Auch bei den Hessischen Landtagswahlen des Jahres 2018 präsentierten Politik und Medien den Bürgern einmal mehr die gefühlten Windchill-Ergebnisse, jonglierten mit Prozenten und Prozentpunkten, um Gewinner und Verlierer zu benennen. Tenor: Großer Sieger sind die Grünen, leider nicht unerwähnt bleiben kann, der Nebengewinner ist die AfD. FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete seine Partei halbwegs korrekt als „kleiner Gewinner“, während vor allem die CDU den Eindruck zu vermitteln suchte, ihre Wahlziele erreicht zu haben, weil allem Anschein nach ohne die Union keine Regierung gebildet werden und die einstmals um absolute Mehrheiten kämpfende, stolze Volkspartei sich der Tatsache rühmen könne, Rotrotgrün verhindert zu haben. So interpretierte zumindest Merkel-Vasallin und CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer den fast schon beispiellosen Niedergang ihrer Partei.
Nach den Regeln der Mathematik
Da scheint es geboten, einen unverstellten Blick auf die vorläufigen amtlichen Endergebnisse zu werfen – und sich dabei der Grundregeln der Mathematik zu bedienen, denen „Prozentpunkte“ vergleichsweise egal sind, wenn es darum geht, tatsächliche Zuwächse und Verluste in Prozenten auszudrücken. Denn da gilt immer noch: Veränderungen können nur dann sachgerecht betrachtet werden, wenn sie in Relation zum Ausgangspunkt gesetzt werden. Dieser Ausgangspunkt nun sind weder irgendwelche Vorwahlprognosen noch solche, die für fiktive Bundestagswahlen ausgelobt werden (wie es Noch-Ministerpräsident Volker Bouffier versuchte), sondern ausschließlich jene Zahlen, die im Jahr 2013 bei den vorangegangenen Landtagswahlen erzielt wurden.
Hessen schrumpft – Politverdruss wächst
Schauen wir auf die Zahlen, so können wir als erstes feststellen, dass die Wahlbeteiligung um real 8,5 % zurückgegangen ist. Dieser Rückgang relativiert sich – wie bei allen anderen Ergebnissen ebenso – dadurch ein wenig, dass die Gesamtzahl der Wahlberechtigten leicht rückläufig war. Hessen schrumpft also – zumindest ein wenig. Wurden 2013 noch 4.392.213 Bürger zur Urne gerufen, waren es 2018 nur noch 4.371.842, was einem Rückgang um 0,5 % entspricht.
Supergewinner AfD
Blicken wir nun auf die tatsächlichen Gewinner und Verlierer und konzentrieren wir uns dabei auf jene Parteien, die den Einzug in das Landesparlament geschafft haben. Anders, als öffentlich suggeriert, gehen dabei die Grünen nur als zweiter Sieger aus dem Rennen. Unangefochtener Supergewinner ist die AfD, welche nach mathematischen Regeln einen Zugewinn von 198,2 % verzeichnen konnte. Die Grünen hingegen konnten sich um 63,6 % verbessern, womit es ihnen sogar gelang, die SPD von Rang Zwei zu verdrängen: Hierzu reichten genau 94 Stimmen, die laut Landeswahlleiter den Unterschied ausmachen.
Der „kleine Gewinner“ FDP wiederum ist so klein denn doch nicht. Die Lindner-Truppe verzeichnete einen immer noch deutlichen Zugewinn vom 37,0 %. Ein wenig feiern dürfen auch die Kommunisten. Sie gewannen 12.2 % hinzu – was angesichts der Ergebnisse der „großen Drei“ der Zugewinne eher als Stagnation zu begreifen ist.
SPD im Negativen absolute Spitze
Nachdem dargelegt wurde, wo die Gewinner des Urnenganges zu finden sind, schauen wir nun auf die Verlierer. Hier kann sich unter den Parlamentsparteien die SPD mit minus 40,7 % die negative Spitzenposition sichern. Dicht auf den Fersen ist den Sozialdemokraten jedoch die CDU: Bouffiers Regierungspartei wurde mit einem Minus von 35,3 % bedacht.
Blicken wir auf die Ergebnis-Kommentare vom Wahlabend, so dürfen wir den Sozialdemokraten immerhin zubilligen, sich den Tatsachen zu stellen und den Realitäten ins Auge zu blicken. Die SPD ist der Super-Verlierer – jeder Versuch, daran herumzudeuteln, müsste die Partei der Lächerlichkeit preisgeben.
Keine Partei ist Volkspartei
In realen Zahlen, bezogen nicht auf jene, die sich noch am Wahlprozess beteiligen, sondern auf jene, die aufgerufen sind, dieses zu tun, stellen sich die Ergebnisse des Wahlgangs insgesamt wenig erfreulich dar. Zugewinne und Verluste hintangestellt, listet sich das reale Abschneiden der Parteien wie folgt:
CDU 17,8 % (2013 = 27,3 %)
Grüne 13,0 % (2013 = 7,9 %)
SPD 13,0 % (2013 = 21,9 %)
AfD 8,7 / (2013 = 2,9 %)
FDP 4,9 % (2013 = 3,6 %)
PdL 4,1 % (2013 = 3,7 %)
Um das anschaulich zu machen: Wenn Sie, lieber Leser, künftig über Hessens Straßen gehen, werden nicht einmal mehr zwei von zehn, denen sie begegnen, die CDU gewählt haben. „Volk“ sieht anders aus. Bei Grünen und SPD können sie dreimal davon ausgehen, dass eine ihrer Begegnungen für die selbsternannten Ökos oder die Nahles-Truppe gestimmt hat. Erst beim vierten Zehnerblock dürfen sie jeweils noch einen drauflegen.
