Sowohl 1982 als auch 2002 stand Deutschland ökonomisch mit dem Rücken zur Wand. Daraus erwuchs die Kraft zur Veränderung. Das ist nicht immer so. Aus einer vermeintlich ausweglosen Situation kann auch ein Fatalismus entstehen, der in den Abgrund führt.
Der Tod des ehemaligen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer am vergangenen Dienstag rückt das so genannte Lambsdorff-Papier vom 9. September 1982 wieder in das Blickfeld. Tietmeyer war als Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium sein Autor, Lambsdorff war als Wirtschaftsminister der Auftraggeber. Das Papier entstand in der Endphase der sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt. Dieser hatte Otto Graf Lambsdorff zehn Tage davor aufgefordert, seine Vorstellung einer Wirtschaftspolitik darzulegen, nachdem er Schmidt und die Sozialdemokraten für ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen immer wieder kritisiert hatte. So entstand das „Konzept zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“, wie es eigentlich hieß.
Das Allermeiste könnte heute noch so in einem Programm der FDP stehen. Tatsächlich war es aber nicht nur eine inhaltliche Kampfansage an den Koalitionspartner, sondern auch ein Aufrütteln der verunsicherten, eigenen Fraktion und Partei. Ihr fehlte es an klarer Orientierung und Profil. Dies lieferte Lambsdorff mit seinem Papier. Denn neben der Nachrüstungsdebatte war die Wirtschaftspolitik die entscheidende Größe für den Entfremdungsprozess der FDP mit der SPD. Insofern war das Lambsdorff-Papier die Rückbesinnung der FDP auf ihren wichtigsten Markenkern – das Einstehen für eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft. Für diese Politik stand Lambsdorff wie kein anderer.
Das besondere am Lambsdorff-Papier war, dass die FDP ihre Existenz aufs Spiel setzte, um einen politischen Kurswechsel in Deutschland zu erreichen. Das können in der bundesrepublikanischen Geschichte nicht viele Parteien von sich behaupten. Sie verlor anschließend einen Teil ihrer Mitglieder, die diesen Weg nicht mitgehen wollten.
So viel Entschlossenheit vermisst man heute. Die Merkel-Regierung macht das, was vermeintlich ankommt und nicht das was gesellschaftlich notwendig ist. Die Sozialsysteme werden mit neuen Lasten für die Zukunft befrachtet. Nicht mehr das Prinzip der Bedürftigkeit steht im Vordergrund, sondern neue gesellschaftliche Ziele. „Vätermonate“ oder „Mütterrenten“ sind wohlfeil, weil sie einem bestimmten Klientel gefallen sollen, sie orientieren sich aber nicht an der sozialen Bedürftigkeit. Sie sind deshalb Lichtjahre vom Ideal der Sozialen Marktwirtschaft im Erhard’schen Sinne entfernt.
Von dieser Anbiederung war im Lambsdorff-Papier keine Rede. Es wollte nicht gefallen. Es wollte die Grundlage für Wohlstand für alle schaffen. Dafür bedurfte es eines Ordnungsrahmens, der Investitionen in Deutschland wieder attraktiv machen sollte. Dies verstand Lambsdorff als Voraussetzung für Wachstum in der Zukunft.
Sowohl 1982 als auch 2002 stand Deutschland ökonomisch mit dem Rücken zur Wand. Aus diesem Umstand erwuchs die Kraft zur Veränderung. Das muss nicht immer so sein. Aus einer vermeintlich ausweglosen Situation kann auch ein Fatalismus entstehen, der immer stärker in den Abgrund führt. Diese Sorge hatte Lambsdorff. Er schloss in seinem Papier daher mit einer notwendigen und zeitlosen Mahnung, die insbesondere in einem Deutschland, das eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung in der EU und im gemeinsamen Euro-Währungsraum verbunden ist:
„Die Konsequenz eines Festklammerns an heute nicht mehr finanzierbare Leistungen des Staates bedeutet nur die weitere Verschärfung der Wachstums- und Beschäftigungsprobleme sowie eine Eskalation in den Umverteilungsstaat, der Leistungen und Eigenvorsorge zunehmend bestraft und das Anspruchsdenken weiter fordert – und an dessen Ende die Krise des politischen Systems steht.“
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