Auf dem Weg zur EU-Arbeitslosenversicherung

1972 sagte Helmut Schmidt: „Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.“ Damit begründete er eine bis dahin ungeahnte Ausgaben- und Schuldenpolitik des Staates. Mitte der 1970er Jahre hatte der damalige Bundeskanzler dann beides.

Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Während sich alle Augen in dieser Woche auf das Treffen von Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel richteten, haben sich in dieser Woche in Meseberg auch Finanzminister Olaf Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire getroffen und über den Einstieg in eine EU-Arbeitslosenversicherung verständigt. Das ist bemerkenswert. Hatte man doch bislang den Eindruck, dass die Vergemeinschaftung von Risiken zunächst mal bei den Schulden (EU-Stabilitätsmechanismus) und den Sparguthaben (EU-Einlagensicherung) haltmachen würde.

Doch weit gefehlt. Die Sozialversicherungen sind wohl als nächstes dran. Die gemeinsame Erklärung von Le Maire und Scholz spricht dabei eine sehr deutliche Sprache. Darin heißt es: „Im Hinblick auf die Stabilisierung der sozialen Sicherung in der Eurozone sollten die nationalen Systeme der Arbeitslosenversicherung während des gesamten Konjunkturzyklus einen ausgeglichenen Saldo aufweisen und in guten Zeiten Rücklagen bilden. In einer schweren Wirtschaftskrise könnten die nationalen Systeme durch einen Stabilisierungsfonds auf Ebene der Eurozone ergänzt werden. Der Fonds könnte den nationalen Sozialversicherungssystemen in einer Wirtschaftskrise, die mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten einhergeht, Geld leihen.“

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Naheliegend ist dabei wohl ein Rückversicherungssystem als Übergang wie es bereits beim geplanten EU-Einlagensicherungssystem vorgesehen ist. Die Erklärung der beiden Finanzminister klingt stark nach 1970er Wirtschaftspolitik. In schlechten Zeiten das Geld ausgeben, damit Konjunktur entsteht, die die Arbeitslosigkeit reduziert, um dann von den Mehreinnahmen das aufgelaufene Defizit zurückzuführen. Das hat historisch nie geklappt. 1972 sagte Helmut Schmidt einmal: „Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.“ Damit begründete er eine bis dahin ungeahnte Ausgaben- und Schuldenpolitik des Staates. Mitte der 1970er Jahre hatte der damalige Bundeskanzler dann beides. Dieser Irrglaube der Steuerbarkeit von Konjunkturverläufen hat bislang nirgends funktioniert. Die Finanzierung von Arbeitslosigkeit kann keine Arbeitsplätze schaffen. Auch die aktive Arbeitsmarktpolitik ist vielfach wirkungslos. Mitnahmeeffekte sind systemimmanent.

Natürlich ist die Zahl der Arbeitslosen in Europa, in der EU und insbesondere in der Euro-Zone zu hoch. Gerade die Jugendarbeitslosigkeit ist in Südeuropa besorgniserregend und führt vielerorts zu Perspektivlosigkeit. In Griechenland beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 45 Prozent, in Frankreich über 20 Prozent, in Italien über 33 Prozent und in Spanien sogar über 34 Prozent. Doch die Ursache dafür lässt sich nicht mit noch mehr Umverteilung in der EU lösen. Das Problem sind Markteintrittshürden für Geringqualifizierte. Das Arbeitsrecht privilegiert in diesen Ländern die Arbeitsplatzbesitzenden und diskriminiert diejenigen, die einen Arbeitsplatz suchen. Vielfach hohe Mindestlöhne verhindern die Einstellung von jungen Leuten und ein fehlendes duales Ausbildungssystem lassen ein „Training on the Job“ nicht zu.

