Regeln sind da, um gebrochen zu werden. Das ist vielleicht das wirklich zutreffende europäische Mantra.
Gut möglich, dass sich die neue Bundesregierung nach der Italien-Wahl am Sonntag bald mit einem exogenen Schock auseinandersetzen muss, der erneut die Fragilität der Euro-Zone belegt. Die Angst vieler Insider: Italien hat sein Target 2-Budget, seine „goldene Kreditkarte“ (Werner Sinn), derzeit mit 433,2 Milliarden Euro überzogen. Die Deutsche Bundesbank haftet mit fast der Hälfte ihrer positiven Target 2-Forderungen (derzeit insgesamt 882,1 Milliarden Euro) für die Überziehungskredite Italiens.
Mitte-Rechts-Koalition liegt in Umfragen vorne
Seit 17. Februar dürfen keine neuen demoskopischen Erhebungen zum Wahlausgang in Italien mehr veröffentlicht werden. Doch das einzige Lager, das nach den letztveröffentlichten Umfragen eine kleine Chance auf eine Mandatsmehrheit im Parlament besitzt, ist das Mitte-Rechts-Lager, das der 81-jährige Silvio Berlusconi geschmiedet hat, obwohl er selbst wegen Steuerhinterziehung kein politisches Amt mehr übernehmen darf. Während die Linke gespalten ist, treten die konservative Forza Italia (FI), die rechtspopulistische Lega Nord und die postfaschistischen Fratelli d’Italia mit gemeinsamen Kandidaten an. Vor allem dann, wenn im Mitte-Rechts-Lager nicht Berlusconis FI, sondern die zuletzt unter Matteo Salvini stark aufkommende Lega Nord die Nase bei den Wählern vorne hat, ist mit einer extrem Europa- und Euro-skeptischen Regierungsbildung zu rechnen. Womöglich gibt es aber auch eine monatelange Hängepartie, die das strukturelle ökonomische Problem Italiens wieder in den Fokus der Finanzmärkte, der Politik und der Medien bringt.
Italiens Malaise: Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit
Eine zutreffende Beschreibung der italienischen Misere lieferte in dieser Woche in der FAZ der italienische Politökonom Lucio Baccaro, der neue Direktor des renommierten Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln. Eine Aussage Baccaros elektrisiert vor dem Hintergrund der Italien-Wahl besonders: „Italien sollte über den Euro-Austritt verhandeln.“ Seine ökonomische Analyse zur Entwicklung Italiens in der Euro-Zone gipfelt in der Feststellung, dass Italien neben Griechenland das „zweitgrößte Desaster“ in der Eurozone sei. Die Produktivität der italienischen Unternehmen stagniere seit rund zwei Jahrzehnten. Das BIP-Wachstum habe sich deutlich unter französischem und deutschem Niveau entwickelt und die Staatsschuldenquote sei auf 130 Prozent des BIP explodiert. Baccaros Fazit: Mit der Einheitswährung Euro habe sich Italien „an den Mast der EU gefesselt“, könne nicht mehr wie vor dem Euro durch regelmäßige Wechselkursanpassungen international an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen.
Italiens Erpressungspotential heisst „Target2“
Hans Werner Sinn, dem früheren Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts, haben wir zu verdanken, dass die finanzpolitische Bedeutung eines Zahlungsverkehrssystems namens Target2 im Euro-Zentralbankensystem vor 7 Jahren in die öffentliche Debatte kam. Sein Bild von der „goldenen Kreditkarte“, mit der sich Schuldnerstaaten per Notenbankpresse der eigenen Zentralbank zusätzliche Finanzspielräume verschaffen können, ist sehr anschaulich und einprägsam. Dass diese Kredite via Geldschöpfung aber zu entsprechenden Forderungen in den Target2-Salden der Zentralbanken in den Ländern führen, in denen diese kreditfinanzierten Käufe getätigt werden, ist der Grund, warum Schuldner ihre Gläubiger erpressen können.
Italiens Notenbank weist nach aktuellem Stand einen negativen Target2-Saldo von 433,2 Milliarden Euro aus. Das ist der höchste Negativsaldo aller südeuropäischen Notenbanken im Euro-Raum – neben Spanien. Die Deutsche Bundesbank weist dagegen eine Gesamtforderung im Target2-Zahlungsverkehrssystem aus, die derzeit bei 882,1 Milliarden Euro liegt. Vereinfacht formuliert besteht fast die Hälfte der deutschen Target2-Forderungen aus italienischen Verpflichtungen. Dramatisch wird das dann, wenn ein solches Krisenland aus dem Euro ausscheiden will. Dann stellt sich die Frage, ob die Bundesbank diese dreistelligen Milliarden-Forderungen ganz oder teilweise abschreiben muss. Die Folgen hätte dann der Bundeshaushalt und damit der deutsche Steuerzahler zu tragen, weil die Bundesbank auf Jahre hinaus keinen Bilanzgewinn an den Bund überweisen könnte.
