Sozialverbände kümmern sich um die Benachteiligten, um die Armen. Das ist auch gut so. Sozialverbände kümmern sich auch um sich selbst: Sie wollen, dass sie gut organisiert und finanziell gut ausgestattet sind. Leider übertreiben sie, statt aufzuklären.
Sozialverbände kümmern sich um die Benachteiligten, um die Armen. Das ist auch gut so. Sozialverbände kümmern sich auch um sich selbst: Sie wollen, dass sie gut organisiert und finanziell gut ausgestattet sind. Auch das ist verständlich. Aber gerade weil Sozialverbände auch ein Eigeninteresse haben, sind sie permanent versucht, die Größe ihrer Aufgabe und damit die eigene Bedeutung hervorzuheben. Kurz: Je größer die Armut, umso wichtiger die Sozialverbände, umso gefragter ihre Sprecher in den gängigen Talkshows.
Dauergast an der TV-Armutsbekämpfungsfront ist Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Der bietet jedes Jahr das, wonach die politische Linke sowie die meisten Medien geradezu lechzen: einen Armutsbericht. Vor wenigen Tagen haben Schneider und sein Verband zuverlässig geliefert: Im Berichtsjahr 2014 waren 15,4 Prozent der Bevölkerung oder etwa 12,5 Millionen Menschen in Deutschland „einkommensarm“. Dazu zählen Ein-Personen-Haushalte mit einem Monatseinkommen von weniger als 892 Euro. Bei einer Familie mit zwei Kindern liegt die Grenze bei 1.872 Euro.
Gemessen wird Einkommensarmut nach folgender Methode: Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, gilt als arm. Die Grenze könnte auch bei 65 oder 55 Prozent liegen. Doch haben sich die Armutswissenschaftler aller Länder nun mal auf 60 Prozent geeinigt – warum auch immer. Dass es sich, streng genommen, um eine „Armutsgefährdungsquote“ handelt, wird in der öffentlichen Diskussion gerne unterschlagen. Arm klingt halt dramatischer als armutsgefährdet.
Es geht nicht um Armut, sondern Ungleichheit
Noch etwas bleibt in der Armutsdiskussion meistens unerwähnt: In Europa ist die Armut in Malta, Zypern, Slowenien, Ungarn, der Slowakei oder Tschechien – statistisch gesehen – nicht so hoch wie im reichen Deutschland. Das ist kein Wunder. Denn genau genommen misst die Armutsquote nur, wie gleich oder ungleich die Einkommen in einem Land sind. Sind mehr oder weniger alle gleich arm, sinkt demnach die Quote. Die Fragwürdigkeit der ganzen Operation zeigt sich daran, dass sich in Deutschland an den 15,4 Prozent nichts ändern würden, selbst wenn alle Einkommen (Gehälter wie Transfereinkommen) verdoppelt würden. Es geht den „Armutsforschern“ nämlich nicht um Armut, sondern um Ungleichheit.
Ulrich Schneider ist ein eloquenter Anwalt seines Verbandes und seiner Interessen. Er sagt offenbar auch das, was die meisten Journalisten hören wollen. Deshalb seine vielen Interviews und Fernsehauftritte. Georg Cremer, Generalsekretär der Caritas, ist nicht so oft zu sehen, zu hören oder zu lesen. Aus einem einfachen Grund: Der Caritas-Mann spitzt nicht so zu wie Schneider, argumentiert differenzierter. Er kritisiert nicht die Erhebung, fordert jedoch eine sinnvolle Interpretation. So weist Cremer darauf hin, die große Mehrheit der Studenten und Auszubildenden, die nicht zu Hause leben, wären laut Statistik arm – „auch meine Söhne, obwohl sie aus der bürgerlichen Mitte stammen.“
Es geht nicht um Information, sondern Verbands-PR
Cremer stößt sich zudem an der weit verbreiteten Praxis, die Zahl der Armen unter anderem auch daran zu messen, wie viele Menschen staatliche Unterstützung erhielten. Sein Beispiel: Wenn der Hartz IV-Satz um 60 Prozent erhöht würde, wie die Caritas das selbst fordert, stiege die Zahl der „Aufstocker“ um eine Million. Dann bekämen nämlich auch solche Menschen Geld von der Arbeitsagentur, die derzeit mit ihren kleinen Einkommen auskommen müssen. Eine Million „Aufstocker“ mehr? Dazu Cremer in der „Süddeutschen Zeitung“: „Ich befürchte, Sozialverbände, Kirchenvertreter, Oppositionspolitiker träten mit traurigen Augen vor die Kameras und sagten, die soziale Kälte habe zugenommen.“
Mit der Armutsstatistik ist es eben wie mit vielen Statistiken: Sie soll gar nicht die Realität abbilden. Sie soll zeigen, wie unsozial es in diesem Land zugeht. Eine Frage aber beantworten weder die Statistik noch die Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes: Warum eigentlich von unseren 12,5 Millionen „Armen“ nicht wenigstens ein paar Zehntausend nach Slowenien, Tschechien, Ungarn oder in die Slowakei auswandern? Ob diese Menschen für den Unterschied zwischen „Armut“ und Armut vielleicht ein besseres Gefühl haben als so mancher Sozialapostel?
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