Manche Dinge kann man am besten verstehen, wenn man sie irgendwann einmal im Alltäglichen erlebt hat. Weshalb ich hin und wieder auf scheinbar nebensächliche Geschichten zurückgreife, die das Leben schrieb. Und die am Ende perfekt beschreiben, wie scheinbar belangloses aus Unfähigkeit die große Politik an die Wand fährt.
Vor ein paar Jahren trat an mich als Elternvertreter der Klassenlehrer heran mit der Bitte, ihn bei einem Termin mit der Schulleitung zu begleiten. Es gehe, so seine Einschätzung, um eine Bagatelle. Da aber jeder der unmittelbar Beteiligten die Möglichkeit habe, eine neutrale Person seines Vertrauens mitzubringen, habe er an mich gedacht.
Ein Pädagoge mit Berufung
Bevor ich nun die „Bagatelle“ erkläre, soll ein kurzer Blick auf den Klassenlehrer erfolgen. Es handelte sich um einen Mitfünfziger, der seinen Beruf als Grundschullehrer trotz langjähriger Frustration immer noch aus tiefster Überzeugung mit der klassischen Motivation einer Berufung verknüpfte. Für ihn war jeder seiner Schützlinge wie ein eigenes Kind. Sein Anspruch war es, jedem der Kinder einen bestmöglichen Start in die Zukunft zu ermöglichen – und nichts frustrierte ihn mehr als die Erkenntnis, dass er bei manchen seiner Kinder auf verlorenem Posten stand. So hatte ich ihm mit viel Mühe in einem persönlichen Gespräch erläutern müssen, dass es ihm unmöglich sein werde, die gesamte Welt zu retten, nachdem ihm die Mutter von Zwillingen aus einem „bildungsfernen Haushalt“ (so die Amtssprache) in einem Elterngespräch erklärt hatte, es reiche für ihre Jungen völlig aus, wenn sie später ihr Geld bei der Müllabfuhr verdienen würden. Es wollte einfach nicht in seinen Kopf, dass manche Eltern seinen Bemühungen teilnahmslos gegenüber standen – und dass Eltern sein Bemühen, jedem Kind die aus seiner intellektuellen Sicht bestmöglichen Startmöglichkeiten zu bieten, nicht teilten.
Immer hilfsbereit in die Katastrophe
Was für sein Bemühen für seine Schützlinge galt, das galt auch für seinen Umgang mit den überwiegend weiblichen Kollegen. Hatten diese ein Problem, war er sofort bereit, mit aller ihm zur Verfügung stehenden Energie ihnen zur Seite zu stehen. Das galt auch dann, wenn die Kolleginnen kurzfristig verhindert waren. Und genau eine solche Situation sollte die Bagatelle produzieren, die nun bei der Schulleitung zum Gespräch anstand.
Die Lehrerin der gegenüber der eigenen gelegenen Parallelklasse musste kurzfristig einen Arzttermin wahrnehmen. Um nun nicht die ohnehin ständig überforderte Schulleitung mit irgendwelchen Vertretungsplanungen zu belasten, erklärte er sich kurzerhand bereit, die Oberaufsicht über beide Klassen zu führen. Ein fatales Angebot. Denn da auch unser Lehrer nicht an zwei Orten gleichzeitig sein konnte, gab er den nun zusätzlich zu betreuenden Kindern eine Aufgabe und bestellte eine ihm namentlich bekannte Schülerin der Klasse zur formellen Oberaufsicht.
Wie nun Kinder in der Grundschule so sind, lief das aus dem Ruder. Plötzlich war großes Gezeter und Geschrei zu hören, was unseren Lehrer veranlasste, schnell in den zusätzlich zu betreuenden Klassenraum zu eilen. Dort wurde ihm geschildert, die von ihm mit der Betreuung beauftragte Schülerin habe einen Mitschüler geschlagen, weil dieser sich ihren Anordnungen widersetzt habe. Andere Mitschüler allerdings wussten zu berichten, da sei überhaupt nichts gewesen und der Schüler mache nur ein großes Fass auf. Irgendwelche Verletzungen oder Blessuren waren nicht zu erkennen – nur ein allgemeines Tohuwabohu.
