Erster Weltkrieg: Interessen und Kriegsschuld – Ursachen und Folgen

„Saturday Review“ vom 11. September 1897: „Überall, wo die Flagge der Bibel und der Handel der Flagge gefolgt ist, liegt ein deutscher Handlungsreisender mit dem englischen Hausierer im Streit.“ Dieser Streit mündete im 1. Weltkrieg.

Sultan Mehmed V. begrüßt Kaiser Wilhelm II. bei seiner Ankunft in Istanbul. Auf der linken Seite des Sultans ist Hakki Pascha, der türkische (osmanische) Botschafter in Berlin

Diese Situation der miteinander konkurrierenden Nationalstaaten schuf die Grundlage der Konflikte, die 1914 explodieren sollten – womit es nun geboten scheint, sich auf die Interessenlagen der einzelnen Beteiligten zu konzentrieren. Sie speisen sich im Wesentlichen aus zwei klassischen Motiven: Handelsinteressen und Revanchismus als der Anspruch, eine erlittene Schmach zu revidieren.

II. Revanchismus und Handelsinteressen einen Frankreich und England

Das Vereinigte Königreich

Die Engländer hatten sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts als tatsächliche und einzige Weltmacht etabliert. Ihr Imperium umspannte den Planeten und produzierte eine prosperierende Dynamik, die es um 1850 zur einzigen weltumspannend tätigen Handelsnation gemacht hatte. Mit Innovationen beispielsweise im Schiffs- und Eisenbahnbau, dem verarbeitenden Gewerbe wie der Stoff- und Bekleidungsindustrie betrug noch 1870 der Anteil Großbritanniens an der Weltindustrieproduktion 31.8 %. Zum Vergleich: Der entsprechende Anteil der noch nicht geeinten deutschen Länder lag gerade einmal bei 13,7 %. Damit hatten die Inselsachsen faktisch ein Weltmonopol – denn die restlichen knapp 55 Prozent verteilten sich auf viele. Der Boom der Industrialisierung sorgte dafür, dass die britische Landbevölkerung massiv in die dynamischen Städte wanderte – und dass es trotz aus heutiger Sicht zahlreicher Mängel im sozialen und sanitären Bereich zu einem deutlichen Bevölkerungswachstum kam. Gab es 1861 rund 29 Millionen Briten, so lebten 1911 bereits 45 Millionen Menschen auf den Inseln.

Die Vernachlässigung der bei weitem nicht so lukrativen Agrarindustrie bei gleichzeitig rasantem Bevölkerungswachstum sorgte dafür, dass die Inseln sich nicht mehr selbst ernähren konnten. Dieses sowie der Import von Konsumgütern und Maschinen waren Ursache dafür, dass das Außenhandelsdefizit regelmäßig mehr als zehn Prozent des Volkseinkommens betrug. Lediglich der Dienstleistungssektor mit dem britischen Versicherungsmonopol sowie die mit 190 Millionen Pfund um zehn Prozent unterhalb dem Außenhandelsdefizit liegenden Einnahmen aus außerhalb der Insel generierten Kapitalerträgen hielten die britische Volkswirtschaft am Leben.

Ein weiteres Problem der Briten war die Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Seit den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts traten mit den USA und dem Deutschen Reich zwei bis dahin weitgehend unbedeutende Player auf den Plan, die ähnlich den Briten ihren Schwerpunkt auf die Industrieproduktion und Konsumgüter legten. Ähnlich den Japanern in den Fünzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts und die Chinesen in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts drängten die Newcomer erst mit Billigprodukten und Plagiaten auf den britischen Markt. Am 23. August 1887 beschloss das britische Parlament deshalb die Herkunftsbezeichnungspflicht für alle importierten Güter. Zu diesem Zeitpunkt allerdings hatten sich bereits vor allem deutsche Produkte als ebenbürtig, wenn nicht hochwertiger als die heimische Produktion erwiesen – das als Importhemmnis gedachte „Made in Germany“ wurde ungewollt zum Qualitätssiegel.

