Die soziale Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft hat ein neues klassisches Proletariat, die dauerbedürftige, auf Unterstützung angewiesene Bevölkerungsgruppe: dass Prekariat. Können oder wollen die anderen nicht mehr finanzieren, kommt der Kollaps.
Die Basis des gesellschaftlichen Wohlstandes liegt insofern maßgeblich in der Verfügbarkeit reproduzierbarer oder substituierbarer Ressourcen.
Wir haben folglich zwei Möglichkeiten, uns dem Begriff „sozial” zu nähern.
Entweder, wir schließen uns einer der systemimmanenten Denkschulen an und beschreiben im Rahmen dieser Denkschule dasjenige, was wir unter sozial zu verstehen gedenken. Es entspräche dieses den klassischen Philosophieansätzen, denen die Überlegungen von Karl Marx bis Ludwig Erhard zugrunde lagen.
Oder wir unternehmen den Versuch, einen zukunftsfähigen, systemübergreifenden Sozialbegriff zu definieren. Dafür spricht, dass im Zeitalter der Globalisierung volkswirtschaftlich und systeminhärent verankerte Sozialbegriffe voraussichtlich keine mittel-, geschweige denn eine langfristige Perspektive haben werden.
Empirisch betrachtet ist festzustellen, dass in der Konkurrenz der Systeme die marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaftsmodelle den längeren Bestand haben. Hierbei lassen wir derzeit offen, ob die sich als im globalen Konflikt überlegen erwiesenen Modelle langfristig überlebensfähig sind oder ebenfalls eines Tages ex- oder implodieren werden.
Die neuerlich gern als Beleg für eine Zwangsläufigkeit der Implosion des Kapitalismus herangezogene Finanzkrise des Jahres 2008 ist dabei nur begrenzt eine Folge des individualistisch-marktwirtschaftlichen Ansatzes, da sie zwar einerseits durch diesen ermöglicht wurde, andererseits aber maßgeblich eben nicht auf realer Leistung, sondern auf Leistungsfiktion ohne reale Ressource beruhte. Das System der Leistungsprämien ebenso wie die Kreditvergabe an Leistungsunfähige agierte im gesamtgesellschaftlichen Sinne auf der Grundlage fiktiver Wertschöpfung: Tatsächlich fand die Wertschöpfung im Ergebnis nur in der Eigentumsmehrung der Agierenden statt, während der aus der Leistungsfiktion resultierende Wertverlust durch die Gemeinschaft getragen werden musste.
Es ist daher die Frage gestattet, ob diese Exzesse nicht tatsächlich einer sozialistisch geprägten Logik folgten, indem die überwiegend aus kleinbürgerlichen und proletarischen Verhältnissen stammenden Akteure einen scheinbar auch sozial gerechtfertigten Anspruch auf Gewinnteilhabe (dieses zumindest innerhalb des Umfeldes, in dem sie sich bewegten) mit der uneingeschränkten Freiheit verknüpften, die Leistungsfiktion ohne jedwede Rücksichtnahme auf Dritte realisieren zu können. Oder, um es anders zu formulieren: Hier liegt ein gruppenspezifisch sozialadäquates Handeln vor, das, vergleichbar dem Kommunismus als Herrschaft der arbeitenden Klasse, Rechte und Ansprüche anderer gesellschaftlicher Gruppen vorsätzlich ausblendet.
Die neue Klassengesellschaft
Was sind heute die Voraussetzungen, um in einer Gesellschaft eine Diskussion über Sozialbegriffe führen zu können?
Ganz wesentliche Basis scheint es zu sein, dass innerhalb einer Gesellschaft unterschiedliche Wohlstandsniveaus herrschen. Um eine „Sozialdebatte“ zu führen, muss es Teile der Gesellschaft geben, die gegenüber anderen Teilen deutliche Vorzüge – oder auch Privilegien – genießen.
