissverständlich ausgeschlossen.

IMAGO / SNA
Wladimir Putin bei seiner Rede zum 77. Jahrestag des Sieges über Deutschland, 9. Mai 2022

Die Erfahrung mit Mediatoren und Streitschlichtern lehrt: Je deutlicher der Versuch unternommen wird, einem Beschwerdeführer in seinen Forderungen entgegen zu kommen, ihn zu beschwichtigen, desto mehr wird er fordern. Und schon bei intelligenten Nagetieren ist ein kontinuierlicher Lernprozess festzustellen: einmal gescheiterte Versuche werden nicht wiederholt, erfolgreiche hingegen werden zum Regelverhalten.

Putin ist intelligent, lernfähig und er hat gelernt: Je mehr ich fordere, desto mehr werde ich bekommen. Und je mehr ich drohe, desto mehr bestimme ich die Regeln.

Entscheidend dabei ist es, das Opfer – wahlweise auch Gegner genannt – ständig unter Stress zu halten. Es gilt, das Denken des anderen dadurch zu dominieren, dass der Aggressor kontinuierlich neue, weitere Drohungen ausspricht, mit denen er Angstphantasien provoziert und eigenständige Überlegungen sowie daraus resultierende Handlungen des Opfers ausschaltet. Sobald der Bedrohte die Drohung als relevant wahrnimmt und sein Handeln daran orientiert, hat der Drohende bereits einen Erfolg zu verzeichnen.

Der Westen agiert ausschließlich reaktiv

Der russische Überfall auf das Nachbarland, der erklärtermaßen dem Ziel dient, die ukrainische Nationalidentität zu vernichten, war das Ergebnis des putinschen Lernprozesses, dass Russland keine existenzgefährdende Gefahr droht, wenn es in die Ukraine einmarschiert. Denn einen Militäreinsatz auf dem Boden der Ukraine hatte die Nato unmissverständlich ausgeschlossen. Damit meinte Putin, freie Bahn zu haben.

Er flankierte seinen Überfall mit der angeblichen Versetzung der strategischen Atomwaffen in Alarmbereitschaft. Auch hier reagierte der Westen wunschgemäß gleich dem Pawlowschen Hund und erstarrte vor Angst.

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Seitdem legt Moskau regelmäßig nach, hindert den Westen so daran, eigenständige Strategien zu entwickeln. Alles, was der Westen seit dem 24. Februar 2022 getan hat, ist ausschließlich reaktiv. Das Heft des Handelns liegt in den Händen Putins – und er wird den von ihm verursachten, bewaffneten Kampf gewinnen, wenn es dem Westen nicht gelingt, sich aus dem Zugriff der von Putin aufgestellten Spielregeln zu befreien und den Konflikt künftig nach seinen eigenen, westlichen Spielregeln zu spielen.

Die bisher offenbarte Unfähigkeit, eigene Regeln aufzustellen, entbehrt dabei nicht einer gewissen Faszination. Sie offenbart vor allem eine schier unfassbare, geistige Unbeweglichkeit der vom russischen Vorgehen erschütterten Politiker. Dabei hätten EU und Nato bereits mit dem 24. Februar das Heft des Handelns in die Hand nehmen und Putin ihre Regeln aufzwingen können. Putin selbst hatte alle Voraussetzungen dafür geschaffen.

Russland befindet sich mit aller Welt in Frieden

Um es an dieser Stelle noch einmal zu unterstreichen: Auch wenn alle Welt es so nennt – das, was in der Ukraine geschieht, ist kein Krieg! Es ist aus der Sicht Moskaus erklärtermaßen eine „militärische Spezialoperation“, was am ehesten als militärisch gestützte Polizeiaktion zu verstehen ist. Wer in der Russischen Föderation diese Polizeiaktion vorsätzlich einen „Krieg“ nennt, ist sogar mit Strafverfolgung bedroht.

