Die Wähler wollten möglichst viele Parteien in den Parlamenten und haben zugleich keines der gewohnten Koalitionsmuster zugelassen. Also Minderheitsregierungen.
Die Wähler in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben unser Parteiensystem so richtig durcheinandergewirbelt. Die alte Faustregel, „Große Koalition geht immer“, gilt nicht mehr – weder in Stuttgart noch in Magdeburg. Auch können SPD und Grüne nicht Rot-Rot-Grün als Notlösung zur Herstellung der Regierungsfähigkeit verkaufen. Dafür ist die zwischen Willkommenskultur und „Kapazitätsgrenzen“ (Sahra Wagenknecht) hin und her schwankende Linke zu schwach. Von den klassischen Modellen Schwarz-Gelb und Rot-Grün hatten sich die Wähler schon bei den meisten Landtagswahlen seit 2011 verabschiedet. Diese Koalitionsmuster aus der alten Bundesrepublik sind durch die Schwäche der FDP, das Zwischenhoch der Piraten von 2011/12 und das Aufkommen der AfD von der Regel zur Ausnahme geworden.
„Ampel“ und „Kenia“ reichen nur zum Verwalten
Regiert werden muss dennoch, aber wie? In allen drei Ländern ist die scheinbar naheliegende Lösung keine wirklich überzeugende – weder Schwarz-Grün in Baden-Württemberg, noch eine rot-gelb-grüne „Ampel“ in Rheinland-Pfalz oder eine „Kenia“-Koalition in Sachsen-Anhalt aus CDU, SPD und Grünen. Allen drei Konstellationen ist gemein, dass die Beteiligten es bei hinreichend gutem Willen durchaus schaffen könnte, ihre Länder ordnungsgemäß zu verwalten. Aber dass diese Bündnisse genügend Übereinstimmung aufbrächten, um auch politisch zu gestalten oder um gar neue Wege einzuschlagen, daran darf doch gezweifelt werden.
Nehmen wir Baden-Württemberg. Dort haben die Grünen es geschafft, sich einen bürgerlich-konservativen Anstrich zu geben. Wie will der kleine Koalitionspartner CDU da Akzente setzen? Als fortschrittlicher Widerpart zum behäbig-bewahrenden Landesvater Winfried Kretschmann etwa? Oder als die Kraft, die es sich als großen Erfolg anrechnet, wenn es ihr gelingt, die Zahl der Windräder ein wenig zu reduzieren und die finanzielle Bevorzugung der grün-roten Einheitsschule gegenüber dem Gymnasium etwas abzubauen? Auf so einen Deal würden sich die Grünen wahrscheinlich sogar einlassen – und ansonsten den Junior-Partner CDU als Hilfskellner vorführen. Wer aber glaubt, die CDU könne sich ausgerechnet an der Seite der Grünen so profilieren, dass sie an die AfD verlorene Wähler wieder zurückgewinnen kann, wird eher die Rechtspopulisten stärken.
Die Wiederkehr der FDP könnte schnell vorbei sein
Während die CDU in Baden-Württemberg vom Wähler gedemütigt wurde, können sich die Freien Demokraten in Rheinland-Pfalz immerhin über den Wiedereinzug in den Landtag freuen. Aber welche Rolle will die FDP eigentlich als drittes Rad am zweirädrigen rot-grünen Karren spielen? Wollen die Liberalen wirklich Mehrheitsbeschaffer für eine abgewählte Koalition spielen? Hätte die FDP überhaupt eine Chance, sich zwischen den aufeinander eingespielten Sozialdemokraten und Grünen zu behaupten? Das sieht nicht so aus, zumal man nicht übersehen sollte, dass die robust agierenden Sozialdemokraten sich in ihren bisherigen 15 Regierungsjahren eine solide Machtbasis aufgebaut haben – in den Ministerien, im halbstaatlichen Bereich und nicht zuletzt im SWR. Und was die Grünen betrifft, so sollten die Freien Demokraten eigentlich wissen, dass die von 15 auf 5 Prozent abgestürzte Partei weit links von Kretschmann steht. Nun gut, derzeit sucht die FDP nach Gemeinsamkeiten mit Rot-Grün. Wer sucht, der findet? In diesem Fall ist das eher unwahrscheinlich.
Minderheiten-Regierungen entsprächen dem Wählerwillen
Man kann es drehen, wie man will: Jede realistische Konstellation (und CDU/AfD zählt ebenso wenig dazu wie CDU/Linke) erfordert von den Beteiligten schmerzhafte Verrenkungen. Warum dann nicht dem Rechnung tragen, was die Wähler am 13. März mit den Stimmzetteln ausgedrückt haben: Sie wollten möglichst viele Parteien in den Parlamenten und haben zugleich keines der gewohnten Koalitionsmuster zugelassen: weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb, weder Schwarz-Rot noch Rot-Rot-Grün. Wäre es da nicht das Beste, die Parteien versuchten statt des Unmöglichen das Naheliegende: die Tolerierung der von der jeweils stärksten Partei gestellten Minderheitsregierung. Die könnte sich dann – von Fall zu Fall – im Parlament um eine klare Mehrheit bemühen.
Gegen Minderheitsregierungen wird gerne eingewandt, sie gefährdeten die Stabilität des politischen Systems. Dabei wird gerne vergessen, dass nicht Koalitionen mit klarer Parlamentsmehrheit unser System am Laufen halten, sondern unsere Verwaltungen. Eine gute Verwaltung kann selbst bei einer schlechten Regierung gut arbeiten. Zur Erinnerung: In Nordrhein-Westfalen hat eine rot-grüne Minderheitsregierung von 2010 bis 2012 amtiert, in Hessen eine geschäftsführende CDU-Regierung 2008/2009. Bleibende Schäden für beide Länder sind nicht bekannt.
Und falls Minderheitsregierungen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt doch nichts zustande bringen? Dann gäbe es eben Neuwahlen. Übrigens: Im September 2017 wird ohnehin ein neuer Bundestag gewählt. Einen besseren Termin für Neuwahlen gibt es kaum.
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