Rechnungshof schlägt Alarm: „Bund schont Rücklage, erklärt aber Notlage“

In nur zwei Jahren erhöht der Bund seine explizite Verschuldung um 314 Milliarden Euro. Das sind 30 Prozent der Schuldensumme der letzten 70 Jahre. „Die Konsolidierung des Haushalts nach der Krise wird schmerzhaft werden", sagt der Präsident des Bundesrechnungshofs.

imago images / wolterfoto

Wer die Grundrechenarten nach Adam Riese beherrscht, weiß um die Problematik der aktuellen Haushaltspolitik. Geld spielt scheinbar keine Rolle. Der Staat pumpt sich mit Krediten voll, weil wir uns den großen „Wumms“ leisten können, wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz auch jüngst wieder betont. Denn die zweite Stilllegung von Teilen der Wirtschaft wird nicht nur die jahreszeitbedingte November-Tristesse im Land befördern, sondern erneut viele Milliarden Euro zusätzliche staatliche Hilfen erfordern.

Der Bundesrechnungshof (BRH), dessen Aufgabe laut Art. 114 Grundgesetz in der Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes besteht, hat sich jetzt mit einem Alarmruf an den Haushaltsausschuss des Bundestags gewendet. Dort wird derzeit der Haushaltsplanentwurf 2021 beraten, den der Bundestag in der letzten Novemberwoche endgültig als Gesetz verabschieden wird. Erneut setzt die Haushaltsplanung des Bundesfinanzministers auf eine Aussetzung der Schuldenregel des Grundgesetzes. Nur dadurch kann Olaf Scholz die im Entwurf geplante Neuverschuldung von 96,2 Milliarden Euro im kommenden Jahr rechtfertigen. Gälte dagegen die Schuldenregel, müsste er die von ihm gewünschte Kreditermächtigungssumme um 86,2 Milliarden Euro reduzieren.

METZGERS ORDNUNGSRUF 43-2020
Der BRH, eine unabhängige oberste Bundesbehörde, hält in seinem Bericht die Höhe dieser Notlagenkredite für unangemessen. Die Prüfer attestieren der Bundesregierung, den Kreditansatz nicht auf das notlagenindizierte erforderliche Maß zu begrenzen. Das harte Urteil des BRH: „Eine solche Handlungsweise beeinträchtigt nicht nur die finanzwirtschaftliche Wirkung der Schuldenregel, sie ist verfassungsrechtlich problematisch.“ Die Prüfer beschweren sich vor allem darüber, dass der Bund gut gefüllte Rücklagen unangetastet lässt und sich stattdessen riesige neue Kreditlinien vom Parlament einräumen lassen will. Eine Haushaltspolitik nach dem Motto „Schone Rücklagen, erkläre Notlage“ sei so nicht vom Grundgesetz gedeckt. Im Bundeshaushalt existiere eine Rücklage in Höhe von 48 Milliarden Euro, rechnet der BRH vor. Auch diesen Puffer taste Scholz im Etatentwurf 2021 erneut nicht an. Im Bundeshaushalt des laufenden Jahres fließen weitere 26 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds, die dort geparkt, aber nicht gebraucht werden. Diese Beispiele sind Wasser auf die Mühlen der Opposition, vor allem der FDP, die schon länger auf diese üppigen Schattenhaushalte hinweist.

In einem Interview mit der Welt zerpflückte Kay Scheller, der Präsident des BRH, auch die naive Vorstellung der Politik, die fiskalische Erholung nach der Corona-Notlage lasse sich mit einem raschen Wirtschaftsaufschwung so leicht bewerkstelligen wie nach der letzten Finanzkrise. Scheller nannte die damalige Erholung eine Phase der „anstrengungslosen Konsolidierung“. Sinkende Sozialausgaben durch Rekordbeschäftigung, stetig steigende Steuereinnahmen und die Niedrigzinsen bescherten Bund und Ländern im vergangenen Jahrzehnt eine Konsolidierung ohne Ausgabenkürzungen oder explizite Steuererhöhungen, sieht man einmal von der heimlichen Steuererhöhung durch die kalte Progression ab. Ein so bequemes Herauswachsen aus der Krise werde sich nicht wiederholen, so Scheller. Denn der demografische Wandel führe auch nach der Bewältigung der Corona-Krise, die aber aktuell alles andere als überwunden ist, zu massiven finanziellen Herausforderungen für die Renten-, Pflege- und Krankenkassen. Die Ertüchtigung der Infrastruktur – analog wie digital – erfordere Ressourcen, auch der Klimawandel. Und wer mit dauerhaften Niedrigzinsen kalkuliere, um sich die Verschuldung schön zu rechnen, werde womöglich viel schneller als gedacht mit einem gewaltigen Zinsänderungsrisiko konfrontiert.

