Gabriel und die ewige Geschäftsführung

Der Zustand eines geschäftsführenden Kabinetts dauert an, so lange der Bundestag nicht zur Wahl eines neuen Kanzlers antritt oder Bundespräsident nicht selbst einen Kanzler zur Wahl durch den Bundestag vorschlägt.

© Odd Andersen/AFP/Getty Images

Sigmar Gabriel ist ein Schlitzohr. Es war eine absolute Meisterleistung, wie er Anfang des Jahres erst seinen langjährigen Mitkämpfer Frank-Walter Steinmeier zum Präsidenten machte und anschließend den eigenen Kopf aus der sich zuziehenden Schlinge zog, indem er den sich selbst überschätzenden Martin Schulz aus Würselen in die Feuerlinie einer nicht zu gewinnenden Kanzlerkandidatur schob und sich selbst in das Lieblingsministerium der Deutschen – dem des Äußeren – abzog.

Schulz fuhr wie erwartet bei der Bundestagswahl gegen die Wand – Merkels Autokratismus wurde nebst schwarzroter Camarilla vom Bürger abgestraft. Schien es anfangs noch so, als habe Schulz mit seiner Regierungsabsage angesichts einer sich anbahnenden Jamaika-Koalition das richtige Zeichen gesetzt, stürzte die angesichts der Verhandlungsführung bestürzte FDP nun die SPD in Selbsterklärungsnöte. Soll sie doch wieder mit Merkel – gemeinsam in den Untergang? Soll sie sich der Regierungsverantwortung verweigern und sich einmal mehr als die Partei vaterlandsloser Gesellen beschimpfen lassen? Soll sie vielleicht sogar in einer Zwitterstellung mit einem Bein in einer sich selbst tolerierenden Minderheitsregierung mitwirken, während das andere als parlamentarische Oppositionsführung sich ein ums andere Mal ein Bein stellt?

Gabriel genügt sich selbst

Während die alte Tante SPD nun beständig um ihr Selbst-, Staats- und Parlamentsverständnis ringt, saß am Freitag vor dem ersten Advent ein gut gelaunter Sigmar Gabriel in der 3nach9-Runde des Giovanni di Lorenzo: Lorenzo bohrte und bohrte ganz freundschaltlich-kollegial in den Befindlichkeiten des Herrn Ministers – „geschäftsführend!“, wie Gabriel verschmitzt aber deutlich einwand – hinsichtlich dessen persönlicher betreff die schon seit Jahren immer kleiner werdende GroKo.

Sackgasse?
Harare in Berlin und München – oder eher Harakiri?
Selbstverständlich, dass ein Vollprofi wie der Sigmar solchen Verführungskünsten der Selbstdemontage gelassen begegnet. Und so wiederholte er mehrmals seinen mit fröhlichem Lächeln vorgetragenen Hinweis, dass doch wohl nicht ernsthaft erwartet werde, er gäbe auf diese Frage nun eine Antwort. Denn dann, so der gelernte Lehrer aus dem Vorharzstädtchen Goslar, einstmals Ort der bedeutendsten Pfalz des deutschen Hochmittelalters, würde es doch nur heißen, der Gabriel sei derart in sein Ministeramt verliebt, dass er die Große Koalition um jeden Preis fortsetzen wolle. Dem sei natürlich nicht so – und das Schöne an Politik in der parlamentarischen Demokratie sei es doch, dass man als Minister eben nur auf die vier Jahre schauen solle, für die man im Amt ist. Was vermutlich nicht bedeuten sollte, dass ein solcher Minister den Blick auf die Zukunft vergessen darf, sondern sagen sollte: Mache Deinen Job in den Jahren so gut, wie Du kannst – und wenn Du anschließend weitermachen kannst, geht diese Philosophie von vorn los.

Eine Absage war das nicht. Eine Zusage auch nicht. Also stellen wir fest: Im Prinzip ist Gabriel für die GroKo (was keine neue Erkenntnis ist) und würde seinen netten Job als Bundesreiseminister gern noch ein wenig fortsetzen. Aber wenn er das jetzt zu laut sagt, dann könnte er den Zorn der Genossen auf sich ziehen, weshalb er es auch nicht leise sagt, sondern nur durch die Hintertür andeutet. Doch apropos Hintertür. Da fiel aus dem Munde des feixenden Niedersachsen ein kleiner Hinweis, den weder der selbstverliebte Lorenzo noch ein anderer der bunt zusammengewürfelten Truppe aus C- und D-Promis zur Kenntnis nahm.