Der Lehrer – erprobt mit den alltäglichen Kabbeleien unter Schülern – wollte die Situation herunterfahren und erklärte, da sei doch überhaupt nichts gewesen. „Höchstens so ein kleiner Klapps“ und wischte dabei einer zufällig neben ihm stehenden Schülerin mit der flachen Hand von unten über den Hinterkopf. Oje – da war sie nun, die Tätlichkeit, von der die Klassenlehrerin, die gerade zu diesem Zeitpunkt von ihrer Verpflichtung zurückkommend unbemerkt den Raum betrat und Zeugin des Vorfalls wurde, später sagte, ihr Kollege habe das Mädchen dabei nicht einmal berührt.
Die so Misshandelte aber hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu Hause zu berichten, sie sei von dem Lehrer geschlagen worden. Das wiederum veranlasste die Mutter, welche – wie sich später herausstellte – sich vergeblich bemüht hatte, ihre Tochter in der Klasse des besagten Lehrers unterzubringen und dabei von diesem wegen früherer Erfahrungen mit Kindern der Familie abgewiesen worden war, nunmehr die Schulleitung einzuschalten. Folge davon war besagtes Gespräch bei der Schulleitung – aus der Sicht meines Lehrers eben jene Bagatelle.
Ein Prozess der Dynamisierung
Diese Auffassung sollte sich allerdings schnell als fundamentaler Irrtum erweisen. Bei dem „klärenden Gespräch“ mit der Schulleiterin erschienen neben dem besagten Lehrer und mir als sein Vertrauensmann die Klassenlehrerin, eine als Streitschlichterin ausgebildete Lehrkraft sowie die klagende Mutter nebst von ihr bestelltem Rechtsanwalt, welch letzterer auf mich schon in seinem Erscheinungsbild eher den Eindruck eines Winkeladvokaten machte.
Das Gespräch begann mit dem Versuch der Sachverhaltsklärung. Die Mutter beschrieb die schwere Schädigung durch den Lehrer. Dieser wies die Anschuldigungen als völlig überzogen zurück. Die Klassenlehrerin bestätigte als Zeugin die Darlegungen des Lehrers – aber das schien niemanden zu interessieren selbst dann, nachdem sie das Geschehene im Laufe des Gesprächs mehrmals und bis in das Detail genau beschrieben hatte.
Statt nun der Mutter klarzumachen, dass sie gerade dabei war, eine Mücke zum Elefanten aufzublasen, schaltete sich die Streitschlichterin ein. Was denn die Schule tun könne, um dem Schaden „abzuhelfen“, wollte sie zu meinem Erstaunen wissen. Das war nun das Stichwort, auf das der Anwalt, der offensichtlich unter dem Zwang stand, seine zu erwartende Honorarnote durch aktives Handeln zu begründen, nur gewartet zu haben schien. Das mindeste sei es, dass der Lehrer sich öffentlich vor der Klasse und den Eltern gegenüber schriftlich zu seiner Untat zu bekennen und sich dafür förmlich zu entschuldigen habe. Während Schulleiterin und Streitschlichterin diesem Ansinnen einiges abgewinnen konnten, ging nun mein Lehrer – immer noch assistiert durch die für alle anderen Anwesenden offenbar abwesende Klassenlehrerin – auf die Barrikaden und verweigerte unter Hinweis auf die „völlig aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen“ diese von ihm verlangte, öffentliche Demütigung.
Der sich nunmehr in der Position der Stärke wähnende kleine Mann mit der Lizenz zum Anwaltschaftlichen sah offenbar seine große Stunde gekommen, plusterte sich auf und legte nun erst richtig los. Der Lehrer möge sich bitte seine unhaltbare Situation bewusst machen. Wenn er sich weiterhin weigere, dann würde er diese Körperverletzung nicht nur bei der Schulbehörde, sondern auch vor öffentlichen Gerichten anhängig machen. Dann sei das nicht nur in seiner Personalakte für alle Ewigkeit vermerkt, er werde auch dafür sorgen, dass der Lehrer unehrenhaft entlassen und seine Pension verlieren werde.