Das bedeutet: Die Russische Föderation befindet sich mit niemandem im Kriegszustand. Nicht mit der Ukraine, nicht mit den USA, nicht mit einzelnen Nato-Staaten oder Staaten der Europäischen Union. Gestern nicht, heute nicht, und voraussichtlich auch morgen nicht.

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Wo es keinen Krieg gibt, kann es auch kein Kriegsrecht geben. Somit kann Russland, da es sich mit niemandem im Kriegszustand befindet, auch keine Blockaden verhängen. Es kann nicht verlangen, dass friedliche und befreundete Staaten untereinander keinen Handel treiben. Es muss akzeptieren, wenn die Ukraine als souveränes Land, das sich nicht im Kriegszustand befindet, Militärgüter im Ausland erwirbt, Söldner anwirbt – selbst sogar eine Bitte an Drittländer, fremde Truppen in der Ukraine zu stationieren, ist völker- wie kriegsrechtlich gänzlich unproblematisch. So, wie vor nicht allzu langer Zeit der kasachische Präsident Tuqajew seinen russischen Nachbarn gebeten hatte, mit russischen Einheiten Aufstände in Kasachstan niederzuschlagen.

Was also hätten die Unterstützer der Ukraine tatsächlich tun können – und was könnten sie tun, um die russische Polizeiaktion zu beenden?

Vorab: Eine Diskussion, wie sie gegenwärtig die aus Prinzip neutrale Schweiz hinsichtlich der Auslieferung deutscher Panzer führt, ist nicht nur absurd – sie könnte sogar ein prozessuales Vorgehen gegen die Schweiz zur Folge habe. Denn die Schweiz verweigert die Auslieferung mit der Begründung, dass sie sich in Kriegssituationen grundsätzlich neutral verhalte. Die Schweiz hat offensichtlich nicht begriffen, dass es sich bei besagten Vorgängen eben nicht um einen Krieg handelt. Weder aus der Sicht der Russen, noch aus der Sicht der Ukraine. Wo es keinen Krieg gibt, da kann sich die Neutralität auch nicht dahinter verstecken.

Putins Erzählung mit Inhalt füllen

Hinsichtlich des Vorgehens der Unterstützer der Ukraine wäre es der eleganteste und wirkungsvollste Weg, die russische Definition mit eigenem Inhalt zu füllen.

Jedes Land, ob Nato oder nicht Nato, hat das Recht, auf Bitten der ukrainischen Regierung eigene Truppen im Land zu stationieren. So, wie seinerzeit Putin einer entsprechenden Bitte des bedrängten syrischen Präsidenten Assad gefolgt war und russische Truppen gegen Aufständische ins Land am östlichen Mittelmeer bringen ließ.

Besteht in einem solchen Fall die Gefahr einer unmittelbaren Konfrontation mit Russland? Nicht, wenn Russland sich an die von Putin aufgestellten Regeln hält. Und auch nicht, wenn sich die Hilfstruppen der Ukraine an den Regeln von Völker- und Kriegsrecht orientieren. Denn – zum wiederholten Male – es gibt keinen Krieg.

Wenn sich offizielle russische Einheiten auf ukrainischem Boden aufhalten, dann handelt es sich dabei nach den Darlegungen des Befehlshabers ausdrücklich ausschließlich um Einheiten mit Polizeiauftrag. Nicht um Truppen, die einen Krieg auszufechten haben. Solche Ordnungskräfte in das Land zu schicken, hat dementsprechend jedes andere Land ebenso die Möglichkeit. Sind diese Ordnungskräfte dann zudem und im Gegensatz zu den russischen auf ausdrückliche Bitte der legitimen ukrainischen Regierung im Land, hätten sie jedes Recht, gegen illegal im Land stehende Kräfte vorzugehen. Müssten sie aber nicht. Es reichte zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig aus, solche Kräfte in der Ukraine zu stationieren, um weiteres, rechtswidriges Verhalten sich zu Unrecht im Land aufhaltender Kräfte zu verhindern.

