Der Westen hörte nicht zu: Putin hat zu jeder Zeit sein Vorgehen angekündigt

Putin hat aus seinen Absichten nie einen Hehl gemacht, doch im Westen nahm man das offensichtlich nicht ernst. Nun zerstört der Kreml-Herrscher mit der Souveränität der Ukraine auch das Völkerrecht und lässt westliche Träumereien zerplatzen.

IMAGO / ITAR-TASS
Russischer Panzer in der Nähe von Donetsk

Vorweg eine Klarstellung: Das, was wir gegenwärtig zwischen Bug und Don erleben, ist der Russisch-Ukrainische Krieg, und er hat bereits 2014 mit der Besetzung der ukrainischen Krim und den Ostprovinzen begonnen. Was wir gegenwärtig erleben, ist der Übergang von einem warmen in einen heißen Krieg.

Wie in jedem Krieg spielen auch in diesem Krieg Lügen und Desinformationen eine entscheidende Rolle. Und die Frage nach der angeblichen Legitimität des Krieges. Beides ist in vielerlei Hinsicht von Bedeutung – nicht nur für jene unermüdlichen Putin-Anhänger, die dessen Neo-Eurasiatische Ideologie teilen und jeden Völkerrechtsbruch des Leningraders feiern. Wesentlich bedeutender sind die Lügennarrative für jene, die unmittelbar in den Konflikt involviert sind. Denn dabei geht es auch darum, wie ein Krieg geführt wird.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Wer Ohren hatte zu hören, der konnte längst wissen, wie dieser Krieg nun ablaufen wird. Insofern sind mir auch nicht die Gäule durchgegangen, wie ein Leser meinen Text zum weiteren Ablauf kommentierte. Denn eines kann man Putin nicht vorwerfen: Dass er aus seinen Absichten jemals ein Hehl gemacht hätte. Das Szenario war seit spätestens 2014 bekannt. Die jetzt eingeleiteten Schritte hat Putin ebenfalls nie versteckt. Nur wollte der Westen nicht zuhören. Die Kommunikation zwischen Putin und seinen westlichen Gesprächspartnern hatte keine gemeinsame Verständnisbasis. Das klassische Problem: Politiker sind unfähig, sich in den Kopf des Gegenübers zu denken – stattdessen denken sie ihren eigenen Kopf in den des Gegenübers. Das kann nicht funktionieren, und es hat noch nie funktioniert.

Spätestens mit dem überflüssigen Besuch des Olaf Scholz im Kreml hätte jeder wissen können: Putins Drehbuch steht – und diplomatisches Geplapper wird ihn nicht abhalten, danach zu verfahren. In der Pressekonferenz zum Abschluss des Besuchs fielen die entscheidenden Stichworte. Putin ließ wissen, dass die Duma fordere, die sogenannten Volksrepubliken auf ukrainischem Boden anzuerkennen. Er habe aber noch nicht darüber entschieden. Letzteres war eine Lüge, um seinen Gesprächspartner ein wenig zappeln zu lassen – eine von vielen. Das Duma-Scheinparlament entscheidet nichts, ohne dass Putin diesem zuvor zugestimmt hat. Mit dem Duma-Beschluss hatte sich Putin die Scheinlegitimation für sein weiteres Vorgehen geschaffen.

Das zweite Stichwort lautete „Völkermord“. Ein Völkermord, den die Ukrainer angeblich an den Russen in den beiden Ostprovinzen vornähmen. Auch das ist eine Lüge allein schon deshalb, weil die Selenskyj-Regierung sorgfältig jeden möglichen Anlass für eine russische Intervention vermieden hat. Doch dieses Stichwort sollte die anstehende Invasion legitimieren – Putin orientierte sich zynisch an der Begründung, mit der die NATO einst ihren Angriff gegen Serbien begründete. Nur mit dem Unterschied, dass serbisch gesteuerte Einheiten tatsächlich Massenmorde an vor allem muslimischen Mitbürgern im Kosovo unternahmen und es nicht um die Unterstützung eines völkerrechtswidrig installierten Systems prorussischer Separatisten eines souveränen Staats ging.

