„Für mich als Christ gibt es keine Brandmauern gegenüber Mitmenschen“

Ausgrenzen ist nicht sein Ding: Der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Friedrich spricht sich gegen politische Brandmauern in einer Demokratie aus. Er selbst habe integre AfD-Kandidaten für Ämter im Bundestag immer gewählt. Dem neuen Bundestag wird Friedrich nicht mehr angehören.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Der frühere Bundesinnenminister und Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich (CSU) spricht sich gegen politische Brandmauern in einer Demokratie aus. Er selbst habe integre AfD-Kandidaten für Ämter im Bundestag immer gewählt. Schließlich sei in der Geschäftsordnung festgelegt, dass jeder Fraktion ein Bundestagsvizepräsident zusteht. Tichys Einblick hat mit ihm gesprochen.

Tichys Einblick: Sie gehören nun nach 1998 nicht mehr dem Deutschen Bundestag an, in dem Sie sogar als Bundestagsvizepräsident amtierten. Würden Sie ihren Nachfolgern im neu gewählten Bundestag empfehlen, AfD-Parlamentarier bei der Wahl zum Bundestagspräsidium oder zu Ausschussvorsitzenden nicht länger zu verhindern, und sie künftig demokratisch zu wählen?

Hans-Peter Friedrich: Es kommt darauf an, wen die AfD als Kandidaten aufstellt. Ich habe in den letzten beiden Wahlperioden immer die Kandidaten der AfD gewählt, die mir integer und kollegial erschienen. Übrigens habe ich die gleichen Maßstäbe auch an die Kandidaten der anderen Fraktionen angelegt.

Selbst bei den Nachfolgern der SED-Diktaturpartei und deren ehemaligen Mitgliedern wie Genossin Petra Pau war wiederholt eine Wahl zur Bundestagsvizepräsidentin üblich. Warum also nicht auch ein AfD-Kandidat?

Wir haben in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages festgelegt, dass jeder Fraktion ein Vizepräsident zusteht. Natürlich ist jeder Abgeordnete frei, mit Nein zu stimmen, wenn ein Kandidat ihm nicht gefällt. Ich halte es aber für falsch, das von der Parteizugehörigkeit abhängig zu machen.

Die Alternative für Deutschland hat sich nach der Bundestagswahl nicht nur verdoppelt, sie ist zweitstärkste Kraft und somit auch die führende Oppositionspartei geworden. Welchen Umgang sollten Demokraten im Parlament jetzt miteinander pflegen?

Jeder Kollege, der in den Deutschen Bundestag gewählt wird, ist ein Vertreter seiner Wähler. Der Respekt vor diesen Wählern gebietet es, auch ordentlich mit den Kollegen umzugehen. Im Übrigen ist es wie im normalen Leben auch, wenn ich einen Kollegen schlecht behandle, brauche ich mich nicht wundern, wenn er auch mir gegenüber den notwendigen Respekt vermissen lässt. Ich finde die unqualifizierten und beleidigenden Angriffe gegen die AfD-Abgeordneten genauso unangemessen wie manche unsäglichen und manchmal unverschämten Zwischenrufe aus der AfD-Fraktion. Wer aber als Abgeordneter mit demokratisch gewählten Kollegen respektlos umgeht, sollte aufhören, die „Spaltung der Gesellschaft“ mit Krokodilstränen zu beklagen.

Die AfD hat sich auch bei der Bundestagswahl mit 32 Prozent im Osten und 18 Prozent im Westen zur Volkspartei entwickelt. Welchen Sinn macht es in einer Demokratie, zehn Millionen Wähler und deren gewählte Abgeordnete, die mit der Union viel größere Schnittmengen haben als das rot-rot-grüne Spektrum, weiter mit einer Brandmauer auszuschließen?

Für mich hat der Begriff „Brandmauer“ im demokratischen Spektrum keinen Platz. Wer Brandmauern in einer repräsentativen Demokratie errichtet, braucht sich nicht wundern, wenn er zum Vorbild für Brandmauern in der Gesellschaft wird. Für mich als Christ gibt es keine Brandmauern gegenüber Mitmenschen. Es gibt aber politische Ansichten, die ich nicht nur ablehne, sondern auch vehement bekämpfe. Dazu gehört manch menschenverachtende Äußerungen aus den Reihen der AfD genauso wie die gegen das eigene Volk gerichtete Grundhaltung vieler Abgeordneter aus dem linken und grünen Spektrum.

