Eine Regierungspartei ohne Kompass, die zwischen Anbiederung an die Grünen und Abgrenzung zur AfD oszilliert, hadert mit ihrer Abhängigkeit von der Noch-Kanzlerin.
Demissioniert sie oder hält sie durch bis zum Ende der Legislaturperiode? Wann geht sie – mit Ankündigung oder holterdiepolter? Wer folgt ihr: AKK, Laschet, Merz oder irgendwer sonst? Gibt es dann Neuwahlen oder eine Kanzlerwahl im Bundestag? Wird die parlamentarische Sommerpause zum Krisensommer der CDU, die der SPD in den Abgrund zu folgen droht? Oder kann eine Noch-Volkspartei, die programmatisch ausgelaugt ist und vorwiegend mit sich selbst hadert, einen erfolgreichen Neustart wagen, solange Merkel als Kanzlerin präsidiert? Ein ehemaliger Staatssekretär brachte das Dilemma der CDU hinter verschlossenen Türen auf den fatalistischen Nenner: „Wir sind – ob es uns passt oder nicht – auf Gedeih und Verderb Angela Merkel ausgeliefert!“
Selbst altgediente Beobachter der politischen Szene können sich nicht erinnern, je so viel Larmoyanz und Fatalismus bei Unionsabgeordneten wahrgenommen zu haben wie heute. Dabei ist die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause ansonsten immer geprägt von der Vorfreude auf den Urlaub, den sich auch Abgeordnete in der langen Berliner Sitzungspause gönnen. Doch niemand weiß, was in diesen Sommertagen an disruptiven Personalentscheidungen ansteht, Sondersitzungen des Parlaments eingeschlossen. Im heißen Treibhausklima dieser Tage gedeihen so manche Hirngespinste. Was passiert, wenn beim EU-Sondergipfel am Sonntag keine Einigung auf das Personaltableau für die diversen Spitzenpositionen der EU zustande kommt und die deutsche Kanzlerin erfolgreich gedrängt wird, doch EU-Kommissionspräsidentin zu werden? Immerhin hat sie, wie auch der französische Präsident, bereits signalisiert, dass sie künftig für transnationale Listen zur Wahl des EU-Parlaments eintritt – mit echten EU-europäischen Spitzenkandidaten. Dieses Friedensangebot an das EU-Parlament verbunden mit einer EU-weit breit getragenen deutschen Ex-Kanzlerin an der Kommissionsspitze, das würde doch einen souveränen Ausweg aus der aktuellen Personalblockade bieten, mutmaßen nicht wenige in Berlin.
Doch wer kommt dann? Am Dienstagabend trafen beim traditionellen Sommerfest des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion einige als Nachfolger gehandelte Aspiranten auf die Kanzlerin. Sie redete kurz, sparte sich das Thema EU komplett und hofierte vorwiegend den geladenen Mittelstand. Der Applaus war freundlich, die etwa 2.000 Gäste waren ruhig. Als die Parteivorsitzende AKK redete, deutlich länger und reichlich beliebig, wurde es lauter und der Applaus war deutlich spärlicher. Friedrich Merz war im Garten des Kronprinzenpalais dabei, auch Jens Spahn natürlich wie diverse andere Bundesminister. Nur Armin Laschet aus NRW sah man nicht.
Wer während AKKs Rede aufmerksam in den Gesichtern der vielen Unionsabgeordneten zu lesen suchte, ob eine Wachablösung im Kanzleramt durch die Saarländerin für die Union neuen Elan versprechen könnte, sah alles andere als Begeisterung. Wer soll es denn machen, wenn Merkel demissioniert, seufzen sie hinter vorgehaltener Hand. Drohen dann Neuwahlen, die doch SPD wie Union gleichermaßen scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Außer bei den Grünen, die kollektiv lieber gestern als heute Neuwahlen hätten, um endlich ihre demoskopische Stärke auch in Mandate umsetzen zu können, freut sich im Reichstag niemand auf Neuwahlen. Bei der SPD wackelten bei den derzeitigen Umfrageergebnissen fast die Hälfte der bisherigen Abgeordnetenmandate. Auch bei der Union müssten gut 50 MdBs mit dem Verlust ihrer Mandate rechnen, sollten sich die schlechten Umfrageergebnisse tatsächlich bei Neuwahlen niederschlagen. Die Angst vor dem Mandatsverlust wird zusätzlich dadurch unkalkulierbar, dass in manchen Ländern die Listen nicht mehr ziehen, weil die Union mehr Direktmandate erzielen dürfte, als ihr nach dem Verhältniswahlrecht tatsächlich Mandate zustehen.