Neo-Appeasement und große, leere Worte
Das historische Versagen von Biden, Obama und Merkel machte Putin die Bahn erst frei
Das dritte und für den Verlauf des Krieges entscheidende Stichwort fiel wenig später. Putin aberkannte der Ukraine die Eigenstaatlichkeit und bezeichnete die demokratisch legitimierte Regierung als „Junta“. Auch das sind Lügen – aber solche mit System und mit einem Ziel. Die Aberkennung einer ukrainischen Eigenstaatlichkeit bildet die Grundlage dafür, einen Krieg führen zu können. Denn dieses Narrativ hebelt ein nunmehr über einhundertjähriges Kriegsrecht aus, auf welches sich die kultivierten Staaten 1906 in der Genfer Konvention und 1907 in der Haager Landkriegsordnung verständigt hatten. Diese Verträge legten unter anderem fest, dass einem bewaffneten Konflikt eine offizielle Kriegserklärung voranzugehen hat. Sie wollten weiterhin sicherstellen, dass die Zivilbevölkerung nicht unnötig unter bewaffneten Konflikten leiden muss.

Nun mag man durchaus feststellen, dass solche hehren Ziele in Kriegen regelmäßig auf der Strecke bleiben – doch Putin hat mit seinem Vorgehen klargemacht, dass er zu keinem Zeitpunkt auch nur im Ansatz daran gedacht hat, bei seiner militärischen Übernahme des Nachbarlandes irgendwelches internationales Recht gelten zu lassen.

Putin spricht von einer „Militäraktion“. Sie findet aus russischer Beschreibung statt in einem Land, das es nicht gibt und das von einer kriminellen Junta okkupiert wurde. Deshalb musste Putin keine Kriegserklärung überreichen – und er muss sich nicht einen Deut um jene Grundsätze scheren, die in den Verträgen von 1906 und 1907 auch vom russischen Zaren unterzeichnet worden waren.

Die russische Invasionsarmee muss und wird in ihrem Kampf gegen die Ukrainer keinerlei Rücksicht nehmen. Sie kann Städte und ihre Zivilbevölkerung bombardieren, Flüchtlingsströme angreifen, Standgerichte durchführen. Putin ist zurückgefallen in die Barbarei und hat so sich und sein Land aus dem Konsens der zivilisierten Nationen geführt.

Putins Ziel ist es, über seinen neorussischen Imperialismus in alle vorstellbare Ewigkeit als der große Restaurator des Russischen Großreichs in den Geschichtsbüchern zu stehen. Nichts wird ihn nun noch davon abhalten – und er hat es jeden zu jeder Zeit wissen lassen, noch bevor der nächste Schritt in seinem Krieg gegangen wurde. 

Doch die westliche Politik wollte nicht hören, was sie zu hören bekam. Zu sehr hat sie sich verrannt in ihrer Schimäre einer Welteinheitsregierung, geeint durch globalen Handel und in der angeblich alternativlosen Klimaweltenrettung. All das aber steht jetzt zur Disposition. Nicht nur in der Ukraine. 

Putins Russland bombt jetzt die Zivilisation zurück in vormoderne Zeiten. Die Solidaritätsbekundungen der westlichen Träumer an die Ukraine sind in der aktuellen Situation nichts anderes als der Zuruf an jemandem, der von einem brutalen Straßenräuber verprügelt wird, man sei in seinem Leid bei ihm. Jene, die zum x-ten Mal „alles“ zu tun versprechen und nichts machen werden, sollten einfach nur noch still sein.

Oder, um es sarkastisch zu fragen: Sind die 5.000 Helme, die die Bundesregierung großzügig angekündigt hatte, eigentlich schon in der Ukraine? Falls nicht, kann Christine Lambrecht sie nun zurück ins Bundeswehr-Magazin legen. Sie werden keinen einzigen Kopf retten. Und jeder, wirklich jeder, hätte es wissen können, wenn er seinen Blick auf Russland nicht mit Illusionen verstellt hätte.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 137 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

137 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
PM99
2 Jahre her

Interessant ist vor allem, dass Leserzuschriften, in denen das versucht wird, ewig in der Warteschleife schmoren, bis sie freigeschaltet werden und dann kaum noch auffindbar sind. Ich habe meine Konsequenzen daraus gezogen.

