Deutsche Regierung stellt sich gegen das Bundesverfassungsgericht

Statt zu mehr Solidität verführte die von vielen Regierungen gewollte EZB-Strategie erst recht zu einer weiteren Schulden-Orgie – bei Staaten, Unternehmen und Bürgern.

Am 10. Juli wird vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Straßburg das umstrittene Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) verhandelt. Obwohl das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im August 2017 starke Bedenken gegen dieses Kaufprogramm formulierte und in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH auf ein beschleunigtes Verfahren drängte, weil „die Rechtssache eine rasche Erledigung erfordert“, ist bis zur mündlichen Verhandlung fast ein Jahr vergangen. In diesen 12 Monaten kaufte die EZB weitere Staatsanleihen über mehr als 500 Milliarden Euro auf. Seit Beginn des Wertpapierkaufprogramms (APP) und des darin enthaltenen Staatsanleihekaufprogramms (PSPP) im März 2015 hat die EZB Wert- und Staatspapiere von mehr als 2,4 Billionen Euro aufgekauft und ihre Bilanz entsprechend von rund 2 Billionen auf fast 4,5 Billionen Euro aufgebläht.

Point of no return
Was Scholz jetzt tun müsste, um unser Geld vor EU, EZB und Banken zu retten
Ganz offenkundig spielte der EuGH in diesem Streit auf Zeit. Ob nach der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung noch während der Laufzeit des Kaufprogramms zu erwarten ist, bleibt ungewiss. Inzwischen hat die EZB den sukzessiven Ausstieg aus dem APP-Programm verkündet. Schon seit Januar 2018 hat sich das monatliche Kaufvolumen von 60 auf 30 Milliarden Euro halbiert. Ab September dieses Jahres wird es bis zum Auslaufen im Dezember dann weiter auf 15 Milliarden Euro im Monat reduziert. Doch auch danach wird sich am billionenschweren Bestand im Portfolio der EZB zunächst nichts ändern. Denn fällig werdende auslaufende Anleihen werden im Volumen sofort wieder reinvestiert, wie Mario Draghi nach der letzten EZB-Ratssitzung erklärte. Und auch die Nullzinspolitik soll bekanntlich bis weit ins Jahr 2019 beibehalten werden. Die hinter dem EZB-Kaufprogramm stehende Absicht, die von den Klägern vorgebracht und im Fragenkatalog des Vorlagebeschlusses des BVerfG an den EuGH unterstützt wird, gipfelt in dem Vorwurf, dass die EZB damit ihr Mandat überschreitet und verbotenerweise Staatsschulden monetarisiert. Während Sparer enteignet werden, spendiert die EZB der Politik in der Eurozone marktwidrig niedrige Refinanzierungskosten für alte wie neue Staatsschulden. Statt zu mehr Solidität verführte diese EZB-Strategie erst recht zu einer weiteren Schulden-Orgie – bei Staaten, Unternehmen und Bürgern. Selbst das angeblich so solide Deutschland hat seine ausgeglichenen Staatsbudgets nicht sparsamer Haushaltsführung, sondern den seit Jahren stark gesunkenen Zinsausgaben für die bestehenden Staatsschulden zu verdanken.

Wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Anfang der Woche berichtete, empfehlen sowohl die EZB als auch die EU-Kommission in ihren Stellungnahmen im EuGH-Verfahren eine Klageabweisung. „Die EZB schlägt dem EuGH vor, die Vorlagefragen (des BVerfG) dahingehend zu beantworten, dass deren Prüfung nichts ergeben habe, was die Gültigkeit der EZB-Beschlüsse zum Kauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors beeinträchtigen könnte. Nahezu exakt den gleichen Wortlauf verwendet die EU-Kommission für ihren Entscheidungsvorschlag“, so die NZZ.

Dass sich die deutsche Bundesregierung so eindeutig auf die Seite der EZB schlägt, verwundert angesichts der seit Jahren praktizierten Euro-Rettungspolitik nicht wirklich. Allerdings ist schon erstaunlich, wie kaltschnäuzig eine deutsche Regierung die massiven Bedenken des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom Tisch wischt. Noch einmal die NZZ: „Die Bundesregierung kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass das PSPP (Staatsanleihenkaufprogramm) sich in dem vom Unionsrecht vorgegebenen und in der Rechtsprechung des EuGH konkretisierten Rahmen bewegt und deshalb weder gegen entsprechende Paragrafen des Vertrags über die Arbeitsweise der EU noch gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verstößt. Zudem geht die Bundesregierung davon aus, dass eine unbegrenzte Verteilung von Verlusten beim Ausfall von Staatsanleihen rechtlich nicht zulässig ist.“

