Die Kapriolen des Christian Lindner und der Isabel Schnabel

Sowohl Bundesfinanzminister Christian Lindner als auch die deutsche Ökonomin im EZB-Direktorium Isabel Schnabel beherrschen die Kunst, ihre Positionen nach Belieben zu variieren. Die CDU will gegen Lindners Nachtragshaushalt nun vors Bundesverfassungsgericht ziehen.

IMAGO / photothek
Christian Lindner, FDP, Bundesminister der Finanzen, 13.12.2021

Konrad Adenauer, dem ersten Nachkriegskanzler der Bundesrepublik, wird fälschlicherweise das Zitat untergeschoben: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern!“ Auf FDP-Chef Christian Lindner, der zum Auftakt dieser Woche dem Bundeskabinett eine rasch produzierte Kabinettsvorlage für einen 2. Nachtragshaushalt zum Bundeshaushalt 2021 lieferte, trifft dieser Satz aber zu wie der Nagel auf den Kopf. Womöglich würde der wortgewandte liberale Spitzenpolitiker für seine Wendehals-Politik in Sachen grundgesetzkonformer Schuldenpolitik aber lieber ein echtes Adenauer-Bonmot verwenden: „Es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden.“

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Doch die 180 Grad-Wende der FDP in Sachen grundgesetzlicher Schuldenbremse ist schier unglaublich und droht zum Menetekel für eine bürgerliche Partei zu werden, die nicht in der Lage sein wird, die staatlichen Allmachtsphantasien ihrer sozialdemokratischen und grünen Koalitionspartner auch nur ansatzweise auszubremsen. Noch im Sommer 2020, die FDP saß in der Opposition, Union und SPD regierten, wehrte sich die FDP im Bundestag erbittert gegen die Umgehung der grundgesetzlich verbrieften Schuldenbremse. Nur in einer Notlagen-Situation wie der Corona-Pandemie, die der Bundestag per Beschluss feststellen muss, ist dem Bund eine Kreditaufnahme gestattet, die höher als 0,35 Prozent des BIP ausfällt – in konjunkturellen Normallagen. Doch die große Koalition widmete unter dem damaligen Finanzminister und heutigen Kanzler Olaf Scholz nicht in Anspruch genommene Corona-Notfallkreditermächtigungen um und führte per Nachtragshaushalt 26,2 Milliarden Euro einfach dem Energie- und Klimafonds zu. Die FDP protestierte 2020 gegen diesen Trick, Corona-Notfallkredite für andere Haushaltszwecke umzuwidmen und nannte den Vorgang zutreffend beim richtigen Namen: Verfassungsbruch!

Heute amtiert der FDP-Parteivorsitzende als Bundesfinanzminister in einem Amt, für das die FDP offenbar viele Prinzipien aufzugeben bereit ist. Er „boostert“, um ein Modewort aus Corona-Tagen zu verwenden, den letztjährigen Verfassungsbruch der Großen Koalition und steigert die verfassungswidrige Umgehung der Schuldenbremse auf jetzt 60 Milliarden Euro, mit denen er nicht benötigte Corona-Kreditermächtigungen einem Nebenhaushalt zuführt, um sie später für Investitionen in den Klimaschutz und die Transformation des Landes nutzen zu können. Lindner markiert hier den liberalen Vollstrecker einer schuldenfixierten Koalition, ohne zu merken, dass er damit den angeblich erfolgreichen Einsatz seiner Partei für den Erhalt der Schuldenbremse komplett diskreditiert.

Dass der Bundesrechnungshof und alle Landesrechnungshöfe die neue Regierung vor diesem Missbrauch der Schuldenregel bereits vor ihrem Amtsantritt eindringlich gewarnt haben: Sei’s drum! Dass auch der profilierte ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof diesen Trick als verfassungswidrige Umgehung der Schuldenbremse einstuft: Ohne Belang! In der Opposition erinnert sich die Unionsfraktion, die als Regierungsfraktion noch im vergangenen Jahr bei dieser Umgehungsaktion eifrig mitmachte, an die Verfassungsnorm der Schuldengrenze und will, wie Fraktionschef Ralph Brinkhaus und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Dienstag ankündigten, das Bundesverfassungsgericht anrufen: Immerhin!

