Smartfood – was geschieht, weil unsere Nahrung intelligent wurde

Abnehmen ist nicht leicht – weil unsere Nahrungs-Anbieter aktiv gegen uns arbeiten. Denn was wir essen ist nicht nur eine Frage der Lust, des Geschmackes oder der Biologie - sondern auch der Entscheidungsfindung. Hier eine spieltheoretische Überlebenshilfe für den Kampf zwischen den Regalen.

Menschen sind in den letzten 30 Jahren immer dicker geworden. Und das, obwohl es eine ziemliche Mode geworden ist, sich um Nahrung zu kümmern. Was ist eigentlich so schwer daran, weniger zu essen?

Eine kleine Analyse ergibt schnell, dass hier strategisches Denken am Werk ist und eine fremde Intelligenz unser Verhalten durchkreuzt. Sehen wir uns den Sachverhalt einmal systematisch an.

Um das Essen zu reduzieren, kann man so vorgehen wie bei einem Kosteneinsparungsprogramm in einem Unternehmen und sich ansehen, welches die großen Brocken sind. Statt der großen Kostenblöcke suchen wir jetzt nur nach den großen Blöcken der Energieaufnahme. Zugegeben, das machen wir nicht so systematisch, aber es gibt alle möglichen Ratgeber, die uns die Arbeit abnehmen und uns dann die Ergebnisse mitteilen. So war es schon in den 1970er Jahren, als besonders in den USA ein einfacher Schuldiger für die Fettleibigkeit ausgemacht wurde: Fett.

Fett ist ein enormer Energieträger. Rein rechnerisch können wir mit einem 250-Gramm-Stück Butter einen erwachsenen Menschen drei Tage lang versorgen. Nun waren die Rezepte mit ihren Fettmengen, die wir in unserer üblichen Nahrung aufnahmen, an eine Zeit angepasst, in der wir uns viel bewegt hatten. Wenn wir aber vom Scheunendrescher immer öfter zum Schalterbeamten werden, dann müssen wir auch die Energiezufuhr verringern. Die Lösung scheint einfach: Fett weglassen, wo nicht unbedingt nötig. Genau das wurde auch empfohlen, und so ging von den USA eine Welle der Fettvermeidung aus. In den Supermärkten gibt es seitdem geradezu endlose Regale mit fettfreien oder fettreduzierten Produkten. Man sollte meinen, dass dadurch das Fettwerden ebenfalls weniger wurde.

Das Gegenteil ist der Fall. Praktisch zeitgleich mit der Anti-Fett-Bewegung nahm die Fettleibigkeit immer weiter zu, sogar noch viel stärker als vorher. Ist es nicht seltsam, dass bei einem Kostensenkungsprogramm die Gesamtkosten stark steigen, wenn man die größten Kostenblöcke verringert?

Kosteneinsparung kann teuer werden

Wer schon einmal mit einer Unternehmensberatung zu tun hatte, weiß, dass das keineswegs so abwegig ist. Stellen Sie sich vor, wir verringern die Personalkosten, die meist der größte Kostenblock sind. Dann sparen wir natürlich erst einmal. Aber das eingesparte Personal hat ja vorher irgendetwas getan. Wenn das nur ansatzweise sinnvoll war, dann müssen diese Tätigkeiten nun irgendwie anders erbracht werden. Statt eines Angestellten muss man nun also oftmals einen Freiberufler oder ein fremdes Unternehmen beauftragen, die Arbeiten zu erledigen. Und das kann teuer werden.

Es gibt also eine direkte und eine indirekte Folge der Entscheidung, die Kosten zu verringern. Die direkte ist die beabsichtigte: die Personalkosten sinken. Aber die indirekte kann diesen Effekt überkompensieren und am Ende zu noch mehr Gesamtkosten führen. Die indirekte Folge entsteht aus dem strategischen Verhalten der eigenen Mitarbeiter. Die wenigen verbliebenen müssen ja nun irgendwelche Wege finden, die Arbeit zu erledigen. Diese Wege finden sie, auch wenn das insgesamt teurer ist als vorher.

Zurück zur Nahrung. Wir lassen das Fett weg und damit den größten Kostenblock in Form von Energieaufnahme. Wären die Nahrungsmittel unveränderlich, wäre das Resultat das erwünschte und wir würden abnehmen.

Aber die Nahrung reagiert auf uns. Denn Fett ist nicht nur Energie-, sondern auch Geschmacksträger. Lassen wir aus Nahrungsmitteln einfach das Fett weg, dann schmecken sie nicht mehr, besonders wenn sie industriell verarbeitet wurden. Die Nahrungsmittelhersteller haben folglich ein Problem: Zum einen wollen die Kunden weniger Fett essen, zum anderen schmecken die Produkte nicht mehr, wenn man das Fett weglässt. Man muss also einen Weg finden, den Geschmack in die fettarmen Produkte zu bringen. Die Lösung ist einfach: Zucker hinzufügen, und schon schmeckt es wieder.

Kleiner Haken: Zucker ist ein noch konzentrierterer Energieträger als Fett. Indem die Käufer auf den Fettgehalt achten (und nur auf diesen), lösen sie damit eine Gegenbewegung aus, die ihre ursprüngliche Absicht überkompensiert. Dabei muss übrigens auch nicht immer fair gespielt werden. Die Nahrungshersteller haben es zum Beispiel bis heute geschafft, dass hinzugefügter Zucker nicht gesondert gekennzeichnet werden muss. Da wir nicht auswendig wissen, wieviel Zucker in natürlichem Müesli wäre, ist es als Konsument kaum zu erkennen, wenn Nahrungsmittel künstlich aufgepeppt werden. Betrachten Sie einfach einmal den Zuckeranteil bei Müesli oder Joghurt, dann wissen Sie, wieso das wichtig sein kann. Hier wurden aus ursprünglich gesunden Mahlzeiten bonbonartige Süßspeisen, ohne dass wir Käufer das so richtig bemerkt haben.