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Das gängige Narrativ zu einem solchen Vorgehen lautet: Russland könnte es als Angriff verstehen und einen Atomkrieg starten. Zugegeben, das wäre nicht gänzlich auszuschließen, wenn im Kreml ein geisteskranker Psychopath säße. Doch dort sitzt kein Geistesgestörter, sondern ein äußerst effizient und stringent denkender Soziopath. Und selbst dann, wenn die Vorstellung eines unzurechnungsfähigen Geisteskranken unterstellt werden sollte, kann das Vorgehen Putins entsprechend beantwortet werden. Indem beispielsweise die USA erklärten, sie würden ebenfalls ihre strategischen Atomwaffen in erhöhte Alarmbereitschaft versetzen für den Fall, dass illegal in der Ukraine stehende, russische Einheiten irgendwelche Aktionen gegen US-amerikanische Einheiten unternähmen.

Der Fall Syrien/Südkurdistan hat gezeigt, dass die gleichzeitige Präsenz russischer und amerikanischer Einheiten kein Konfliktpotential schaffen muss. Das jeweilige Vorgehen wird auf kurzem Wege abgestimmt. Ähnlich könnte es in der Ukraine gehalten werden: Die US- oder andere Einheiten aus Ukraine-Unterstützerländern könnten den Russen darlegen, welche russischen Vorgehensweisen nicht geduldet werden können. Da die entsprechenden Einheiten auf ausdrückliche Bitte der Ukraine im Land sind, bestimmen sie die Vorgaben.

Was aber, wenn sich die russischen Einheiten nicht daran halten? Nun, dann wäre das Völkerrecht eindeutig auf der Seite der von russischen Einheiten angegriffenen Hilfskräfte, die jedes Recht hätten, sich gegen solche Angriffe auf ukrainischem Boden mit allen Mitteln zu verteidigen.

Wäre das dann automatisch der Auslöser eines in den Statuten der Nato festgeschriebenen, kollektiven Verteidigungsfalls? Nein, denn die sich illegal auf ukrainischem Boden aufhaltenden, russischen Einheiten griffen ja nicht ein Nato-Land an, sondern ausschließlich Ordnungskräfte, die sich auf Bitten der Ukraine im Land aufhalten. Dort auch hätten diese Kräfte eben jedes Recht, sich mit allen Möglichkeiten gegen solche Attacken zur Wehr zu setzen. Daraus resultiert kein Kriegszustand und kein Verteidigungsfall. Solange nicht-russische Einheiten in der Ukraine nur die Interessen ihrer Gastgeber verfolgen, ohne dabei nicht-ukrainisches Territorium ins Visier zu nehmen, gibt es angesichts der nach wie vor völkerrechtlich bestehenden Friedenssituation für niemanden einen Grund, aus einer solchen Stationierung eine Bedrohung für die eigene territoriale Sicherheit abzuleiten.

Selbstverständlich: Das schließt nicht aus, dass ein Irrer auf den besagten roten Knopf drückt. Doch im Kreml sitzt kein Irrer und Russen sind keine Selbstmörder.

Auch der Schutz von Kulturgütern ist möglich

Unterstellt, die Länder mit den entsprechenden Möglichkeiten wollten dennoch davon absehen, aktive Kampfeinheiten für die Vorwärtsverteidigung in der Ukraine zu stationieren. Es wären dann auch abgespeckte Möglichkeiten vorstellbar.

Die bundesdeutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth reiste auf Einladung ihres Amtskollegen in der ukrainischen Metropole Odessa. Odessa ist ein kulturelles Juwel, welches, wie Roth zutreffend feststellt, gegenwärtig bedroht wird. Weshalb aber bringen es die westlichen Länder nicht fertig, in dieser Stadt auf Bitten der Ukraine effektive Raketen- und Artillerieabwehrwaffen zu stationieren? Verbunden mit der Ansage an Putin: Unsere Aktivitäten dienen ausschließlich dem Schutz eines Weltkulturerbes und nicht einem aktiven Vorgehen gegen russische Polizeimaßnahmen in der Ukraine. Verbunden werden müsste eine solche Mitteilung mit dem Hinweis, dass die zum Schutz der Stadt aufgestellten Einheiten im Falle von Angriffen befugt sind, die jeweils angreifenden Kräfte mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln einer bewaffneten Abwehrreaktion zu vernichten.