Wenn EZB-Direktoriumsmitglieder irrlichtern

Kapriolen der besonderen Art dreht auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Isabel Schnabel. Die Dame saß bis 2019 fünf Jahre lang als Mitglied im „Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Seit Januar 2020 ist sie für Deutschland Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) und fällt seither vor allem dadurch auf, dass sie die exzessive und interventionistische Geldpolitik der EZB schön redet. Die zunehmend galoppierende Inflation ignorierte sie bis vor kurzem. Noch im September ließ sie sich wie folgt dazu aus: „Rechnet man also die Basiseffekte der Pandemie heraus, ist die Inflation momentan weiterhin eher zu niedrig als zu hoch.“ In den letzten Wochen hat EZB-Direktorin Schnabel zwar immerhin die seit einer Generation nicht mehr gekannten Inflationsraten zu registrieren begonnen, nimmt aber weiterhin penetrant impertinent nicht zur Kenntnis, dass dieser wachsende Kaufkraftschwund zu den Risiken und Nebenwirkungen der herrschenden Niedrigzinsen und der Geldschwemme der EZB zählt.

Was Isabel Schnabel kürzlich zur Niedrigzinspolitik der EZB und den Staatsanleihekäufen zum Besten gab, ist blanker Unsinn. Sie verstieg sich zu der Behauptung, dass die EZB die Zinsen erst erhöhen könne, wenn sie die Anleihekäufe einstelle. Denn sonst würden Buchverluste entstehen, weil der Preis der in der EZB-Bilanz liegenden Anleihen fällt, wenn der Zins steigt. Dadurch würden die Eurozentralbanken freiwillig Verluste in ihren Bilanzen ausweisen müssen. Das würde Verluste beim Steuerzahler zur Folge haben, der die Bilanzverluste dann wieder ausgleichen müsse. Markus C. Kerber hat in einem TE-Beitrag in dieser Woche auf diese Schnabel-Argumentation bereits aufmerksam gemacht.

Der zweite Wortbruch in der ersten Woche
Lindner trickst Schuldenbremse aus: Corona-Kredite sollen Klima-Kredite werden
Doch hier irrt Frau Professorin Schnabel fundamental. Denn Zinserhöhungen und die von ihr befürchteten Bilanzverluste betreffen doch nicht die neuen Anleihekäufe, sondern den Bestand, der zu hohen Preisen gekauft wurde. Erst wenn dieser Bestand weg wäre, würden Zinserhöhungen keine Bilanzeffekte auslösen. Oder hat die EZB-Direktorin im Ernst gemeint, die Zentralbank müsse erst den gesamten Staatsanleihebestand zu niedrigen Zinsen, sprich hohen Preisen, los geworden sein, bevor sie an Zinserhöhungen denken könne. Dann kämen höhere Zinsen erst am St. Nimmerleinstag. Wollte Schnabel uns etwa darauf einen Hinweis geben? Dann können wir davon ausgehen, dass die EZB auch nach ihrer Sitzung an diesem Donnerstag noch keine Anstalten machen wird, einen echten geldpolitischen Kurswechsel einzuschlagen, um die sich verfestigenden Inflationserwartungen zu dämpfen.

Noch ein kurzer Rapport zu Buchverlusten bei der Zentralbank: Buchverluste werden erst dann zu tatsächlichen Verlusten, wenn Anleihen vor Endfälligkeit verkauft werden. Es sieht bisher überhaupt nicht danach aus, dass sich die EZB in den nächsten Jahren von ihrem Anleihebestand trennen will. Selbst wenn sie bei vorzeitigem Verkauf Verluste erzielen würde, stehen trotzdem erhebliche Bewertungsreserven in ihren Büchern, mit denen sie diese Verluste abfedern könnte. Aber selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass die Notenbank ihr Eigenkapital verlieren würde, gibt es keine zwingende Pflicht, dieses mit Steuergeld wieder aufzufüllen. Denn eine Zentralbank kann auch mit negativem Eigenkapital operieren, das sie mit der Zeit durch einbehaltene Gewinne wieder aufstocken kann. Dafür gibt es Beispiele aus der jüngeren Geschichte, etwa Israel.

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Kommentare ( 38 )

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andreashofer
3 Jahre her

Italien hat zum “Wiederaufbau” 200 Milliarden bekommen. Dieser Sache hat die FDP zugestimmt. Eine Schuldenbremse nur in Deutschland ist doch ein Witz, wenn der deutsche Steuerzahler mehr und mehr dazu bemüht wird, für die Renten und Schulden anderer Länder aufkommen zu müssen. Insofern sind die Schulden vollkommen okay, wenn sie für was Vernünftiges aufgenommen werden würden, z.B. Bildung und Steuerentlastungen, damit die Bürger sich was aufbauen können. (In Dänemark z.B. kommt zum Erwerb einer Immobilie nur eine Umschreibegebühr von nicht mal einem Prozent dazu, in D sind es mit allem drum und dran mal locker 10 bis 15%) Problematischerweise wird… Mehr

Last edited 3 Jahre her by andreashofer
beuer
3 Jahre her

Ein Freund von mir im gleichen Alter (Ende 50) hat damals, als die FDP von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl wechselte, gesagt, es handle sich bei ihr um eine „Hurenpartei“, die alles tue, nur um an der Macht zu bleiben oder an sie zu kommen. Mir erschien dieser Ausdruck bislang etwas übertrieben. Heute weiß ich, dass mein Freund recht hatte.