Gewitterwolken am Horizont
Boom vorbei
Zu recht sehen das die insgesamt vier Klägergruppen aus Deutschland anders. Der Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber als Prozessbevollmächtigter einer Klägergruppe hält die EZB-Stellungnahme für eine „Absichtserklärung zur völligen Selbstermächtigung“. Die Notenbank räume nur ein, dass sie nicht am Primärmarkt kaufen dürfe. Außerdem sichere sie beim Kauf am Sekundärmarkt zu, dass der Markt nicht exakt wissen darf, was und wann die EZB kauft. Ansonsten erteile sich die EZB das Mandat für eine grenzenlose Offenmarktpolitik unter dem Deckmantel der Preisstabilität. Auch der Europaabgeordnete und Wirtschaftsprofessor Joachim Starbatty als Vertreter einer weiteren Klägergruppe kritisiert das „Totschlagargument“ der EZB, die alle ihre Handlungen damit begründe, dass der geldpolitische Transmissionsmechanismus gestört sei. Ob seine Hoffnung allerdings aufgeht, dass der EuGH dieser Argumentation Grenzen setzt, ist eher zweifelhaft.

Denn schließlich hatten die deutschen Verfassungsrichter bereits vor Jahren einmal einen Vorlagebeschluss zum geplanten, aber noch nie umgesetzten OMT („Outright Monetary Transactions“)-Programm der EZB wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ans EuGH geschickt. Mit kleinen Auflagen erteilten die europäischen Richter der EZB dann allerdings einen Freibrief. Das Bundesverfassungsgericht machte sich dann anschließend die EuGH-Sicht zu eigen. Muss man ein Prophet sein, um eine Wiederholung dieses Vorgangs auch im aktuellen Fall zu unterstellen?

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Kommentare ( 53 )

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53 Comments
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elly
6 Jahre her

Deutsche Regierung stellt sich gegen das Bundesverfassungsgericht, gegen Gesetze – gegen das eigene Volk. Und das unabhängig davon, welche Parteien gerade regieren.

Edu
6 Jahre her

Der EURO hängt nicht vom EUGH ab, sondern von der Liquidität und Stabilität Deutschlands und einiger keiner Nachbarstaaten wie BENELUX und Österreich. Nach der merkelschen Politik halte ich Deutschland nicht für besonders kisensicher – in dem Fall fällt Draghis Kartenhaus zusammen.

Wuidara
6 Jahre her

Die schwarze Null unserer Finanzminister ist nichts anderes als eine Luftnummer. Durch die Nullzinspolitik der EZB kann sich D Kredite so billig wie nie beschaffen. Dass dies durch die faktische Enteignung der eigenen Bevölkerung – z.B. Sparer, Vorsorger für die Alterssicherung- geschieht, interessiert unsere Regenten schon seit Jahren nicht, von wegen erst das sogenannte „Bundesverfassungsgericht“. Somit bedarf es noch nicht einmal einer Währungsreform, damit sich der Staat auf Kosten der treudoofen Kreuzchenmaler entschulden kann.

mlw_reloaded
6 Jahre her

Mich wundert garnichts mehr. Der Kurs ist eingeschlagen, und der lautet Eurosystem retten, koste es was es wolle. Kritiker, auch wenn sie im BVerfG sitzen, sind da nicht mehr als Störenfriede in der letzten Reihe. Man hält die Blase vom Platzen ab, indem man sie weiter aufbläst. Klingt komisch, funktioniert nun aber schon seit zig Jahren ganz prima. Dem Plan widersprechende Expertenmeinungen oder richterliche Beschlüsse sind nicht gewünscht, Punkt.

Thorsten
6 Jahre her

Die EZB ist wie der EuGH nur die Vollstreckungsgehilfin der Politik. Das Ergebnis dieser Politik, ist die Umverteilung des deutschen Volksvermögens in der EU. Solange dies nicht gewisse Größem überschreitet, wird dies nicht vermeidbar sein.

Es gibt nur wenige Möglichkeiten dies zu verhindern. Entweder europa-feindliche Parteien wählen, oder sein Geld aus dem Euro in andere Wäherungen wie Dollar oder Euro umschichten. Analog wie bei Immobilien hat man dann andere Risiken – aber auch Chancen.

Der Euro ist das größte „Merkel-Experiment“.

