Bundestagswahl: Entschieden ist – nichts!

Tatsächlich kann sich ein einiges Bündnis aus FDP und Grünen seinen Kanzler aussuchen. Und da wird es spannend.

IMAGO/phototek

Alea jacta est – der Würfel ist gefallen. Das dachte sich für einen kurzen Moment der Spitzenkandidat der SPD, als ihm bewusst wurde, dass die Partei, die ihn als Vorsitzenden verschmäht hatte, im künftigen Bundestag stärkste Fraktion sein werde. Doch wer ihn länger kennt, der konnte bereits in der sogenannten Elefantenrunde in seinem Gesicht erste Anzeichen von Panik erkennen. Und das nicht ohne Grund.

Die Ampel ist nicht in Stein gemeißelt

Die nächste Bundesregierung wird eine Ampel unter Führung der SPD sein. Das schien nicht nur für Scholz in Stein gemeißelt – auch die TE-Redaktionskollegen schienen sich einig. Dabei gilt: In Stein gemeißelt ist nichts. Denn unter dem Strich ist das Wahlergebnis für fast alle desaströs. Die Union mit Armin Laschet an der Spitze – auf historischem Tiefststand noch hinter der SPD. Die Kommunisten, die ihr einstiges Zugpferd Sahra Wagenknecht durch ein linksextremistisches Emanzenpaar ersetzt hatten, nun sogar unter der Fünf-Prozent-Grenze. Eine AfD, die sich zwar erwartungsgemäß behaupten konnte, aber dennoch von Platz 3 auf den fünften zurückgefallen ist. Verhaltener Grund zum Jubel nur bei der FDP, die die Schwäche der Union nutzte und sich leicht verbessern konnte. Und dann Bündnis 90/Die Grünen. Eine Partei, die durch den von ihren Supportern in Medien und NGO gehypten Prognosenerfolg sogar meinte, mit einem Kanzlerkandidaten ins Rennen gehen zu müssen – und die insofern trotz eines spürbaren Zugewinns als gescheitert anzusehen ist.

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Nun rächt sich bereits, dass die Parteien und die Medien das bundesdeutsche Parlamentarismusmodell bis zur Unkenntlichkeit verdreht haben. Dass dem dummen Volk regelmäßig der Eindruck vermittelt wird, es könne bei Bundestagswahlen darüber bestimmen, wer der nächste Kanzler wird. Doch das ist eben genau so nicht. Der Wähler bestimmt Fraktionsstärken. Und diese Fraktionen sollen dann eine Regierung bilden. Das genau soll nun geschehen – und da ist es das gute Recht auch des Verlierers Laschet, seinen Hut in den Ring zu werfen. Der Poker um die Macht hat begonnen. Wer ihn gewinnt, ist derzeit offen.

Die Chancen des Olaf Scholz

Allen voran die SPD beginnt bereits zu greinen. Scholz erzählt etwas davon, es gäbe für ihn einen klaren Regierungsauftrag. Die Deutschen hätten einen Regierungswechsel, einen politischen Neuanfang gewählt. Ist dem so? Nun, dann sollte sich der Mann aus Osnabrück umgehend aus der Politik zurückziehen. Seine SPD schließlich war es, die in den vergangenen vier Jahren unter Merkel und einer inhaltlich entkernten Union die bundesdeutsche Politik bestimmt hat. Der Vizekanzler als Oppositionschef, der nun für einen Neuanfang steht? Lächerlich. Doch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil assistiert. „Die Deutschen“, die nun plötzlich wieder existieren dürfen, hätten Scholz als Kanzler haben wollen und Laschet quasi abgewählt. Eine hübsche Legende, die nur eines deutlich macht: Die Grundrechenarten sind nichts für Sozialdemokraten.

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Wenn die Kür eines sogenannten Kanzlerkandidaten einen Vorteil hat, dann ist es jener, dass man nach der Wahl tatsächlich genau sehen kann, ob jemand „vom Volk“ als Kanzler gewünscht ist. Im Falle Scholz hätte dieses bedeutet: Er hätte bei diesen Bundestagswahlen mindestens 66 Prozent erringen müssen. Warum? Nun: Eine Mehrheit der Deutschen existiert erst dann, wenn mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten diese bilden. Bei einer Wahlbeteiligung von 76,6 % wird dieses erst mit 66 % der abgegebenen, gültigen Stimmen erreicht. Tatsächlich aber verfügt die SPD nur über 19,7 % der Wahlberechtigten. Oder anders formuliert: Über 80 % der Deutschen hat nicht für Scholz als Kanzler gestimmt – wozu sie die uneingeschränkte Möglichkeit gehabt hätten. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die entsprechende Unterstützung für Laschet bei 18,5 % und bei Annalena Baerbock bei 11,3 % liegt.