Viele dieser Probleme haben historische und kulturelle Wurzeln. Umverteilung zu Lasten derer, die es anders und vielleicht auch besser machen, hilft da wenig. Auch noch mehr öffentliche Investitionen durch die EU oder über ein Eurozonen-Budget zu finanzieren, ist dabei wenig hilfreich. Der jetzt von Angela Merkel als Deal für das Entgegenkommen Macrons in der Migrationspolitik zugestandene Schlechtwetterfonds im „niedrigen zweistelligen Milliardenbereich“ ist bestenfalls ein Placebo. Wahrscheinlich richtet er aber mehr Schaden als Nutzen an. Wenn bei schlechter Wirtschaftslage Euro-Staaten über diesen Fonds „gepampert“ werden, dann sind auch hier den Mitnahmeeffekten Tür und Tor geöffnet.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und ihren Produkten kann nicht durch staatliche Investitionen erreicht werden. Hier sind andere Dinge viel Wesentlicher. Dazu gehört eine Eigentumsordnung, die Investoren aus dem eigenen Land und von außen einlädt, dauerhaft am Standort zu investieren. Dazu gehört ein Arbeitsrecht, das durchlässig ist und jungen Menschen Chancen gibt. Und es gehört eine Administration des Staates dazu, die möglichst frei von Korruption und Bevorteilung ist. Dies erfordert die Gleichheit vor dem Recht und den Staat als Dienstleister der Bürger. Gerade davon sind wir auch im eigenen Land Lichtjahre entfernt. Wenn Merkel und Macron die EU zukunftssicher machen wollen, sind das die Baustellen, an denen gearbeitet werden müsste.

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Kommentare ( 27 )

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conferio
6 Jahre her

Die EU kann Afrika nicht retten, Deutschland kann die EU nicht retten….aber Politiker wie Merkel können das wegen fehlender mathematischer Fähigkeiten nicht begreifen. Die Rechnung wird kommen…die Target2 Bombe irgendwann platzen.
Thatcher hat das schon damals erkannt… Fakt ist, die EU wird kollabieren, wenn den Deutschen das Geld ausgeht.

jansobieski
6 Jahre her

Sie analysieren wieder klar, dass nicht nur Merkel, sondern die gesamte Bundesregierung ins Altenteil gehört,. Darauf muss ein Resetting erfolgen und alles weg, was weg kann. Dazu zählen insbesondere die „Europavorstellungen“ von gemeinsamer Sozialversicherung.
Abspecken ist angesagt.

pcn
6 Jahre her

Die FDP hat die im Beitrag beschriebenen Orientierungspunkte schon immer gefordert. Ob Schmidt noch heute bei seinem Slogan bliebe, angesichts der wunderbaren Geldvermehrung durch die EZB? Fakt ist aber, dass eine Wirtschaft nur so gut funktioniert wie Nachfrage nach Gütern und Dienstleistung besteht. Wenn der französische Wein besser schmeckt als der spanische, dann haben die spanischen Winzer ein Problem. So kann man alle Produkte in der Wirtschaft durchdeklinieren. Und es scheint halt so zu sein, dass Waren aus Deutschland eher geordert werden, als spanische oder französische oder griechische, um diese Länder mal als Beispiel zu nehmen. Wirtschaft kann nur dort… Mehr

humerd
6 Jahre her

es geht auch nicht alleine um die Arbeitslosenversicherung, es geht insbesondere um den tiefen Griff in die deutsche Rentenkasse.

Marcel Seiler
6 Jahre her

Warum erwähnt Autor Schäffler nicht den Euro als einen der Hauptgründe für die hohe Arbeitslosigkeit im Süden?

Hairbert
6 Jahre her
Antworten an  Marcel Seiler

Das ist genau die richtige Frage! Denn keiner konnte vorhersehen, dass der Euro, der eigentlich DE hätte schaden sollen (weil weicher als die von unseren „lieben Nachbarn“ verhasste harte DM), ausgerechnet aber DE nutzte. Nachdem nun dieser Schuss gründlich nach hinten losging, ist jetzt das Geschrei nach „Solidarität“ groß und wird in immer mehr Bereichen nach Milliarden aus Deutschland verlangt. Und damit sind wir endgültig bei der (inzwischen auch offiziell nicht mehr geleugneten) Transferunion angekommen, die uns jetzt in üblich demagogischer Weise von den EUzis als „Fortschritt in der Verwirklichung der europäischen Idee“ verkauft wird. Alleine die Probleme im Süden… Mehr