Keine zeitliche Begrenzung der Geschäftsführung

Gabriel grinste also breit und meinte: „Unsere Verfassung hat für eine geschäftsführende Regierung  keine zeitliche Begrenzung festgeschrieben.“ Eigentlich hätte das nun allen in der Runde das richtige Stichwort sein müssen – doch wie das bei den Halbwissenden dieser Republik nun einmal so ist: Niemand sprang an und so versandete dieser nette Hinweis in der scheinbaren Bedeutungslosigkeit.

Akute Ignoranz
Politisch gewollte Staatsverwahrlosung
Wir wissen selbstverständlich nicht, ob die SPD-Führung Tichys Einblick liest. Wir sind allerdings sicher, dass nicht nur die Pressestellen der Ministerien und des Bundespräsidialamtes, sondern auch die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit im Willy-Brandt-Haus ein wachsames Auge auf dieses unliebsame Portal hat. Und so bilden wir uns nun einfach einmal ein, dass Gabriel und seine Mitkämpfer recht aufmerksam den Artikel über „Harare in Berlin und München“ gelesen haben. Denn dort stand genau jene Feststellung des Sigmar Gabriel geschrieben: Der aktuelle Zustand eines geschäftsführenden Kabinetts ist manifest, so lange der Deutsche Bundestag nicht zur Wahl eines neuen Kanzlers antritt und solange der Bundespräsident nicht aus eigenem Gutdünken einen Kanzler zur Wahl durch den Bundestag vorschlägt.

Erst in dem Moment, in dem Steinmeier einen Otto Werner oder eine Ilse Vogt oder sonstwen den gewählten Abgeordneten des Bundestages zur Abstimmung stellt, wird das Verfahren, welches zu Neuwahlen führen könnte, in Kraft gesetzt. Gezwungen, dieses zu tun, ist er jedoch nicht. Er kann sich zurücklehnen und darauf warten, dass die gewählten Abgeordneten ihm eines fernen Tages jemanden schicken, der ein beglaubigtes Schreiben des Bundestagspräsidenten in den Händen hält, welches ihm bestätigt: Der Überreicher dieses Schreiben wird auf Grundlage einer in geheimer Abstimmung durchgeführten Wahl von einer absoluten Mehrheit der Abgeordneten als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewünscht. Sollte eines Tages eine Dame oder ein Herr mit einem solchen Schreiben vor den Türen von Schloss Bellevue stehen und Einlass begehren, so wären dem Bundespräsidenten die Hände gebunden. Ihm bliebe – egal, wer da vor ihm steht – nichts anderes übrig, als diesem Menschen eine Ernennungsurkunde als Bundeskanzler zu überreichen.

Was, wenn kein Kanzler gewählt wird?

Nun aber einmal angenommen, eine solche Person will und will einfach nicht vor der Tür des Präsidentensitzes erscheinen. Dann gibt es für den Präsidenten keine zwingende Veranlassung, in irgendeiner Weise irgendwie aktiv zu werden. Das Grundgesetz gibt ihm zwar nach Artikel 64 die Möglichkeit, Otto Werner oder Ilse Vogt vorzuschlagen – doch das ist eine reine Kann-Bestimmung und der Präsident kann es auch sein lassen. Also kann sich Steinmeier gelassen zurücklehnen und die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. Denn das, was ihm das Grundgesetz zu tun auferlegt hat, das hat er längst erledigt: Das abgewählte Kabinett ist entlassen und gleichzeitig auf seine Bitte geschäftsführend so lange ins Amt gesetzt, bis der Deutsche Bundestag sich eines Anderen besonnen hat. Sollte dieses nicht geschehen, so führen die abgewählten Minister ihre Ressorts zwar nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag, jedoch mindestens bis zum Juli 2021 weiter. Denn frühestens in diesem Monat ist laut Artikel 39 GG eine Neuwahl des Deutschen Bundestages vorgesehen – und ein Beschlussrecht zur vorzeitigen Selbstauflösung des Bundestages ist in der Verfassung nicht vorgesehen.