Bubi1111
2 Jahre her

Und dieser Scherbenhaufen ist sicherlich gewollt um den regime-change in Russland weiter voran zu treiben. Ist Russland in die Falle gegangen oder hat sich die USA-Administration verkalkuliert? Summa summarum war die CIA-Politik nicht gerade klug, sondern sehr dumm. Die Bilanz ist für den Frieden schlecht.

alter Preusse
2 Jahre her

Putin hat die Dramaturgie und die Praxis der völkerrechtswidrigen Aggressionskriege der USA und der NATO übernommen. Es scheint das er auch die Fehler nach macht. Entscheidend wird sein was nach einem raschen militärischen Sieg – wenn er denn kommt – politisch passiert. Chaos und Bürgerkrieg wie Im Irak oder in Afghanistan oder ein stabiler, funktionierender und lebensfähiger Staat.
Übrigens würde ich das Kiewer Regime mit seinen Bandera-Banden so wenig vermissen wie Saddam Hussein, Gaddafi oder Sultan Erdolf.

Kampfkater1969
2 Jahre her

Exakt, deshalb ist es auch zu Kurz gedacht, die Ursprünge irgendwo im Jahre 2014 zu suchen. Seit 1990 Läuft dieses Spiel, Russland zu isolieren und zerschlagen. Wer glaubt, dass heute bereits das Endspiel eingeläutet worden ist, wird sich gewaltig täuschen! Und wer glaubt, das am Ende der Westen als Sieger dastehn wird, wird ebenfalls arg entäuscht sein. China wird es nicht zulassen, dass Russland ganz oder in Teilen an den Westen fällt. Letztenendes wird Russland chinesisch dominiert sein. Europa wird das Armenhaus der Welt und darf sich von den Krümeln ernähren, den die chinesisch-russische Beziehung übrig lässt! Und an die… Mehr

nichtsalsdieWahrheit
2 Jahre her

Für Deutschland wird dieser Krieg bitter enden! Deutschland ist jetzt nach meiner Meinung sozusagen Kriegspartei! Laut mehreren Berichten u.a. Deutsche Wirtschaftsnachrichten, Bild usw. liefert Deutschland 1.000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger. Putin wäre blöd wenn er dieses unbeantwortet ließe! Ich an seiner Stelle würde sofort die Gaslieferungen einstellen! Außerdem muss man sich fragen ob dies nicht eine Einmischung eines Nato-Landes bedeutet. Es kommen böse Zeiten auf die Deutschen zu dank der unfähigen Politiker.

Der Ketzer
2 Jahre her

Ich glaube, dass man noch etwas weiter in die Zeit vor vor 2014 zurückgehen muss. Zu den Ersten, die in der Ukraine für Unruhe gesorgt haben, gehört zweifellos die EU mit ihrem damaligen Assozierungsabkommen. Die Ukraine hatte seinerzeit bereits Freihandelsabkommen mit Russland, Belarus und Kasachstan geschlossen und stand kurz vor der Aufnahme in die Eurasische Zollunion. „Der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch bat am 3. September 2013 das Parlament, Gesetze zu erlassen, um den Beitritt zur EU schneller ermöglichen zu können (zu nennen wären Gesetzesangleichungen). Am 18. September 2013 stimmte das ukrainische Parlament den Empfehlungen des Präsidenten zu. In diesem Zusammenhang sagte… Mehr

Jan
2 Jahre her

Eine interessante Frage wäre, was die Amerikaner tun würden, wenn die Bundesregierung sich trotz Sanktionen geweigert hätte, Nordstream 2 stillzulegen. Biden: „Das werden wir zu verhindern wissen“. Ich halte ein Ausrücken der hier stationierten US-Truppen nicht für unwahrscheinlich, um eigenhändig in Meck-Pomm den Hahn abzudrehen. Es ist naiv zu glauben, dass die Amerikaner diese letzte Eskalationsstufe nicht besteigen würden. Seit 150 Jahren ist es in Bezug auf Europa das Hauptinteresse der USA, eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Und für dieses Interesse würden die Amerikaner auch militärische Gewalt einsetzen. An der Ukraine-Krise gibt mir nicht die russische Invasion… Mehr