Ein solches Vorgehen hätte die uneingeschränkte Rückendeckung des Völkerrechts, stünde im Einklang mit den legitimen Interessen der Ukraine und stellte zudem keinerlei Bedrohung Russlands dar. Und es bediente sich sogar der russischen Erzählung, dass es in der Causa Ukraina eben nicht um einen Krieg gehe, sondern um eine Polizeiaktion.

Nichts hindert zudem die eingeladenen Schutzeinheiten daran, ganz im Sinne Putins mögliche „Nazis“, so diese irgendwo auftauchen sollten, in Gewahrsam zu nehmen und der ukrainischen Justiz zu überstellen. So, wie diese Einheiten auch das Recht und die Pflicht hätten, die Verantwortlichen krimineller Handlungen, die seitens illegal ins Land verbrachter Personen erfolgen, der ukrainischen Justiz zuzuführen.

Verteidigung ist auch von den Grenzen legitim

Und wenn ein solches Vorgehen zum Schutz von Menschen und Kulturgütern immer noch zu viel verlangt ist – warum stationieren nicht einzelne Länder mit Zustimmung der jeweiligen und der ukrainischen Regierung Mittelstreckenabwehrwaffen an den Grenzen zur Ukraine? Versehen mit dem eindeutigen Auftrag, völkerrechtswidrige Attacken gegen Menschen, Logistik und Kulturgüter in der Ukraine abzuwehren – gleich, von wem auch immer sie ausgehen mögen? Odessa kann auch vom Boden Rumäniens aus geschützt werden. Lemberg vom Boden Polens.

Auch das wäre kein Verstoß gegen geltendes Völkerrecht. Es wäre mangels Krieg auch keine unter Kriegsrecht zu beurteilende und abzuwehrende Handlung. Und ein Angriff gegen Russland oder gar eine Bedrohung dieses Landes stellte ein solches Vorgehen erst recht nicht dar. Denn es wäre lediglich ein mit der Ukraine abgestimmtes Vorgehen gegen illegale Zerstörungs- und Vernichtungsaktionen. Von wem diese ausgehen, hat dabei keinerlei Bedeutung.

Zudem wären all solche Vorgehensweisen nicht nur vom internationalen Recht gedeckt – sie übernähmen sogar das Moskauer Narrativ, die ukrainische Bevölkerung vor unberechenbaren Faschisten zu schützen. Was also könnte ein souveränes Mitglied der Vereinten Nationen wie Russland ernsthaft gegen solche Maßnahmen anführen? Nichts, außer wirren Drohungen, mit denen der Drohende jedoch sowohl sein eigenes Narrativ Lügen strafen würde, als dann auch tatsächlich die eigene, staatliche Existenz einer von ihm provozierten Gefährdung aussetzte.

Die Faktenlage eines Terrorangriffs

Soweit mögliche Spielregeln, die der Westen aufstellen könnte, wenn er bereit ist, sich der im Kreml aufgestellten Grundregeln zu bedienen.
Es gäbe allerdings auch andere Möglichkeiten. Möglichkeiten, die darauf basieren, dass die Unterstützer der Ukraine nicht bereit sind, die Putinschen Regeln zu akzeptieren.