Also wird von der SPD hilfsweise der ohne Zweifel zu konstatierende Niedergang der Union als Argument angeführt. Es könne doch nicht sein, dass ein eindeutiger Verlierer dennoch den Regierungschef stellt, wird unisono verkündet. Nun, vielleicht sollten sich die Sozialdemokraten daran erinnern, dass sie ein solches Argument auch nie interessiert hat, wenn es darum ging, Verlierer aus ihren Reihen über die Rekrutierung von Hilfstruppen an der Macht zu halten. Das bundesdeutsche System ist nun einmal so: Es entscheidet die Mehrheit im Parlament. Wie die zustande gekommen ist, interessiert am Ende niemanden mehr.

Die FDP erweist sich als gelehrig

Gleichwohl – ist es nicht naheliegend, dass in den anstehenden Verhandlungen alles auf die sogenannte Ampel aus SPD, Grünen und FDP hinauslaufen wird? Wer am Wahlabend genau hinschaute, konnte schnell Zweifel bekommen. Christian Lindner, nun tatsächlich der starke Mann der FDP, hatte die Zeichen der Zeit als erster erkannt. Vor vier Jahren von einer SED-inspirierten Angela Merkel als LDPD gleich einer willenlosen Blockpartei behandelt, ist entschlossen, nun selbstbewusst in die Regierung einzusteigen. Nach dem Ausfall der Kommunisten, die sich Scholz als Drohmittel erhofft hatte, sitzt Lindner jetzt am langen Hebel. Noch einmal wird er sich eine solche Behandlung nicht gefallen lassen – weder von der Union noch von der SPD.

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Auch eine andere Erfahrung hat ihn klüger gemacht. Der 2017-Fehler, sich gegen den anderen kleineren Partner ausspielen zu lassen, soll sich nicht wiederholen. Also ging er in die Offensive, drehte den Koalitionsspieß um. Während die öffentlich-rechtlich subventionierten Moderatoren noch in Altvätersitte von Scholz wissen wollten, wen er denn nun als erstes anrufe, erklärte Lindner nüchtern, dass er vor allem anderen mit den Grünen in Gespräche eintreten wolle. Da zwischen FDP und denen die größten inhaltlichen Probleme bestünden, mache es am meisten Sinn, dass diese beiden Parteien auf einen gemeinsamen Nenner kämen. Sollte dieses dann gelingen, könne man darüber nachdenken, mit welchem Kanzler der beiden etwas stärkeren Parteien das Regierungsprojekt angegangen werden solle.

Eine Klatsche für Scholz und die Offerte an die Grünen

Dem SPD-Gefühlt-Kanzler fiel angesichts dieses Vorschlags alles aus dem Gesicht. Schlagartig begriff Scholz, der sich schon als Regierungschef sah: Noch ist überhaupt nichts gelaufen. Keine Veränderung hingegen bei Laschet – das Häuflein Elend ist trotz deklariertem Machtanspruch ohnehin nur noch Wachs in den Händen jener, die mit ihm spielen möchten. Ganz anders aber Baerbock. Bislang ebenfalls gequält in die Welt schauend, sah sie sich nun mit einem Mal wieder in der Mitte des Spielfeldes, sprach beglückt etwas von „Klimaregierung“.

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Nun, die Dame aus der Mark sollte sich nichts vormachen. Der Lindner-Vorstoß galt nicht ihr. Angesichts des menschlich guten Verhältnisses zwischen dem FDP-Chef und dem eigentlichen, grünen Gewinner Robert Habeck dürfen wir davon ausgehen, dass der Lindner-Offerte bereits erste gelbgrüne Absprachen vorausgegangen sind. Habeck hatte kein Problem damit, diesen Weg später im Interview zu bestätigen, ohne eine Vorabsprache eingestehen zu müssen. Es sei doch vernünftig, wenn jene miteinander sprächen, die die größten Unterschiede zu überwinden hätten. Auf die übliche ÖR-Agitation, dass doch Grüne und SPD gleichsam geborene Partner seien und deshalb die Ampel auf der Hand läge, ging der Märchenbuchautor nicht ein. Da er im Gegensatz zu seiner Kollegin aus dem Völkerrecht als von dieser zum Agrarier gemacht über praktischen Menschenverstand verfügt, hat Habeck schnell erkannt, dass eine frühe Festlegung der grünen Sache nur schaden kann.

