Jetzt schert sich Italien nicht um den Fiskalpakt. Die Regierung verstößt gegen die eigenen Haushaltsregeln. Dagegen können nur das Parlament in Italien selbst, das italienische Verfassungsgericht oder der Staatspräsident Italiens vorgehen.
Die Zurückweisung des italienischen Haushaltsplanes durch die EU-Kommission klingt nach einem formalen Akt. Man empört sich, dass die italienische Regierung ein Budgetdefizit von 2,4 Prozent für 2019 plant. Auf den ersten Blick wirkt das etwas verwirrend. Ist das Defizitkriterium im Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) doch bei 3 Prozent. Somit ist Italien unter der vereinbarten Grenze geblieben. Zwar liegt die gesamtstaatliche Verschuldung in Italien bei über 130 Prozent zur Wirtschaftskraft und damit über dem 60 Prozentkriterium im SWP, doch auch Frankreich, Spanien und selbst Deutschland liegen darüber.
Mit der Reform des SWPs im Jahr 2011 wurden durch das so genannte Six-Pack die Regeln jedoch verschärft. Dabei steht die Erreichung eines strukturell ausgeglichenen Haushalts im Mittelpunkt. Unterschieden wird zwischen einem präventiven und einem korrektiven Arm des SWP. Der präventive Arm sieht vor, dass bei einer Verfehlung des geplanten Haushaltsziels die Kommission eine Abbaupfad verlangen kann. Weicht der Mitgliedsstaat davon erheblich ab, dann können die Euro-Finanzminister in letzter Konsequenz Strafen verhängen, die bis zu 0,2 % des Bruttoinlandsproduktes betragen können. Das wäre für Italien maximal 3,4 Milliarden Euro.
Als korrektiver Arm enthält der SWP das „Verfahren bei einem übermäßigen Defizit“. Dieses Verfahren wird eingeleitet, wenn der Mitgliedsstaat die 3-Prozentgrenze über das Budgetdefizit reisst oder die Staatsverschuldung, wenn es oberhalb der 60 Prozentgrenze liegt, nicht mindestens um ein Zwanzigstel jährlich abbaut. Auch hier können Sanktionen verhängt werden, die im extremen Fall 0,5 Prozent des BIP betragen können.
Klar ist: Italien verstößt gegen den präventiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Klar ist aber auch: Frankreich hatte 2013 noch ein gegenüber dem Vorjahr erhöhtes Defizit von 3,7 Prozent gemeldet. Es gab Proteste, aber am Ende drückte die EU-Kommission beide Augen zu. Erst in diesem Jahr wurde Frankreich aus dem Defizitverfahren entlassen. Die Verschärfung des SWP ist und war ein stumpfes Schwert. Er funktioniert nicht, da die Kommission auf die großen Volkswirtschaften zu viel Rücksicht nimmt, und im zuständigen Rat der Finanzminister (ECOFIN) keine Krähe der anderen eine Auge aushackt.
Aus dem Blick gerät aber völlig der seit 2012 bestehende Fiskalvertrag. Er ist ein gegenseitiger völkerrechtlicher Vertrag aller Euro-Mitgliedsstaaten zuzüglich Bulgarien, Dänemark und Rumänien. Bis 2014 waren alle Vertragspartner verpflichtet, eine Regel für einen ausgeglichenen Haushalt mit dauerhafter und verbindlicher Natur in nationales Recht umzusetzen. Vorbild dieser Regelung war die Schuldenbremse im deutschen Grundgesetz, die faktisch einem Neuverschuldungsverbot gleichkommt. Inzwischen haben alle Vertragsstaaten die Regelung umgesetzt. Sie ist die andere Seite des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Die Mitgliedsstaaten, die dem ESM beitraten, verpflichteten sich gleichzeitig, eine Schuldenbremse im nationalen Recht zu verankern. Das eine sollte es nur mit dem anderen geben.
Jetzt schert sich Italien nicht um den Fiskalpakt. Die Regierung verstößt gegen die eigenen Haushaltsregeln. Dagegen können nur das Parlament in Italien selbst, das italienische Verfassungsgericht oder der Staatspräsident Italiens vorgehen. Dennoch ist der Verstoß nicht nur ein unfreundlicher Akt, sondern auch ein Bruch der Vertragsgrundlagen des ESM. In einem Erwägungsgrund des ESM-Vertrags wird die Gewährung von Finanzhilfen an die Ratifizierung des Fiskalvertrags, das Erreichen eines ausgeglichenen Haushalts und die Einführung einer Schuldenregel gebunden. Im Fiskalvertrag wird die Bedeutung der Einrichtung des ESM ausdrücklich hervorgehoben. Allen Seiten war dieser Zusammenhang bewusst, auch Italien. Die italienische Regierung bricht diese Regeln jetzt auf offener Bühne. Das darf eine deutsche Bundesregierung nicht einfach laufen lassen und sich einfach hinter der EU-Kommission verstecken. Der ESM-Vertrag und der Fiskalvertrag sind völkerrechtliche Verträge, deren Geschäftsgrundlagen jetzt von einem Vertragspartner gebrochen wurden. Völkerrechtliche Verträge können gekündigt werden, wenn wesentliche Voraussetzungen entfallen sind oder sich geändert haben. Dies ist hier der Fall. Deutschland sollte daher den ESM wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kündigen und wieder verlassen.
