Mit dem Auszug der Briten verliert Deutschland seine Sperrminorität in der EU. Frankreich weiß die neue Macht auszuspielen und sichert sich die EZB.
Eines muss man der Kanzlerin lassen: Selbst mit dem Rücken in der Wand gelingen der Poker-Frau manchmal Volten, die Freund und Feind staunen lassen. Der EU-Deal, der mit Ursula von der Leyen womöglich die erste Deutsche seit Walter Hallstein nach mehr als fünf Jahrzehnten an die Spitze der EU-Kommission führt, sofern das EU-Parlament sie tatsächlich wählt, hat der Kanzlerin innenpolitisch womöglich eine längere Verweildauer im Amt beschert. Denn die meisten Kommentatoren, die sie noch am Wochenanfang nach dem gescheiterten Sonntagsgipfel als „lame duck“ gescholten hatten, die in 14 Regierungsjahren noch nie eine europäische Spitzenposition für Deutschland erkämpft habe, mussten jetzt Abbitte leisten. Gabor Steingart, einer der schärfsten Kritiker zu Wochenbeginn, schloss am Mittwoch sein „Morning Briefing“ mit einem alles andere als ironischen „Glückwunsch Kanzlerin!“ Früh am Morgen fehlt eben noch der Überblick.
Dass der Posten einer deutschen Kommissionspräsidentin aber teuer erkauft ist, spielt erstaunlicherweise in der deutschen Rezeption nur eine geringe Rolle. Er könnte sich als Danaerpräsent entpuppen, weil sich im Land noch nicht herumgesprochen hat, dass der Auszug der Briten aus der EU eine fatale Konsequenz für die stärkste europäische Volkswirtschaft hat. Deutschland kann künftig von den Weichwährungsländern unter Führung Frankreichs, dem „Club Med“, überstimmt werden. Die alte Machtbalance zwischen Nord- und Südeuropäern ist perdú. Diese deutsche Erfahrung war bisher auf den Rat der Europäischen Zentralbank beschränkt, wo sich die geldpolitischen Tauben längst gegen die soliden Falken durchgesetzt haben, weil jedes Land nur eine Stimme hat und Jens Weidmann, der Bundesbankchef, immer stärker isoliert war, wenn er Einwände gegen die Niedrigzinspolitik oder die Anleihenkäufe formulierte.
Dass die Geldpolitik in der Eurozone auch künftig vom „Club Med“ dominiert wird, dafür hat nicht nur Frankreich Sorge getragen. Denn auf den ultralockeren Geldpolitiker Mario Draghi folgt mit Christine Lagarde die frühere französische Finanzministerin, die in den vergangenen Jahren als Chefin des Internationalen Währungsfonds den Kurs der EZB unter Draghi stets positiv begleitet hat. Mit ihr an der EZB-Spitze ist mit einer weiteren Politisierung der Geldpolitik zu rechnen – weitere Minuszinsen, die Wiederaufnahme der Anleihenkäufe und die direkte Monetarisierung von Staatsschulden eingeschlossen. Der Pfad zu einer „Japanisierung“ Europas ist ohnehin vorgezeichnet. Dafür sorgt auch eine bereits jüngst getroffenen Personalentscheidung in der EZB. Mit dem Iren Philip Lane hat ein ausgewiesener Anhänger einer lockeren Geldpolitik gerade erst den Posten des Chefvolkswirts übernommen. Er dürfte für die neue EZB-Chefin, die Juristin und keine Ökonomin ist, der wichtigste Ratgeber sein. In den kommenden Monaten endet auch die Amtszeit des Franzosen Benoît Coeure im Direktorium der EZB. Als gesichert kann gelten, dass Italien das Amt besetzen will. Weil Italien im jetzigen Personaltableau der EU-Regierungschefs keinen Posten abbekam, kann als gesichert gelten, dass es in dieser Hinsicht bereits Vorabsprachen gibt. Mehr als nur Spekulation ist auch, dass Italien als Gegenleistung für die Zustimmung zum Personalpaket ein Verzicht der EU-Kommission auf die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens wegen seiner unsoliden Haushaltspolitik in Aussicht gestellt wurde.