Laschets Chance ist die Arroganz der SPD

Tatsächlich kann sich ein einiges Bündnis aus FDP und Grünen seinen Kanzler aussuchen. Und da wird es spannend. Zum einen sind da grüne wie liberale Erfahrungen als kleiner Partner der SPD. Die sind nur selten erfreulich. Immer wieder klagten die Grünen im Off darüber, dass sie in solchen Koalitionen herablassend behandelt würden. Scholz, der offiziell von „Augenhöhe“ erzählt, ist da keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil gilt er als empathieloser Apparatschik. Das kann man sich als Grüner antun – aber man muss es nicht. In Hamburg denken manche Grüne immer noch nostalgisch an die gute menschliche Zusammenarbeit mit Ole von Beust zurück, die sie wegen der von Karin Prien gesteuerten Attacken gegen den erfolgreichen Bürgermeister in Sachen Schulpolitik hinwarfen.

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Lindner setzt gegen den autoritären Stil vor Selbstbewusstsein strotzender Sozialdemokraten auf die menschlichen Qualitäten eines Laschet. Tatsächlich mag man trefflich darüber streiten, ob der Aachener mehr oder weniger Kanzlerformat hat als der Osnabrücker. Tatsache aber ist auch: In NRW arbeiten CDU und FDP problemlos zusammen, die menschliche Ebene stimmt.

Darin wiederum liegt die Chance Laschets. Sie sollte nicht unterschätzt werden, denn auch wenn nach außen selten dieser Eindruck erweckt wird – Koalitionen funktionieren nur, wenn deren Protagonisten miteinander funktionieren. So, wie Angela Merkel und Scholz als emotionslose Technokraten miteinander funktionierten – und eine Paarung Merkel-Schröder in der Katastrophe geendet hätte.

Wie wenig Lindner und die SPD-Führung funktionieren werden, wurde nicht nur im Wahlkampf deutlich. Allein schon die Wahrscheinlichkeit, dass FDP und Grüne den ersten Aufschlag machen werden, verführte den SPD-Halbvorsitzenden Norbert Walter-Borjans am Morgen nach der Wahl dazu, den Graben zu den Liberalen um einige weitere Meter zu vertiefen – und dabei gleichzeitig die grünen Ressentiments wiederzubeleben. Offensichtlich von einer gewissen Panik ergriffen, ging der SPD-Mann zu dem über, was er vermutlich als Attacke versteht, wollte daher der FDP schon einmal im Vorgriff auf künftiges Geschehen unmissverständlich klarmachen, wer in der Ampel Koch und wer die Kellner sind. Herablassend bezeichnete er Lindner als „Voodoo-Zauberer“, dessen Wahlprogramm eine unsinnige Aneinanderreihung von Unsinnigkeiten sei. – Wir dürfen gewiss sein: Lindner hat es gehört und verstanden. Gehört haben es aber auch die grünen Führungsleute. Laschet darf sich für die rote Schützenhilfe bei seinem Ansinnen bedanken.

Doch Schwarz-grün-gelb?

Damit sind wir nun bei der schwarz-grün-gelben Variante. Unwidersprochen: Die Schnittmengen zwischen Grünen und SPD sind programmatisch deutlich größer als zwischen Grünen und FDP oder Union. Doch Programmatik ist etwas für Technokraten und Ideologen – nichts für Menschen mit empathischen Qualitäten.
Wir können davon ausgehen: Lindner will – und Habeck will. Hinter Habeck steht immer noch der eigentliche Kopf der Grünen – Altmaoist Jürgen Trittin. Diese beiden werden die Weichen stellen. Dabei ist Habeck für die Empathie zuständig. Kuscheln kann er – sogar mit Lindner. Mit einem am Boden zerstörten Laschet wird ihm sein Mitleid ebenfalls einen menschlichen Zugang eröffnen. Und mit einem Markus Söder? Dessen fränkisch-rauer Charme mag dem Küstenbewohner ungewöhnlich erscheinen – aber am Ende sind sich Holsteiner und Franken näher, als viele meinen. Man könnte sie als Peripheriker bezeichnen, die eher immer Randexistenzen leben mussten, als im Mittelpunkt der deutschen Länder zu stehen. Keine Frage: Söder und Habeck – das geht allemal besser zusammen als Habeck und Walter-Borjans.