Im kommenden September wird in Deutschland gewählt. Wahljahre sind noch weniger als andere Jahre Zeiten, in denen Politiker die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Politik offen thematisieren. Der Rechnungshof und sein Präsident tun es. Kay Scheller resümiert im Welt-Interview: „Die Konsolidierung des Haushalts nach der Krise wird schmerzhaft werden. An Ausgabenkürzungen, Abbau von Steuersubventionen und vielleicht auch Steuererhöhungen geht aus meiner Sicht kein Weg vorbei, wollen wir die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte und damit die Stabilität des Landes nicht auf Dauer gefährden.“

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Kommentare ( 33 )

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Peter Hoess
4 Jahre her

Die BRD ist demographisch und sozialpolitisch in keinerlei Weise nachhaltig aufgestellt. Mit der Verrentung der Boomer Generation beginnt der schleichende Kollaps der Sozialsysteme. Zeiten wie die 10er Jahre wird es nie wieder geben. Die Regierung hat irreversibel Billionenlasten für EU und Migration aufgenommen. An Steuersenkungen ist auf Jahrzehnte nicht mehr zu denken. Sobald die Arbeitslosigkeit hoch geht wird es anfangen zu knirschen. Dann beginnt das Hauen und Stechen um die Verteidigung alter angesammelter aber ungedeckter Privilegien.

Peter Gramm
4 Jahre her

Herr Böhringer (AfD) hat dies schon mehrmals thematisiert. Will nur keiner hören. Gestern war unser oberster Kassenswart, Herr Olaf Scholz aus Hamburg im ZDF (Lanz) und gab wieder einmal den Ahnungslosen in Sachen Cum Cum und Cum Ex Geschäften. Er berief sich dabei wieder einmal auf unseren Rechtsstaat und die doch einwandfrei funktionierende Bürokratie. In einem Gespräch mit dem Inhaber der Warburgbank wurde er von diesem darauf hingewiesen dass dieser die geforderten 43 Millionen Euro an hinterzogenen Steuern nicht zahlen könne, da sein Bankinstitut sonst pleite wäre antwortete er, dass das Schreiben an die Behörde geschickt werden sollte. Nachdem Warburg… Mehr

humerd
4 Jahre her

Derzeit plündert der Staat auch die Rücklagen der gesetzlichen Sozialkassen und niemand schaut genauer hin. Die Zukunft des Landes wird gerade verzockt mit großzügigen Entschädigungszahlungen an Gastronomen, Hoteliers, Soloselbständige u.v.m. erkauft sich die Regierung, dass keine Klagen egführt werden. Seit Jahren krankt dieses Land an Subventionitis udn keinen störts. Aber die Mundschutzmaske und Abstand zu Mitmenschen halten, sowie Hände waschen treibt die Leute auf die Straße. Es läuft also wieder wie geschmiert: gib den Leuten Nebenkriegsschauplätze und sie rennen dahin. Wenn es zu Ausgabgenkürzungen kommen sollte, wirds wie üblich der Bundeszuschuss zu den gesetzlichen Sozialkassen und auch hier wieder, wird… Mehr

Chlorhahn
4 Jahre her

„(…) Diese Beispiele sind Wasser auf die Mühlen der Opposition, vor allem der FDP, die schon länger auf diese üppigen Schattenhaushalte hinweist (…)“.

Wenn ich mich nicht sehr irre, weisst vor allem die AFD auf die geschilderten Missstände hin. Nehmen Sie insbesondere die Reden von Boehringer zur Kenntnis.
Sehr geehrter Herr Metzger, deshalb geht ein Ordungsruf auch an Sie.