In der modernen Gesellschaft haben wir uns daran gewöhnt, Wohlstandsniveaus über pekuniären Vermögensumfang zu definieren, und nicht beispielsweise über altruistisches Verhalten, künstlerische Kreativität oder philosophische Intelligenz (um nur drei alternative Möglichkeiten zu nennen). Grundlage sind folglich die monetären oder in monetäre Mittel umwandelbaren Besitzstände des Individuums. Als Weiterführung der mittlerweile historisch überholten Vorstellungen des Karl Marx hätten wir in den hochentwickelten Staaten demnach heute eine Gesellschaft, die aus folgenden Klassen bestünde:
Die Vermögenseigner als jene, die in einem Maße über Vermögenswerte verfügen, dass sie unabhängig von der Erbringung eigener Leistung sind.
Die Einkommenswohlhabenden, die über ihre beruflich-geschäftliche Tätigkeit über ein Maß an monetären Mitteln verfügen, dass sie mittels der von ihnen über den Lebensunterhalt hinaus erwirtschafteten Einkünfte in der Lage sind, sich Vermögenswerte zu schaffen und damit auf ihre Unabhängigkeit von Leistungserbringung hinarbeiten.
Die Unbedürftigen, denen es mittels ihrer beruflich-geschäftlichen Tätigkeit gelingt, ihren Lebensunterhalt ausreichend zu finanzieren ohne unterstützende Maßnahmen des Gemeinwesens abfordern zu müssen – die dabei jedoch auf individuelle Leistungserbringung angewiesen sind.
Die Bedürftigen, die unabhängig von Leistungserbringung nicht aus eigener Kraft heraus in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und insofern auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Hierunter sind nicht nur Langzeitarbeitslose und Frührentner zu subsumieren, sondern auch jene Leistungserbringer, deren Einkünfte für die Deckung des Lebensunterhaltes nicht reichen und die in Folge auf staatliche Subventionen angewiesen sind. In einem Umlage-finanzierten Rentensystem sind letztlich auch Rentner in diese Gruppe zu fassen, da die von ihnen eingebrachten Leistungen nicht als Rücklagesicherung dienen, sondern die Betroffenen davon abhängig sind, dass nachfolgende Generationen ebenfalls bereit sind, die Umlage ohne Garantie auf spätere Eigensicherung zu bedienen.
Kritik der Traditionalisten
Traditionalisten mögen einwenden, eine solche Aufteilung der Gesellschaft habe nichts mehr mit der von Karl Marx definierten Klassengesellschaft zu tun. Dem ist ausdrücklich zuzustimmen. Denn die marxistische Klassengesellschaft gibt es in der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft nicht mehr.
An einem Ende der traditionellen Klassengesellschaft wurde der Kapitalist als Eigner der Produktionsmittel von anonymisierenden Konzernen abgelöst. Das Eigentum an diesen Konzernen liegt überwiegend in der Hand anderer Konzerne oder Finanzgesellschaften, in weit geringerem Maße im Eigentum einzelner Personen oder Dynastien wie – um Namen zu nennen – einst der Krupp-Familie oder heute Bill Gates, und ganz zuletzt im sogenannten Streubesitz, dem Aktieneigentum zahlreicher Kleinaktionäre.
Wenn überhaupt ein Vergleich mit der marxistischen Klassenstruktur zulässig ist, wären diese Eigentümerdynastien als Nachfolger des klassischen Kapitalisten zu nennen. Sie unterscheiden sich von diesen jedoch maßgeblich dadurch, dass sie in der Regel zunehmend weniger unmittelbare Verantwortung in der Geschäftsführung der Konzerne tragen (sondern eher eine mittelbare über ihre Vertretung im Aufsichtsrat). Gleichwohl sind diese Dynastien und/oder Einzelpersonen unzweideutig in die Gruppe der Vermögenseigner einzustufen.
An der Spitze der Konzerne stehen dagegen hochbezahlte Angestellte als Einkommenswohlhabende, die für das Unternehmen agieren. In dieser Position hat ein persönlich-geschäftliches Versagen anders als beim alleinverantwortlich tätigen, klassischen Kapitalisten nicht die soziale Abstufung und den materiellen Eigentumsverlust zur Folge, sondern schlimmstenfalls das vorzeitige Ausscheiden aus der jeweiligen beruflichen Position.