In diesem Falle ist eine kurze Analyse des bisherigen Geschehens unerlässlich. Hierzu ist festzustellen:

  • Die Ukraine ist ein völkerrechtlich und auch von Russland als solches anerkanntes, souveränes Land. Es allein hat daher die uneingeschränkte Entscheidungsgewalt über jeglichen Vorgang, der sich auf seinem Territorium abspielt.
  • Die Ukraine befindet sich mit Russland in einem vertraglichen Zustand ungekündigter Freundschaft. Dieses bedingt, dass ohne Kündigung und regulärem Ablauf des Vertrages keinerlei kriegerische Handlungen seitens der Russischen Föderation gegen die Ukraine vorgenommen werden können. Ein einseitiger Vertragsbruch ist nicht gleichbedeutend mit der Aufhebung des Vertrags.
  • Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch die Russische Föderation ist ein Bruch des bestehenden Freundschaftsvertrages, wodurch jedoch der Vertrag an sich nicht beendet ist. Die Annexion ist insofern durch die Ukraine als Geschädigtem vor ein internationales Schiedsgericht oder einen entsprechenden Gerichtshof zu bringen und dort zu entscheiden. Sollte das Urteil von einer der beteiligten Seiten nicht akzeptiert werden, hat die internationale Gemeinschaft das Recht, den Vollzug gegebenenfalls auch gegen deren Widerstand durchzusetzen.
  • In Teilen der Ukraine haben militante Einheiten die Loslösung einiger Gebiete vom ukrainischen Staat geplant und vorübergehend durchgesetzt. Dabei sind erhebliche Verbrechen gegen die Bevölkerung dokumentiert worden. Die entsprechenden Personen und Personenkreise sind wegen Hochverrats und anderer krimineller Delikte per internationalem Haftbefehl festzusetzen und der ukrainischen Justiz zu übergeben. Wer diese Personen deckt oder sogar unterstützt, macht sich der Mittäterschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig und ist ebenfalls per internationalem Haftbefehl zu verfolgen und nach Inhaftnahme vor ein ukrainisches Gericht zu stellen.
  • Am 24. Februar marschierten militärisch ausgerüstete und geschulte Einheiten in die Ukraine ein. Dieser Einmarsch erfolgte weder auf Bitten der ukrainischen Regierung, noch ist darin die Reaktion auf eine ukrainische Handlung zu erkennen, welche einen solchen Einmarsch hätte veranlassen und rechtfertigen können.
  • Die Invasoren haben ohne jegliche Rechtsgrundlage und Ursache
    • ukrainisches Territorium besetzt
    • den Massenmord an Menschen ukrainischer Nationalität zu verantworten
    • erhebliche Schäden an Logistik und Infrastruktur des Landes verursacht
    • vorsätzlich privat betriebene Wirtschaftsunternehmen zerstört
    • Einnahmeausfälle des Staates und privater Unternehmer in bisher nicht einzuschätzender Höhe veranlasst
    • die Bevölkerung eines friedlichen Landes vorsätzlich terrorisiert
    • nach Aussagen des Oberbefehlshaber der Invasionstruppen das Ziel, eine ukrainische Nationalidentität zu vernichten, was nach den Maßgaben der UN als Genozid einzustufen ist.

Aus der Logik dieser Zusammenfassung der realen Situation und des tatsächlichen Vorgangs kann nur ein einziger Schluss gezogen werden: Unabhängig davon, welche Position die für den Vorgang verantwortlichen Personen und Personenkreise innerhalb ihres Systems bekleiden mögen, unterscheiden sie sich in nichts beispielsweise von einem Osama binLadn oder einem Abu Bakr alBaghdadi.

Die Verantwortlichen der völkerrechtswidrigen Invasion sind nicht Teil einer Kriegspartei, sondern das, was international grundsätzlich als Terroristen bezeichnet wird.

Damit hat jedes Land der Erde und jede Regierung das uneingeschränkte Recht, wirklich jede Maßnahme zu unternehmen, die terroristischen Handlungen umgehend zu beenden und die verantwortlichen Chefterroristen abzuurteilen. Sollte ein entsprechender Zugriff nicht möglich sein, wäre vergleichbar dem Vorgehen gegen die Islam-Terroristen auch die Exekution in Drittländern zu rechtfertigen.