Den Weltindustriemarkt beherrschten zur Jahrhundertwende die drei Länder Großbritannien, Deutschland und USA. Als am 5. März 1903 der Zuschlag zum Bau der osmanischen Bagdadbahn, die von Istanbul nun bis Basra am Golf reichen sollte, an Deutschland ging, war dieses nicht nur ein Schlag für die britische Stahl- und Eisenbahnindustrie –  mehr noch litten das Selbstbewusstsein und die kolonialen Pläne der Briten. Der Zuschlag an die Deutschen führte den Engländern, bei denen noch 1860 der Eisenbahnbau ein Viertel aller Exporteinnahmen generiert hatte, vor Augen, dass auf dem Kontinent ein überaus leistungsfähiger Konkurrent entstanden war. Gleichzeitig wurde durch die vertraglich garantierte Anwesenheit der Deutschen bis Basra und die damit verbundenen Schürfrechte auf Gas und Öl entlang der Strecke ebenso wie mit dem vom Reich angestrebten Marinestützpunkt am Golf das koloniale Ziel einer britischen Landverbindung zwischen Ägypten und Indien ausgehebelt.

Die deutsch-britische Flottenpolitik

Das Reich hatte in seiner prosperierenden Dynamik angesetzt, seine weltumspannenden Handelsinteressen durch Bunkerstationen abzusichern, aus denen die Besitzungen in Afrika – Togo, Kamerun, Südwest- und Ostafrika – ebenso wie im pazifischen Raum resultierten. Die damaligen Reichweiten der überwiegend noch mit Kohle betriebenen Schiffe machten es in dem Bestreben, von den Handelskonkurrenten und den nach wie vor feindlich eingestellten Franzosen unabhängig zu sein, unverzichtbar, nach weiteren Standorten in Nordwestafrika – beispielsweise Marokko – und am Indischen Ozean – Basra – zu streben. Um die Route herum um das mittlerweile den mit dem Reich verbundenen, niederländischen Buren militärisch von den Briten abgerungenen Südafrika zu verkürzen, gab es im Reich die Überlegung einer afrikanischen Bahnverbindung von Deutsch-Südwest nach Deutsch-Ostafrika, die ausschließlich über deutsches Territorium führen sollte. Der Caprivi-Zipfel des heutigen Namibia ist ein Ergebnis dieser Überlegungen.

Das Deutsche Reich unter seinem Präsidenten Kaiser Wilhelm II hielt zur Absicherung des deutschen Welthandels und damit des Wohlstandes seiner exportorientierten Bevölkerung eine leistungsfähige Kriegsflotte für unverzichtbar – und war sich dabei der Tatsache bewusst, dass der wirtschaftliche Aufstieg des Reichs selbstverständlich den Argwohn der hier vornehmlich britischen Konkurrenz heraufbeschwor.

Reichskanzler Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst hielt im Januar 1896 in einem Memorandum an den Kaiser fest:

„Die Entwicklung des deutschen Handels bringt es mit sich, daß dadurch die Eifersucht anderer handeltreibender Völker erregt wird. Das ist zu bedauern, läßt sich aber nicht ändern. Nun haben wir uns bisher bemüht, mit allen Mächten die friedlichsten Beziehungen aufrecht zu erhalten, und dies ist uns auch gelungen. Das kann sich aber ändern, und es ist nicht zu leugnen, daß eine Verschlechterung dieser Beziehungen eintreten kann. Wollen wir uns nicht in allem fügen und auf die Rolle einer Weltmacht verzichten, so müssen wir geachtet sein. Auch das freundlichste Wort macht in internationalen Verhandlungen keinen Eindruck, wenn es nicht durch eine ausreichende Macht unterstützt wird. Dazu ist den Seemächten gegenüber eine Flotte nötig.“

Für die Briten, die zu diesem Zeitpunkt die Weltmeere beherrschten, entwickelte sich das junge Deutsche Reich zum gefühlten Gegner Nummer Eins. War es den Engländern nach dem Vertrag von London 1604 gelungen, die damalige Weltseemacht Spanien zu neutralisieren, und hatten sie mit der Seeschlacht bei Trafalgar 1805 und mit dem Sieg bei Waterloo 1815 die französischen Weltmachtbestrebungen ausgehebelt, war nun das Reich zur größten Gefahr für das Empire geworden.