Der Kapitalist der Körperschaften
So hatte der Fall Mannesmann-Esser seinerzeit deutlich gemacht, dass das Versagen des Leitenden Angestellten im Kampf gegen eine feindliche Übernahme und die daraus resultierende Zerschlagung des Konzerns nicht nur nicht eine soziale Abstufung zur Folge hatte, sondern vielmehr mit einer Abfindung in Millionenhöhe entlohnt wurde – und dieses unterstützt durch die Vertreter der Gewerkschaften als vorgeblich sozialistisches Korrektiv. Hätte ein klassischer Kapitalist, wie Marx ihn im Auge hatte, in vergleichbarer Situation es nicht geschafft, sein Unternehmen vor dem Zugriff eines Dritten zu bewahren, wäre ihm nicht nur geschäftliches Versagen vorgeworfen, er wäre voraussichtlich auch innerhalb der sozialen Hierarchie herabgestuft worden und hätte eine erhebliche Vermögensminderung in Kauf nehmen müssen.
Der Leitende Angestellte als Vertreter des Kapitals der Körperschaften dagegen wird – da er im Sinne des Shareholder-Value (also der Interessen der Anteilseigner) das ursprünglich eingesetzte Kapital kurzfristig vervielfacht hat – mit der Chance belohnt, selbst von der Gruppe der Einkommenswohlhabenden in die Gruppe der Vermögenseigner aufzusteigen. Eine soziale Verantwortung, die der traditionelle Kapitalist im Sinne der erfolgreichen Führung seines Unternehmens wenn auch vielleicht nur aus Einsicht in die Notwendigkeit gegenüber seinem Angestellten verspürt haben mag, wird im Körperschafts-Kapitalismus vorsätzlich ausgeblendet, da sie im Sinne der individuellen Vermögensmehrung keine Funktion hat.
Dieses ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass der Kapitalist des einundzwanzigsten Jahrhunderts eben nicht mehr der Gruppe der Vermögenseigner angehört, sondern Einkommenswohlhabender ist und seine Funktion dazu zu nutzen sucht, aus dieser Gruppe der Einkommenswohlhabenden in die Gruppe der Vermögenseigner aufzusteigen. Dabei geht es nicht mehr vorrangig darum, vorhandenes Vermögen zu sichern, sondern ständig neues Vermögen zu schaffen, um damit unvermeidbare Verluste und Risiken abzufangen. Im Bewusstsein der Gesellschaft haben die Leitenden Angestellten der Konzerne als Einkommenswohlhabende die Funktion der traditionellen Kapitalisten übernommen – obgleich sie aus den unterschiedlichsten Gründen mit den Kapitaleignern des neunzehnten Jahrhunderts in keiner Weise zu vergleichen sind.
Die Masse der Unbedürftigen
Die breite Masse der Bevölkerung einer modernen Gesellschaft wird von jenen Unbedürftigen gestellt, die durch ihre lohn- oder kundenabhängige Tätigkeit in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt einschließlich sozialer und altersvorsorglicher Absicherung selbst zu bestreiten. In dieser Gruppe findet sich sowohl der klassische Arbeiter, Beamte und Angestellte wie der mittelständische Handwerker, Freiberufler oder Kleinunternehmer.
Entscheidend für den Funktionserhalt eines modernen Staatswesens ist es, dass diese Gruppe der Unbedürftigen die breite Mehrheit der Bevölkerung stellt. Je größer die Zahl derjenigen ist, die in zeitgleicher Phase gesellschaftlicher Entwicklung entweder in die Gruppe der Einkommenswohlhabenden vorstoßen oder in die Gruppe der Bedürftigen abrutschen, desto größer wird das Potential sozialer Unruhe bis hin zum Kollaps des Solidarverbandes Staat. Um es pekuniär zu formulieren: Die Gruppe der Unbedürftigen muss mit ihrer Wirtschaftsleistung in der Lage sein, die Bedürfnisse der Bedürftigen ebenso zu befriedigen wie die Forderungen der Einkommenswohlhabenden.
