Soll die CSU bundesweit antreten?

Funktionieren könnte eine Trennung der beiden „Schwestern“ allenfalls, wenn CDU und CSU sich nicht im Streit trennen, sondern einvernehmlich: „friedliche Koexistenz“.

Christof Stache/AFP/Getty Images

Der aktuelle Streit zwischen CDU und CSU ist wohl der heftigste seit dem Trennungsbeschluss, den Franz Josef Strauß selig 1976 in Kreuth herbeigeführt hatte. Vollzogen wurde die Scheidung jedoch nie. Als nämlich Helmut Kohl in München Büroräume für eine bayerische Landesgeschäftsstelle der CDU suchen ließ, gab Strauß auf. Eine CDU in Bayern hätte damals den Verlust der absoluten CSU-Mehrheit bedeutet; heute würde ein solcher Schritt die ohnehin mageren Aussichten der CSU auf die absolute Mehrheit der Sitze zunichtemachen.

Gleichwohl: Ein Bruch ist derzeit nicht auszuschließen, weil Innenminister Horst Seehofer seinen „Masterplan Integration“ unbedingt durchsetzen möchte – Richtlinienkompetenz der Kanzlerin hin, Richtlinienkompetenz her. Die Meinungsforscher von INSA haben schon mal vorsorglich gefragt, wie die Deutschen wählen würden, wenn CDU und CSU in ganz Deutschland getrennt anträten. Das Ergebnis regt die Phantasie von Wahlstrategen an: CDU 22 Prozent, CSU 18, SPD 17, Linke 12, AfD 11, Grüne 10 und FDP 6. Das bedeutete also 40 Prozent für die CDU/CSU gegenüber mageren 29 Prozent bei Beschränkung der CSU auf Bayern und der CDU auf die restlichen fünfzehn Bundesländer.

Abstieg
Strategie-Desaster Merkel: Quittung für die CDU
Interessant ist der Vergleich zur Bundestagswahl. Die CDU bekam im September 2017 außerhalb Bayerns 26,8 Prozent, während die CSU innerhalb der weiß-blauen Grenzen auf 38,8 Prozent kam. Umgerechnet auf den Bund entsprach das CSU-Ergebnis 6,2 Prozent. In der aktuellen INSA-Umfrage müsste die CDU also 4,8 Punkte abgeben, während die CSU ihren Anteil fast verdreifachen könnte. Das ist insoweit nicht überraschend, als die CSU plötzlich von deutlich mehr Bürgern gewählt werden könnte – und auch würde – als die CDU. Auch könnte die CSU der Umfrage zufolge zahlreiche von der CDU zur AfD abgewanderte Wähler zurückholen. Bei den Mandaten käme es zu einer deutlichen Verschiebung zu Gunsten der CSU und zu Lasten der CDU. Das dürfte der CDU nicht gefallen.

Gleichwohl wäre es – jedenfalls theoretisch – sinnvoll, wenn die CSU auch außerhalb Bayerns auf dem Stimmzettel stünde. Dann könnte sie all die Wähler einsammeln, denen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ebenso missfällt wie die sozialdemokratische Sozial- und die grüne Energiepolitik der CDU, die ihre „alte CDU“ vermissen und deshalb bereits zur AfD abgewandert sind oder mit diesem Gedanken spielen. Umgekehrt hätte eine noch deutlicher sozialdemokratisierte, grün imprägnierte CDU die besten Chancen, links der Mitte zu gewinnen, was sie rechts der Mitte an die CSU verliert. Das wäre dann die optimale Ausschöpfung des Wählerpotentials der Union – links wie rechts der Mitte. Soweit die Theorie.

In der Praxis würden zwei im ganzen Land konkurrierende Unionsparteien die gewohnte Schlachtordnung verändern. Denn das bedeutete einen gnadenlosen Kampf zwischen CDU und CSU – von Wahlkreis zu Wahlkreis und von Bundesland zu Bundesland. Überall konkurrierten CDU und CSU um Erst- und Zweitstimmen. Da es leichter ist, Stimmen aus dem bürgerlichen Lager für sich zu gewinnen als bisherige SPD- oder Grünen-Wähler zu überzeugen, würden CSU und CSU im selben Teich fischen. Die Formel, „aufeinander einschlagen, gemeinsam siegen“, kann deshalb kaum aufgehen.