Jegliches Vermögen von Personen, die in irgendeiner Weise durch unmittelbare oder mittelbare Beteiligung, aktive oder ideelle Unterstützung oder Rechtfertigung der terroristischen Handlungen in Erscheinung treten, ist zu konfiszieren und zwecks Reparation der durch den Terrorakt entstandenen Schäden einzusetzen. Wieweit das russische Volk als Mittäter in die Verantwortung für die terroristischen Handlungen seiner Führung in kollektive Haftung zu nehmen ist, bedarf einen künftigen Untersuchung und Prüfung, bei der die individuelle Schuld der Mitläuferschaft in einem demokratisch nicht legitimierten System zu berücksichtigen sein wird.

Wer sich aus welchen Gründen auch immer mit Vertretern der Terroristen trifft, setzt sich der Gefahr aus, ebenfalls der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bezichtigt zu werden. Das gilt auch für Vertreter beispielsweise der Afrikanischen Union, die um die Freigabe rechtswidrig vorenthaltender Getreidebestände betteln.

Nicht Putins Denken unterwerfen

Diese auf Grundlage der Faktenlage zu treffenden Feststellungen könnten die Grundlage dafür sein, eigene Spielregeln aufzustellen und sich nicht länger denen des Wladimir Putin zu unterwerfen. Die Pro-Ukraine-Koalition könnte sie offiziell beschließen, dem Terroristen im Kreml mitteilen und die notwendigen Konsequenzen einleiten.

Ein solches Vorgehen wäre weder eine Kriegsdrohung gegen die Russische Föderation, noch würde sie in sonst irgendeiner Weise Russlands Existenz bedrohen. Es zeigte lediglich die unvermeidbaren Konsequenzen auf, die eine Fortsetzung des Terrorüberfalls auf die Ukraine zur Folge haben muss. Es wäre nichts anderes, als sich selbst eines eigenen Instrumentariums zu bedienen und sich nicht länger die Regeln eines perfiden Spiels aus Moskau diktieren zu lassen, sondern eigene dagegen zu stellen.

Doch geschehen wird nichts

„Unsinn!“, höre ich sie schon rufen, die Rechtfertiger eines Terroristen. Förmlich fühle ich die Schnappatmung all jener Appeaser in den Regierungsstuben von Berlin über Rom bis Paris. Und ich sehe sie austreten, die Perlen der Angst auf den Stirnen jener, die unfähig sind, sich aus den Fängen der Putinschen Regeln zu befreien. Die von Krieg reden, wenn es sich um einen terroristischen Überfall handelt. Die der irren Illusion anhängen, man könne mit einem Terroristen auf diplomatischem Wege zu belastbaren Vereinbarungen kommen.

Doch ich bin auch Realist genug um zu wissen, dass eben genau dieses Aufstellen eigener Regeln in der Konfrontation mit einem intelligenten, soziopathischen Terroristen im Kreml nicht erfolgen wird.

Stattdessen werden Macron und Scholz auch künftig wieder 80 Minuten ihrer Lebenszeit damit verschwenden, sich als Bittsteller den Regeln eines Terroristen zu unterwerfen und ihm damit das Gefühl geben, er könne als Gewinner aus dem von ihm organisierten Terrorakt hervorgehen. Wo doch zudem angeblich gilt, dass mit Terroristen nicht verhandelt wird. Oder gilt dieser Grundsatz nur dann, wenn sich der Terrorist in irgendwelchen Höhlen des Hindukusch versteckt und nicht in den Repräsentationsräumen von Zaren, die für den Terroristen nichts anderes als die Verbannung vorgesehen hätten?

Auch künftig wird ein Macron sich hinstellen und fordern, man dürfe „Russland“ nicht demütigen. Und damit lediglich meinen, dass man den Terroristen Putin nicht demütigen dürfe. Was aber daran könnte für Russland demütigend sein, wenn ein Terrorist, der den Staat gekapert hat, gedemütigt wird? Was daran war für Deutschland demütigend, als Russen, Engländer und Amerikaner 1945 das Land vom Terroristen Adolf Hitler befreit hatten?