Nun einmal unterstellt, bei den Bundestagswahlen des Jahres 2021 sähe das Ergebnis ähnlich aus wie gegenwärtig, und immer noch wollte niemand mit der AfD die Regierung bilden und immer noch hätte die FDP keine Lust auf schwarzgrüne Politik und immer noch beharrte die SPD darauf, mit der Union keine Koalition zu bilden – ja, dann könnte das gegenwärtige Geschäftsführungskabinett sogar auch weitere vier Jahre im Amt bleiben. Deutschland hätte dann eine Dauer-Geschäftsführung ohne parlamentarische Legitimation und die Damen und Herren Minister eine Lebensstellung.

Die Hannover-Mafia hat sich optimal platziert

Angesichts derartiger Optionen trifft es sich doch gut, dass die Herren aus der sozialdemokratischen Hannover-Mafia derzeit optimal platziert sind. Der Steinmeier ist der Herr des Geschehens – er hat die Alternativlose in ihrer Bedeutungschwangerschaft abgelöst, ohne sich wie diese dem Dauerfeuer quengelnder Parteifreunde und lästiger Schreiberlinge aussetzen zu müssen. Der Gabriel hat immer noch den Daumen auf der Partei – und wie er und seine Freunde an den Fäden zupfen, so wird der Schulz agieren müssen. Als Dritter im Bunde sitzt der Thomas Oppermann als Vize auf dem Schoß des Bundestagspräsidenten und kann aufpassen, dass der Wolfgang Schäuble nicht übermütig wird. Wobei – verfassungsrechtlich hat der Schäuble im Moment ebenso wenig zu sagen wie die Angela. Das Heft des Handelns liegt derzeit eben ausschließlich beim Steinmeier.

Wo die Reise hingehen könnte

Spinnen wir diesen Faden einmal weiter. Die FDP hat sich aus dem Geschäft genommen – und in der Union wird dieses Unwort „Liberale“ nicht einmal mehr mit der Kohlenzange angepackt. Der Lindner KG wird angelastet, das wunderbare Zukunftsmodell einer schwarzgrünen Koalition der Weltverbesserung zerstört zu haben. Nicht einmal mehr über Schwarzgelb mag man in der Union derzeit noch nachdenken – weshalb die Neuwahl-Rufe deutlich leiser geworden sind.

Der Merkel-Tross setzt derzeit alles auf die Fortsetzung der schwarzroten Koalition. Denn selbstverständlich ärgert es die Alternativlose schon, als vormals wiederholt gekürte, „mächtigste Frau der Welt“ nun mit einem sichtbaren Imageschaden herumlaufen zu müssen. „The Untouchable“ ist von der Situation sichtbar angefasst. Das gefällt dem Gabriel – denn nun kann er die Angie heftig zappeln lassen und an der weiteren Rauten-Demontage arbeiten.

Warum also sollte sich die SPD in die parlamentarische Fortsetzung der GroKo retten? Nur, damit Schulz nun den Gabriel als Vizekanzler und Minister des Äußeren ablöst? Daran hat weder der Sigmar noch der Frank-Walter ein Interesse. Sie sind davon ausgegangen, den Verlierer aus Aachen nach der verlorenen Wahl sang- und klanglos versenken zu können.

Mut gefragt
„Die von Angela Merkel eingeschlagene Politik hat der Partei Schaden zugefügt“
Und es gibt noch jemanden, der gegenwärtig weder ein ausgeprägtes Interesse an der GroKo noch etwa gar an Neuwahlen hat. Das ist die Bayerische CSU. Wie gut das Zusammenspiel zwischen den roten Hannoveranern und den weißblauen Münchner funktionieren kann, das hatten sie schon anlässlich der Edathy-Affäre vor vier Jahren trefflich durchgespielt. Auch wenn gegenwärtig der CSU-interne Haussegen schief hängt und kräftig am Seehofer gesägt wird – in einem sind sich alle Christsozialen einig: Noch eine Bundestagswahl vor den Bayernwahlen, bei denen die CSU für ihre Merkel-Nähe abgestraft wird, kann sich die Partei nicht leisten. Also bitte bis Ende 2018 alles – nur kein bundesweiter Urnengang. Da stellt sich die Frage, ob des Christian Schmidts gelebte Glyphosat-Untreue nicht vielleicht sogar ein zwischen SPD und CSU abgekartetes Spiel gewesen ist: Die rote Basisseele konnte so rechtzeitig vor den erwartbaren Gesprächen noch einmal richtig schön auf Anti-GroKo-Stimmung gebracht werden – und die alternativlose  Hilflosigkeit der preußischen  FDJ-Funktionärin kommt gerade beim bayerischen Fußvolk gut an.