Eine undemokratische Brandmauer hat es gegenüber den Nachfolgern der SED-Täter, später PDS oder Die Linke nicht gegeben. SPD und Grüne haben skrupellos die Mitverantwortlichen für Mauertote, politische Gefangene, Menschenhandel und Unterdrückung nicht einmal vier Jahre nach dem Ende der DDR in Sachsen-Anhalt an der Macht durch eine Ex-SED-tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung wieder beteiligt. Warum will dann die Union mit der AfD eigentlich nicht reden?

Viele in der Union stellen sich natürlich diese Frage, haben aber panische Angst vor dem Shitstorm in den sozialen Medien oder der linksbeherrschten veröffentlichten Meinung. Den Propagandisten ist es gelungen, „rechts“ zu einem Schimpfwort zu machen. Das muss sich wieder ändern.

Begeht die Union nicht einen historischen Fehler, sich links der Mitte einmauern bzw. hineinzwängen zu lassen, was unter Helmut Kohl oder Franz-Josef Strauß undenkbar wäre?

Die CSU war zu keinem Zeitpunkt links der Mitte und Friedrich Merz hat in den letzten zwei Jahren einen tollen Job gemacht, aus der links abgedrifteten Merkel-CDU wieder eine Heimat für liberal-konservative und nationalkonservative Wähler zu machen. Ich hoffe, dass wir diesen Weg konsequent weitergehen, um so die AfD eines Tages wieder zu marginalisieren.

Sie waren nicht nur Bundestagsvizepräsident, sondern auch Chef der CSU-Landesgruppe, Unionsfraktionsvize und Bundesinnenminister. Was meinen Sie aus Ihrer langjährigen politischen Erfahrung: Schadet das im umstrittenen Hauruck-Verfahren am Wählerwillen vorbei beschlossene Billionen-Schuldenpaket der politischen Glaubwürdigkeit?

Wenn sich der Pulverdampf gelegt hat, und man die Dinge nüchtern sieht, wird man feststellen, dass eine Ausnahmeregelung für die Verteidigung angesichts der politischen Herausforderungen durchaus im Einklang mit der Mehrheitsmeinung der Wähler in Deutschland steht. Und auch 50 Milliarden pro Jahr in den nächsten 10 Jahren zusätzlich für die Infrastruktur auszugeben ist kein Fehler, wenn man vergleicht, wie sich andere Staaten weltweit in moderner Infrastruktur aufstellen. Das eigentliche Problem ist die Reihenfolge der Entscheidungen: Den Sozialdemokraten eine Billion Euro auf den Tisch zu legen, um ihnen anschließend zu sagen, dass man sparen und priorisieren muss, ist sehr gewagt. Ich denke, dass die Wähler Ja sagen zu besserer Verteidigung und auch zu einer Verbesserung der Infrastruktur, aber, dass sie Nein sagen zu dem Umverteilungsstaat, der die Arbeitsmoral und die Leistungsbereitschaft in der Gesellschaft zerstört.

Die Union hatte im Wahlkampf keine Schuldenorgien, sondern solide und sparsame Finanzen versprochen. Kann die Union das nun verlorene Wählervertrauen überhaupt wiedergewinnen?

Selbstverständlich kann sie das. Ich vertraue darauf, dass der Koalitionsvertrag am Ende eine klare Handschrift der Union erkennen lässt.

Rechnen Sie mit Parteiaustritten bei CSU und CDU?

Es gibt immer Menschen, die unzufrieden sind und das auch zum Anlass nehmen, aus der Partei auszutreten. Ich glaube nicht, dass die Schuldenaufnahme das Problem ist. Aber wenn wir beim Thema Migration und der Ausbeutung des Staates durch Leistungsverweigerer nicht liefern, wird es kritisch.

Sie sind jetzt im politischen (Un)ruhestand. Was geben Sie der aktuell wankelmütigen Politik als Rat mit?