bkkopp
6 Jahre her
Antworten an  Hairbert

Niemand hat die Südländer daran gehindert ein Investitionsklima zu schaffen, in dem Unternehmen investieren und Arbeitsplätze schaffen. Mit dem Euro hat dies fundamental nichts zu tun. Der Euro hat erst ‚geschadet‘ nachdem man wissentlich und willentlich andere Faktoren so unflexibel gestaltet und belassen hat, dass sich nichts mehr rechnet. Die Italiener haben sogar Fiat vertrieben. Stellen Sie sich vor, Deutschland würde dies mit VW machen. Die reichen und wohlhabenden Griechen haben seit Jahrzehnten mehr Geld ins Ausland geschafft als im eigenen Land investiert. Die haben das nicht gemacht weil sie ‚böse‘ sind.

Det
6 Jahre her

Mehr als logisch, dass sich Politiker, Beamte und Selbstständige nur auf moralischer Ebene solidarisieren und den pekuniären Anteil den „Abgehängten, den „Ewiggestrigen“ und den „besorgten Bürgern“ überlassen.
Aber die können ja in Bayern „ein Zeichen setzen“. Schorsch! Pass auf wie die CSU hier abstimmt!

Thorsten
6 Jahre her

Dieses Kartenhaus funktioniert doch nur, wenn insbesondere Deutschland dafür Milliarden locker macht. Kaum vorstellbar, dass die deutschen Wähler dabei mitmachen, den südländischen Schlendrian auch noch über die Sozialkassen zu finanzieren.

Mit solchen rigorosen „europäischen Lösungen“ kommt die absolute Mehrheit für die AfD in greifbare Nähe.

Karl M.
6 Jahre her

Zu DDR Zeiten hat auch alles immer gut geklungen. Und auch die Russen wie überhaupt der ganze Ostblock kann viele Lieder singen die gut klingen. Den „Ossis“ ist dann doch irgendwann vom vielen „gut klingen“ schlecht geworden. Also darf man gespannt sein wann das große Merkelkotzen beginnt.

Emma Mathieu
6 Jahre her

Das Problem bei der hohen Jugendarbeitslosigkeit in der EU sind Markteintrittshürden für Geringqualifizierte.
Wie soll dann bitte die Masse von Merkels Gästen – kulturfremd, sprachunkundig, geringqualifiziert – in unserer Arbeitswelt einen Job finden ? Die Antwort ist klar. Warum sieht das keiner von den Politikern ? Auch hier ist die Antwort klar. Mehr will ich zu diesem sinnlosen neuen EU-Plan nicht sagen.

Moses
6 Jahre her
Antworten an  Emma Mathieu

Zu ergänzen wäre, dass dieses Problem immer schärfer wird, da Marktbedarf an Geringqualifizierte noch weiter sinken wird.

H. Priess
6 Jahre her

Da spielen doch auch noch andere Faktoren eine Rolle. Als die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in den 70igern eine Gehaltserhöhung von 12,5% durchsetzen sagte H.Schmidt das wird uns den Hals brechen. Er hatte Recht denn es setzte eine Welle von Lohnforderungen ein die widerum die Inflation anheizte. Ergebnis waren Entlassungen, weil der AN einfach zu teuer wurde dazu kam erschwerend hinzu, dass sich die großen produzierenden Konzerne am Produktionssystem der Japaner orientierten die mit der Automatisierung viel AN überflüssig machten. Nur soviel dazu warum in den 70igern die Arbeitslosesnzahlen angestiegen sind. Wenn heute über die Arbeitslosigkeit in den Südländern berichtet… Mehr

Thorsten
6 Jahre her
Antworten an  H. Priess

Die produzierende Konzerne mussten sich der Konkurrenz stellen und ihre Kosten senken, da die Konsumenten schnell zu preiswerteren Produkten greifen.

Die nächste Welle kommt, wenn die Chinesen weltmarktfähig in der Automobilindustrie werden.