Franz Liszt
2 Jahre her

Biden hat seit dem ersten Tag seiner Präsidentschaft Russland und Putin im Visier, gerade weil die Lüge, das Trump ein Russischer Agent sei, aufgeflogen war. Er konnte den Schmach dieser Niederlage nicht auf sich und der Demokratischen Partei sitzen lassen ohne wenigstens nachzuweisen, was für ein furchtbarer Gegner die Russen und Putin seien, in der Tat steht das jetzt fest, durch tote Ukrainer ausreichend manifestiert. Putin hatte immer Pläne für die Ausweitung Russlands, sicher steht Deutschland auf Seite 220, aber bis Team Biden Ihre lachhafte Inkompetenz nachgewiesen hatten, war es eben nur ein Plan, jetzt ist Deutschland auf Seite 120… Mehr

J. Werner
2 Jahre her

Der Westen muss die 5.Kolonne Putins unschädlich machen, wie es im 2.Wk mit den Auslandsnazis und der Kollaboration geschehen ist. Die hybride Kriegsführung Putins ist sehr weit vorgedrungen und hat schon einen gigantischen Erfolg, was Lügenmärchen und Desinformation betrifft. Ein Autokrat, der mordet und in souveräne Staaten einfällt und 1000de Menschen in Gulags gebracht hat, wo er sie dahinsiechen lässt, wird hier von einer großen Fangemeinde verehrt, fast wie ein Heiliger. Jedes Wort wird ihm geglaubt, obwohl seine Taten jedermann bewusst sein müssen. Aber: wieviele unserer führenden Politik – und Wirtschaftsleute haben sich von ihm kaufen lassen oder halfen ihm… Mehr

Rainer Neuhaus
2 Jahre her

Ehrlich gesagt, mir wird nur noch schlecht, wenn ich die ganzen Putin-Russland-Versteher hier lese. Die teilweise absurden und sachfreien Vorwürfe der Einseitigkeit an H. Spahn machen mich nur noch fassungslos.
Wenn ich mal davon ausgehe, dass diese Herrschaften KEINE Trolle aus St. Petersburg sind, dann steht es um Deutschland noch deutlich schlechter als eh schon.
So, dann klickt jetzt mal alle Daumen nach untern.

Enrico
2 Jahre her
Antworten an  Rainer Neuhaus

Die deutsche Regierung kann nicht FREI und SOUVERÄN agieren, Deutschland ist und bleibt aufgrund des verlorenen Krieges ein Vasall der 4 minus 1 Siegermächte. Alles andere ist eine vollkommen naive Denke. Ich schlag mich auf keine Seite, ich finde nur diesen Umstand (der immer wieder einem Tabu gleich unterschlagen wird) mehr als traurig. Auch daß keine Regierung in der Lage war auch nur annähernd etwas in eine neutralere Richtung zu ändern. Eine grosse ‚Schweiz‘ im Herzen Europas ist durch diese fremdbestimmte Einordnung (Vergatterung) leider nicht (mehr) möglich und wird auch seit 70 (30) Jahren bewußt verhindert. Und das hätte dieser… Mehr

Finnegan
2 Jahre her
Antworten an  Rainer Neuhaus

ZUSTIMMUNG! – Es ist in der Tat unerträglich.
Und als regelmäßiger Leser von TE frage ich mich langsam, aus welcher unerquicklichen Ecke alle diese den realen Vorgängen hohnsprechenden Äußerungen wohl stammen mögen?
Wie verblendet kann man eigentlich sein, wenn man sich hier immer noch als Putin-Versteher, – Rechtfertiger und -Verharmloser geriert?
Traurig und erschreckend.

Kristina
2 Jahre her
Antworten an  Rainer Neuhaus

Mir geht es genauso. Ich bin entsetzt, wie viele Putin-Versteher es hier im Forum gibt. Bei aller Kritik, die ich auch an der Politik Deutschlands, der EU und den USA habe, kann ich nicht einen Überfall mit einer Militärübermacht auf ein anderes Land rechtfertigen. Ich bin entsetzt, wie viele jegliche Kritik an Putin und seinem System als unbewiesene Behauptungen abtun. Man lebt gerne in unserem System, was man aber eigentlich ablehnt. Offenbar gibt es hier viele Leute, die gerne im System Putin leben wollen. Anders kann ich das nicht interpretieren. R. Tichy hat bei Hangar 7 auch die Westmächte kritisiert.… Mehr