Zuwanderung: So nebenbei das Asylrecht aushebeln

In der Diskussion über die wachsende Zahl von Menschen, die nach Europa und Deutschland wollen, geht so einiges durcheinander. Ob politisch Verfolgte bei uns Schutz suchen oder die Opfer religiöser und rassistischer Diskriminierung, ob Menschen vor Krieg und Elend fliehen, oder ob sie „nur“ auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen sind – alles wird unter dem Oberbegriff „Flüchtlinge“ subsumiert. Zudem werden Flüchtlinge mit Zuwanderern gleichgesetzt, auf die wir angesichts der demografischen Veränderungen angewiesen sind. So gehen Mitleid und ökonomisches Kalkül ineinander über, so kommt zusammen, was definitiv nicht zusammen gehört.




Diese allgemeine Begriffsverwirrung nutzt die Wirtschaft für ihre Zwecke. So fordern Arbeitgeberverbände, Wirtschaftsverbände, Handelskammern und Handwerk unisono, der Staat solle dafür sorgen, dass junge Flüchtlinge ganz schnell eine Ausbildung aufnehmen und erwachsene einen Job antreten könnten. Zugleich dürfte nach Meinung der Wirtschaft während einer Ausbildung niemand abgeschoben werden. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) springt der Wirtschaft bei. Ihre Forderung: Nach einer abgeschlossenen Ausbildung müsse jeder Flüchtling „dauerhaft in Deutschland bleiben können.“ So kann man natürlich aus dem Asylrecht ein Zuzugsrecht machen: Wer hierher kommt und Arbeit findet, kann bleiben.

Ein Blick auf die Zahlen

Wie wär’s mit einem Blick auf die Zahlen? Von den rund 200.000 Asylbewerbern, die im letzten Jahr zu uns kamen, können etwa 30 bis 40 Prozent damit rechnen, legal hier bleiben zu können: ganz wenige als politisch Verfolgte nach Artikel 16a Grundgesetz, die meisten als Flüchtlinge aufgrund der Genfer Konvention oder als aus verschiedenen Gründen offiziell Geduldete. Die Mehrheit der Asylbewerber, darunter auch die vielen Flüchtlinge aus Balkanländern wie Serbien, Mazedonien oder Bosnien, muss dagegen abgeschoben werden. Angesichts der Tatsache, dass vor allem rot-grün regierte Ländern keineswegs so konsequent abschieben, wie das Gesetz es vorschreibt, wäre die Formulierung „die Mehrheit müsste abgeschoben werden“, wohl zutreffender.

Nun hat die Große Koalition die Wartefrist für den Zugang von Asylsuchenden und Geduldeten zum Arbeitsmarkt auf drei Monate verkürzt. Ein richtiger Schritt, weil es keinen Sinn macht, Menschen zur Untätigkeit zu verdammen, solange das Asylverfahren noch läuft. Das gilt auch für junge Menschen, die eine Ausbildung aufnehmen. Wenn aus der Aufnahme einer Ausbildung oder einer Arbeit jedoch das Recht abgeleitet werden soll, dauerhaft hier zu bleiben, könnte man sich das Asylverfahren ganz sparen. Da gälte das Prinzip: Wer Arbeit findet und wer eine Ausbildung abschließt, darf bleiben, auch wenn er sich genaugenommen illegal hier aufhält, weil er gar keine Chance hat, als Flüchtling anerkannt zu werden.

Die Welt ist mehr als Wirtschaft

Über die Chuzpe der Wirtschaft, mal so nebenbei eine völlige Unterordnung des Asylrechts unter den Arbeitskräftebedarf zu fordern, braucht man sich eigentlich nicht zu wundern. Die Wirtschaftsverbände neigen auch auf anderen Gebieten dazu, die Welt allein unter ökonomischen Aspekten zu betrachten. Ginge es nach ihnen, wären die Hochschulen längst zu reinen Berufsvorbereitungs-Einrichtungen degradiert und würde die ganze Familienpolitik so ausgerichtet, dass Mütter ohne Vollzeit-Berufstätigkeit zu einer gerade noch geduldeten Minderheit würden.

Angesichts des drohenden Fachkräftemangels – wegen des demografischen Mangels dürften bis 2030 etwa 2,4 Millionen qualifizierte Kräfte fehlen – macht es natürlich Sinn, anerkannte Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren oder sie dafür zu qualifizieren. Aber der Fachkräftemangel kann nicht das Einfallstor für eine faktische Ausdehnung der EU-Freizügigkeit auf Afrika, den Nahen Osten und den Balkan werden. So wichtig die Wirtschaft auch ist: Ihre Wünsche und Forderungen können nicht über Recht und Gesetz stehen – auch nicht über dem Asyl- und Zuwanderungsrecht.





 

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