Natürlich könnten CDU und CSU nach der Wahl koalieren, wozu nach Lage der Dinge ein dritter Partner notwendig wäre. Eine dezidiert um konservative Wähler werbende CSU müsste im Wahlkampf ein Zusammengehen mit den Grünen ausschließen, während die „moderne“ CDU ganz gewiss auf Schwarz-Grün setzte. Das dürfte die Wähler eher verwirren als überzeugen. Ohne CSU könnte eine 22-Prozent-CDU sogar von der SPD überholt und somit zum Juniorpartner degradiert werden – ohne Aussicht auf das Kanzleramt.

Funktionieren könnte eine Trennung der beiden „Schwestern“ allenfalls, wenn CDU und CSU sich nicht im Streit trennen, sondern einvernehmlich. Diese „friedliche Koexistenz“ sähe dann so aus: Die CSU tritt außerhalb Bayerns mit Landeslisten an, die CDU in Bayern. CSU-Wähler außerhalb Bayerns könnten demnach mit der Erststimme die Kandidaten der Schwesterpartei wählen; nicht ein einziges CDU-Direktmandat ginge auf diese Weise verloren. Umgekehrt müsste die CSU in Bayern nicht um ihre Wahlkreise bangen.

Bodenkontakt verloren
Die SPD und das verratene Zukunftsversprechen
Spinnen wir den Gedanken weiter: Wenn beide C-Parteien klug vorgehen, einigen sie sich darauf, keinen Wahlkampf gegeneinander zu führen. Die CSU müsste sich zudem verpflichten, auf ihren Landeslisten außerhalb Bayerns nur solche Kandidaten zu nominieren, die bisher nicht Mitglieder der CDU waren. Bei der CDU nicht zum Zug gekommene Bewerber um eine Nominierung könnten also nicht „überlaufen“ und einen „Rachefeldzug“ gegen die CDU führen. Es läge nahe, dass die CSU auch außerhalb Bayerns bekannte CSU-Politiker auf die ersten Plätze ihrer nicht-bayerischen Landeslisten setzt. Eigene Landeslisten sicherten der CSU zudem zusätzliche Medienauftritte und verstärkten so die Unions-Präsenz in Talkrunden und ähnlichem außerhalb Bayerns.

Sicher ist auch: Sollten CSU und CDU völlig zerstritten in eine Wahl ziehen, ohne gemeinsame(n) Kanzlerkandidatin(en) und mit sich teilweise widersprechenden Wahlprogrammen, wäre das ein Konjunkturprogramm für die AfD und würde zudem selbst der am Boden liegenden SPD etwas Auftrieb geben. Deshalb sind Umfragen wie die von INSA ebenso interessant wie Spekulationen über ein solches Szenario. Aber die Chance, CDU und CSU könnten sich friedlich-schiedlich auf eine solche Strategie verständigen, ist noch geringer als die auf eine wirksame europäische Lösung zur Verhinderung unkontrollierter Zuwanderung.

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Kommentare ( 75 )

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KaroV
6 Jahre her

Ein neues Universum

Ende des Jahrhunderts werden 30 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Dann brauchen wir langsam einen weiteren Planeten.

Verdoppelt sich die Zahl der Menschen weiter alle 40 Jahre, ist die Milchstraße in einem Jahrtausend von Menschen bevölkert, 30 oder auch 60 Milliarden pro Sonne und 100 Milliarden Sonnen in unserer Galaxie!

Ein weiteres Jahrtausend und wir brauchen ein neues Universum!

Walter Knoch
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Müller-Vogg, es geht zuvörderst nicht um Parteien, es geht um Probleme, die zu lösen sind. Dabei sind die älteren Parteien heute in ihrer Gesamtheit mehr ursächliches Teil der Probleme denn ihre Lösung. Mit „Merkel weg“ alleine ändert sich gar nichts. Allzu leicht wurde die CDU nach links geschubst, unter Beifall und mit Unterstützung eines wesentlichen Teiles der Mandats- und Amtsträgerschaft. Parteivolk und Wählerschaft liefen träge mit, mal(t)en bei den Wahlen aus purer Gewohnheit ihr Kreuzchen. Zunächst einmal, um die Probleme an ihrer Wurzel zu benennen, hat sich bei uns ein finanzmächtiger Parteienapparat entwickelt, der vom Grundgesetz so… Mehr

FlyingHorse
6 Jahre her

Ich teile Ihre Meinung in keiner Weise. Ihre Begründungen – auch mit der Anführung von Meinungsumfragen, die sich täglich ändern – sind nicht überzeugend. Zuerst einmal wissen wir erst in knapp 2 Wochen UND nach der Landtagswahl, ob die CSU tatsächlich wieder für konservative politische Überzeugungen eintritt. Wenn dem so sein sollte, dass mit Herrn Söder wieder ernsthaft Politik im Sinne politischer Überzeugungen anstatt von Opportunismus betrieben wird, dann gibt es für die CSU gar keinen anderen Weg, als einen eigenen Weg zu gehen. Weil es die CDU von Helmut Kohl nicht mehr gibt, muss der Vergleich mit 1976 hinken.… Mehr

Walter Knoch
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Müller-Vogg,
es geht zuvörderst nicht um Parteien, es geht um Probleme, die zu lösen sind.

giesemann
6 Jahre her
Antworten an  Walter Knoch

Für Sie vielleicht, aber doch nicht für „die“ Parteien.