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Der Aachener Laschet kann als rheinische Frohnatur ohnehin mit jedem. Auch mit dem anderen Verlierer, der gescheiterten Kanzlerkandidatin Baerbock, wird ihm ein menschelnder Umgang gelingen, während sie für die SPD-Granden ewig die nervende Gescheiterte bleiben wird. Die Tatsache, dass Baerbock am Ende nicht entscheiden wird, ob die Grünen sich mit der FDP einigen und dann gemeinsam ihren Kanzler ausgucken, mag zwar noch nicht bis zu ihr vorgedrungen sein – aber das wird schon. Zu viele Fauxpas, zu viele persönliche Fehler – und zu wenig politisches Verständnis dafür, dass ein Habeck den Grünen deutlich mehr Stimmen hätte bringen können. In die Senkgrube wird sie dennoch nicht verdammt werden – ich schrieb bereits früher von einer Endverwertung im Bundespräsidialamt. Diese Option steht auch unter Schwarz-grün-gelb – Steinmeiers Zeit neigt sich unweigerlich dem Ende zu, sollte die SPD in die Opposition müssen. Und selbst, wenn nicht: Der Posten ist Spielmasse im Koalitionspoker.

SGG liegt näher als RGG

Menschlich wird es folglich zwischen SGG besser funktionieren als zwischen RGG. Wie aber sieht es aus mit den Inhalten? Ich wiederhole es: Die Diskrepanzen zwischen Gelben und Grünen sind energischer als zwischen Schwarzen und Grünen. Dagegen gleich ausgeprägt ist der Wille zur Macht. Also werden sich beide Parteiführungen irgendwie zusammenraufen. Digitales und Wirtschaft, Klima und Schwarze Null – irgendwelche Kompromisse werden sich finden lassen. Das Ergebnis wird manche Kritiker beflügeln – aber es wird ein Ergebnis sein, mit dem die grüne und die gelbe Basis am Ende werden leben können, weil es ihnen den Weg zu Macht eröffnet.

Wer gelb gewählt hat, bekommt grün
Lieber ganz schlecht regieren, als gar nicht regieren
Bleibt dann nur die Frage: Mit welchem Kanzler? Die SPD setzt darauf, dass die linke Mehrheit der Grünen es schon richten wird. Doch sie könnte sich täuschen. Da ist nicht nur Lindner, der jede Ampel blockieren kann – auch wenn er damit den eigenen Machtverzicht einläutet, falls die Grünen sich ähnlich hinsichtlich Jamaika verhalten und so Union und SPD in die ungeliebte Neuauflage einer nicht mehr ganz so großen Koalition gezwungen werden.

Doch das wird nicht geschehen. Die entscheidende Frage wird lauten: Kann die grüne Führung gegen ihre linke Mehrheit eine Koalition mit Union und FDP durchsetzen? Und warum überhaupt sollte sie dieses wollen?

Strategisch geht es den Grünen unter Laschet besser

Die Antwort lautet: Ja. Sie kann es, wenn sich Trittin und Habeck einig sind. Womit wir nun beim Chefstrategen der Grünen sind. Trittin wird bereits am Wahlabend darüber nachgedacht haben, in welcher Konstellation die Zukunft der Grünen am besten gesichert ist. Und da wird es spannend.

Bundestagswahl
Gehampel eher um Ampel als um Schwampel
Oberflächlich zeigt die Kompassnadel auf die SPD. Doch das kann täuschen. Ein vor Selbstbewusstsein strotzender Scholz mit der traditionell arroganten SPD-Führung wird in einer Ampel im Licht der öffentlichen Zuwendung stehen. Den Grünen kann es in einer solchen Konstellation ergehen, wie vor ihnen schon anderen: Sie verschwinden im Schatten des Kanzlers auch dann, wenn sie ihre Ziele durchsetzen. Denn die werden schlicht von der SPD gekapert werden, ohne dass die Grünen dagegen opponieren könnten. Es ist ja ihre Politik, die nun Realität wird, aber von der SPD gemacht wird. Geht es gut, war es die SPD. Geht es, wie Fritz Vahrenholt befürchtet, via Strom-Blackout an die Wand, sind die Grünen schuld. Lachender Dritter in der Jamaika-Koalition ist so oder so die FDP. Sie wird sich ins Bremserhäuschen setzen und die regierungsinterne Opposition bilden. Was wiederum einer echten Opposition der Union manchen Schneid abkaufen wird.

