Das sozialpolitische Wolkenkuckucksheim der Grünen

„Garantiesicherung“: Höher als Hartz IV, bedarfsabhängig, aber bedingungslos; Ausbildungs- oder Arbeitsbereitschaft entbehrlich, Sanktionen überflüssig.

imago/Tim Wagner

So malen sich die Grünen um ihren Superstar Robert Habeck die „Überwindung“ von Hartz IV aus. Mit den Wahlergebnissen im Rücken, die sie bei der Wahl zum Parlament der EU und auch im Stadtstaat Bremen wieder eingefahren haben, werden die Grünen bei der Arbeit an ihrem neuen Grundsatzprogramm noch ungenierter ihre fatalen sozialpolitischen Illusionen pflegen.

Man muss sich einmal vorstellen, was die Grüne Garantiesicherung bedeutet: Jeder ab dem 18. Lebensjahr soll sie bekommen, ob er arbeitet oder nicht, ob er eine Berufsausbildung beginnt oder nicht. Mit jedem Euro Zuverdienst wird die Garantiesicherung um 70 Cent gemindert, bis sie komplett abgeschmolzen ist. Die Grüne Transfer-Entzugsrate liegt also bei 70 Prozent. Prinzipiell wird Vermögen zwar angerechnet. Doch eine hohe Freigrenze von 100.000 Euro pro Person, aber auch die Nichtanrechnung von selbst genutztem Wohneigentum und staatlich geförderter Altersvorsorge werden dazu führen, dass bis weit in die gesellschaftliche Mitte ein Anspruch auf ergänzende Transferleistungen des Staates entsteht.

Immerhin ist selbst den Grünen aufgefallen, dass ihr Modell Schwarzarbeit außerordentlich attraktiv machen könnte. Denn wer nicht im offiziellen Arbeitsmarkt dazu verdient, dessen Transfer-Entzugsrate liegt statt bei 70 bei 0 Prozent. Um diesen verlockenden Anreiz zu unterbinden, fordern sie harte Strafen für Schwarzarbeit. Selbst Privathaushalte sollten streng kontrolliert werden, weil gerade dort umfangreich schwarz gearbeitet wird. Der Grüne Sozialstaat müsste folglich von einem grünen Polizeistaat flankiert werden. Der Grundwiderspruch zu ihrem Anspruch als liberaler Rechtsstaatspartei ist den Grünen wohl noch nicht aufgefallen.

Die Grünen in der Falle
Keiner redet vom Wetter, nur wir
Bei den Kosten untertreibt der Bundesvorsitzende der Ökopartei gnadenlos. Auf gerade einmal 30 Milliarden Euro taxiert er die Garantiesicherung. Im Münchner ifo-Institut arbeiten Ökonomen, die rechnen können. Sie beziffern allein die Kosten für die Absenkung der Transfer-Entzugsrate auf 70 Prozent sowie die gegenüber den heutigen Hartz IV-Sätzen deutlich erhöhten Leistungen auf 60 Milliarden Euro. Weil durch die Ausgestaltung der Garantiesicherung kein Druck auf eine schnelle Arbeitsaufnahme besteht, ist aber auch eine längere Verweildauer in der Arbeitslosigkeit zu befürchten. Diese Effekte auf den Arbeitsmarkt, die sich in nochmals höheren Aufwendungen niederschlügen, hat das ifo-Institut in seiner Hoch-rechnung überhaupt nicht berücksichtigt.

Fragen über Fragen stellen sich auch, wenn es um die konkrete Ausgestaltung geht: Motiviert die Garantiesicherung junge Leute nach der Schulausbildung, möglichst rasch eine berufliche Qualifikation anzustreben? Oder stattdessen erst einmal die Welt zu bereisen? Denn eine Vorbedingung für den Bezug gibt es ja nicht. Sollen Studenten einen Anspruch auf Garantiesicherung erhalten? Die grüne „Bedingungslosigkeit“ des Bezugs ließe eine grundsätzliche Verweigerung jedenfalls als inkonsequent erscheinen. Dann aber würden auch die Söhne und Töchter der gehobenen Mittel- und Oberschicht in den Genuss grüner Wohlfahrt kommen – ein Kostenfaktor von insgesamt nochmals geschätzten 20 Milliarden Euro pro Jahr, wenn man die Garantiesicherung auch allen Studierenden gewährte.

Langfristig will Robert Habeck die Garantiesicherung sogar individualisieren. Selbst die Partner von gut verdienenden Erwerbstätigen hätten dann Anspruch auf die volle Garantiesicherung, wenn ihr eigenes Einkommen unter der Bedarfsschwelle läge. Ein volles Erwerbseinkommen und eine Garantiesicherung wären womöglich für so manches Paar eine verlockende Alternative zur Doppelerwerbstätigkeit mit Vollzeit- und Halbtagstätigkeit.