In der Vorsituation der sogenannten Bankenkrise geschah dies zu einem Teil durch die Umverteilung von Kleinvermögen aus Rücklagen der Unbedürftigen (über Verkauf von ungedeckten Zertifikaten und ähnlichen „Finanzprodukten“) sowie aus jener bereits erwähnten Leistungsfiktion, an der sich maßgeblich Vermögenswohlhabende mittels der ihnen zugeordneten Kreditinstitute beteiligten. Sobald dieser Umverteilungsprozess ausschließlich über eine Anhäufung von staatlicher Schuldverschreibung (eine Leistungsfiktion, die auf keinen realen Werten oder Ressourcen außer einer angenommenen Leistungs- und Leidensbereitschaft künftiger Unbedürftiger beruht) stattfindet und über Ressource und Realleistung nicht mehr zu decken ist, wird das pekuniäre System zwangsläufig zunehmend instabiler und auf einen Kollaps zusteuern, um die fiktive Leistung aus dem Wirtschaftskreislauf zu entfernen, wie dieses in den Jahren ab 2008 durch die sogenannte Abschreibung „fauler“ (also nicht in Realwert rückwandelbarer) Kredite und Vermögensversprechen partiell stattfand. Damit wurde die Problematik jedoch nicht wirklich gelöst, da die Leistungsfiktion zu einem bedeutenden Teil in eine – durch nichts gedeckte, bloß unterstellte – Leistungszusage der Unbedürftigen gewandelt wurde und damit die reale Gefahr besteht, eine bereits ausgefallene Leistungsfiktion durch eine andere zu ersetzen.
Die Bedürftigen
Am unteren Ende der Gesellschaft finden wir jene, die aus dem Erwerbsprozess ganz oder partiell ausgeschieden und in Folge dessen außerstande sind, die für ihren Lebensunterhalt notwendigen Mittel selbst zu leisten. Sie befinden sich damit in uneingeschränkter Abhängigkeit von Zuwendungen durch die Gesellschaft, wenn die durch Vorsorgemodelle wie Lebens-, Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung erwirtschafteten Ansprüche abgegolten oder verbraucht sind.
Eine Sonderrolle kommt den Empfängern von Altersruhegeldern zu, die innerhalb eines funktionsfähigen, kapitalbasierten Systems als Unbedürftige zu klassifizieren wären, durch eine Überschuldung des Systems bei einem umlagefinanzierten Rentenmodell sich jedoch in der ständigen Gefahr befinden, in die Gruppe der Bedürftigen abzurutschen, wenn die Gruppe der leistungsschöpfenden Unbedürftigen nicht mehr in der Lage sein sollte, die entsprechenden Bedürfnisanforderungen zu erfüllen (eine Problematik die u. a. Kurt Biedenkopf schon in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts erkannte). Wie hoch diese Risiken sind, wird deutlich, wenn beispielsweise in einem gefühlt wohlhabenden Bundesland wie Hamburg die Schuldenneuaufnahme 2009 und 2010 achtzig bis neunzig Prozent der Höhe der gesetzlich verankerten Sozialausgaben betrug.
Da diese Neuverschuldung erheblicher Ausgabeneinschränkungen in investiven und konsumtiven Haushaltbereichen zum Trotz erfolgt, kann die Feststellung nicht falsch sein, dass die Abdeckung der gesetzlich verankerten Ansprüche der Bedürftigen durch die Leistungserbringung der anderen Gruppen offensichtlich nicht (mehr) möglich ist und insofern ebenfalls über Leistungsfiktion realisiert werden muss.
Durchlässigkeit der sozialen Gruppen
Bemerkenswert an der hier vorgenommen Gruppenzuordnung ist die Veränderungsmöglichkeit zwischen den Gruppen, die im Vergleich zum neunzehnten Jahrhundert insofern ausgeprägter ist, als die geburtsbedingte Klassenzugehörigkeit eine zunehmend geringere Bedeutung hat. Der Absturz aus der Gruppe der Unbedürftigen in die Gruppe der Bedürftigen ist ebenso denkbar wie der Aufstieg in die Gruppe der Einkommenswohlhabenden – wenngleich ersteres der häufiger eintretende Fall ist.