Ja, in der Tat: Viele Abgeordnete in Berlin haben richtiggehend Angst vor Neuwahlen. Denn das Volk agiert in ihren Augen immer irrationaler. Versucht die Union Grüne Klimaschutz-Phantasien zu adaptieren, dann wählen bisherige Unionswähler lieber gleich das Original. Versucht die Parteivorsitzende in der Fernsehrunde bei Anne Will eine harte Abgrenzung zur AfD, weil diese Partei beim Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke quasi den Finger mit am Abzug des Täters hatte, dann beklagen sich sächsische CDU-MdBs im kleinen Kreis, damit treibe AKK der AfD im Osten eher weitere Wähler zu, weil die sich nicht kollektiv in die rechtsextremistische Ecke schieben lassen wollten.
Doch „Niemals mit der AfD!“ ist seit Montag offizielle Beschlusslage des CDU-Präsidiums. Abgrenzung gegen Rechts beherrscht den medialen Raum und die CDU lässt sich – ohne die strategischen Konsequenzen zu bedenken – mitreißen. Dabei droht der CDU – und das sagen die sächsischen CDU-Leute frank und frei – gerade wegen der AfD eine bittere Niederlage am 1. September. Ministerpräsident Kretschmer könnte den Wahlkreis Görlitz, in dem er auf den AfD-„Verlierer“ (mit 44%) der Görlitzer OB-Wahl trifft, genau an diesen Mitbewerber verlieren.
Die CDU Sachsen wird, selbst wenn sie knapp vor der AfD bleiben sollte, eine Koalition mit den Linken und den Grünen bilden müssen, um die starke AfD in der Opposition zu halten. Manche politischen Unvereinbarkeitsbeschlüsse münden dann eben in Koalitionen mit dem Klassenfeind von gestern – der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“. Politik paradox! Sollte die Bundes-CDU glauben, dann künftig vor Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot warnen zu können, wenn man selbst mit der Linkspartei koaliert, dann haben die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus nicht alle Tassen im Schrank.
Anzeige
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Welche Leute gehören diesem „Estabishment“ an?
Sehr geehrter Herr Metzger, wenn man mit etwas nicht mehr einverstanden ist, gibt es 2 Möglichkeiten, ich halte meine Klappe und sitz dies aus, oder ich widerspreche, notfalls trete ich aus. Auch die Werte Union ist keine Alternative, sie ist nur etwas rechter als die linke CDU, es sind genauso Angsthasen wie die anderen, Merkel ist nicht die Königin, es kann sein, dass sie morgen zurück treten muss, eventuell aus gesundheitlichen Gründen, und dann, geht die CDU unter? Auch Merz ist kein Nachfolger, er ist ebenfalls ein Feigling, ist er nicht gegangen, als er merkte, dass er gegen die Merkel… Mehr
Danke. Genau so isses.
Es mangelt eben an Mut, etwas völlig Neues zu versuchen. Kurz hat in Österreich doch vorgemacht, wie man eine abgewirtschaftete Partei wieder nach oben bringt.
Mut ist in D nicht gerade sehr weit verbreitet … Es sei denn wenn es gegen das eigene Vol geht.
Aber, aber …
die stärkste relative relative Mehrheit der Wähler favorisiert Schwarz/Grün oder Grün/Schwarz als nächste Koalition.
https://www.forschungsgruppe.de/Aktuelles/Politbarometer/
Dabei ist die Richtlinienkompetenzinhsberin die beliebteste Politikerin überhaupt, der Kollege von den Grünen folgt ihr mit hauchdünnem Abstand in dieser Bewertungskategorie.
Alles ist gut, der Souverän weiss offensichtlich, was er will.
Das ist Demokratie. Wer wollte sich dessen Willen wirklich entziehen?
Tut mir leid, aber ich zweifele diese Ergebnisse der Forschungsgruppe an. So bescheuert kann „der Wähler“ einfach nicht sein. Oder …
Fragen Sie mal in Ihrem Umfeld … .