In der „Saturday Review“ vom 11. September 1897 wurde die Konkurrenz wie folgt beschrieben:

„Auf die Länge beginnen auch in England die Leute einzusehen, daß es in Europa zwei große unversöhnliche, entgegengesetzte Mächte gibt, zwei große Nationen, welche die ganze Welt zu ihrer Domäne machen und von ihr den Handelstribut erheben möchten. England, mit seiner langen Geschichte erfolgreicher Aggression und der wunderbaren Überzeugung, daß es beim Verfolg seiner eigenen Interessen Licht unter den im Dunkeln wohnenden Völkern verbreite, und Deutschland, Fleisch vom selben Fleisch und Blut vom selben Blut, mit geringerer Willenskraft, aber vielleicht lebhafterer Intelligenz, wetteifern in jedem Winkel des Erdballs. … Überall, wo die Flagge der Bibel und der Handel der Flagge gefolgt ist, liegt ein deutscher Handlungsreisender mit dem englischen Hausierer im Streit.“

Britannien sah seine Welthandelsdominanz bedroht. Daraus formulierte es die Selbstverpflichtung, dass die britische Seestreitkraft zu jedem Zeitpunkt mindestens so groß sein müsse, wie die zweit- und die drittgrößte Flotte zusammen. Das Reich wiederum formulierte seinen Anspruch in der Begründung des 2. Flottengesetzes im Jahr 1900 nicht minder deutlich:

„Unter den gegebenen Umständen gibt es nur ein Mittel, um Deutschlands Handel und Kolonien zu schützen: Deutschland muß eine Flotte von solcher Stärke haben, daß selbst für die größte Flotte ein Krieg mit ihm ein solches Risiko in sich schließen würde, daß ihre eigene Überlegenheit gefährdet wäre.“

Während also die Briten ihr Streben darin sahen, die maritime Konkurrenz notfalls mit militärischer Überlegenheit ausschalten zu können, formulierte Deutschland eine Politik der Abschreckung, vergleichbar jener Situation zwischen den Blöcken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Die eigene militärische Schlagkraft sollte den potentiellen Gegner davon abhalten, einen Angriffskrieg zu führen – die eigene Rüstung wurde dabei ausschließlich als Defensivinstrument betrachtet.

Diese unterschiedliche Positionierung fand ihren Niederschlag in den Rüstungsausgaben. So belief sich im Haushaltsjahr 1910/11 das Marinebudget der Briten auf gut 823 Millionen Mark – das Reich selbst hatte knapp 434 Millionen bereitgestellt.

Es folgte ein maritimer Rüstungswettlauf, in dem das Empire mit den „Dreadnoughts“ zur Entwicklung erstaunlicher Kampfschiffe in der Lage war – gefolgt von ähnlichen Innovationen der deutschen Schiffbauer. Es stießen mit dem britischen Vorherrschaftsanspruch und dem deutschen Gleichberechtigungsziel nun zwei unvereinbare Doktrinen aufeinander.

Dennoch legte das Reich seinen Schwerpunkt nicht auf die Marine und erreichte zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise das britische Niveau. So kostete seine Marine den englischen Bürger im Jahr 1905 pro Kopf 15,70 Mark – in Deutschland waren es 3,80 Mark. Am Vorabend des Krieges hatte das Königreich seine Pro-Kopf-Ausgaben 1913 auf 20,50 Mark gesteigert – das Reich lag bei 6,90. Da gleichzeitig die ebenfalls als Gegner des Reichs betrachteten Franzosen ihre Marineausgaben pro Kopf von 6,60 auf 10,40 Mark gesteigert hatten – und damit ebenfalls deutlich über den deutschen Ausgaben lagen – kann bei einem Verhältnis der Entente gegenüber dem Reich von 4,5:1 vom Aufbau einer deutschen Angriffsflotte nicht die Rede sein.

Für das Vereinigte Königreich war seine maritime Überrüstung ebenso desaströs, wie sie aus britischer Sicht unverzichtbar schien. Das Empire hatte sich nach dem Verlust seiner Führungsposition in der Industrieproduktion an das Reich und die ebenfalls prosperierenden Vereinigten Staaten von Amerika zunehmend als Dienstleister auf den Welttransport konzentriert. Die daran gekoppelte Versicherungswirtschaft mit dem Quasi-Monopolisten Lloyd`s machte London zum Finanzplatz Nummer Eins.

1913 erwirtschafteten die Transportdienstleistungen 90 Millionen Pfund des britischen Haushalts. Banken und Versicherungen trugen 70 Millionen bei. Die dritte Säule waren die Kapitalerträge aus Auslandsinvestitionen – vorrangig in den weltumspannenden Kolonien. Sie lagen bei 190 Millionen Pfund. In Sachen Stahl, Chemie und Maschinenbau waren die Engländer von den USA und dem Reich mittlerweile auf die Plätze verwiesen worden.

Gegen die Einnahmen aus Dienstleistungen und Kapitalertrag stand ein Außenhandelsdefizit in Höhe von rund 200 Millionen Pfund. Ursache dafür waren neben dem Ankauf von Konsum- und Industriegütern maßgeblich die Lebensmittelimporte – so wurde für die britische Bevölkerung, die sich nicht mehr selbst ernähren konnte, Getreide billig aus den USA und Russland herangeschafft.