In den vergangenen 150 Jahren hat ein deutlicher Wandel der Berufsgruppen stattgefunden: Insbesondere in der Gruppe der Einkommenswohlhabenden finden sich neben den bereits benannten Leitenden Angestellten – auch Manager genannt – vorrangig erfolgreiche Sportler und Künstler – also Personen aus der Unterhaltungsindustrie, deren reale und perspektivische Wertschöpfung durchaus zweifelhaft ist (nicht im Sinne von Umsatz, sondern im Sinne von Mehrwert aus Ressourcennutzung in seiner eigentlichen Bedeutung). Beides sind Berufsgruppen, die es zu Zeiten des Karl Marx noch nicht gab (die Sportler) oder die seinerzeit den unteren sozialen Schichten angehörten, ohne dabei selbst Bedürftige sein zu können (die Künstler und Darsteller). Universitäre Ausbildung ist hierfür ebensowenig eine Voraussetzung wie die Geburt in einer bestimmten sozialen Schicht, weshalb insgesamt durchaus von einer Proletarisierung in der Gruppe der Einkommenswohlhabenden gesprochen werden kann.
Auch das in die Gruppe der Einkommenswohlhabenden einzuordnende Managementpersonal ist – nicht zuletzt auf Grund der gewerkschaftlichen Teilhabe über betriebliche Mitbestimmung und politischen Einfluss – offen für Menschen aus ehedem unteren sozialen Schichten. Der Namensgeber der Hartz-Gesetzgebung steht hierfür ebenso wie der langjährige Mercedes-Benz/Daimler-Chrysler Vorstandvorsitzende Schrempp.
Leistungsfiktion und Kollaps
Die soziale Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft hat eine neue Form des klassischen Proletariats geschaffen: Die Dauerbedürftigen als permanent auf Unterstützung angewiesene Bevölkerungsgruppe, im Fachjargon mit Prekariat bezeichnet. Maßgeblich hierfür ist auch die Tatsache, dass die Bedürftigen durch „soziale“ Subventionierung dem ernsthaften Bemühen, mittels eigener Anstrengung in die Gruppe der Unbedürftigen zu gelangen, enthoben sein können. Der Sozialstaat schafft sich hier ein neues Proletariat, dessen Individuen in die Gruppe der Bedürftigen geboren werden und in Folge dessen die Instrumente, sich aus dieser Gruppe heraus zu bewegen, nicht oder nicht ausreichend erlernen. Dieses Proletariat verlässt sich nicht nur auf den Fraternité-Gedanken des Sozialismus, es fordert diesen als Recht ein. In dem Bestreben, gesellschaftliche Konflikte zu vermeiden, werden die Bedürfnis-Ansprüche gesetzlich verankert und organisieren über diesen Weg die bereits erwähnte Belastung der Unbedürftigen mit Leistungsfiktion.
In der Konsequenz unterscheidet sich diese durch die Unbedürftigen zu deckende Leistungsfiktion nicht von der ebenso durch diese Gruppe abzusichernde Leistungsfiktion der Einkommenswohlhabenden. Beide Gruppen decken ihre zugegebenermaßen unterschiedlich ausgeprägten Bedürfnisse weitgehend durch die Leistungsbereitschaft oder Leistungsfähigkeit der Gruppe der Unbedürftigen.
Dieses System mag so lange funktionieren, wie dadurch nur ein Teil der Unbedürftigen in die Gruppe der Bedürftigen abrutscht. Die Frage bleibt jedoch, zu welchem Zeitpunkt die Ablösung der Leistungsfiktion durch Realleistung an ihre Grenzen gerät und das System zwangsläufig kollabiert. Oder, um es populärer zu formulieren: Das Ausmaß der kontinuierlichen Neuverschuldung des Gemeinwesens (verschleiernd als Neuverschuldung des – anonymen – Staates bezeichnet) zur Befriedigung der Bedürfnisse der Nicht-Leistungsträger und der Anforderungen aus dem (ebenso verschleiernd als solches bezeichneten) „Versagen“ der Einkommenswohlhabenden lässt erwarten, dass weder die Ablösung der kollektiven Verschuldung noch die Bedürfnisbefriedigung durch tatsächliche Wertschöpfung zu erbringen sein wird. Offensichtlich gelingt es nicht, Überhänge der durch Leistungsfiktion entstehenden Defizite als vorübergehende Situationen abzufangen. Vielmehr wird eine nicht mehr haltbare Leistungsfiktion jeweils durch eine neue ersetzt. Im Sparkassendeutsch: Ein ungedeckter Kredit wird durch einen neuen Kredit abgelöst, der wiederum nur durch einen Kredit gedeckt werden kann, welchem ebenfalls keine Deckung durch Realleistungsperspektive zugrunde liegt.