All das verlief zwangsläufig nicht so schnell, wie es hier erzählt wurde, sondern baute sich Stück für Stück auf, indem Streitschlichterin und Schulleitung immer weiter zurückwichen und der Anwalt sich ein ums andere Mal in seinen Drohungen und Forderungen steigerte.
Ein klares Wort zur rechten Zeit
Ich hatte mir die Veranstaltung bislang nur schweigend angeschaut – doch so langsam war der Zeitpunkt erreicht, an dem es mir geboten schien, die Farce zu beenden. Also fasste ich den Herrn mit festem Blick in die Augen und fragte ihn, ob seine Vorträge hier als Erpressung zu verstehen seien. Denn schließlich könne er durch nichts den Nachweis erbringen, dass dem Kind tatsächlich die behauptete Tat angetan worden sei – und das Verlangen einer öffentlichen Unterwerfung durch die Androhung von völlig absurden Höllenstrafen sei wohl kaum anders zu verstehen als eine Erpressung.
Ich schien – was vielleicht auch an meiner Schärfe gelegen haben mag – den richtigen Ton getroffen zu haben. Irgendwie entwich dem aufgeplusterten Männchen die Luft im Eiltempo und wir kamen schnell zu einer Lösung, die meinen Lehrer zwar immer noch nicht glücklich machte, aber die Affäre zu Grabe trug. Er sollte dem Kind in einem persönlichen Gespräch erklären, dass er es nicht habe schlagen wollen – dieses wurde von der anklagenden Seite als persönliche Entschuldigung gewertet – und ihm gleichsam als Entschädigung ein Kinderbuch überreichen.
So geschah es – und ein halbes Jahr später ließ sich der Lehrer zu unserem Bedauern in Frühpension schicken. Ein guter Pädagoge zog die Konsequenzen aus der Unfähigkeit seiner Schulleitung.
Wie im Kleinen, so im Großen. Nur schlimmer
Warum erzähle ich das? Nun – es will mir so scheinen, als ob sich ebensolches derzeit tagtäglich in der deutschen Außenpolitik abspielt. Nur eben mit weitaus weitreichenderen Konsequenzen und ohne den abschließenden Schlag auf den Tisch.
Es ist Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst, die vor einem sich ständig selbst aufblasenden Männchen, welches sich als türkischer Despot aufspielt, ein ums andere Mal in den Staub wirft.
Jetzt ist es sogar die offensichtlich geplante Abkehr von einem Bundestagsbeschluss, der mit großer Mehrheit der Parlamentarier gefasst worden war und die Verbrechen der jungtürkischen Regierung gegen die eigene Bevölkerung vorsichtig beim Namen nennt, von dem eine öffentliche Distanzierung erfolgen soll.
Nicht nur, dass Angela Merkel sofort ihr Bundestagsmandat niederlegen sollte – denn sie fällt mit diesem Vorgehen ihrer eigenen Fraktion zutiefst in den Rücken – die Dame ist sogar Willens und bereit, das als Volkssouverän gewählte Parlament im internationalen Geschäftsbetrieb zur überflüssigen Schwatzbude zu degradieren. Sie, die einsame Dame an der Spitze des Staates, macht sich selbst zum Maß aller Dinge, dem das Parlament nur noch lästiges Anhängsel, Überbleibsel eines unsinnigen Demokratieversuchs ist.
Und das alles nur, um einen sich täglich neu aufpumpenden Neurotiker zu befriedigen. Dabei müsste allein schon der gesunde Menschenverstand Merkel wie Steinmeier sagen, dass „Plusterhosen“ niemals aufhören werden, Forderungen zu stellen.
Die Forderungen werden nicht enden
Wer es ohne Konsequenzen zulässt, dass die eigenen, im Lande des Despoten stationierten Soldaten nicht mehr vom Parlament besucht werden dürfen, der hat schon verloren. Wer es zulässt, dass der Beschluss des eigenen Parlaments zur Farce wird, der wirft sich in den Staub.