„Muddling through“ oder „Alles wie immer!“
Alle Erfahrung mit der europäischen Politik zeigt, dass der harte Weg – der Austritt aus der Währungsunion – von keinem Land gegangen wird, obwohl die harte Erfahrung eines Euro-Exits womöglich die denkbar beste pädagogische Maßnahme wäre, um den ursprünglichen Stabilitätsregeln des Maastrichter Vertrags wieder Geltung zu verschaffen. Im Juli 2015 hat die deutsche Bundeskanzlerin die Umsetzung eines auf Betreiben von Wolfgang Schäuble in der Eurogruppe der Finanzminister bereits gefassten Beschlusses zum Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone verhindert. Genau deshalb, weil die europäische Politik das Mantra der deutschen Kanzlerin verinnerlicht hat („Scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“, wird Brüssel und bis auf weiteres auch Berlin alles tun, um nicht konvergente Volkswirtschaften weiter in einem gemeinsamen Währungsraum zu halten. Der Preis wird aus deutscher und nordeuropäischer Sicht hoch sein. Denn weder das Reißen der 3%-Defizitgrenze noch das Überschreiten des Gesamtschuldendeckels werden je wieder in Sanktionen der EU-Kommission münden. Die europäische Haftungsgemeinschaft wächst weiter – allen Sonntagsreden zum Trotz. „No Bail out“ war gestern. Der deutsche Widerstand gegen die europäische Einlagensicherung wohl auch. Regeln sind da, um gebrochen zu werden. Das ist vielleicht das wirklich zutreffende neue europäische Mantra!
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wer hat diesen ganzen Müll angerührt? Welche Verantwortung trifft die Waigels und Eichels dieser Welt??? Sie geniessen heute ihre überdotierten Pensionen und lassen den Hergott einen guten Mann sein. Verantwortung für das von ihnen mitangerichtete Desaster, nein. Ihre berufliche Befähigung Jurist oder Pauker. Ökonomische Befähigung – Fehlanzeige. Eichel hat sich ja bei den Griechen völlig unterwürfig gezeigt und sich dort angebiedert und dafür eingesetzt dass sie in den Euroverbund aufgenommen wurden. Waigel betonte ja immer wie stark der Euro sei, indem er ihn permanent mit einem immer schwächer werdenden Dollar verglich. Nun ja, Ökonomie war nicht seine Stärke. Wahrscheinlich begreift… Mehr
Ich sehen das so: die Italiener ticken anders in ihrem Bezug zu Geld. In Italien war die Stabilität der Währung nie in dem Maße gegeben wie in Deutschland mit Einführung der DM. Also hat er sich nie so darauf eingelassen wie die Deutschen. 35 Jahre in eine vermögensbildende Lebensversicherung einzahlen zum Beispiel. Der Italien investiert lieber in Dinge die er anfassen kann, seine Bambini zum Beispiel. Er hat aus leidvoller Erfahrung über Generationen hinweg das Wissen, dass Geld eine politische Sache ist. Es ist für ihn natürlich ein Ärgernis, dass er sich nicht mit Geld eine Zukunft an sparen kann… Mehr
Dass Target2-Salden Kredite darstellen, ist eine unglücklich gewählte Analogie zur Buchführung privatwirtschaftlicher Unternehmen. Das sind keine Kredite in diesem Sinne. Die Passiv- und Aktivpositionen desselben emitierten Zentralbankgeldes befinden sich lediglich in unterschiedlichen Bilanzen innerhalb des EZBS.
Das Problem Italiens ist vielschichtig. Einer der Irrtümer war, den Euro zu adoptieren: Italien konnte von ab nicht mehr mit Abwertungen der nationalen Währung merkantile Konkurrenz abhängen. Hinzu kommt noch die massive Konkurrenz infolge der Globalisierung. Italien hat eine interessante, innovative und rührige Mittelschicht, aber auch einen kostspieligen Mezzogiorno………
Am Sonntag ist Wahl in Italien. Sollten die Sterne richtig stehen so ist eine kleine Chance gegeben, dass dies zu einer Regierung führt die den Austritt aus dem Euro beschließt. Das könnte dann der Augenblick werden, wo die 900 Milliarden Euro „Guthaben“ sich auch realwirtschaftlich in das Nichts verwandelt, welches es eigentlich ist. Habt ihr schon Trinkwasser und Dosenfleisch gebunkert?