England hatte sich bis zum Vorabend des Krieges in die Abhängigkeit von Handelsflotte und Finanzdienstleistern manövriert – und der Warenimport britischer Produkte in die eigenen Kolonien war mit einem Anteil von 61 % der britischen Exporte neben den Kapitalerträgen der entscheidende Motor, diese Geldquelle am Sprudeln und für die britische Manufaktur- und Industrieproduktion einen Markt aufrecht zu halten. Genau diese letztverbliebene Geldquelle schien durch die deutsche Dynamik massiv gefährdet.

So verfügte die Deutsche Handelsmarine 1913 mit 3,3 Millionen Registertonnen nach dem Königreich mit 12 mio BRT bereits über die zweitgrößte Handelsflotte der Welt – und ihre Wachstumsdynamik lag deutlich vor der britischen. Das Reich setzte an, auch auf diesem Markt die Vormachtstellung der Briten anzugreifen – was im Erfolgsfalle dazu hätte führen können, im Gefolge die Finanzdienstleister nebst Versicherungswirtschaft zunehmend mehr aus London nach Berlin oder Hamburg umsiedeln zu lassen.

Zwar wurde die wirtschaftliche Zukunft des Empires zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Standortvorteile der ihren Kontinent erschließenden Nordamerikaner noch mehr bedroht als vom Reich – doch spielten sich die deutschen Ambitionen unmittelbar vor der britischen Haustür ab und das Reich trat auch im Segment der überseeischen Absicherung von Rohstoffimporten und Handelswegen über maritime Stützpunkte in eigenen Kolonien deutlicher als die Amerikaner ebendort auf, wo England sich bereits als etabliert betrachtete. Wollte das Königreich nicht von der deutschen Dynamik an die Wand gedrückt werden, musste aus britischer Sicht vorrangig eben diese Dynamik gestoppt werden. Und so blieb der Versuch des damals noch jungen Winston Churchill erfolglos, die sich anbahnende Konfrontation zu verhindern. Bereits 1908 hatte er als frisch gekürter Handelsminister erklärt, er sehe „nichts, worum diese beiden großen Völker kämpfen sollten“. Noch im Frühjahr 1914 – nunmehr Marineminister – wollte er den drohenden Krieg um die britische Vorherrschaft vermeiden und einen Weg finden, das Wettrüsten zu beenden. Er empfahl seinen Kabinettskollegen, sich anlässlich der Kieler Woche mit dem Kaiser zu treffen und eine Lösung auf Gegenseitigkeit zu verhandeln. Doch seine Kabinettskollegen winkten ab. Sie hatten kein Interesse an einem friedlichen Ausgleich und wollten die britische Weltdominanz dadurch wiedererlangen, dass sie das aufstrebende Reich in die Knie zwangen.

Frankreich

Das Reich der Franzosen durchlitt im 19. Jahrhundert eine Phase politischer Unsicherheit. Nach der Niederlage Napoleon I bei Waterloo wurde das Königreich der Bourbonen restauriert. Durch eine republikanische Revolution abgelöst, usurpierte 1851 Napoleons Neffe Charles Louis mit einem militärischen Staatsstreich die Republik und ließ sich per Referendum 1852 als Napoleon III zum Kaiser ausrufen. Im Bestreben, die historische Große seines Onkels zu erreichen und die Schmach von Waterloo wettzumachen, trieb er nach einer verlustreichen Beteiligung am gegen Russland gerichteten Krimkrieg (1853-56) sein Land 1870 aus nichtigem Anlass in den Krieg gegen Preußen – und schuf so die deutsche Solidarität, die erst zur militärischen Niederlage Frankreichs und 1871 zur Gründung des ersten deutschen, demokratisch verfassten Bundestaates zwischen Nordsee und Alpen führte.

Frankreich konnte nach dem kriegsbedingten Abgang auch dieses Napoleons mit der Dritten Republik behutsam Fuß fassen. Wirtschaftlich und kulturell ging es voran – doch das Reich der Franzosen hinkte in Industrieproduktion und Wirtschaftskraft deutlich hinter seinen beiden europäischen und dem amerikanischen Konkurrenten hinterher. Große Teile der französischen Führung sahen eine maßgebliche Ursache dafür im Verlust der Bergbau- und Industrieregionen in Lothringen, das 1871 ebenso wie das Elsass als ehemalige Gebiete des HRR zurück an das junge Deutsche Reich gegangen war.