Kristina
3 Jahre her

Schon vor der Wahl habe ich mit Befremden gesehen, wie viele aus Frust über Merkel/Laschet plötzlich die FDP hypten. Der Tenor war vielfach, als die Koalitionsverhandlungen begannen, dass die FDP das notwendige Korrektiv wäre, um Schlimmeres zu verhindern. Selbst Journalisten, deren Meinung ich sehr wertschätze, vertraten dies in diversen Artikeln. Und jetzt? Viele sind wütend, dass die FDP jetzt plötzlich pro Impfpflicht ist. Ich sehe eine viel größere Gefahr in der Finanz- und Migrationspolitik. Linder macht horrende Schulden mit einem Trick, den er vor einiger Zeit heftig kritisiert hat. Unsere Finanzen werden immer instabiler. Logisch, eine Inflation von10% + ist… Mehr

Amerikaner
3 Jahre her

Ob die CDU gute oder schlechte Oppositionsarbeit macht, kann man diskutieren. Aber wenigstens haben wir jetzt erste, wenn auch zarte Anzeichen einer Opposition. Immerhin!

RauerMan
3 Jahre her

Es stimmt,daß niemand daran gehindert wird, „klüger“ zu werden.
Wörtlich genommen,sollte sich die FDP darauf besinnen.
Die auf die FDP gesetzten Hoffnungen, einen „Durchmarsch“ von R/G zu verhindern, erfüllen sich bereits nach wenigen Tagen nicht und lassen ahnen, wie der staatstragende Mittelstand aufgerieben wird , und der bisherige wohlstansverwöhnte Bundesbürger, in Zeiten der vergangenen fünfziger-Jahre zurückgeworfen wird. Zu hoffen, daß die Inflation nicht beginnt zu galloppieren, kann aber nicht mehr mit der FDP verbunden werden.
Jammern hilft aber nichts, die Union muß auch ganz stille sein, sie hats versemmelt.

Boris G
3 Jahre her

Was die Vodoo-Finanzökonomen wohl nicht auf dem Schirm haben, sind die psychologischen Folgen bei den Marktteilnehmer, wenn sie mit einer gallopierenden Inflation konfrontiert werden. Ist das Vertrauen in eine Währung erst einmal dahin, gibt es kein Halten mehr. Argentinien, die Türkei oder das Deutsche Reich waren und sind Beispiele für den Höllenritt ins Chaos: Rasche Regierungswechsel, Aufstände, Verarmung und mitunter Bürgerkrieg. Am Ende traf es so auch die Lateinische Münzunion und besonders die Schweizer fragten sich damals: War es das wert?

DW
3 Jahre her

Die CDU hat immer noch nicht verstanden. Die Ergebenheit des Bundesverfassungsgerichts und der Medien galt und gilt Merkel, nicht der CDU.

merlin999
3 Jahre her

Lindner und Scholz können sich der Unterstützung aus Karlsruhe sicher sein. Dafür hat schon die Patriarchin aus dem Osten vorgesorgt.

Dieter Rose
3 Jahre her
Antworten an  merlin999

Nicht nur aus Karlsruhe kommt Unterstützung.
Auch die Medien spielen das Spiel mit –
denn über die Opposition wird in dieser Reihenfolge berichtet:
CDU – CSU – Die Linke – Afd,
als genau in der Reihenfolge ihres Wahlergebnisses(!?!)

Bambu
3 Jahre her

Es dauert immer eine Weile bis die Wähler realisieren, was da geschieht. Nächstes Jahr sind eine ganze Menge Landtagswahlen, wo die FDP heute recht stark vertreten ist. Den erarbeiteten Erfolg verspielt Lindner zur Zeit leichtsinnig und ich gehe davon aus, dass im nächsten Jahr wieder einige FDPler ihren job verlieren werden.

Deutscher
3 Jahre her

Die FDP ist auf meiner Beliebtheitsskala schon lange gleichauf mit den Grünen – am alleruntersten Ende.
Selbst die Linke ist mir sympathischer, die haben wenigstens noch Sarah Wagenknecht: Sie allein hat mehr Rückgrat und Substanz als die gesamte FDP.

Last edited 3 Jahre her by Deutscher
Grenz Gaenger
3 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Was nutzen Rückgrat und Subtanz einer Sarah Wagenknecht der SED namens DieLInke? Da liegen doch heute schon Welten dazwischen, denn im Gegensatz zur SED fühlte sich Sarah Wagenknecht im Verlaufe der letzten Jahrzehnte nicht daran gehindert, jeden Tag klüger zu werden.

Last edited 3 Jahre her by Grenz Gaenger