Sozialdemokraten und Grüne handeln nach dem Prinzip: Erst die Partei, dann die EU

Festzuhalten bleibt, dass bei den deutschen Sozialdemokraten und deutschen Grünen parteipolitische Überlegungen alles andere verdrängen.

Dursun Aydemir/Anadolu Agency/Getty Images

Da braucht man nicht lange drum herumreden: Die Nominierung Ursula von der Leyens für das Amt des Kommissionspräsidenten durch die EU-Regierungschefs war keine Sternstunde der Demokratie. Ein Selbstläufer ist die Kandidatur der deutschen Verteidigungsministerin auch nicht; gut möglich, dass sie in der nächsten Woche die notwendige Mehrheit nicht zusammenbekommt. Aber mit den Schuldzuweisungen ist das so eine Sache. Dazu ein paar Bemerkungen:

Spitzenkandidatenprinzip: Die Nominierung von Spitzenkandidaten durch die europäischen Parteienfamilien ist vernünftig, wenn die EU-Wahl mehr sein solle als separate Abstimmungen in 28 Ländern. Wenn das Parlament jedoch darauf beharrt, dass nur ein Spitzenkandidat auch Kommissionspräsident werden darf, dann muss es sich eben darauf einigen, wer das werden soll. Hätte das Parlament klare Signale für Manfred Weber (Europäische Volkspartei/EVP), Frans Timmermans (Sozialisten/Sozialdemokarten) oder Margrethe Vestager (Liberale) ausgesendet, hätten die im EU-Rat versammelten Staats- und Regierungschefs nicht nein sagen können.

Anybody but Weber: Nirgends steht geschrieben, dass der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion Kommissionspräsident werden muss. Hätten Sozialisten und Grüne im Parlament die notwendige Mehrheit für Timmermans oder Vestager zustande gebracht, hätte der Rat das wohl oder übel akzeptieren müssen. Aber Rote, Grüne und Liberale haben sich verzockt. Kaum waren die Wahllokale geschlossen, verkündeten sie, Weber dürfe auf keinen Fall an die Spitze der Kommission kommen. Dass die EVP-Fraktion als stärkste Gruppierung sich nach dieser Brüskierung auf keinen Deal mit den schwächeren Fraktionen einlassen würde, war abzusehen. Das Ziel von Sozialisten, Grünen und Liberalen war offenkundig, in jedem Fall Weber zu verhindern. In der „Anybody but Weber“-Bewegung marschierten die deutschen SPD-Abgeordneten vorneweg – stark geschrumpft, aber lautstark. Beim Blick durch parteipolitische Brillen verschwand das Spitzenkandidatenprinzip aus dem Blickfeld.

Schwaches Parlament, starker Rat: Das Spitzenkandidatenprinzip konnte vom Rat so rigoros ausgehebelt werden, weil ein Teil des Parlaments selbst davon abgerückt ist. Da mögen die EU-Abgeordneten noch so sehr die demokratischen Defizite innerhalb der EU beklagen: Wer sich selbst schwächt, darf sich nicht wundern, wenn andere stärker werden.

Parteibuch schlägt Geschlecht: Positiv an dem ganzen Gerangel ist, dass der Frauenfaktor keine ausschlaggebende Rolle spielt. Wie hätte manche Berufs-Feministin bei Sozialdemokraten und Grünen früher gejubelt, wenn endlich eine Frau für das wichtigste Amt in der EU vorgeschlagen worden wäre: „Hauptsache ein Frau“. Von der Leyen ist zwar zweifellos eine Frau, aber halt in der falschen Partei. Daran wird man Sozialdemokraten und Grüne bei Gelegenheit erinnern dürfen.

Veto-Macht ist keine Gestaltungsmacht: Falls Ursula von der Leyen am kommenden Dienstag nicht gewählt wird, ändert das nichts an den anderen Personalvorschlägen der Regierungschefs. Uns steht dann eine handfeste institutionelle Krise ins Haus, die die EU in den Augen der Bürger nicht attraktiver macht. Timmermans oder Vestager hätten auch in diesem Fall keine Chance auf das Amt. Die Regierungschefs würden dann wohl einen anderen Politiker aus den Reihen der Europäischen Volkspartei vorschlagen. Unter Umständen geht Deutschland dann bei den Spitzenpositionen in der EU völlig leer aus. Ob es das ist, was SPD und Grüne letztlich wollen?

Eine heimliche Agenda der SPD: Die Sozialdemokraten liefern sich zurzeit einen harten Kampf mit der AfD um den dritten Platz im Parteisystem – in der Größenordnung von 12 bis 13 Prozent. Wer in solchen Schwierigkeiten steckt, der neigt zu Verzweiflungstaten. Gut möglich, dass die SPD insgeheim darauf spekuliert, dass von der Leyen gewählt wird – mit einer Mehrheit von Europäischer Volkspartei, Liberalen und Konservativen. Dann bliebe EU-Europa eine Krise erspart. Doch die SPD würde von Stund‘ an mit der Behauptung durch die Lande ziehen, die CDU-Politikerin verdanke ihr Amt letztlich den Stimmen der Rechtskonservativen und Nationalisten aus Polen, Ungarn und anderen osteuropäischen Staaten. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, mit welcher Begeisterung SPD-Funktionäre, von den Medien kräftig unterstützt, die Kommissionspräsidentin und damit die CDU bräunlich anzustreichen versuchten.