Jens Weidmann und damit die solide geldpolitische Denkschule der Deutschen Bundesbank ist Geschichte. Die Weichen für die Weichwährung Euro sind endgültig gestellt. Das Aufregerpotential in Deutschland tendiert aber fast gegen Null, weil sich die Öffentlichkeit viel stärker über die Multiverwendungsfähigkeit von deutschen Ministerinnen echauffiert oder sich an Nachfolgespekulationen im Bundesverteidigungsministerium delektiert.
Die eigentliche tektonische Machtverschiebung in der EU wird ausgeblendet. Und da schließt sich der Kreis zur deutschen Bundeskanzlerin. Hätte sie im Spätsommer und Herbst des Jahres 2015 die deutschen Grenzen für die Massenmigration nicht geöffnet, dann wäre die Brexit-Entscheidung in Großbritannien wohl anders ausgefallen. Denn viele Briten hatten Angst vor einer ungeregelten Zuwanderung (Stichwort: Personenfreizügigkeit), die auch von den Fernsehbildern aus einem damals administrativ hoffnungslos überforderten Deutschland genährt wurden. Das behaupten Kenner der britischen Innenpolitik noch heute. Doch die Kanzlerin und das politische Establishment in Deutschland lassen die Briten ziehen, obwohl unser Land die bittere Zeche bezahlen wird. EU-Europa wird endgültig zur Transfer-Union, für die ein Land Zahlmeister ist, das künftig nicht einmal mehr eine Sperrminorität gegen überbordende Ansprüche organisieren kann.
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Ist das Land erst ruiniert, lebt’s sich weiter ungeniert. Wir müssen mediterraner werden, weniger malochen, DAZU können sie uns nicht zwingen. Zum Malochen. Es soll ja eh wärmer werden. Verkaufen wir halt unser Zeugs an die Araber und Konsorten, bei denen haben wir ein Stein im Brett: Gegen die haben wir als so ziemlich den Einzigen niemals Krieg geführt, im Gegenteil, wir waren immer auf deren Seite – gegen die Engländer, die Franzosen. Unsere pole position. Das wird schon, keine Bange.
Da von der Leyen kaum Interessen Deutschlands vertreten dürfte ist es völlig egal, aus welchem Land die ist. Patriotin ist sie jedenfalls nicht.
Übrigens: Der Satz mit „… die erste Deutsche seit Walter Hallstein nach mehr als fünf Jahrzehnten an die Spitze der EU-Kommission führt …“ ist sinnlos.
Denn Hallstein war nie an der Spitze der EU-Kommission. Zu seiner Zeit gab es nämlich noch gar keine EU.
Leider werden EG, EU, Europa permanent gleichgesetzt, obwohl das durchaus verschiedene Dinge sind.
So lange Deutschland noch zahlen kann, wird gezahlt werden. Aber Deutschland schafft sich ja nicht nur industriell gesehen gerade selber ab. Also bald wird es mit dem zahlen nicht mehr so laufen. Deutschland passt sich der Produktivität des Club Med an. Wir werden eine bunt strukturierte, verarmte, dafür mafiöse EU erleben. Die Träume von KGE, Frau Roth und all den anderen grünroten Mäntelchen werden endlich wahr. Sie freuen sich doch schon so darauf. Hoffentlich kappt man diesen Damen und Herren dann auch ihre „hart erarbeiteten“ Pensionen.
Professor Sinn hat das schon lange vorher thematisiert. Als letztes Mittel falls die Änderung der Verträge scheitert hat er der eine Austrittsdrohung Deutschlands ins Spiel gebracht…notfalls dann den austritt aus dem Euro in Kauf genommen.
Aber die Deutschen sind wohl zu dumm, daher werden sie zahlen müssen, bis zum bitteren Ende…aber keine Sorge, das wird sowieso kommen.