Bei den Target2-Salden handelt es sich nicht um klassische Kredite sondern um Zahlungsströme. Sie entstehen erst, wenn ein deutscher Exporteur Waren nach Italien sendet und der Empfänger dieser Waren die Leistung begleicht. Target2-Salden sind somit ein Bestandteil eines Verrechnungssystems zwischen der EZB und den nationalen Zentralbanken. http://www.finwir.de/finanzmarkt/target2-saldo-erreicht-mit-879-mrd-euro-neuen-rekord Würden Deutschland stärker Waren aus Italien importieren bzw. wie vor der Krise geschehen, italienische Aktien und Anleihen kaufen oder den dortigen Banken Kredite ausstellen, dann würden die Target2-Salden sinken. Eine Prozedur, die einem klassischen Kreditgeschäft diametral entgegensteht, denn ein Kredit kann nur durch die Begleichung des Schuldners abgelöst werden. Würde Italien aber immer… Mehr
Bei Target2 handelt es sich eben um eine Prozedur, bei der Zahlungsbilanzdefizite automatisch kreditiert werden.
Nein werden sie nicht. Der deutsche Lieferant wird für seine Warenlieferung durch den italienischen Empfänger bezahlt. Target2 Salden sind rein buchhalterische Rechnungsposten um in Europa bilanzneutrale Zahlungen zwischen den Zentralbanken der Länder zu ermöglichen. Wäre dies nicht der Fall, würde auf der deutschen Seite (EZB) die Zuflüsse auf der Passivseite das Zentralbankguthaben aufblähen und entsprechend das Eigenkapital aufzehren. Somit müsste die Politik in regelmäßigen Abständen Eigenkapital nachschießen. Auch würde die Argumentation der Kredite nicht erklären, warum bis 2007 die Salden ausgeglichen waren. Erst mit dem Versiegen der Kreditvergabe an die südlichen Ländern verebbte der Zahlungsstrom von Deutschland aus und die… Mehr
Taget2-Überschüsse müssen analog der Devisenüberschüsse einer nationalen Notenbank gesehen werden, die aus Zahlungsbilanzüberschüssen entstanden sind. Sie sind sozusagen eine Forderung der gesamten Volkswirtschaft ggü. dem jeweiligen Ausland. Die Target2-Salden können nur entstehen, weil sich die Zahlungsbilanzdefizitländer ihre Importüberschüsse über das EZB-System finanzieren können, insofern ist das Kreditfinanzierung über die EZB. Eine gewisse Analogie besteht auch zum Bretton-Woods-System fester Wechselkurse. Nur wären dann hier statt der USA die Defizitländer in gewisser Weise die „Leitwährungsländer“.
2008 destabilisierten Bankschulden das Finanzsystem. Um das Finanzsystem zu stabilisieren, retteten Staaten die Banken.
Inzwischen sind fast alle Staaten so hoch verschuldet, dass sie das Finanzsystem destabilisieren und zum Einsturz bringen können.
Da die „Notenbanken“ ihr Pulver verschossen haben, wird eine Währungsreform wahrscheinlicher.
Leider macht die Politik keine Anstalten über diese wahrscheinliche Entwicklung aufzuklären.
Hallo Matthias, ich kann mich Ihrem Kommentar nur anschließen, zumal ich sehr nah am (aber nicht für das) Finanzsystem arbeite und das von Ihnen beschriebene Spielchen schon seit mehr als 10 Jahren verfolge. Um es kurz und knackig auf den Punkt zu bringen: 1998 wurde LTCM von Banken gerettet, 2008 wurden die Banken vom Staat gerettet, inzwischen retten die Zentralbanken die Staaten und dann? Eigentlich sind die Zentralbanken die letzte Instanz in der Kette. Aber von wem werden die gerettet? Es gibt zwar noch die BIZ, die eine saubere Bilanz hat, aber das wird nicht reichen. Hinter den Kulissen arbeiten… Mehr
„Dass diese Kredite via Geldschöpfung aber zu entsprechenden Forderungen in den Target2-Salden der Zentralbanken in den Ländern führen, in denen diese kreditfinanzierten Käufe getätigt werden, ist der Grund, warum Schuldner ihre Gläubiger erpressen können.“
Das erinnert mich an das schöne Bonmot:
„Schuldest du der Bank 2 Millionen, gehörst du der Bank.
Schuldest du der Bank 10 Milliarden, gehört dir die Bank.“
Durch die Target Salden ist Deutschland erpressbar geworden, ist wie ein Kaufmann der immer anschreiben lässt, weil er Angst hat, dass seine „Kunden“ nicht mehr wieder kommen. Das weiß natürlich auch sein Personal, und so lässt er gebetsmühlenartig verkünden, dass er ein wohlhabender Kaufmann ist, der von seiner „Kundschaft“ am meisten profitiert. Wie das endet ist klar. Da er keine Insolvenz anmelden kann, wird man das eines Tages per Inflation regeln. Bis dahin wäre es gut, dass die schon länger hier Regierenden alle Amtsvollmachten Richtung Brüssel abgeben, so dass der schwarze Peter nicht mehr in Berlin ist. Falls jemand viel… Mehr
Italien wird noch zum Totengräber der EU!
Meine Leseempfehlung: Alfred DeMichele – Wasserscheiden
Ciao Italia kann man da nur noch sagen …
Wer Totengräber der EU ist, ist zugleich Retter der Völker Europas! Grazie Italia!