Fazit: Das Parlament der EU hat es selbst versäumt, dem Spitzenkandidatenprinzip zu folgen. Das hat EU-Europa geschadet. Der Schaden wäre noch größer, wenn es jetzt zu einer Lähmung der EU aufgrund eines Konflikts zwischen Parlament und Rat käme. Festzuhalten bleibt, dass bei den deutschen Sozialdemokraten und deutschen Grünen parteipolitische Überlegungen alles andere verdrängen. Und die nicht gerade vielen EU-Abgeordneten der SPD verhalten sich wie Kinder am Strand: Weil es nicht gelungen ist, die höchste Sandburg zu bauen, macht man halt die Burgen der anderen platt.

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Kommentare ( 43 )

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Ingolf Paercher
5 Jahre her

Das EU- Prinzip ist sowieso im Kern antidemokratisch. Insofern ist es schön, so als Demokratiegläubiger ad absurdum geführt zu werden.
Leider ist die Vergessenskurve so steil, daß dem weiteren Wirken der Antidemokraten kein Widerstand zu erwarten ist.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass nicht nur Merkel weg muss.

Imre
5 Jahre her

Schön erklärt, aber ob es verstanden wird?

Janno
5 Jahre her

Das Spitzenkandidaten-Prinzip ist klar abzulehnen.
Dies wäre nur die Ausdehnung der kaputten deutschen Verhältniswahl auf Europa und eine Stärkung der Parteien, nicht der Demokratie.
Ebenso sind europäische Listen abzulehnen, aus dem gleichen Grund, nämlich mehr Macht bei den Parteien.

Entweder man traut sich eine reife Demokratie zu sein, mit Direktwahl von Exekutive und Legislative plus Pläbiszit oder man lässt es.

Noch mehr Macht für Apparatschiks? Nein danke.

Old-Man
5 Jahre her

Wenn es um ihre eigene Klientel geht schon,aber nur wenn es ihre eigenen Prinzipien,die der anderen gehen ihnen gegen den Strich!

Old-Man
5 Jahre her

Was wurde aus einer EU-Parlamentswahl gemacht? Es hieß es ginge um die Zukunft Europas,alles fauler Zauber,Lug und Betrug! Es ging einzig und allein um den Zugriff auf die lukrativsten Posten in der EU!! Verloren hat auf jeden der Wähler,egal ob aus Deutschland oder jedem anderen EU-Land! Sie sprechen genauso selbst verständlich von der „Spitzenkandidatenregel“,obwohl die in keinem Statut der EU fest geschrieben ist,da bin Ich ausnahmsweise einer Meinung mit Macron! Sie sprechen von demokratischen Regeln,welche meinen Sie Herr Müller-Vogg? Ist es demokratisch,wenn der Rat dem Parlament den/die Kandidaten als EU-Kommissionspräsident vorschlägt,sogar jemand der nicht an der Wahl als Kandidat teilgenommen… Mehr

Pegg Ida
5 Jahre her

Weber und Timmermans haben beide bei der EU-Wahl herbe Verluste eingefahren. Warum sollte aus zwei Verlierern einer als Gewinner hervorgehen?
(gut, Flintenuschi hätte wohl sogar noch größere Verluste als Weber erzielt. Hätte, hätte … hat sie aber nicht.)

Donald G
5 Jahre her

Nun da haben unsere Spezialdemokraten und grüne Deutschlandhasser ja wieder mal was gemeinsam. Beide stimmen zusammen vereint mit den Abgeordneten der EFDD, ENF und EKR , also mit Le Pen, Salvini, Meuthen Wilders, Farage usw. gegen die Endlagerung von UvdL. Ha, wenn das nicht mal eine passende Koalition ist, dann weis ich auch nicht. Aber wehe irgendjemand aus EVP oder gar der CDU im Inland erwägt auch nur ansatzweise mal mit denen oder der AfD zusammen zu arbeiten. Dann darf er sich dem geballten Tribunal der Stegners, GöK´s, Hofreiters und wie diese ***** alle heißen vor allem aber unserer Qualitätsmedien… Mehr

Berlindiesel
5 Jahre her

1. Es ist unerheblich, ob Deutsche in EU-Spitzenämtern sitzen, oder gar keine. Die Deutschen, die in diese Ämter kommen könnten/würden, werden immer aus dem deutschen Parteienkomplex kommen, dem die EU wichtiger ist als Deutschland. Daher würde auch ein Jens Weidmann als EZB-Präsident keine andere Währungspolitik machen als zukünftig Lagarde oder Draghi vor ihr. 2. Das „EU-Parlament“ ist unwichtig und machtlos, und durch seinen Verstoß gegen das Ein-Mann-eine-Stimme-Prinzip auch demokratisch nicht legitimiert. Der Hype wegen der „Europawahl“ hat diesmal verfangen und die Wahlbeteiligung erhöht, weil es den Blockparteien gelungen war, die Wahl als „AfD-Verhinderungswahl“ zu überhöhen, das hat in der Folge… Mehr

Old-Man
5 Jahre her
Antworten an  Berlindiesel

Sehr gut benannt,trifft ziemlich genau meine Meinung!!

johndoe19
5 Jahre her

Hier möchte ich noch anmerken:

Zumindest in der CDU gilt

erst die Kanzlerin, dann die Partei und danach erst alles Andere.

Anders ist das seit vielen Jahren praktizierte Verhalten der Unionsabgeordneten nicht zu erklären.

Senni
5 Jahre her

Zitat : Nirgends steht geschrieben, dass der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion Kommissionspräsident werden muss. Zitat ende. Für die „schlichteren“ Gemüter wurde es auf den Plakaten so vermittelt und dargestellt , als stehen diese Personen zur Wahl ! In jedem Kaff grinsten sie von den Wahltafeln. Ein geschickt eingefädelter Wählerbetrug ! Meine Oma z.B. hat Herrn Weber gewählt, hat sie stolz verkündet !