Der Kollaps des Systems ist insofern nicht eine Frage des Ob, sondern eine Frage des Wann.
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Das alles ändert nichts daran, daß man mit Laien keinen Staat machen kann. Bei Selbstverwaltung haben Sie einfach lokale Kungelrunden. Wären alle Staatsdiener so wie von Ihnen beschrieben, wäre dieses Land schon längst untergegangen.
Alle staatlichen Strukturen sind bereits durch Korruption und Sabotage zerstört. Das kann Ihnen doch nicht entgangen sein? Mit „Laien“ einen Staat führen? In Deutschland reicht ein Parteibuch, um durch Ämterpatronage in ein staatstragendes Amt gehoben zu werden. Eine andere Qualifikation braucht es nicht. Wer einmal einen Stuhl im Öffentlichen Dienst ergattert hat, der bleibe dort sitzen bis zur Pensionierung. Es ist auch vollkommen egal, wie laienhaft dieser arbeitet oder ob überhaupt gearbeitet wird. Weg mit dem Beamtenstand und mit dem „Richter auf Lebenszeit“.
Das mit dem Gegeneinander aufstachteln kann ich momentan auch hier beobachten. Die Gesellschaft war mindestens seit den RAF-Tagen nicht mehr so gespalten wie momentan. Es ist kaum möglich auf demokratischen Weg sinnvolle Diskussionen auszutragen. Jeder, der die unkontrollierte und unbegrenzte Zuwanderung kritisiert wird als Rassist und Fremdenfeind diffamiert. Und Jeder, der den aktuellen Zustand der EU kritisiert wird als Nationalisten und Europa Gegner diffamiert. Leider machen Politik und Medien hiervon auch nicht halt, sondern gießen auch noch Öl in das Feuer. Zu Jugoslawien: Ob das Aufstacheln möglich gewesen wäre, wenn es demir Land bzw. den Teilrepubliken wirtschaftlich gut gegangen wäre,… Mehr
Völlige Zustimmung! Aber: Alle Empirie und Vernunft wird „schwierig“ zu verteidigen, wenn die – bewussten und besonders die unbewussten – Bedürfnisse und Motive der Menschen bei eier Thematik betroffen sind. – Menschen sind heute mehr denn je Massen von Infos ausgesetzt. Die zwanghaft konsumiert, selten aber nur gefiltert/sortiert werden um sie dann einer „vernünftigen“ Bearbeitung zu zu führen. – Menschen sind heute mehr denn je „Wandel“ ausgesetzt. Der sie ebenfalls häufig deutlich überfordert. – Für diese Massen und Geschwindigkeiten ist „Mensch“ (seine Psyche) nicht gemacht. – Was ihn in reine Reiz-Reaktionmuster zurück fallen lässt. Den „Notfall-Modus“ aus uralter Zeit. Was… Mehr
Kurzform:
„Sozialismus ist wenn einem das Geld anderer Leute ausgeht.“
Thatcher
„… davon abhängt, diese Ressourcen entweder zeitlich und in der notwendigen Menge unbegrenzt zur Verfügung zu haben (Reproduktion), oder zur Neige gehende Ressourcen rechtzeitig durch andere ersetzen zu können (Substitution).“ – Hr. T. Spahn Wir – kulturelle Evolution – wachsen innerhalb einer begrenzten Unendlichkeit, was interevolutionäre Wachstumrisiken mit der Lebensumwelt beinhaltet. Es sind zwei Arten von Kollapse denkbar. 1) Wir reduzieren unsere Art – Alter globaler Bürgerkrieg bzw. 3 Weltkrieg 2) Wir sterben aus, da unser Lebensraum kollabiert. Sie wollen Szeanrium (1) durch „soziale Politik“ verhindern? Da der Kollaps (2) von unserem Tun im Güterkreisabhängt, sollte ihre Poltik die Gütermenge… Mehr
Lieber Herr Spahn. Statt einer Kritik oder einer Anmerkung von mir mal eine Anregung. Marx, Proudhon, Sorel… und Konsorten sollten wir in ihren Gräbern ruhen lassen. – Für unsere aktuelle Lage ist eine andere Diskussion, die z.B. in USA und GB schon vor 20 Jahren geführt wurde, viel wichtiger: Bourdieu, Putnam, Nan Lin und andere haben die Konzeption des „Sozialkapitals“ entworfen („kulturelles Kapital“ inbegriffen). – Das Konzept beschreibt die gesellschaftlichen und ökonomischen Prozesse, die auf >Gegenseitigkeit, > Vertrauen, >Gemeinsamkeit, >Zusammenarbeit u.ä. aufbauen. Sozusagen der „Kitt“, der Gesellschaft und Ökonomie jenseits formaler rechtlicher und institutioneller Grundlagen zusammenhält. – Unsere moderne deutsche… Mehr
Bei den abhängig Beschäftigten gibt es wohl eine Mehrklassen-Gesellschaft:
1. Beamte > unkündbar; 100 % Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; hohe Pension.
2. unbefristet sozialversicherungspflichtige Angestellte > einigermassen stabiler, abgesicherter Status mit großer Bandbreite; hohe Gehaltsabzüge (Beiträge/Steuern); niedrige Altersversorgung.
3. Sonstige Arbeitnehmer > unfreiwillig Teilzeitbeschäftigte; im Niedriglohn bzw. befristet beschäftigt; Aussicht auf sehr niedrige Rente.
Und: Niemand im politischen Bereich und bei den „Arbeitnehmervertretern“ tut etwas Nachhaltiges um diese Klassen- Gesellschaft abzubauen.
Danke Herr Spahn, für Ihre gelungene Darstellung einer möglichen Kategorisierung moderner Gesellschaften. Diese primär ökonomisch aufzuziehen, macht ohne jeden Zweifel Sinn, weil Zahlen mit das objektivste sind, was den Menschen zur Verfügung steht. Schichten und Klassen im alten Sinne, seien sie nach sozialer Herkunft oder Bildung oder körperlicher Merkmale verfeinert, finden sich natürlich auch in diesen ökonomischen Schubladen, weil sie eben oft mit ökonomischen Mitteln, ihrer Herkunft oder dem Haben oder Nichthaben korrelieren, aber eben nicht zwingend. Als Grobraster ist der reine Blick auf Zahlen stets aussagefähig und -kräftig. Treibt mich das Warum um, gelangt man sicher schnell zu vielen… Mehr
Die Verteilung der finanziellen Mittel war nur ein Punkt, der andere, der gerne verschleiert und totgeschwiegen wird ist, dass Slowenien, Kroatien und Serbien nur sehr wenige Muslime haben (3,6, 1,4 und 4,2%), die übrigen von Ihnen genannten Länder aber sehr viel:
Bosnien 45,2%
Mazedonien: 39,2 %
Kosovo: 87%
Montenegro: 18,7%
Dies ist mit Sicherheit auch einer der gewichtigen Gründe dafür, dass diese Länder arm sind!
Das ist sicher alles richtig.
Trotzdem bin ich der Auffassung, dass ein leerer Magen eher zur Revolution anregt, als ein voller Bauch.
Sehr geehrter Herr Spahn, herzlichen Dank für diese erhellende Analyse der heutigen Gesellschaftsstruktur und den Widersprüchen zwischen ihren realen und fiktionalen Grundlagen. Darf ich noch einen Punkt hinzufügen: die Altersruhegeldbezieher müssen eigentlich noch in zwei Gruppen aufgeteilt werden, nämlich in die, die für ihre Rente selber Leistungen erbracht haben (als Beitragspflichtige der gesetzl. Rentenversicherung, alle Selbstvorsorger aus eigenen Finanzmitteln) und denen, die dies alles steuerfinanziert kosten- und teilweise sogar leistungslos erhalten (Beamte und Politiker), ohne einen Pfennig selber dazubezahlt zu haben. Hier haben wir die größte Deckungslücke, denn der Staat hat dafür keinerlei Rücklagen gebildet. Wären letztere in die Rückkopplungen… Mehr