Bei der AfD sollten sie bis elf zählen – dann wird einer darunter gewesen sein, der diese Partei unterstützt hat. Bei der FDP ist es dann der zwanzigste. Und bei den Kommunisten nur noch jeder vierundzwanzigste. Insofern: Viel Spaß beim Zählen, um ein Gespür dafür zu bekommen, wie repräsentativ das künftige Landesparlament ist.
Schwarzgrün vertritt nicht einmal jeden Dritten
Wir können folglich festhalten: Sollte es zu einer Fortsetzung der schwarzgrünen Koalition kommen, so repräsentiert diese nun nur noch 30,8 % der wahlberechtigten Bürger, also nicht einmal mehr jeden dritten Hessen. Vor fünf Jahren brachte es diese Konstellation immerhin noch auf eine Repräsentanz von 35,2 %. Um den Anspruch erheben zu können, zumindest noch ein Drittel der Bürger hinter sich zu haben, müssten die beiden mittelgroßen den nicht ganz so kleinen mit ins Boot holen. „Jamaika“ – also jene Konstellation aus CDU, Grünen und FDP, hätte dann immerhin noch 34,9 % der Wahlberechtigten hinter sich.
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Demokratische Legitimation ist in unsere System doch schon seit langem absent. Auch könnten in der Kanzlerfrage schon nach der BTW 79% der Wahlberechtigten gerechtfertigterweise ein Shirt mit „Not my Chancellor“ tragen. Die EINZIGE funktionierende Demokratieform die tatsächlich die Mehrheit der Wahlberechtigtenvertritt ist das Schweizer Konkordanzmodell – statt „Winner takes it all“ sind ALLE Parteien (mit mehr als ca. 10%) anteilig in der Regierung vertreten. Das Ausgrenzen grosser Teile der bevölkerung an der politischen Willensbildung, wie in DE praktiziert, fällt somit aus. Wie man das bei uns nennt: Scheindemokratie? Pseudodemokratie? Fast-Demokratie? weiss ich nicht, „Demokratie“ ist jedenfalls falsch. Die Polikaste vertritt… Mehr
Die AFD hätte noch besser abschneiden müssen,wenn man sich die Bildungspolitik in Hessen anschaut.
Kinder, deren Eltern keine Bücher lesen, lesen selber keine. Wissen wird nur in vorgekauten Portionen verabreicht, kein Raum sich selber mal zu entfalten — etwas zu entdecken.
Zum Beispiel Geschichte anhandvon Zeitungsberichten nachzuerlebenden . Kunst und Kultur lieben und schätzen zu lernen. Dazu braucht es nicht in erster Linie mehr Lehrer, sondern Gute.
Privatschulen sind daher nicht nur in Hessen auf dem Vormarsch.
„Deutlich dramatischer ist dabei der Rückgang jener, die noch irgendein Interesse daran verspüren, sich am Wahlprozess zu beteiligen. […] Die Abkehr von der Politik hat in Hessen somit mittlerweile fast ein Drittel aller wahlberechtigten Bürger erfasst.“
Mit Verlaub – aber das ist totaler Quatsch. 2013 war die Wahlbeteiligung durch die zeitgleich stattfindende Bundestagswahl signifikant erhöht. Wenn man diesen Effekt rausrechnet, dann ist die Wahlbeteiligung gestiegen (wie bei allen anderen Landtagswahlen seit die AfD mit auf der politischen Speisekarte steht).
Zwei Anmerkungen. Zum einen: 2013 war gleichzeitig Bundestagswahl, bei der immer eine höhere Wahlbeteiligung besteht. Es geht einfach um mehr. Zum andern: Wer nicht wählen geht akzeptiert was andere Wählen. Dafür sollte m.E. aber auf die Stimmen der kleinen Parteien hingewiesen werden. Auf Menschen die Wählen gehen, deren Stimmen aber behandelt werden als ob sie an Politik nicht interessiert wären.
Egal wie man es begründet, ein Demokratiedefizit!
Ich wage zu bezweifeln, daß es in jedem Fall sinnvoll ist, die relativen Steigerungsraten anzugeben, vor allem bei den kleinen Parteien. So stieg die ÖDP um 87%, die Freien Wähler um 122%, die Piraten erlebten dagegen mit -80%, die NPD mit -81% regelrecht einen Absturz. Und, was sagt uns das nun? Nichts, wenn man sich die Stimmergebnisse dieser Parteien anschaut, alle unter 3%, bei einigen unter der Wahrnehmbarkeitsgrenze. Mich bekümmert etwas anderes viel mehr: das Wahlrecht. Der Hessische Landtag hat regulär 110 Abgeordnete. Davon stellte die CDU letztes Mal 47. Dieses Mal erhielten die Christdemokraten 27,0% der Stimmen, 93,5% der… Mehr
Völlig richtig, das politische System hat sich mit dem Wahlrecht ein weiteres Privileg erschlossen.