Doch auch künftig wird die Angst vor den von Putin aufgestellten Regeln den Konflikt bestimmen allein schon dadurch, dass alle westliche Welt einen Terrorakt als Kriegshandlung fehlinterpretiert und sich jeder Drohung aus Moskau unterwirft, ohne entsprechend und adäquat dagegen zu halten.

Der Konflikt wird im Kopf verloren

Dieser Konflikt, dieser Kampf gegen den Terror, wird nicht auf dem Schlachtfeld gewonnen. Er wird auch nicht mit Waffenlieferungen zu gewinnen sein.
Dieser Kampf gegen den Terror wird in den Köpfen gewonnen werden. Dadurch, dass die Verteidiger gegen den Terror verstehen, dass sie diesen Kampf nach ihren Regeln ausfechten müssen – und sie sich die Regeln nicht länger vom Terroristen aufzwingen lassen dürfen.

Solange diese Erkenntnis nicht in den Köpfen der Ukraine-Unterstützer angekommen ist, wird Putin unabhängig von der Situation auf dem Schlachtfeld als Sieger aus dem von ihm befohlenen Terrorüberfall hervorgehen.
Sobald aber der Westen die Regeln bestimmt, hat der Terrorist Putin verloren. Der Westen muss es nur begreifen.

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Kommentare ( 11 )

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Marc Greiner
2 Jahre her

Eine geniale Analyse der aktuellen Situation. Bravo!
Es mangelt aber – und das nicht nur in der Politik sondern überall – an mutigen Menschen. Sie machen den Unterschied.

stolzerSachse
2 Jahre her

 Werter Herr Spahn Ich habe das 8 Lebensjahrzehnt betreits überschritten und kenne Krieg, Vertreibung, Hunger und alle schlimmen Jahre auch nach 1945. Sie sind durch die „Gnade der späten Geburt“ durchaus weit von diesen Erfahrungen entfernt. In all ihren letzten Beitrgen und Kommentaren scheint eine mir unbegreifliche Sehnsucht nach dem Armageddon durchzuscheinen. Als Trassnik, welcher über mehrere Jahre am 530 km langen DDR Abschnitt der Gastrasse in der Ukraine tätig war lassen sie mich folgendes sagen. Ob Russen oder Ukrainer- für beide gilt das deutsche Sprichwort „Pack schlägt sich-Pack verträgt sich! Oder wie Oma bemerkte: einer taugt nen dreier, der andere… Mehr

Last edited 2 Jahre her by stolzerSachse
anita b.
2 Jahre her

Schöne theoretische Betrachtungen. Aber wozu? Wozu?
Ein Sieg der Ukraine kann nur gelingen wenn die Sowjetunion angegriffen wird . Wie denn sonst. Es sei denn Russland gibt auf. Punkt. N

Deutscher
2 Jahre her

Der russische Überfall auf das Nachbarland war das Ergebnis des putinschen Lernprozesses, dass Russland keine existenzgefährdende Gefahr droht, wenn es in die Ukraine einmarschiert.

Niemand kann Russlands Existenz gefährden, ohne die eigene Existenz zu gefährden. Das musste Putin nicht erst lernen: Es ist seit den 50er Jahren ein Fakt wie der, dass die Erde um die Sonne kreist.

Roland Mueller
2 Jahre her

Falsch Herr Spahn, in russischen Medien wird die Aktion von vielen Krieg genannt, ohne dass die Justiuz tätig wird. Ärger mit der russischen Justiz kriegt derjenige, der handfeste Lügen verbreitet nach Art der Frau Denisova mit ihren freu erfundenen Massenvergewaltigungen. Das ist auch der Grund dafür, warum sich viele ehemalige westliche Korrespondenten in Russland aus dem Staub gemacht haben, weil sie die Lügenpropaganda aus Kiew verbreitet haben.