Ohnehin hatte die selbstverschuldete Niederlage von 1870/71 das französisch-deutsche Verhältnis auf den Nullpunkt gebracht. Beide Länder betrachteten sich als Erbfeinde und ständige Bedrohung der eigenen Sicherheit. Frankreich wollte die seit dem 17. Jahrhundert annektierten, deutschen Reichsgebiete zurückholen, strebte weiterhin auch den Unterlauf des Rheins als Staatsgrenze an. In Übersee kollidierten die Interessen der beiden Nachbarn regelmäßig – ob im Buhlen um das Osmanische Reich oder in Marokko und selbst im zentralafrikanischen deutschen Kamerun und Togo, die Frankreich als Makel in seinem von Algier bis Brazzaville reichendem, westafrikanischen Kolonialreich betrachtete. Die Franzosen schmiedeten Allianzen mit den Briten und den Russen, die sie noch fünfzig Jahre zuvor auf der Krim bekämpft hatten.

Die Folge der schwelenden Konfrontation war angesichts der gemeinsamen Grenze eine massive Aufrüstung der Landstreitkräfte vor allem auf französischer Seite. 1905 steuerte jeder Franzose umgerechnet 15,50 Mark zur Armee bei. Der Deutsche musste nur 11,50 Mark berappen. Bis 1913 hatten die Franzosen ihre Pro-Kopf-Ausgaben für die Landstreitkräfte auf 19,30 Mark gesteigert. In Deutschland lagen sie bei 14,90 Mark.

Ein psychologisches Problem der Franzosen war die sich dort bereits zu diesem Zeitpunkt abzeichnende Stagnation der Bevölkerungsentwicklung. In den acht Jahren zwischen 1905 und 1913 wuchs die französische Bevölkerung gerade einmal um eine halbe Million Menschen auf 39,7 Millionen. Das germanische Nachbarreich steigerte sich dagegen um 6,9 auf 67,5 Millionen. Die französische Politik sah sich auch infolge der Niederlage von 1870/71 einem an Masse, Wirtschaftskraft und militärischer Fähigkeiten überlegenem Gegner gegenüber, gegen den es allein sich außerstande sah zu bestehen.

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Kommentare ( 15 )

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Medley63
7 Jahre her

Sehr richtig. Deutschland profitiert nur vordergründig vom Euro. Hintergründig bahnt sich allerdings eine – ich übertreibe nicht- epochale(!) Katastrophe an und wenn der große Knall kommt -und der MUSS aufgrund der enormen Ungleichgewichte, die aufgebaut wurden und weiter aufgebaut werden, irgendwann kommen- wenn also diese gigantomanische Blase platzt, dann werden sich all die ökonomischen „Erfolge“ Deutschlands, die die Politik jetzt noch eitel als ihr Werk für sich beansprucht, als lächerlicher Kleckerkram gegenüber den gigantischen negativen Folgen des Zusammenbruchs des Euro-Systems aufzeigen.

Andrea Dickerson
7 Jahre her

Gern geschehen

Kuno
7 Jahre her

1914 war Italien nicht in einem Bündnis mit Österreich- Ungarn oder Deutschland, sondern neutral!
Der britische Gesandter ist im Herbst 1914 nach Rom gereist und versprach dem italienischem König für den Fall des Kriegseintritts gegen die Mittelmächte nicht nur Südtirol, sondern auch Gebiete in Griechenland.

Kopfbrettbohrer
7 Jahre her
Antworten an  Kuno

Nein – seit 1882 befand sich Italien im sog. Dreibund mit Deutschland und Österreich, der ganz klar ein Bündnisvertrag war.

Marcel Börger
7 Jahre her

Danke Herr Spahn, für diesen fulminanten Ritt durch die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert, mit den beiden großen Kriegen, die die Welt nachhaltig erschüttert haben. Die Mär der (alleinigen) Deutschen Kriegsschuld am 1. Weltkrieg hält sich schon sehr lange und sehr hartnäckig. Der regelmäßige Tunnelblick, der jede Mitverantwortung anderer Großmächte ausblendet, ist vermutlich nur ideologisch erklärbar. Bis heute hält sich die historische Halbwahrheit hartnäckig, der 2. Weltkrieg habe seinen Anfang mit dem Deutschen Überfall auf Polen seinen Lauf genommen. Richtiger weise müsste der Überfall auf Polen, der Deutschen/sowjetRussische genannt werden, wie er im Hitler-Stalin-Pakt… Mehr