Genau das ist es was Sie richtig beschreiben und mich immer wieder ärgert.
Es sitzen Personen in den Parlamenten die dort gar nicht reingehören und
versuchen Politik zu machen. Sehr gut, das Sie es hier erwähnt haben.
Ich stimme Ihnen nur bedingt zu. Alle Werte, egal ob Prozente oder Prozentpunkte, müssen natürlich immer im Vergleich zu den absoluten Werten dargestellt werden. Wenn nur über Prozentpunkte gesprochen würde, hätte ein Partei, deren Ergebnis von 50 % auf 40 % gesunken wäre, ebenso 10 % Prozentpunkte verloren, wie eine Partei, deren Ergebnis von 20 % auf 10 % gesunken wäre, obwohl die erste Partei lediglich 20 % und die letztgenannte Partei 50 % verloren hätte. Wie man es auch dreht und wendet, offenkundig wird die kosmetische „Korrektur“ der Zahlen, wenn man ehrlicherweise Wählerstimmen in Verbindung mit den Prozentzahlen nennen… Mehr
Das ist natürlich widersinnig, möglicherweise aber mit der hessischen Landesverfassung vereinbar. Viel problematischer ist dies bei der Bundestagswahl, zumal dort Listenplätze verfassungswidrig sind, da gemäß Artikel 38 Abgeordnete unmittelbar zu wählen sind. Aber hat bislang nicht interessiert.
„Um das anschaulich zu machen: Wenn Sie, lieber Leser, künftig über Hessens Straßen gehen, werden nicht einmal mehr zwei von zehn, denen sie begegnen, die CDU gewählt haben. „Volk“ sieht anders aus“, schreiben Sie, Herr Spahn. Und Begegnungen auf den Straßen Hessens auch. Wenn Sie, Herr Spahn, oder auch jeder andere, über Hessens Straßen gehen, dann könnten Sie – je nach Ort und Tageszeit – das dunkle Gefühl bekommen, dass der Anteil der Wahlberechtigten unter den Menschen, die Ihnen begegnen, nochmals wesentlich kleiner ist als der der Nicht-Wahlberechtigten. Und rein mathematisch müsste man dann wohl zu den 4.371.842 Wahlberechtigten noch… Mehr
Im Prinzip richtig, das Bild mal zurecht zu rücken. Aber:
Die (relative) Wahlbeteiligung ist völlig unabhängig von der Zahl der Wahlberechtigten. Sie hätte auch steigen können trotz des Schwundes an Wahlberechtigten.
Und dann (nur der Logik halber): Wenn ich auf Hessens Strassen spazierengehen, begegne ich mit Sicherheit auch Leuten, die altersbedingt oder mangels eines deutschen Passes gar nicht wählen durften. Es dürfte also nur etwas mehr als jeder Zehnte von denen CDU gewählt haben.
Es besteht durchaus eine nicht kleine Chance, dass man sogar an Hundert vorbeigehen kann, ohne z.B. einen CDU-Wähler zu treffen. Wäre es nicht möglich, dass bestimmte Parteien Wähler am Wahlsonntag mit Shuttlebussen aus Altersheimen zur Wahlurne karren? Natürlich würde denen in der Wahlkabine nicht der Stift geführt, aber man weiß ja, wer einen wo wählt und da würde dann eben der freundliche Service zur Verfügung gestellt. Vorsichtig gesagt, bin ich überzeugt, dass es sich lohnte, dem nachzugehen. Wenn die Leute selbst dazu zu gebrechlich oder renitent sind, gibt es ja auch immer noch das Mittel der Briefwahlmanipulation, von der man… Mehr
Vielen Dank für diese interessante Rechnung, die bei mir den Blick auf die Wahl stark verändert hat. Ein klein wenig sinnlos finde ich die einzelnen %-Zugewinne, weil die m.M.n. wenig Relevanz besitzen. Beispiel: Eine Kleinstpartei steigt von zwei Stimmen auf 20, was unwichtig ist. Auch lassen sich die Zugewinne der Grünen nicht mit denen der AfD vergleichen, weil eine neue Partei logischerweise mehr Zugewinne hat. Bei den Verlusten von CDU und SPD sieht es schon anders aus! Das sagt eine Menge aus, wenn eine Partei über 1/3 ihrer Wähler verliert! Am Krassesten ist der Rückgang der Wahlbeteiligung und gewachsene Anteil… Mehr
Wer so intensiv wie Frau Merkel daran arbeitet, dass es hier kein „Volk“ mehr gibt, macht eben auch das Konzept Volkspartei obsolet.
Und sollte die Union ihr tatsächlich noch diesen unseligen Migrationspakt durchgehen lassen, zieht sie sich die Abrissbirne selbst noch einmal kräftig über den Schädel.
Garantiert.