Der Stern von Templin auf Sturzflug

Wie also könnten unter diesen Vorzeichen die Lösungen aussehen? Neuwahlen will ernsthaft niemand. Selbst Merkel beginnt langsam zu begreifen, dass ihr autoritäres Vorpreschen in Sachen „Ich bleibe Kanzlerkandidatin!“ nicht zwingend gelten muss. An der Parteibasis ohnehin, aber auch auf den Funktionärsebenen stürzt der Stern  von Templin im Eiltempo. Und das Risiko, den dank mangelhaften Wahlrechts geschenkten Abgeordnetensitz zu verlieren, wollen gerade die Überhang- und Wackelkandidaten nicht eingehen.

Ähnlich sieht es bei der SPD aus. Fiele sie bei Neuwahlen unter die magische 20-Prozent-Marke, gäbe es vermutlich kein Halten mehr. Im Übrigen drängt die Sozialdemokraten außer der Merkel-Camarilla nichts und niemand. Sie können das staatstragende Gesicht aufsetzen und sondieren und fordern und wieder sondieren und wieder fordern. Linkspopulist Ralph Stegner hat bereits deutlich gemacht: Vor Weihnachten hat er überhaupt keine Lust auf irgendwelche Gespräche mit der Union. Also wird man sich weiterhin alle Optionen offenhalten – und Zeit gewinnen. Denn Zeit bedeutet aktuell SPD-Herrschaft. Steinmeier hat die Kanzlerwahl in der Hand, Gabriel die Kanzlerin. Will die Union in den kommenden Monaten irgendwelche Gesetze durchbringen, muss Merkel bei Gabriel zu Kreuze kriechen. Hat Merkel darauf keine Lust mehr und wirft sie den Bettel hin, geschäftsführt sich der Bundesminister des Äußeren an die Spitze der Verwaltungsministration. Besser kann es für eine Partei, die gerade noch 15,5 % aller Wahlberechtigten an sich binden konnte, doch nicht laufen. Nach der Sozialdemokratisierung durch Merkel ist derzeit die SPD diejenige Kraft, die alle Trümpfe in der Hand hält.

Die CDU gezielt brüskieren

So lange SPD und Union sondieren, bleiben Gabriel, Maas, Hendricks und Co Minister. Geschäftsführend, selbstverständlich, um an dieser Stelle noch einmal den feixenden Gabriel zu zitieren. Aber wen stört das schon, wenn eben dieser Gabriel nun noch mehr Bundesaußenminister sein darf als jemals zuvor? Wenn die Union dabei mit einer Merkel auf Abruf weiterhin ihr Stammpublikum vergrätzt? Und wenn die Sozialdemokraten der Union in den Gesprächen ein sozialistisches Zugeständnis nach dem anderen abringen, um immer noch eine weitere Forderung in petto zu haben, deren Zustimmung die Union weitere Stammwähler kosten wird.

Irgendwann, davon dürfen wir ausgehen, wird auch dieses Spiel zu Ende gehen. Bis dahin wird die SPD mit Bürgerversicherung und anderen sozialistischen Folterwerkzeugen die wenigen verbliebenen nicht-kollektivistischen Restbestände der Union quälen. Und irgendwann dann im kommenden Spätsommer – unsere abgewählten Bundesminister amtieren und amtieren – könnte die SPD feststellen, dass mit Merkel eine GroKo keinen Sinn mehr macht. Vielleicht aber mit einem anderen Kanzler – einem wenig profilierten am besten. Also wird sie die Union auffordern, sich nun endlich den Neuwahlen zu stellen – und ihrer staatspolitischen Verantwortung dadurch gerecht zu werden, dass sie jede künftige Zusammenarbeit mit der Union davon abhängig macht, dass Merkel nun endlich mal im Bundestag zur Wahl antrete, um so den Weg zu Neuwahlen zu ebnen.