Anders hingegen die Grünen in einer Koalition mit Schwarzen und Gelben. Haben sich die Vorturner auf Grün-Gelb geeinigt, ist schwarz die bessere Wahl vor allem für die Grünen. Denn dann sind sie es, die Misslichkeiten vor allem dem schwarzen Partner anlasten können, während sie selbst mögliche Lorbeeren in Umwelt und Klimaschutz ernten. Den einen oder anderen Kompromiss wird man seiner Basis verkaufen können, vor allem dann, wenn eine nun butterweiche Union letztlich alles abnicken muss, was ihnen von den künftigen Partnern diktiert wird.

Wie viel leichter ist es, mit einem ideologiebefreiten Laschet zu verhandeln, dessen politische Überlebenschance einzig der Einstieg in die Regierungsverantwortung ist – und wenn dieses annähernd auch für einen Söder gilt, der mit seinen bayerischen Kartätschen dem Rheinländer das Leben schwer gemacht hat und so seinen Anteil am Wahldesaster trägt?

In einer Koalition mit den Schwarzen können FDP und Grüne alles durchsetzen. Hier sind sie diejenigen, die sagen, wo es langgeht – und Laschet wird dankbar sein, dass sie ihn gerettet haben.

Ein Doppel-Waagscheißerle hat mehr Gewicht
26,3 Prozent Grüne/FDP und 25,7 Prozent SPD
In einer Koalition mit den Roten hingegen wird Scholz seinen Führungsanspruch durchsetzen wollen. Dass er es kann, hat er in Hamburg bewiesen. Ob seine Partei es ihm durchgehen lässt, steht auf einem anderen Blatt. Die Geschichte hat gezeigt: Die linke SPD-Basis duldet Pragmatiker aus ihren Reihen, wenn es um das Erringen der Macht geht. Sie duldet es aber nicht, wenn auch nach Jahren der Regierungsarbeit immer noch keine gesellschaftliche Neugestaltung zu erkennen ist. Brandt blieb im Regen stehen, als ihm ein DDR-UBoot im Kanzleramt um die Ohren flog. Schmidt wurde abgesägt, weil er den linksideologischen Pazifismus-Idiotien nicht folgen wollte. Scholz könnte es ähnlich ergehen, wenn eine Bundesampel den Ideologen zu wenig Marxismus schafft.

Wie die Weichen gestellt werden

All das wird Trittin längst durchdacht haben. Er wird sich darüber mit Habeck ins Vernehmen setzen. Sie werden gemeinsam die Aufgabe haben, den etwas beschränkten Anton Hofreiter ins Boot zu holen. Der Annalena werden sie irgendetwas zum Spielen in die Hand drücken, was sie ablenkt und glücklich macht. Und dann werden sie bei Lindner ihre wesentlichen Inhalte durchsetzen: noch mehr Windkraft und Solar, Ersetzen des klassischen Benziners durch Elektro und als Bonbon für die FDP innovative Alternativen, eine Ausstiegsperspektive für das Erdgas – und so weiter. Ein starkes Klima-Ministerium wird manchen Unmut befriedigen. Vielleicht darf Habeck sogar Finanzen – und Lindner geht doch ins Außenministerium. Oder umgekehrt. Die Union darf mitspielen und sich mit Innen, Verteidigung und den Gedöns-Ministerien (nach Schröder) zufriedengeben. Gern wird sie sich in diese Rolle fügen, wenn nur Laschet Kanzler darf.

Gratulation
Die Sieger der TE-Wahlwette zur Bundestagswahl
Für die Grünen wäre diese Koalition insofern allemal besser als jede Kooperation mit der SPD. Sie wird mit Schwarzgelb deutlich mehr durchsetzen können – und vor allem wird sie ihr eigenständiges Profil ausbauen. Also wird der grüne Chefstratege Trittin bereits jetzt an dieser Konstellation arbeiten. Habeck wird ihm dabei flankieren und die Galionsfigur machen. Und der gefühlte Wahlsieger Scholz hat gute Chancen, dass ihm sein Zugewinn nichts nützt und tatsächlich zumindest zur Hälfte das geschieht, was er im Wahlkampf ständig versprochen hat: eine Ablösung der ungeliebten Regierung aus Union und SPD, die eigentlich eine Regierung Merkel-Scholz gewesen ist.