Er wird als nächstes nicht nur die ultimative Forderung auf dem Tisch haben, die Visafreiheit für alle Türken bedingungslos zu gewähren. Er wird je nach Stimmungslage des Präsidenten Forderungen erhalten, beispielsweise alle in Deutschland lebenden Anhänger der Gülen-Bewegung der türkischen Gerichtsbarkeit auszuliefern. Oder es werden vielleicht die Kurden sein, die als kollektiv der PKK zugerechnete „Terroristen“ nach Ankara zu überstellen sind. Und dann könnte der kleine Gernegroß aus Istanbul vielleicht noch türkische Oppositionelle einfordern – oder auch ein paar mehr Milliarden Euro – oder die militärische Unterstützung gegen seine syrischen Gegner – oder – oder – oder.
Es wird ihm immer noch etwas einfallen, was zu erfüllen unabdingbar ist, um die Gunst des Sultans zurück zu erlangen. Das Kriechen durch den Staub seines Palastes, welches uns EU-Parlamentspräsident Martin Schulz gerade jüngst so wunderbar gegenüber einem mit starrer, abweisender Miene neben ihm stehenden Erdogan vorgemacht hat, wird zur Dauerbeschäftigung deutscher Politiker werden.
Dabei gibt es nichts – absolut nichts – das deutsche oder europäische Politiker veranlassen könnte, sich den Forderungen und Launen eines Erdogan zu unterwerfen. Selbst jenes großartig gefeierte „Flüchtlingsabkommen“ ist – wir wiesen hier bei TE bereits darauf hin (https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/spahns-spitzwege/mit-der-unfaehigkeit-in-die-medienkrise/) – als ein Sammelsurium unverbindlicher Absichtserklärungen das Papier kaum wert, auf dem es steht. So zumindest beurteilt es der Rat der Europäischen Union höchstoffiziell.
Putin hat es vorgemacht
Man fragt sich unweigerlich, was für eine Unterwerfung bei den Streitschlichtern in Kanzler- und Außenamt vorherrscht. Es hätte völlig ausgereicht, hätten diese Chefversager deutscher Diplomatie nur einmal etwas genauer hingeschaut, wie der aus dem gleichem Holz wie Erdogan geschnitzte Putin den kleinen Diktator zur Raison gebracht hat. Hart bleiben und die Daumenschrauben so lange anziehen, bis es weh tut. Dann kriecht das Gegenüber zu Kreuze – und zahlt, wenn man bislang unbestätigten Gerüchten glauben darf, sogar noch fünf Milliarden Dollar für den Abschuss einer Maschine, die sich vorsätzlich über dem Hoheitsgebiet der Türkei aufgehalten hat.
Wer allerdings die Methode der besagten Streitschlichterin anwendet, der wird niemals zu einem Ende kommen. Er wird selbst dann, wenn er klitzeklein im Schmutz unter den Stiefeln des Despoten liegt, mit ständig neuen Forderungen konfrontiert werden. Streicheldiplomatie – das sollte das Beispiel des Lehrers zur Genüge gezeigt haben – funktioniert leider nur unter Streicheldiplomaten. Bei masochistischen Machtpolitikern ist sie völlig fehl am Platze. Da sind die Grenzen des Zulässigen deutlich aufzuzeigen – und konsequent durchzuhalten. Einknicken und dabei noch das eigene Parlament lächerlich machen, ist der beste Weg, sich selbst zum Affen zu machen, so wie es Steinmeier ständig gegenüber Putin und Merkel ständig gegenüber Erdogan tun.
Anders als bei jener Geschichte aus der Schule aber geht es hier nicht um Bagatellen – sondern um die Interessen des deutschen Staates und seiner Verbündeten. Und da kommen wir leider nicht mehr umhin, dieser Regierung nicht nur Kontrollverlust, sondern Totalversagen zu attestieren.
Der Schaden, den diese Regierung anrichtet, ist immens – und in seiner Dimension nicht zu übersehen. Die Folgen werden wir alle, vor allem aber unsere Kinder und Kindeskinder zu tragen haben. Aber das kann Merkel egal sein. Hauptsache, sie kann ihre Unfähigkeit weiter tagtäglich unter Beweis stellen.
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