Merkel in den Abgang treiben

Theoretisch könnte sich Merkel weigern, sich dann der unvermeidbar zu verlierenden Abstimmung im Bundestag zu stellen. Sollte sie dieses versuchen, wäre es jedoch ihr politisches Ende. Versucht sie es nicht, ist es das auch – öffentliche Demütigung durch Abstimmungsniederlage nach einem Jahr erfolgloser Regierungsbildung inklusive. Und insofern ist sogar vorstellbar, dass hinter den Kulissen längst ganz andere Spielchen laufen. SPD und CSU könnten gemeinsam daran arbeiten, Merkel während der Sondierungsgespräche zur Abdankung zu bewegen, also offiziell ihrer „staatsbürgerlichen Verantwortung für Deutschland“ dadurch gerecht zu werden, dass sie sich aus der künftigen Verantwortung zurückzieht.

Herles fällt auf
Die größten Kartoffeln der dümmsten Bauern
Dann könnten SPD und Union daran gehen, ein frisches Kabinett zu installieren – mit dem alten Hasen Gabriel in wichtiger Position und einem unbelasteten Christsozialdemokraten an der Spitze. Aus der alten Merkelgarde käme dafür niemand mehr infrage. Aber vielleicht wäre ja auch mal ein Süddeutscher aus dem schönen Bayernland an der Reihe.

Bayern gibt die Richtung vor

Dort scheinen derweil die Würfel gefallen, Seehofer vom Amt des Ministerpräsidenten sich zurückziehen zu wollen. Seine Nachfolge soll Markus Söder antreten – so will es die Landtagsfraktion. Ob dieses für die CSU die optimale Lösung ist, wird sich zeigen müssen. Denn zum einem wird dem im Frühjahr kommenden Jahres auf den Thron zu hebenden Franken weiterhin jener ungeliebte Ingolstädter als Parteivorsitzender im Nacken sitzen. Der hätte eine andere Lösung bevorzugt. Zum anderen hätte der erfahrene und in sich selbst ruhende Joachim Herrmann vielleicht eher den Landesvater der Bayern verkörpern können als der eloquente Söder. Der hingegen wäre als Sproß eines evangelischen Elternhauses mit der Frische, die derzeit in Frankreich und Österreich die Geschicke in die Hand nimmt, eine optimale Unionswahl gewesen, wenn es um die Nachfolge der auslaufenden Merkel geht. Da derzeit in den Reihen der CDU weit und breit niemand zu sehen ist, der auch nur annähernd so profiliert ist wie der erfolgreiche Landesfinanzminister, hätte der Republik mit Söder tatsächlich einmal frischer Wind eingehaucht werden können – und dieses auch, weil der aus einer mittelständischen Handwerkerfamilie stammende Nürnberger sogar nördlich der Mainlinie auf Unterstützung hoffen könnte, ist er doch kein alt-bayerisches Urvieh und damit von Rhein bis Oder wählbar.

Die Christsozialen hätten mit einem Tandem Herrmann-Söder, bei dem der Katholik aus Erlangen als Landesvater und Bayern-Kini und der Evangele als dynamischer CSU-Parteierneuerer und Geheimwaffe mit Bundesambitionen angetreten wären, ihren bundesweiten Anspruch unterstrichen, die preußische Republik zurück zu den bürgerlichen Werten des kleindeutschen Bundes zu führen. Mit einer so rundum aufgefrischten CSU hätten die Bayern angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen gut dagestanden. Da gleichzeitig das Signal an die in die Sozialdemokratie abgewanderte Schwester auf Runderneuerung unübersehbar gewesen wäre, hätte man nun sogar die Überlegungen zurückstellen können, die CSU nach Norden auszudehnen – denn die Bayern wären endlich dort, wo sie schon unter Franz Josef Strauß gern hinwollten. Doch offenbar ist die CSU noch nicht so weit, ihre beiden wichtigsten Ämter an Franken zu übertragen. Immerhin wurde die Partei seit ihrer Gründung von katholischen Altbayern geprägt – insofern ist allein schon die Tatsache, dass mit Söder nun ein evangelischer Franke die Bayerische Staatskanzlei übernehmen soll, als Durchbruch zu mehr Modernität und historischer Kompromiss zu bezeichnen.