Kirchfahrter Archangelus
6 Jahre her

Mir ist nicht ganz klar, was gewonnen wäre. Könnte die CSU der AfD Wähler abspenstig machen, wären diese nur bei der Stange zu halten, wenn die CSU in einer Koalition dann auch eine klassische bürgerliche Politik umsetzt. Wie wäre dies mit einer nach links tendierenden CDU möglich? Würden lediglich die üblichen Formelkompromisse geschlossen, wären besagte Wähler auch wieder schnell weg und die Republik um den 70er-Jahre-Mythos „Vierte Partei“ ärmer. Wo sollen überdies die bürgerlich-seriöse Kandidaten, die nicht in der CDU waren, herkommen, um ganze Landeslisten zu bilden? Schlußfolgerung: Solange die CDU sich als linke Partei geriert und mit rot/grün/dunkelrot im… Mehr

Sonni
6 Jahre her

Ich wünschte, die CSU würde es ernst meinen, dann würde ich sie sogar wählen, wenn das im Norden hier möglich wäre.
Aber leider glaube ich diesen Altparteien kein einziges Wort mehr. Die lügen alle wie gedruckt, besonders vor einer anstehenden Wahl.

Ungebildeter Wutbuerger
6 Jahre her
Antworten an  Sonni

Das ist ja das praktische: Wenn die CSU erst mal so weit geht, dass sie sich von der CDU trennt, dann kann man auch davon ausgehen, dass sie es ernst meint.

Denn nur aus Jux wird sie angesichts der extrem weitreichenden Konsequenzen der Trennung eine solche nicht ins Auge fassen.

Sonni
6 Jahre her

Der „Jux“ kann auch genauso gut Kalkül sein. Ich tu mal so, als wäre ich auf Seiten der deutschen Bevölkerung, aber wenn die Wahl gelaufen ist, mache ich wieder einen Rückzieher und suggeriere, dass ich machtlos gegen die Berliner Clique bin.

giesemann
6 Jahre her

CDU-Büro in Bayern! Hatte ich ganz vergessen, aber jetzt, wo Sie das wieder auf’s Trapez bringen, lieber Herr Müller-Vogg, erinnere mich natürlich sofort. Wäre mir recht gewesen damals, um der CSU ihre ewige Mehrheit zu nehmen – auch heute noch nicht schlecht, als Idee …

A. Schmidt
6 Jahre her

So eine Konstellation nebst Marginalisierung von politischen Positionen, die noch etwas Rücksicht auf die Wirtschaft nehmen, wäre sicherlich nicht gut für die deutsche Wirtschaft und damit für den Wohlstand in Deutschland und Deutschland insgesamt. Wir brauchen nicht nur Parteien, die einen immer
extremeren Obrigkeitsstaat anstreben!

Karl Heinz Muttersohn
6 Jahre her

Ihrem letzten Satz stimme ich 100% zu. Was mich in letzter Zeit bewegt ist die Frage, wieso die Union bereit ist sehenden Auges in eine Katastrophe zu steuern. Wenn wir nämlich Mutti vom Spielfeld nehmen, sieht es doch gleich viel besser aus!

Ungebildeter Wutbuerger
6 Jahre her

„Sicher ist auch: Sollten CSU und CDU völlig zerstritten in eine Wahl ziehen, ohne gemeinsame(n) Kanzlerkandidatin(en) und mit sich teilweise widersprechenden Wahlprogrammen, wäre das ein Konjunkturprogramm für die AfD und würde zudem selbst der am Boden liegenden SPD etwas Auftrieb geben.“ Unwahrscheinlich: Die potenziellen CSU-Sympathisanten, die auch für die AfD empfänglich sind, wollen ja *gerade*, dass die Christsozialen der Merkel-Union den Fehdehandschuh hinwerfen anstatt weiter mit ihr zu kuscheln. Dass es in der INSA-Umfrage noch immer 11% AfD-Wähler gibt, ist eher ein Indikator dafür, dass die Union den Bogen zu sehr überspannt hat – denn obwohl laut diversen Umfragen eigentlich… Mehr