Ich glaube eher an einen Trojaner von Orban & Co., die den derzeitigen Laden obsolet machen wollen in dem sie ihn lächerlich machen.
Die Herrschaften haben sich auf ein Spaltpilzzuchtprogramm vom feinsten geeinigt. Auf das der Laden noch schneller im Orkus verschwindet.
Wie kann man diese Superpleite für Deutschland als Journalist bejubeln oder Merkel noch gratulieren? Was konkret haben wir denn von einer hier bereits politisch erledigten Deutschen als Kommissionspräsidentin ausser Nachteile zu erwarten, in Kombination mit Lagarde als Macrons ganz nationalem Supercoup? Der hat das Maximale für sein Land rausgeholt und Merkel hat zugelassen und arrangiert, dass wir noch mehr über den Tisch gezogen werden als eh schon dank ihrer Politik. Hier wird Stück für Stück das Land zur Beute Nichtstaatsangehöriger jeglicher Couleur gemacht und die journalistische Hofkapelle spielt unverdrossen das Lied von der grossen Führerin. Mir kommt diese klaffende Diskrepanz… Mehr
Die Journalisten halten uns für dumm genug, dass wir ihnen einfach alles abkaufen. Das hat ja auch seit 2015 leidlich gut funktioniert. Vor allem auch deswegen, weil unsere Berichterstatter halt alle mit einer Stimme sprechen. Wenn eine Kanzlerin massive Fehlentscheidungen trifft und die geballte Medienmacht darauf mit einer riesigen Kampagne für diese Fehlentscheidung antwortet, ist das noch Demokratie?
»Das Aufregerpotential in Deutschland tendiert aber fast gegen Null«
Die Generation, die sich noch in den 90er Jahren aufgeregt hätte, ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Was heute an maßgeblicher Stelle sitzt und/oder Rang und Namen hat, ist im Wohlstand geboren, in selbigem aufgewachsen und sozialisiert. Die regen sich nicht über Geld auf, die sprechen auch nur ungern darüber, sie haben es. Das ist wie bei dem Sozialpädagogen* der glaubt, der Strom käme aus der Steckdose.
(*es gibt auch ordentliche solche, die arbeiten dann aber nicht in der Politik, sondern dort,
wo ihre Expertise von Nutzen ist.)
Ich frage mich jeden Tag, ob es Sinn macht, die Artikel auf TE zu kommentieren. Die Beiträge von Herles, Tichy, Walasch, Kraus, Müller-Vogg u.a. sind Journalismus vom Feinsten. Nur ändern die Beiträge und alle Kommentare der Leser nichts am desaströsen Zustand des Landes, das von politischen Gauklern besetzt und geplündert wird. Man muß sich schämen, wehrlos zu sein, den nächsten Generationen verbrannte Erde zu hinterlassen. Man muß zusehen, wie die Demokratie auf dem Altar der Gaukler verbrannt wird, die Gaukler das Volk belügen und die Wähler betrügen. Keiner, ob Merkel od. Groko, wird zur Rechenschaft gezogen. Das Grundgesetz ist Makulatur,… Mehr
Merkel hat diesen Zustand mit Grenzöffnung 2015 billigend in Kauf genommen. Das jetzt Frau vd Leyen EU-Präsidentin wird, mag schmeicheln, ist aber bei ihrer erwiesenen Unfähigkeit eine politische Falle. Noch dazu hat Merkel den viel wichtigeren EZB-Posten dabei wohl verschachert, um ihre „gute Freundin“ einen Abgang in Würden zu ermöglichen. Wie eigentlich immer werden die Merkelschen Erfolge teuer und zum Schaden Deutschlands und seiner Bürger ausgekungelt. Der Euro verkommt immer mehr zum politischen Spielball der „Club Med“-Staaten. Die „Nebenwirkungen“ werden aber ein NOCH DOMINANTERES Deutschland sein, dass gezielt auf einen Ausverkauf des Südens pochen kann, um seine Target-2 Überschüsse abzubauen.… Mehr