Die SPD macht derweil Bundespolitik

Und der Sigmar? Nun, der kann es letztlich auch zufrieden sein und sich weiterhin genüßlich grinsend zurücklehnen.

Seine SPD wird sich während der absehbaren Merkel-Demontage wieder als linke Mitte profilieren, er selbst weiterhin als politische Konstante den Ton angeben können. Solange Söder in Bayern bleibt, droht für die bundespolitischen Ansprüche seiner SPD eine Gefahr nur aus den eigenen Reihen. Dort kämpft weiterhin Schulz um sein politisches Überleben – die Partei wird ihn angesichts der gegenwärtig komplizierten Situation wider besseres Wissen im Amt bestätigen und ihm gleichzeitig signalisieren, dass seine Tage gezählt sind.

Frank-Walter aus dem Bundespräsidialamt wird dabei seinen norddeutschen Genossen mit Blick auf Neuwahl oder GroKo hilfreich zur Seite stehen, der kleinen deutschen Welt beweisen, wie umsichtig Sozialdemokraten mit diesem Land angesichts unklarer Machtverhältnisse umzugehen verstehen.

Während so die Sozialdemokraten der Hannoverschen SPD-Seilschaft von Altkanzler Gerhard Schröder weiterhin im Hintergrund an den Fäden zieht und alles daran setzt, dass die parteiinterne Macht auch künftig in der norddeutschen Tiefebene konzentriert bleibt, kann der frische Wind aus dem Süden nun vielleicht sogar der Schwesterpartei den Mut einhauchen, sich vom Ballast der Merkeljahre zu befreien. Schade nur, dass die Christdemokraten weder über einen Herrmann noch über einen Söder verfügen. Doch gleichzeitig auch eine Chance der Schwesterparteien, die Gewichte nunmehr aus dem preußischen Nordosten wieder in die südwestliche Mitte der Republik zu verschieben. Und damit die Union auf ihre eigentlichen Wurzeln einer konservativ geprägten, den Ideen des freiheitlichen Bürgertums in der Tradition der 1848er Errungenschaften verpflichteten Volkspartei zurück zu holen.

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Kommentare ( 47 )

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Rainer Franzolet
7 Jahre her

Was hier so als Profihaftes Verhalten beschrieben wird erscheint mir eher wie kriminelle Machenschaften, die man von der Mafia kennt.

Hans Ecke
7 Jahre her

Eine ausgezeichnete realpolitische Analyse, Herr Spahn. Es läßt mich staunen, wie sie die Möglichkeiten herausarbeiten. Merkel regiert durch, aber von SPD’s Gnaden. Immer mehr Bürger werden sich von der zur Farce verkommenen Demokratie angewidert abwenden. Damit kommt aber keines der akuten Probleme einen Schritt einer Lösung näher. Deshalb erwarte ich einen Finanzcrash als Lösung aller Probleme. Ob Bitcoin-, Immobilien-, Beamtenpensionen-, Targetsalden-, Euro- oder Dollar-Schuldenblase, globaler Strom-Blackout, zusammenbrechendes Saudi-Arabien, ein Unglück am Jerusalemer Tempelberg oder Flächenterror durch die willkommengeheißenen Taliban und IS-Kämpfer, eigentlich egal wodurch. Es ist angerichtet. Danach gibt es vielleicht wieder Rückbesinnung und etwas aufzubauen. Wenn man in bleibende… Mehr

Eysel
7 Jahre her

Auch wenn ich schon am Wahlabend – 5 Minuten nach Schulz’s Statement – augurte, dass die SPD wieder Abstand vom „Regierungsabstand“ nehmen würde, so habe ich nicht für möglich gehalten, dass wir womöglich eine „andauernde Geschäftsführende“ bekommen würden. Dass „Pattex“ so gut klebt. Dass eine Merkel-Dämmerung so quälend langsam vonstatten gehen könnte. Dass eine Machtkonstellation entstehen könnte in der „Siggi“ so stark sein könnte. – Sei es drum! – Die ungeahnte heutige Situation macht mir auch Mut/Hoffnung. Denn das zeigt, dass wirklich NIEMAND die Situation im Griff hat. Auch nicht Siggi! Dass Dinge passieren können, die k a u m… Mehr