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Ist eigentlich Dr. Wolfgang Schäuble, ehemals Finanzminister, noch Gourverneuer beim ESM? http://www.stop-esm.org/up/doclist/Ein_Langfinger_als_Finanzminister.pdf
Merkels Haus-und Hofpostillen schreiben sich schon wieder warm, warum Deutschland wieder „retten“ muss: „Warum Deutschland wieder helfen muss“ http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/italien-panik-warum-deutschland-wieder-helfen-muss-kolumne-a-1235200.html
„Deutschland sollte daher den ESM wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kündigen und wieder verlassen.“
Interessanter Vorschlag. Dieser erforderte allerdings, dass Deutschland einen A***h in der Hose hätte, was leider seit genau ? Jahren nicht mehr der Fall ist… ?
Je länger man zuschaut, desto klarer wird es: wir brauchen nicht immer mehr Ideen, wie man den Euro so gestalten kann, daß alle Beteiligten sich verantwortlich verhalten. Es wird nicht funktionieren. Wir brauchen eine Lösung zweiter Ordnung. Wir brauchen den bewußten Verzicht auf eine gemeinsame Währung und die Rückkehr zur Verantwortlichkeit der Regierungen gegenüber ihrem jeweiligen Souverän. Eine Reihe von Probleme würde sich in Luft auflösen, wenn der Schock erst einmal verdaut ist.
Seit der Einführung des Euro gilt doch in ganz EU-Europa nur noch der gebrochene Vertrag…
Italien bricht völkerrechtliche Verträge? Soll uns das jetzt aufregen? Wozu? Ich bin ja nur zufällig hier geboren und werde aller Vorraussicht nach in ein paar Jahren zum Flüchtling umgeschult. Ob der Migrationspakt auch für mich gelten wird, weiß ich nicht. Womöglich gilt der nicht für Europäer. Die Italiener helfen mir gerade durchzuatmen, es gibt also noch Europäer die sich gegen die abgekarteten Geschäfte der EU und Frau Merkel wehren. Sollte Merkel aus Italien ein zweites Sozialprojekt wie Griechenland machen, werden die Deutschen halt wieder bezahlen. Es wird Geld verbrannt solange welches da ist. Wenn nichts mehr da ist, dürfen wir… Mehr
Und warum sollte sie nicht? Wer selbst keine Kinder hat, dem kann die Zukunft eines Landes ja mal sowas von Wurscht sein!
Ich kenne Menschen, die Lebenslang, ihre immer größer werdenden Schulden in Ruhe bedienen. Wenn wir jetzt ein Fazit ziehen würden, so nach zweidrittel unseres Lebens, muss ich eingestehen, das diese Leute ein richtig schönes Leben hatten bishierher( schöne Autos, tolles Haus, Urlaub, immer neue Klammotten, Restaurantbesuche, gesellschaftlich reiches Leben, Hobbys etc.) ich aber nur geschuftet habe ohne mir was zu leisten. Würde ich jetzt sterben, so wäre ich ganz schön der dumme Trottel. Aber im Alter brauche ich tatsächlich auch nicht mehr das Geld, das ich mir in jungen Jahren hart erarbeitet habe. Im Alter brauche ich Schmerzmittel. Genauso macht… Mehr
Gibt es überhaupt auch nur einen völkerrechtsverbindlichen Vertrag in der EU, der nicht schon bei Bedarf gebrochen wurde? Es mag ja sein, dass das Handeln der Italiener juristisch fragwürdig ist, politisch aber ist es richtig, weil es ein unmißverständliches Signal an die Brüssler Selbstherlichkeit ist. Solche Signale werden wir glücklicherweise immer öfter sehen. Wo aber bleibt die deutsche Zahlungsverweigerung bei den Bailout Finten? Oder die völlige Verweigerung des Zugriffs auf deutsche Sparkonten zur Rettung kranker Finanzsysteme im Süden Europas?
Bzgl. der Sinnhaftigkeit von ESM und Fiskalvertrag kann man sicher geteilter Meinung sein. Und unter einer nationalen (italienischen) Brille gibt es sicher gute Gründe für eine entsprechende Neuverschuldung unter Inkaufnahme eines Vertragsbruchs. Dass Herr Schäffler hier einmal die offiziellen ökonomischen und rechtlichen Parameter betrachtet, ist jedenfalls hilfreich und mir in der Form in anderen medialen Veröffentlichungen so nicht untergekommen.
Nicht das ich jetzt ein besonderer Fan der italienischen Regierung wäre, aber die erfüllen einfach ihren Auftrag, indem sie das umsetzen, was aus ihrer Sicht gut für Italien ist. Und dazu gehört eben nicht, irgendeine schwachsinne Schuldenbremse oder sonstwelche willkürlich gezogenen Begrenzugen einzuhalten. Keine Regierung wird sich durch so etwas in ihrer Souveränität einschränken lassen, wenn sie es politisch nicht für angebracht hält. Anders als so- und selbsternannte angebliche „Stabilitätspolitiker“ à la Schäffler glauben, ist Geld- und Fiskalpolitk eben nicht „regelgebunden“ zu haben, sondern immer hochpolitisch. Und das ist auch gut so! Zugegebenermassen wäre es allerdings ehrlicher gewesen, diese Einsicht… Mehr
Sie gehen hier auf rechtliche Fragen ein. Aber die interessieren nicht. Was interessiert, was die verschiedenen Akteure wollen. Die EU-Funktionäre wollen eine „ever close union“. In Deutschland wollen das nicht nur alle Parteien – bis auf die AfD, sondern auch alle sonstigen mächtigen Gruppierungen in Deutschland und vermutlich sogar eine Mehrheit der Bevölkerung. Die Südländer inklusive Italien und Frankreich wollen möglichst viel deutsches Geld und gleichzeitig möglichst viel eigene Freiheit und möglichst wenig Vorschriften. Speziell Franzosen sind zuerst Franzosen und dann nochmal Franzosen, und „Europäer“ sind sie nur, wenn es ihnen nutzt. Man könnte es mit einer Liebesbeziehung vergleichen, wo… Mehr