In der Opposition geht die SPD nach Linksaußen

Sollte es so kommen, wird die SPD unweigerlich weiter und vor allem noch schneller in die linksradikale Ecke abdriften. Dann darf dort darüber nachgedacht werden, ob endlich zusammenwächst, was zusammengehört, und mit den schwächelnden Kommunisten eine Neuauflage der SED angegangen wird.

Zufrieden kann auch die AfD sein, denn eine Union, die sich unter dem inneren Zwang zur Unterwerfung unter grüne Politik weiter entkernt, wird ihr den Raum schaffen, noch mehr frustrierte Ex-Unionisten anzubinden. Sollte die Union in die Opposition müssen, wäre es nichts mit dieser Perspektive. Denn dann bewegte sich die entmerkelte Union zwangsläufig zurück zu ihren Wurzeln. Das mag zwar nicht notwendig zur Wiedereroberung der Macht führen, wird aber die Grundexistenz der Union sichern.

Insofern: Mit Jamaika wird nur die SPD ernsthafte Probleme haben. Mit der Ampel können aber selbst die Grünen nicht glücklich sein.

Die Nervosität der Scholzen und Borjans ist insofern durchaus nachzuvollziehen. Dachten sie am frühen Sonntagabend noch, ihre Schäflein ins Trockene gerettet zu haben, bekommen sie bereits tags darauf nasse Füße. Scholz wird seine Partei hart beanspruchen müssen, wenn er eine Chance aufs Kanzleramt haben will. Den Traum, dass er es ist, der die künftige Politik bestimmt, hat er allerdings schon vor Einstieg in die Sondierungen ausgeträumt. Als Kanzler wird es ihm nicht viel anders ergehen als Armin Laschet: Sie werden beide Vorturner von gelbgrünen Gnaden sein. Die Übungen allerdings bestimmen andere.

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Kommentare ( 78 )

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78 Comments
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josefine
3 Jahre her

Eine grossartige Analyse, die nicht nur aufzeigt, welche Koalitionen möglich sind, sondern uns auch die menschlichen Präferenzen der Akteure aufzeigt.
Interessant ist, dass erst die „Kleinen“ miteinander sprechen. Bisher war es doch so, dass der kleine Koalitionspartner zum Schluss gehört wurde und einige Brosamen einsammeln konnte.
Jetzt gibt’s eine neue Lage, nämlich vier Parteien, die sich einigen müssen.
Bestimmt kein leichtes Vorhaben!

ulix vanraudt
3 Jahre her

Zitat: „Über 80 % der Deutschen hat nicht für Scholz als Kanzler gestimmt – wozu sie die uneingeschränkte Möglichkeit gehabt hätten.“ … uneingeschränkt, ausgenommen in Berlin, wo das nur eingeschränkt möglich war.

Vision-ost
3 Jahre her

Entschieden ist nichts, die Ampel ist nicht in Stein gemeißelt, ja, dieser Meinung bin auch ich. Alle Parteien wollen Änderungen, natürlich zum Wohle aller Deutschen. Nur eine Partei möchte sogar die Welt umkrempeln – nein „retten“. Nur die Rettung – sie wird nicht gelingen. Auch die im Ansatz versuchten Gespräche mit schwarz – grün dann mit rot – grün werden keine Lösung herbei führen. Beiden großen Parteien ist doch wohl klar dass das „Grün“ unser finanziell angeschlagene Deutschland zum Armenhaus Europas machen wird. DENN, WER MIT GRÜN KOALIERT DER STETS VERLIERT Da ich das nicht der Union auch nicht der… Mehr

JamesBond
3 Jahre her

Aber Herr Spahn verderben Sie doch der „Volkspartei“ SPD nicht die gute Laune, wo Scholz doch alles anders machen will, wenn er endlich mal regieren kann. Wie abgehoben der ist, müsste jeder erkennen, als er nicht mal wusste wie hoch die Benzinpreis sind. Das wird ein Böses Erwachen für die Wähler, alles wird teurer und nichts funktioniert mehr in diesem Land.