Wittgenstein
4 Jahre her

Lieber Herr Metzger,

folgenden Auszug fand ich bei Wikipedia… was meinen Sie, passte das?

`Kleptokratie: κρατία kratía ‚Herrschaft‘, also etwa „Herrschaft der Plünderer“, „Diebesherrschaft“) wird im engeren Sinn eine Herrschaftsform bezeichnet, bei der die Herrschenden willkürliche Verfügungsgewalt über Besitz und Einkünfte der Beherrschten haben und entweder sich oder ihre Klientel auf Kosten der Beherrschten bereichern.“

Michael Theren
4 Jahre her

Kennt jemand einen „volksfreundlichen“ Weg der Euro-Schuldenfalle zu entkommen? Wenn nicht dann sollte man sich eingestehen, daß nur ein Staatsbankrott einen demokratisch legitimen Ausstieg aus der jahrzehntelangen Mißwirtschaft darstellt (wer noch Vermögen in Euro hält, dem ist eh nicht zu helfen).
Wenn dieser Weg (wie analog 2008 wo man deren Verluste sozialisierte) nicht begangen wird, dann wird eines deutlich, nicht die Völker bestimmen über die Finanzpolitik, sondern die Finanzindustrie.

Timur Andre
4 Jahre her

Wenn wir die Rücklage wenigstens für den Kauf von Gold nutzen würden, für den Neustart der anscheinend früher kommt als gedacht. Die 1000 Tonnen in den USA werden wir nie wiedersehen. Dann stehen wir mit 2000 Tonnen auf der gleichen Stufe wie Italien, haben aber jahrelang deren Party finanziert

Thorsten
4 Jahre her
Antworten an  Timur Andre

Da müssen sie wohl pirvat vorsorgen. Aber Vorsicht: es könnte zu einer Abgabepflicht wie damals unter Roosevelt kommen. Also auch an andere Edelmetalle denken.

humerd
4 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Nur Bares ist Wahres. Gold von dem niemand weiß, dass es im besitz von Privatleuten ist, kann auch keiner Abgabenpflicht unterliegen. Wusste meine Oma schon.

Frau U.
4 Jahre her

Exzessives Schuldenmachen bis zum Zusammenbruch des Systems und Währungsreform. DDR 2.0 unter 15 Jahren Merkel Administration.
Danke für nichts CDU/CSU Wähler!

humerd
4 Jahre her
Antworten an  Frau U.

glauben Sie etwa die SPD/Linke/Grünen/FDP Großpartei würde es besser machen?

Aegnor
4 Jahre her

Schon in dem Augenblick wo feststand, dass es eine Notstandsregelung in der Schuldenbremse geben würde, war klar, dass diese völlig wirkungslos sein würde. Unklar war lediglich, ob die Politik dann dauerhaft bei jeder Kreditaufnahme den Notstand erklären würde oder ob man dies nur zeitdiskret macht und dafür mehr Schulden aufnimmt als man braucht um die Zwischenzeit zu überbrücken. Dads war so absehbar, wie das was der Hund macht, wenn ich die Tür zur Speisekammer offen lasse. Wobei die Schuldenbremse an sich sowieso völliger Blödsinn war/ist, solange man mit chronischen Schuldenländern in einer gemeinsamen Währung sitzt und denen nicht nur die… Mehr

HGV
4 Jahre her

Es fehlt die vollständige Analyse der Reserven und den ursprünglichen Verwendungszweck. Ein Teil dürfte sicherlich die Rücklage für das Thema Migration und die Folgekosten sein. Es besteht eher die Gefahr, dass die erneute zusätzliche Kreditaufnahme zweckentfremdet und den Reserven hinzugefügt werden. Das Thema Schattenhaushalt hat seit der Wiedervereinigung eine lange Tradition und führt den Wähler in die Irre. Wenn ein Unternehmen so etwas macht und dann damit auffällt, gibt es kein Testat mit den entsprechenden Folgen. Der Bund macht so etwas ohne mit der Wimper zu zucken. Wenn wir eine investigative Presse hätten, dann wäre der Donnerhall durch den BRH… Mehr