Thorsten
6 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Es soll heißen: „Währungen wie Dollar oder Gold“. Kleiner Tipfehler – große Wirkung 😉

horrex
6 Jahre her

Fazit:
Es muss erst noch WEIT schlimmer kommen bevor es wieder besser werden kann.
(Die Dramaturgie folgt der des klasischen Dramas.
Die ihrerseits seits ja NUR dem tatsächlichen Leben abgeschaut wurde.)

Henni
6 Jahre her

Und jetzt?Fazit? Was wollen Sie unternehmen? Sich bei Tichy ausweinen hilft uns auch nicht wirklich weiter. Grosso modo wissen wussten wir das alles schon. Die Lösung kann nur lauten, einmal den ganz großen Knall zuzulassen, und anschließend aus dem EURO auszusteigen. Man wird stark gestutzt aus dieser Schuldenmisere herauskommen. Vor allem die EURO-Geldbesitzer, sprich Sparer. Das sind aber auch Italiener, Spanier etc…nicht nur wir Deutschen. Die Schuldner werden sich freuen, auch millionen deutsche Häuslebauer. Aber es hilft den Schulden-Ländern enorm. Plötzlich sind 50 % des Euros-Wertes vernichtet. Vielleicht noch mehr. Damit sind auch 50 % der Schulden aufgelöst, wahrscheinlich noch… Mehr

Thorsten
6 Jahre her
Antworten an  Henni

Für die deutschen Immobilienbesitzer wird eines Tages wieder mal ein „Lastenausgleich“ kommen. Ich nenne es einfach schon mal „Merkel-Hypothek“ 😉

horrex
6 Jahre her

Es ist längst nicht nur die Frau die das Problem darstellt. – Es ist „das System Merkel“. – Das all die Personen umfasst die sich „dieser (!) EU-Ideologie“ verschrieben haben. – In Berlin ud Brüssel. – Ein System das sich die nötigen Mehrheiten (per Aufnahme von Ländern) in Form von (kurzfristig(!) nur) Profiteuren Im Süden und Osten per EU-Subventionen „gekauft“ hat indem man sie (vom anfangs noch) „guten Namen“ profitieren ließ. – – Inzwischen ist – global gesehen – der gute Name längst ruiniert. – (Darüber hinaus der angebliche innere Zusammenhalt nur noch „Theater“.) Washington, Moskau und Peking mit ihren… Mehr

Axel Jung
6 Jahre her

Man kann nur hoffen, dass der EuGH diesen Spuk beendet und die EZB weiter ihre Arbeit machen lässt. Sie ist die einzige, die den Laden zusammenhält. Mir fehlt die Phantasie vorzustellen, wie die europäische Union heute aussähe, wenn man – wie sich das Einige offenbar wünschen – auf Biegen und Brechen einzelne Staaten in den Bankrott schicken würde. Von einem rein juristischen Standpunkt mag das zu fragwürdigen Ergebnissen führen, aber Gesetze sind kein Selbstzweck, sondern sollen den Menschen dienen. Das Kernproblem bleibt ein unsinniger, weil nicht einhaltbarer Maastricht-Vertrag und die Vorstellung, man könne eine rein regelgebundene Geld- und Finanzpolitik betreiben.… Mehr

Interessierter Leser
6 Jahre her
Antworten an  Axel Jung

Wenn es keine gemeinsamen Regeln geben soll, an die sich alle halten, wie sollen dann die dauerhaft tragfähigen Lösungen aussehen, von denen Sie schreiben? Bitte nähere Erläuterung!

Ursula Schneider
6 Jahre her
Antworten an  Axel Jung

Man kann durchaus eine regelgebundene Geld- und Finanzpolitik betreiben, aber man kann nicht Länder mit völlig unterschiedlicher Kultur, Geschichte und wirtschaftlichen Vorstellungen in eine Währungsunion zwingen!
Draghi hält den Laden nur dank einer astronomischer Schuldenorgie, völliger Marktverzerrung, Konkursverschleppung und gigantischer Umverteilung von Nord nach Süd zusammen. Das macht er so lange – ohne jede demokratische Legimitation übrigens-, bis der nächste Crash kommt. Und der ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Maskenball
6 Jahre her

Ach Herr Metzger, sie versuchen es immer noch,nach all den Erfahrungen der letzen 50 Jahre mit rationalem Denken. Damit sind Sie ein Mann von Gestern. Das will die Eindringlinge fördernde und Deutschland finanziell vernichtende Politik von Merkel und Konsorten doch überhaupt nicht mehr. Wir erkennen doch mittlerweile, wenn man sich denn die Mühe macht, was gewollt ist. BVG und Regierung sind doch mittlerweile besser verzahnt als ein Porsche Getriebe und drehen längst an einem Rad.