Elsa Fiedler
7 Jahre her

Zum Ko…. wie Lorenzo dem Gabriel die Themen aufgelegt hat, mit denen dieser sich auf billigste Weise profilieren konnte Das ist kein Journalismus sondern politisch-medialer Filz, mit GEZ-Gebühren zwangsfinanziert.

Wolfgang Lang
7 Jahre her

Gabriel: Taktik 100 %, Inhalte 0 %, so geht erfolgreiche Politik heute. Weiter so!

Thomas
7 Jahre her

Vllt. war Merkel sogar die richtige Kanzlerin der konfliktlosen Wohlfühlrepublik. Schland. Sommermärchen. Piep piep piep, wir haben uns alle lieb.
Doch jetzt, in gefährlichen Zeiten in denen auch wir Deutschen wieder die Reisszähne der Welt sehen, zieht eine alte verwirrte Frau uns alle in den Abgrund.

Reinhard Peda
7 Jahre her

Ja Herr Spahn, und wie sieht es hiermit aus? Mein Kommentar:

https://www.tichyseinblick.de/meinungen/afd-parteitag-ein-gaeriger-haufen-doch-wohin-gaert-er/comment-page-3/#comments

Alle jetzigen strategischen Spielchen funktionieren dann nicht mehr!

Frau A.
7 Jahre her

Gabriel. War das nicht der, der den Parteivorsitz niederlegte, um mehr Zeit für die Familie zu haben? Wie bringt er das jetzt fertig in der Endlosreisenschleife?;-)

Gero Hatz
7 Jahre her

Brilliante Analyse Herr Spahn, vielen Dank! Sicher lässt das GG eine geschäftsführende Regierung mindestens bis 2021 zu. Und es wäre m.E. die beste Lösung für die Republik, denn die Fäulnis, die Korruption unsere politischen Verhältnisse wird auch dem letzten Wähler unmissverständlich vor Augen geführt. Vier Jahre Weitermerkeln mit Mutti und Siggi wird dann hoffentlich genug Mist produziert haben, um den Acker für fundamentale politische Reformen vorzubereiten: Mandatsbegrenzung auf 8 Jahre für Parlamentarier, Minister, Kanzler etc. Wegfall der Zweitstimmen, Einführung des Volksentscheides, Ausstieg aus der Energiewende, Begrenzung der Regierung auf originäre Staatsaufgaben. Im Grunde bin ich ein wenig optimistisch.

Heinrich Niklaus
7 Jahre her

Zu den Befugnissen der derzeit geschäftsführenden Bundesregierung: „Eine geschäftsführende Regierung besitzt dieselben Befugnisse wie eine „regulär“ im Amt befindliche Regierung. Bislang war es allerdings gängige Staatspraxis, keine weitreichenden Entscheidungen zu treffen, die eine nachfolgende Bundesregierung binden würden. Dies betrifft unter anderem folgenreiche finanzielle oder personelle Entscheidungen, aber auch die Verabschiedung von Gesetzentwürfen selbst.“ https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2017/09/2017-09-25-nach-der-bundestagswahl.html
Wenn man also bei der „gängigen Staatspraxis“ bliebe, dürften sich die Auswirkungen der geschäftsführenden Regierung in Grenzen halten. Das ist gut so. Insbesondere wenn man an die Umsetzung der EU-Reformen von Herrn Macron denkt.

Gero Hatz
7 Jahre her
Antworten an  Heinrich Niklaus

„Bislang war es allerdings gängige Staatspraxis, keine weitreichenden Entscheidungen zu treffen, die eine nachfolgende Bundesregierung binden würden..“ Bislang war es auch Staatspraxis, das GG einzuhalten und die Grenzen eines souveränen Staates zu schützen. Ich denke, wir müssen akzeptieren, dass Merkels Autokratismus die neue Staatspraxis ist.