merkelinfarkt
3 Jahre her

Wenn der Geisteszwerg Laschet, der mit den konservativen 10,1% der AfD im Bundestag nicht einmal reden und sie statt dessen als angebliche, „undemokratische Antisemiten aus den Parlamenten treiben“ will (hier CSU-Beifall), erst mal dementsprechend in der politischen Versenkung rückstandsfrei verschwunden ist, kann die CDU/CSU auch allein mit der FDP koalieren und sich mit Duldung der insoweit sicher hochinteressierten AfD sowohl Kanzleramt, als auch Regierungsposten sichern!
Alternativ kann die CDU/CSU aber auch in der merkelschen Laschetfalle verbleiben und sich von dort aus weiterhin so unterwürfig wie vergeblich den jungen, grünen Klimatänzerinnen andienen.

Ingo Heu
3 Jahre her

Läuft die Wahlwette eigentlich noch? So lange ist es schließlich noch nicht her, dass der letzte Wähler in Berlin seine Stimme abgegeben hat und wie Sie hier schreiben: „entschieden ist nichts“. Deshalb würde ich gerne noch einen Tipp abgeben. In den nächsten Tagen wird Olaf Scholz doch noch wegen Warburg niedergestreckt. Dann wird entschieden, dass die Wahl wegen des Berlindebakels ungültig ist. Neuwahlen müssen her. Die Grünen stellen Habeck als Kanzlerkandidaten auf, die CDU Söder. Die Grünen gewinnen, FDP gewinnt weiter hinzu, die Linken erreichen wie durch ein Wunder 5% oder mehr. SPD und CDU verlieren weiter. Bis zu den… Mehr

Ticinese
3 Jahre her

Grandiose Analyse. Lindner pokert zwar hoch, dürfte aber mit einem Kanzler Laschet von seinen Gnaden das Spiel gewinnen.
Ob die Rechnung für die Grünen aufgeht, scheint fraglich: Sobald die negativen und rel. nutzlosen Folgen einer „Klimapolitik“ zutage treten, wird vielleicht sogar das deutsche Volk meutern, – und Lindner schiebt`s locker auf die Grünen.
Wie auch immer. Deutschland ist zumindest der Kelch einer linken Volksfront (vorerst) vorübergegangen.
 
 

Hueckfried69
3 Jahre her

Es gibt noch eine Option, aber die liegt zeitlich weit weg: Dass nämlich Laschet und/oder Scholz, genervt von der Klimahysterie der Grünen, den Kanal vollhaben und sagen: Lass‘ uns die Groko weitermachen!

Last edited 3 Jahre her by Hueckfried69
moorwald
3 Jahre her

Überhaupt Koaltionen:
Adenauer hat sinngemäß mal gesagt, daß er gar keine absolute Mehrheit möchte.
Denn dann würde das Regieren schwieriger… Wenn man aber auf einen Koaltionspartner Rücksicht nehmen muß, hat man gegenüber den eigenen Leuten immer eine Ausrede: ich würde gern, aber ich kann nicht…

Nix fuer ungut
3 Jahre her

Vielleicht sollte der neue Bundestag das tun für das er da ist, einen Kanzler wählen. Dieser kann dann eine Regierung aus verschiedenen Parteimitglieder bilden.
Koalitionsverhandlungen sind vom GG nicht vorgesehen.

moorwald
3 Jahre her
Antworten an  Nix fuer ungut

Da haben Sie etwas übersehen: Der Bundeskanzler (m/w/d) wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten gewählt. Und wen wird der BuPrä vorschlagen? Sicher nicht einen, der garantiert keine Mehrheit bekommen wird. Und wer wird ihm einen aussichtsreichen Kandidaten vorschlagen? Fraktionen (im Bundestag gibt es keine Parteien), die sich auf einen solchen geeinigt haben.(Ausnahme: absolute Mehrheit einer Fraktion). Anders ist es gar nicht denkbar. Zum rechtlichen Status von Koalitionsvereinbarungen hier in Stichworten Konrad Hesse (Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland): „keine rechtlichen Vereinbarungen“ – „insbesondere nicht verfassungsrechtliche Verträge“ – „sondern politische Absprachen“ – „freilich nur zulässig in den von der Verfassung gezogenen Grenzen“… Mehr