Mit dieser Wohlfahrts-Vision wecken die Grünen Erwartungen, die in keiner Regierungskonstellation je erfüllbar sind. Die Bedingungslosigkeit von Sozialleistungen wird an der sozialpolitischen Realität scheitern. Denn wenn Sozialleistungen auch an vermögende Personen zu bezahlen wären oder auch an Bürger, die arbeiten könnten, aber nicht wollen, dann wird es spätestens dann zum Knall kommen, wenn den Steuer- und Beitragszahlern die höhere Rechnung präsentiert wird. Georg Cremer, der langjährige Generalsekretär des Caritasverbandes, kommentierte sehr zutreffend in der FAZ: „Eine Sozialpolitik mit der Schrotflinte ist nur mit neuen hohen Abgabenlasten zu finanzieren, die zu großen Teilen die Mitte selbst tragen muss.“ Seinen Schlusssatz sollten die Grünen Sozialromantiker, die wie die Sozialdemokraten und die Linke so gern von gesellschaftlicher Solidarität schwadronieren, auf ihre Hirne und Herzen wirken lassen: „Das kann die Solidaritätsbereitschaft der Mitte mit dem unteren Rand der Gesellschaft schwächen.“

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Kommentare ( 83 )

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anita b.
5 Jahre her

Ich finde die Idee gar nicht so schlecht.
Versuchen sollte es man. Es wäre eine sauberer Lösung als h4

Inverted
5 Jahre her

Die Transferrate für Überstunden liegt doch bei Normalverdienern innerhalb der Beitragsgrenzen der Sozialversicherungen real auch bei ca. 70% (von 100 Euro, die der Arbeitgeber brutto mehr zahlt, kommen ca. 30 Euro netto beim Arbeitnehmer an).

feinbein
5 Jahre her

Nun, nach grüner Ideologie ist doch alles möglich, denn der Strom kommt aus der Steckdose und Geld aus der Bank.Wo gibt es da Probleme bei Kohleausstieg oder Geld für alle?

horrex
5 Jahre her

Wer kann bei „Grün“ schon von „liberal“ reden!
Das Einzige was an ihnen „liberal“ ist ist die heute so überwiegend wie irreführend gebrauchte Bezeichnung!!! –
Übrigens: Mit dem „Diebstahl“ bzw. der „Umdeutung“ des Begriffes liberal fing es mal an. Schon in RTYs „Chefblog“ der WiWo (Ende der Nuller-Jahre) machte ich auf diese „Begriffsverwirrung“ aufmerksam. –

«Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen:
‹Ich bin der Faschismus›.
Nein, er wird sagen:
‹Ich bin der Antifaschismus›.»
Ignazio Silone. –
Ich füge hinzu: In Reinform!

Jan
5 Jahre her

„Das kann die Solidaritätsbereitschaft der Mitte mit dem unteren Rand der Gesellschaft schwächen.“ Zumal es den Grünen weniger um den unteren Rand geht, sondern um das Akademiker-Prekariat in ihrer Blase. Die träumen auch davon, irgendwas Schöngeistiges zu studieren, ohne sich Gedanken machen zu müssen, ob man damit Geld verdienen kann. Trotzdem wollen sie versorgt sein. Das soll eben dann der Staat übernehmen, wenn die brotlose Kunst nichts einbringt. Habeck selbst kann ja ein Lied davon singen: er ist ja nicht Politiker geworden, weil er als Buchautor in der freien Wirtschaft so wahnsinnig erfolgreich war. Mit seinem Studium hat er auch… Mehr

CG
5 Jahre her

Was wohl die Wähler der Grünen dazu sagen? Denn die werden nicht von Hartzern gewählt, sondern von Besserverdienenden. Berlin-Kreuzberg, München-Schwabing usw.
Abgesehen davon scheitert diese ganze BGE-Geschichte schon im Ansatz. In Finnland ausprobiert, ziemlich schnell wieder abgesetzt. Aber das wollen die Grünen natürlich nicht wissen. Daß man ein Sozialsystem nach Milton Friedman nicht für alle Welt öffnen kann, auch nicht. Wer zum Geier wählt so pubertäre Schwarz-Weiß-Denker?

Hadrian17
5 Jahre her
Antworten an  CG

Pubertäre Schwarz-Weiss Denker!

Karl Heinz Muttersohn
5 Jahre her

Ich denke, dass dieser Vorschlag der Grünen viel zu kurz greift. Ein bedingungsloses Grundeinkommen auf sehr hohem Niveau (etwa in der Höhe der Einkünfte der Abgeordneten des Bundestages) wäre – vor allem in Verbindung mit offenen Grenzen – eine wesentlich bessere Alternative. Diese Variante würde es allen erlauben, noch mal ein zwei Jahre ein grosse, multikulturelle Party vor dem von den Grünen vorhergesagten Weltuntergang zu feiern.

Ryu
5 Jahre her

Da ich ein Befürworter des Althaus Modells des solidarischen Bürgergelds als Alternative zum jetzigen Sozialsystem bin, kann ich an dem Vorschlag hier nicht gleich alles verdammen. Im Gegenteil, der Abschlag von 70% statt 50% ist vielleicht sogar sinnvoller, da ja gerade im Niedriglohnbereich bei jedem Grundeinkommensmodell die größten Kosten anfallen. Probleme sehe ich natürlich dabei, wenn bestimmte Einkommen dann wieder doch nicht angerechnet werden, das erzeugt dann nur erstens wieder unnötige Bürokratie und bietet zweitens Raum für abstruse Schlupflöcher, aber ums es zu betonen: Der Sinn jedes Grundeinkommen-Modells ist es gerade, nicht einen teuren Beamtenstab damit zu beschäftigen, jede Situation… Mehr

Joerg.F
5 Jahre her

Wie man aus parteiinternen Kreisen jetzt immer öfter hört wird es wohl doch eine Einschränkung zu den garantierten Bezügen geben. AfD-Wähler werden davon ausgeschlossen sein.

Mindreloaded
5 Jahre her

…und Greta kommt geflogen und wirft Goldtaler auf uns herab.