bernhard hügel
7 Jahre her

geschichte sind die lügen, auf die man sich geeinigt hat.geschichte wird von den siegern geschrieben. leider ist es seit jahrzehnten in deutschland üblich, sich mit „alleinschuld“ in allen bereichen zu ziehren. speziell die deutsche geschichte seit dem aufstiegs preußens wird um 180 grad verdreht, verfälscht. herr spahn ,sie haben einen wertvollen beitrag zur jüngeren deutschen geschichte geleistet. leider wird sich das in einer breiten öffentlichkeit nicht niederschlagen. machen sie weiter!!!

as140
7 Jahre her

„Leider scheint es heute keine Friedensbewegung mehr zu geben“

So etwas wie Weltfrieden wird es nie geben, ganz gleich wie viele Bewegungen sich dafür einsetzen.

Rapsack
7 Jahre her

„Dieses Land ist besessen von der deutschen Kriegsschuld und völlig krank und kaputt, wenn es um die deutsche Geschichte geht!“

Meine These ist: die politische Linke braucht diese Kriegsschuld für ihr eigenes Selbstverständnis nur so läßt sich begründen alles andere als links ist böse, weil gewalttätig. Gleichzeitig verhindert sie so die korrekte Aufarbeitung der politisch Linken nach dem Weltkrieg und deren Anteil am Untergang der weimarerrepublik etc….

Hamburg ist tagesaktuell, man vernehme nur was aus dem Linken Lager kommt.

Deswegen wird die Besessenheit von der Kriegsschuld so befördert.

Ghost
7 Jahre her

„In naiver Selbstüberschätzung in den Krieg“ Stimmt leider. Stefan Zweig beschreibt diese Attitüde gut in seinem Buch „Die Welt von Gestern“. Man glaubte, es würde ein Krieg wie 1866 oder 1870 werden. Man ahnte nichts von der neuen Waffentechnik und übersah die internationalen Bündnisverflechtungen. Aber vielleicht wollte wirklich niemand ernstlich Krieg. Noch einschneidender wirkte das „Danach“: der Versailler Vertrag und die Bornierheit der Deutschen, die sich als Opfer fühlten: sie wollten nicht einsehen, dass weite Gebiete, insbesondere in Nordostfrankreich und Belgien dem Erdboden gleich gemacht wurden, ganze Ortschaften verschwanden von der Landkarte, man versuchte sogar, eine fremde Kultur auszulöschen. Im… Mehr

Gero XC
7 Jahre her

Die überzogene These von einer deutschen Alleinschuld an WW1 ist nicht mehr haltbar, siehe dazu Christopher Clark – Sleepwalkers. Speziell Frankreich und das zaristische Russland, auch Grossbritannien haben sich in ‚Thucidides Trap‘ – siehe Graham Allison – hineinziehen lassen, sie konnten gewinnen, haben durch ihren Versuch, einen Newcomer [D] militärisch zurück zu drängen, gleichzeitig das Europa des 20. Jahrhunderts zerstört. Und noch im 21. Jahrhundert verlangt ein durch 2 nicht aus eigener Kraft verdiente Siege arrogant gewordenes Frankreich, dass Deutschland ihm (und anderen Ländern) seine permanenten Defizite und verlorene Wettbewerbsfähigkeit mit Milliardenbeträgen finanziert.

Kuno
7 Jahre her
Antworten an  Gero XC

Ich habe Clark auch gelesen, halte mich aber lieber an das Original.
Wilhelm II: „Lebenserinnerungen“

Jörg Themlitz
7 Jahre her

Danke Herr Spahn und ich nehme an auch Mitarbeiter. Wer Zeit und die nötige Energie hatte, konnte sich in den vergangenen Jahren dieses Wissen selbst erarbeiten. Die Dokumente dazu sind weites gehend frei verfügbar. Man hatte aber in Diskussionsrunden stets schlechte Karten. Da die Mehrheit bei den faktenfreien Propagandagläubigen lag und liegt. Charakteristisch, das DDR Fernsehen 2.0 bringt eine Dokumentation zu den oben genannten Staaten und in etwa diesem Zeitrahmen. Für Frankreich, England und die USA werden die Erfolge herausgestellt. Während die deutsche Geschichte in etwa 1850 endet und erst 1914 als „militaristischer Staat“ wieder einsetzt. Die erfolgreichste Zeit Deutschlands… Mehr