Merkel: Plan und Dilemma

Sollte Merkels Flüchtlings-Deal mit Erdogan nicht funktionieren und die Migrationszahl wieder ansteigen, läuft die Union Gefahr nicht nur bei 30 Prozent in den Umfragen zu landen, sondern darunter. Dann hätte die Kanzlerin zu hoch gepokert und würde die Zeit bis zur Bundesversammlung am 12. Februar 2017 politisch gar nicht mehr überleben.

Es ist inzwischen kein alltäglicher Vorgang mehr, dass ein Amtsträger öffentlich ankündigt, aus Altersgründen nicht erneut für ein hohes Amt kandidieren zu wollen. So geschehen in dieser Woche im Schloss Bellevue in Berlin. Bundespräsident Joachim Gauck hört im nächsten Jahr auf. Für diesen Schritt gebührt ihm Respekt und Anerkennung.

Schon jetzt läuft das Personalkarussell um seine Nachfolge. Zwar versuchen die Spitzen der Berliner Koalition Zeit zu gewinnen, um in Ruhe Optionen auszuloten. Im üblichen Politiksprech heißt das dann, dass aus dem Respekt vor dem Amt nicht sofort über die Nachfolger spekuliert werden dürfe. Tatsächlich wird bereits seit dem Wochenende über die Nachfolge hinter den Kulissen geredet.

Die Bundespräsidentenwahl im Frühjahr nächsten Jahres wird, wie jede Bundespräsidentenwahl zuvor auch, ein Spiegelbild der derzeitigen und möglichen Mehrheitsverhältnisse in diesem Land sein. Zumindest wird die Kanzlerin bestrebt sein, die Wahl zu ihren Gunsten auszunutzen. In der Vergangenheit hat sie nicht nur gute Erfahrungen damit gemacht. Horst Köhler trat kurz nach seiner Wiederwahl beleidigt zurück und die damalige christlich-liberale Koalition setzte Merkels Favoriten Christian Wulff durch. Seine Amtszeit endete ebenfalls vorzeitig und kann zumindest als unglücklich bezeichnet werden. Gegen Merkels Wille setzte dann die FDP Joachim Gauck durch, ohne dass die Kanzlerin dies verhindern konnte. Sie machte gute Miene zum bösen Spiel des Koalitionspartners. Dieses Aufbäumen half der FDP bekanntlich am Ende auch nicht. Weder die Wähler, noch Gauck selbst dankten es den Liberalen. Sei es drum. Merkel selbst wird aus diesen Erfahrungen gelernt haben.

Rot-Grün-Rot ohne Mehrheit

Dieses Mal sehen ihre Karten besser aus. Die Union wird mit Abstand die meisten Mitglieder der Bundesversammlung stellen. An CDU/CSU vorbei eine Mehrheit zu organisieren, wird sehr schwer. Die Union kann sowohl mit der SPD als auch mit den Grünen wahrscheinlich schon im ersten Wahlgang eine satte Mehrheit erreichen. Die SPD kann jedoch kein Interesse daran haben, einfach einen Kandidaten der Union vorgesetzt zu bekommen. Ihre Rolle als Juniorpartner wäre damit zementiert – wohl auch ihre Umfrageergebnisse von unter 20 Prozent. SPD, Linke und Grüne kommen gemeinsam nicht auf eine Mehrheit von 631 Stimmen. Sie liegen mit 626 bis 630 Stimmen derzeit unter der absoluten Mehrheit. Die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern im Herbst können die Zahlen zwar noch verändern, wahrscheinlich jedoch eher zum negativen. Ein Linksbündnis, käme es überhaupt zustande, bräuchte daher die Unterstützung der Piraten oder anderer. Ein stabiles Bündnis sieht anders aus.

Nachdem die Grünen in Hessen, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt mit der CDU koalieren, ist für viele in der CDU der Boden für ein Bündnis auch in Berlin bereitet. Wenn dieses Bündnis durch einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten untermauert werden kann, umso besser. Vielleicht versucht Angela Merkel zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Sie könnte Winfried Kretschmann als gemeinsamen Kandidaten vorschlagen. Die Grünen würden dann erstmalig einen Bundespräsidenten stellen, der auch noch über Parteigrenzen hinaus beliebt ist. Und gleichzeitig würde Merkel ihre Südwest-CDU vom Wahltrauma eines Winfried Kretschmanns befreien. Ein neuer Ministerpräsident der Grünen müsste sich erst wieder im Ländle profilieren, was auch der CDU neue Chancen in ihrem Stammland ermöglicht.

Kretschmann als Merkels Joker?

Die Wahl Kretschmanns wäre gleichzeitig das Signal für ein kommendes Bündnis aus Union und Grünen nach der Bundestagswahl. Der Kulturwandel innerhalb der grünen Partei in den letzten Jahren macht dies möglich. Schon heute verhalten sich die Grünen im Parlament lammfromm. Die eigentliche Oppositionsrolle überlassen Sie den Linken um Sahra Wagenknecht. Die Grünen verhalten sich bereits wie eine Regierungspartei im Wartestand. Aber auch der Wandel innerhalb der CDU unter Kanzlerin Merkel verdeutlicht dies. Mit dem Beschluss über den Ausstieg aus der Kernenergie 2011 und die sogenannte Energiewende wurde die ersten Hürde eines späteren Bündnisses genommen. Mit Merkels Alleingang in der Flüchtlings- und Migrationspolitik wurde jedoch der entscheidende inhaltliche Pfeiler einer Zusammenarbeit gesetzt.

Letztes ist gleichzeitig jedoch auch die eigentliche Gefahr für die Kanzlerin und ihre politische Zukunft. Sollte ihr Flüchtlings-Deal mit der Türkei Erdogans nicht funktionieren und daher in der Folge die Flüchtlings- und Migrationszahlen wieder ansteigen, dann läuft die Union Gefahr nicht nur bei 30 Prozent in den Umfragen zu landen, sondern darunter. Dann hätte die Kanzlerin zu hoch gepokert. Sie würde dann die Zeit bis zur Bundesversammlung am 12. Februar 2017 politisch gar nicht mehr überleben.

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