Die Frage stellen heißt, sie zu beantworten: Weniger Wankelmütigkeit und weniger Schielen auf Meinungsumfragen als klare Orientierung an unseren Grundsätzen sind der Schlüssel zum Erfolg.

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Kommentare ( 111 )

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maru
4 Stunden her

Oh, wie couragiert ist es doch, den Mund erst aufzumachen wenn man nichts mehr zu verlieren hat.
Gratismut pur! Ich verachte sie alle.

Kontra
4 Stunden her

Es ist mir inzwischen völlig egal, was jemand aus dieser Lügenunion von sich gibt. Nix glaube ich denen mehr, gar nix!

F. Hoffmann
5 Stunden her

Jaja, der Herr Friedrich. Ohne Amt, kann man was riskieren, wie? Obwohl das auch nur Billigware ist. Er hat natürlich dem Billionenpaket zugestimmt, für das es keinen konkreten Ausgabenplan gibt. Wirf einem Hund 2 Schnitzel hin und sage ihm er soll eines für morgen aufheben… Und „…Friedrich Merz hat in den letzten zwei Jahren einen tollen Job gemacht, aus der links abgedrifteten Merkel-CDU wieder eine Heimat für liberal-konservative und nationalkonservative Wähler zu machen.“ ist wohl eine der dümmsten realitätsfernsten Fehleinschätzungen oder Behauptungen zu diesem Thema. Er kann wirklich abtreten, wenn er nichts zu bieten hat. Aber da gäbe es noch… Mehr

SwingSkate
5 Stunden her

Zumal diese Brandmauer ja gar nicht vor dem Feuer schützt sondern dafür sorgt, dass sich das Feuer weiter ungestört ausbreiten kann. Eine Brandmauer zur Behinderung der Löscharbeiten sozusagen. Und das nur, damit die Brandstifter auch weiterhin nicht zur Verantwortung gezogen werden können. 

barth68
20 Stunden her

Seltsam, dass Herr Friedrich erst jetzt nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag es wagt, solche Aussagen zu treffen. Damit reiht er sich in die Reihe von Politikern und Wissenschaftlern ein, die sich erst im Ruhestand trauen, Tacheles zu reden. Herr Prof. Sinn und Herr Sarrazin sind da löbliche Ausnahmen! Die Parteiführungen und die Medien sind die Schuldigen dafür – und die fehlende Courage aus Angst davor, von den Geldquellen abgeschnitten zu werden. Das Spiel von Herrn Söder mit Herrn Aiwanger in der vergangenen Woche ist an Kaltschnäuzigkeit kaum zu überbieten!

Montesquieu
22 Stunden her

Fällt ihm zu spät ein und widerspricht eklatant seinem politischen Verhalten zur aktiven Zeit. Das sind mir die Liebsten. Dann lieber konsequente Überzeugungstäter.

Der Person
1 Tag her

„…Friedrich Merz hat in den letzten zwei Jahren einen tollen Job gemacht, aus der links abgedrifteten Merkel-CDU wieder eine Heimat für liberal-konservative und nationalkonservative Wähler zu machen.“

Sehr hübsch formuliert. Und absolut korrekt, behauptet Hans-Peter Friedrich ja nicht, dass Merz aus der Merkel-CDU eine Heimat für liberal-konservative und nationalkonservative Politik oder Politiker gemacht hat. Sondern nur für die Wähler. Die Aussage:

„Er ist ein toller Fallensteller / Hütchenspieler / Trickbetrüger.“

…wäre aber nicht nur kürzer, sondern auch treffender gewesen…

Lafevre
1 Tag her

Brandmauer gegen Messerstecher, Betrüger und Unwort des Jahres 2016 ist richtig und wichtig. Besonders, wenn man Christ ist.

schwarzwaldmaedel
1 Tag her

Herr Zimmermann traut sich was. Aber ich muß ihm beipflichten. Was macht eigentlich Herr Söder so? Man hört gar nichts von ihm?

Unglaeubiger
1 Tag her

Kaum hat man den Augiastall verlassen, gibt man den stinkenden, morastigen Sumpf in dessen Innerem zu und stellt ihn an den Pranger. Rückgradlose Feigheit vor dem Feind, fällt mir da nur ein.