Roland Mueller
2 Jahre her

Putin ist im Gegensatz zu dem Marionettenregime in Kiew und unseren Politikern tatsächlich lernfähig. Die hatten jede Menge Zeit, um zu lernen, dass Putin dem mörderischen Terror gegen die russischsprachige Bevölkerung im Donbass unmöglich alle Zeit lang tatenlos zusehen kann, ohne zu Hause ein gravierendes Glaubwürdigkeitsproblem zu bekommen. Sie haben aber bis heute nichts dazu gelernt. Im Gegenteil, je länger der Krieg dauert, umso verbohrter und einfältiger werden sie.

giesemann
2 Jahre her

Die Welt als Wille und Vorstellung, Krieg der Worte. Wir sollten unseren guten alten Schopi wieder mal lesen. Der Russe hat ihn schon intus. Und er ist ein gelehriger Schüler des Westlers: Schwätz was von Faschismus, von Klimakatastrophe, vergiss dabei alle wirklichen Probleme* – und schon hast du’s. Der Drang, ja die Sehnsucht der jungen RussInnen nach Westen, zur, Freiheit, zum Licht – die wird denen auch ein Putin nicht austreiben können, den Ukrainern schon gar nicht. Die sind nämlich wiederum von ihren Nachbarn Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn angesteckt – Pech für die Ostslawen dort im Kreml. Da schleppen uns… Mehr

dr.unwillig
2 Jahre her

Jetzt kommt das Gaudi: Die Schnappatmung der USA-Basher im Westen, in trautem Verbund mit jenen, denen die Russen einen riesigen, schadstoffverseuchten Müllhaufen im Osten hinterlassen haben. Derweil schießt der arme Muschik, der den Tellermützen keinen Schuß Menschlichkeit wert ist, mit Marschflugkörpern in die Ukraine hinein. Toll!

wolfdieter
2 Jahre her

Die EU-weite Sperre von Russland-nahen Quellen zeitigt ihre Schadwirkung:

Der russische Überfall auf das Nachbarland, der erklärtermaßen dem Ziel dient, die ukrainische Nationalidentität zu vernichten […]

Die Ukraine ist nicht historisch gewachsen, sondern seit dem 20. Jahrhundert mehrfach umgestückelt. Ein Vielvölkerstaat mit Notwendigkeit zum Föderalismus zum Funktionieren. Also zu teilautonomer Selbstverwaltung der Regionen.

In diametralem Widerspruch dazu steht das Amtliche Verbot der größten Minderheitensprache Russisch.

Allein dieser Missstand desavouiert die behauptete „Nationalidentität“, die Putin vorgeblich „vernichten“ will.

Last edited 2 Jahre her by wolfdieter
EinBuerger
2 Jahre her

Herr Spahn, der Punkt ist ein anderer: Sterben für Saigon? Sterben für Kabul? Oder Sterben für Pearl Harbour? Wie wichtig ist ein Konflikt für ein Land? Und wie leicht oder schwer ist dieser Konflikt? Sind z.B. die Amerikaner bereit ihre Söhne für Kiew zu opfern? Wenn sie noch bei Verstand sind, wohl kaum. Natürlich wird irgendwann Taiwan an China gehen. Genau aus dem Grund. Und genauso sicher wird Hawaii niemals an China gehen. Aus ganz genau demselben Grund. Wieso sollten Amerikaner ihre Söhne für Taiwan opfern? Sie werden sie aber schon opfern, wenn sie selbst angegriffen werden. So ergeben sich… Mehr

Tomas Spahn
2 Jahre her
Antworten an  EinBuerger

Ist ein Punkt. Ist es ein anderer? Eigentlich nicht. Es ist einer, der offenbart, mit welchen Grundsätzen man in diese Welt geht. Und was man bereit ist, dafür einzusetzen.
Sterben für Danzig? Das war die Frage, die am Anfang der größten Katastrophe des vergangenen Jahrhunderts stand. Ob es das wert war, mag jeder für sich selbst entscheiden.