Vielen Dank Herr Metzger. Ich habe heute einen Job einer Kollegin übernommen die ab sofort in Rente geht. So weit, so gut, beim Abschied stand eine junge Frau neben mir (25+-) und meinte zu mir ich müsste jetzt den Job der *Mutti* übernehmen………..ich bin immer noch zutiefst empört (ich teilte ihr das auch mit, aber die junge Dame schien beratungsresitent). Es ist für mich zutiefst erschreckend wie *junge Leute* ans Arbeitsleben heran gehen. Mich wundert gar nichts mehr. Ich habe ihr den Zahn gezogen, was sie mit negativer Entrüstung kund getan hat. Mir völlig wumpe,. Aber Kernaussage war für mich,… Mehr
Da sich doch eine Reihe von Lesern über folgenden Halbsatz mokieren: „…., weil diese Partei beim Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke quasi den Finger mit am Abzug des Täters hatte, …“ will ich dazu kurz Stellung nehmen. Das ist natürlich kein Zitat von AKK, sondern eine überspitze Wertung dessen, was nicht nur in dieser Anne Will-Sendung über die „geistige Mittäterschaft der AfD“ behauptet wurde. Mit dem Wort „quasi“ und im Kontext des ganzen Satzes war das für mich beim Schreiben selbsterklärend. Wer eine andere Version passender fände, voila: „…, weil diese Partei beim Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke quasi den… Mehr
Aus dem Kontext war klar, wie der Satz gemeint war.
Danke für diese Erläuterung.
Anders herum wird ein Schuh daraus, Herr Metzger: Die CDU hat sich auf Gedeih und Verderb der Raute des Schreckens ausgeliefert. Wie sagt man doch so schön: Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Wenn jetzt der Absturz dieser inzwischen völlig überflüssigen Blockflötenpartei droht, sind die CDU-Schranzen selbst daran schuld. Es geht hier ja auch gar nicht um gute Politik und das Wohl des nicht nur von der Kanzlerin verachteten Volkes, sondern einzig und allein um die Pöstchen und die damit verbundenen Sinekuren (lat. sine cura = ohne Mühe). Es wird schon weh tun, nach einer Wahlschlappe sein Mandat zu verlieren und mit ihm… Mehr
„Wir sind – ob es uns passt oder nicht – auf Gedeih und Verderb Angela Merkel ausgeliefert.“ Ich fasse es nicht. Welch jammernder Teenager gefällt sich hier in der Opferrolle? Welch kindischer Erwachsener erdreistet sich das Passiv zu benutzen? Wer sich in opportunistischer Manier „ausliefert“, um sich dann zu beklagen, demonstriert ein Maß an Feigheit, das an Ungeheuerlichkeit nicht zu überbieten ist. Ich gehe davon aus, dass die meisten CDUler mit Frau Merkel überaus zufrieden sind. Wäre dem nicht so, was hielte sie davon ab, sich der Werte-Union anzuschließen, sich auf ihr unabhängiges Gewissen zu besinnen und sich endlich darum… Mehr
Kurzweiliger Bericht von der Berliner Stimmungsfront. Auf dem Sommerfest des „Parlamentskreises Mittelstand“ scheint es ja ein paar Hinterbänkler gegeben zu haben, die in Sorge um ihre Versorgung sind. Merkel zieht nicht mehr. Sitze gehen verloren. Die neuen Zugpferde reissen keinen vom Hocker. Tristezza also und Trübsinn auf dem Sommerfest. Und das auch noch bei tropischen Temperaturen, die sowieso nur der Kinderpartei in die Hände spielen. Ich nehme an, Herr Metzger, Sie waren persönlich da und berichten aus erster Hand. – Nehmen Sie’s mir aber nicht übel, nach meiner Gewohnheit prüfe ich sofort alles nach, was micht interessiert. Auf besagtem Sommerfest… Mehr
Viel schlimmer ist ja die offensichtliche Feigheit der dort anwesenden „Mittelständler“ vor den Politgauklern. Es sieht nicht gerade so aus, als wäre denen mal richtig die Meinung gegeigt worden.
Woher wollen Sie das wissen? In der CDU finden Revolutionen, Aufstände, Stürme gegen die Kanzlerin nur – ps, ps, ps – hinter vorgehaltener Hand statt. Wir Bürger auf der Tichy-Plattform werden davon nie etwas mitbekommen. Es sei denn, Oswald Metzger schnappt gelegentlich mal ein paar Gesprächsfetzen nervös werdender Parlamentarier auf. Was den Mittelstand angeht – der hat gar keinen Grund, sich wegen Merkel oder um Deutschland Sorgen zu machen. Die Politik der offenen Grenzen funktioniert in beide Richtungen. Wem die EEG-Umlage zu hoch ist und keine brauchbaren Fachkräfte findet, zieht sein Unternehmen ab. Soziologen nennen das: „Exit statt Voice“.
Wenn die AfD mit den Finger am Abzug hatte, dann haben auch alle Altparteien bei sämtlichen Morden von Migranten mitgemessert. Von sonstigen Verwerfungen ganz abgesehen. Eine andere Bewertung geht nach dieser Logik nicht.