Das Problem besteht darin, dass der Rat, fettarm zu essen, nicht die strategischen Implikationen berücksichtigt. In einer Welt des Zufalls wäre das der richtige Rat gewesen, aber in einer strategischen Welt eben nicht. Es ist so, als spiele unsere Nahrung aktiv gegen uns. Natürlich ist der denkende Gegenspieler nicht die Nahrung selbst, sondern deren Hersteller. Aber die Wirkung bleibt gleich.

Low-carb und Ampelkennzeichnung – stumpfe Schwerter im Kampf gegen gewiefte Gegenspieler

Spulen wir vor ins heutige Jahr. Viele haben verstanden, was ich eben erläutert habe. Und ziehen daraus den naheliegenden Schluss: Nicht Fett ist das Problem, sondern Zucker, also Kohlenhydrate. Reaktion: „Low-carb-Diäten“. Wenn Zucker das Problem ist, dann lassen wir eben den weg. Richtig? Nur, wenn die Hersteller und Händler aufhören würden, strategisch zu denken.

Gehen Sie einmal durch den Supermarkt und sehen Sie sich kurz an, wie viele der Produkte unschuldig sind und wie viele es darauf anlegen, Sie in irgendeiner Form zu verführen, zu täuschen und an den Stellen zu erwischen, an denen Sie nicht aufpassen. Sie finden mehrere Gänge mit Süßzeug, Knabberzeug, Alkohol, alle strategisch zwischen Eingang und Milchprodukten angeordnet, damit Sie sie nicht einfach umgehen können. Mindestens ein Drittel der Fläche ist von Produkten ausgefüllt, die Sie offen verführen sollen und so optimiert ist, dass sie Sie physiologisch „abhängig“ machen, wenn Sie sich einmal darauf eingelassen haben.

Mindestens ein weiteres Drittel enthält Produkte, die irgendwelche anderen offensichtlichen Haken haben wie zu viel oder täuschende Verpackung, verteuernde Gestaltung (z.B. Kaffeepads) usw. Es ist so, als habe sich der Supermarkt mit den Herstellern gegen alle Ihre Versuche verschworen, günstig und gesund einzukaufen. Und genau so ist es auch. Denn die anderen Spieler wollen Geld verdienen und setzen daher alle Mittel ein, Ihre Versuche zu durchkreuzen, sich kein Geld aus der Tasche ziehen zu lassen.

Ist Ihnen aufgefallen, dass sich Rentner oft stark mit kleinen Centbeträgen auskennen und beschäftigen? Das ist den allermeisten Fällen keine Notwendigkeit wegen kleiner Rente, sondern die Folge davon, dass sie im Leben oft die Erfahrung gemacht haben, beim Einkauf im Alltag über den Tisch gezogen zu werden (das war schon lange vor der Erfindung des Supermarktes und der industriellen Lebensmittel so). Leider funktioniert die Abwehrbewegung nicht so gut, wie man denken sollte. Denn die Hersteller stellen sich auch darauf ein und passen die Produkte wieder entsprechend an: Smartfood eben.

Wir kennen genau den Preis eines Fahrradschlosses? Dann bekommen wir ein kostengünstiges in lausiger Qualität, das aber so aussieht wie ein Schloss hoher Qualität. Jetzt hat der Konsument gleich zweimal verloren: zum einen, weil er ein minderwertiges Schloss kauft, von dem er denkt, es sei hochwertig. Und zum anderen, weil er gar kein Schloss brauchte und nur eines kauft, weil er denkt, es sei günstig. Und zwar, weil er sich mit den Preisen so gut auskennt.

Deswegen sind übrigens die vorgeschlagenen Lebensmittelkennzeichnungen mit den Ampelfarben weniger wert, als man zunächst denken sollte. Denn diese klassifizieren die Produkte wiederum aufgrund statischer Eigenschaften und laden daher geradedazu ein, ausgehebelt zu werden. Sie wiegen uns in Sicherheit, es diesmal verstanden zu haben, und lenken von dem Sachverhalt ab, dass wir in einem strategischen Spiel stecken. So wie es Ausweichbewegungen gegen die Fettscheu der Konsumenten gab, wird es dann Ausweichbewegungen gegen die reine Fokussierung auf den Brennwert geben. Das ist so ähnlich wie bei einem Abgastest unter Laborbedingungen. Mal abgesehen von solchen Kennzeichnungs-Stilblüten wie „rot“ für naturreines Olivenöl, weil es fast vollständig aus Fett ist – und zugleich eines der gesündesten Lebensmittel überhaupt, weil man es ja nicht pur trinkt.

Der Effekt ist immer der gleiche: Wir optimieren eine Größe und der Gegner hält dagegen, indem er eine andere optimiert. Dummerweise so, dass er unser Verhalten schon berücksichtigt. In diesem Spiel ist es als Konsument schwierig, dem anderen voraus zu sein. Aber so macht das Einkaufen wenigstens Spaß, denn wir können jedes Mal neu ein Spiel spielen. Allerdings sollten wir wissen, dass wir es spielen, und zwar gegen einen sehr gewieften Gegner.

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