Mit zwei Themen ist die AfD schneller groß geworden als jede andere Neugründung vor ihr: mit ihrem Nein zur Euro-Rettung und ihrer strikten Ablehnung der schwarz-rot-grünen Flüchtlingspolitik. Im Entwurf für das Grundsatzprogramm steckt viel alte CDU.
Ein Grundsatzprogramm hatte die Partei bisher nicht. Ende April soll nun eines verabschiedet werden.
Der Entwurf enthält viele Versprechen für unterschiedliche Wählergruppen, so gut wie keine konkreten Angaben zur Finanzierung, viel Unbestimmtes und eine gute Portion Pathos: „Wir wollen Deutsche sein und bleiben“. Das Programm gleicht einem Eintopf: Da ist vieles zusammengerührt. Doch geschmacklich dominiert wird das geistige Futter für Wähler von zwei Zutaten: Populismus wie National-Konservatismus. Auffällig: Im Gegensatz zu AfD-Wahlkämpfern verzichten die Programm-Autoren auf rassistische Untertöne und völkisches Geraune. Offenbar durchlief der Entwurf den „Waschgang“ für Political Correctness – jedenfalls sprachlich.
Gegen „die da oben“
Inhaltlich bedient die AfD alle gängigen Vorurteile gegen Politik und Parteien. Im Land herrscht „ein politisches Kartell“, das die Schalthebel der Macht in den Händen hält – ein „illegitimer Zustand“. Die vorhandenen Aversionen gegen das politische System zu schüren und zu nutzen, war schon immer das Rezept linker wie rechter Populisten. Auch die Grünen hatten einst so begonnen. Als Gegenmittel gegen zu einflussreiche Parteien und zu abgehobene Parlamentarier empfiehlt die AfD mehr direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild. Volksabstimmungen sollen zu allem und jedem möglich sein, Finanzfragen eingeschlossen. Auch das kommt bei denen, die überall eine Verschwörung wittern, gut an.
Die populistische Seite der AfD lässt sich zudem daran erkennen, dass sie sich explizit für die Beibehaltung des Mindestlohns einsetzt. Das passt nicht zu ihrer marktwirtschaftlichen Grundeinstellung. Aber auch die CDU/CSU hat mit dem gesetzlichen Mindestlohn ihren Frieden gemacht – weil er laut Umfragen von der großen Mehrheit der Wähler befürwortet wird. Wen kümmern da noch ordnungspolitische Prinzipien, wenn die Ablehnung des Mindestlohns als Ausweis unsozialer Gesinnung gebrandmarkt werden kann?
Mit ihrer Polemik gegen eine „politische Klasse von Berufspolitikern“ spielt die AfD auf derselben Klaviatur wie Linkspopulisten. Mit denen stimmt sie auch bei ihrer Ablehnung des Transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP überein. Auch hier kann die AfD auf große Resonanz in der Bevölkerung rechnen. Mit der von ihr geforderten Re-Nationalisierung der Außen- und Währungspolitik hat sie ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Parteien. Der Euro soll abgewickelt werden; anderenfalls soll das Volk über ein Ausscheiden Deutschlands aus dem Währungsverbund entscheiden. Die EU soll zu einer Europäischen Freihandelszone zurückentwickelt werden; eine gemeinsame europäische Armee wird ausgeschlossen. „Als drittgrößter Beitragszahler der UN“ soll Deutschland einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat erhalten. Im Übrigen zieht die AfD bei ihrem Ruf nach mehr Verständnis für Russland und einer größeren Distanz zu den USA abermals mit den Genossen von der Linkspartei an einem Strang.
In der derzeit zentralen Frage der Flüchtlingspolitik enthält sich die AfD im Programm-Entwurf jeglicher martialischer Forderung nach einem Schusswaffeneinsatz bei der Grenzsicherung. Einerseits liegt die AfD hier auf der Linie von CSU und großen Teilen der CDU, zwischen „echten Flüchtlingen“ und illegalen Migranten strikt zu unterscheiden. Zugleich überholt die AfD die Union aber auf der rechten Außenbahn: Das individuelle Grundrecht auf Asyl soll durch eine „institutionelle Garantie“ ersetzt, „veraltete supra- und internationale Abkommen“ wie die Genfer Konventionen sollen an die „globalisierte Gegenwart“ angepasst werden. Das kann man nur so verstehen, dass auch „echten“ Kriegsflüchtlingen der Zugang deutlich erschwert werden soll.
Viel frühere CDU
Die national-konservative Grundlinie zeigt sich ebenfalls in der Aussage, die AfD betrachte die „Ideologie des Multikulturalismus“ als „ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit.“ Dazu gehört die Betonung, dass der Islam „nicht zu Deutschland“ gehöre, und dass die Finanzierung von Moscheebauten durch ausländische Geldgeber zu unterbinden sei. Der Tenor der entsprechenden Passagen fände in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ebenfalls viel Zustimmung.
Ohnehin steckt sehr viel Union im AfD-Programm, genauer: sehr viel frühere CDU. Die von der AfD verlangte Stärkung der Sicherheitsorgane, die Betonung des Opferschutzes, die Förderung der Vater-Mutter-Kind(er)-Familie, die Ablehnung des „Leitbildes von der voll erwerbstätigen Frau“ – dies alles findet sich auch noch in CDU-Programmen. Dasselbe gilt für das AfD-Bekenntnis zu einem gegliederten Schulwesen und ihrem klaren Nein zur Einheitsschule.
Im wirtschaftspolitischen Teil des Programmentwurfs bekennt sich die AfD zur sozialen Marktwirtschaft in der Tradition Ludwig Erhards und der „Freiburger Schule“. Ihr Vorschlag einer „aktivierenden Grundsicherung“ als Alternative zu Hartz IV lehnt sich an das FDP-Konzept eines „Bürgergeldes“ an. Ein Stufentarif bei der Einkommensteuer, wie ihn die AfD verlangt, stand schon im Wahlprogramm der Liberalen. Das Familiensplitting ist Beschlusslage der CDU, die Ablehnung der Mietpreisbremse war es einmal. Dass die Ausstiegsbeschlüsse aus der Kernkraft von 2002 und 2011 „sachlich nicht begründet und wirtschaftlich schädlich“ waren, und dass die Laufzeiten der noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke deshalb verlängert werden sollten, das würden wohl die Wirtschaftspolitiker der CDUCSU sofort unterschreiben.
Das AfD-Grundsatzprogramm soll vor allem drei Wählergruppen ansprechen: Wutbürger, die es „denen da oben“ mal richtig zeigen wollen, Bürgerliche, denen die Union zu sozialdemokratisch und zu grün geworden ist, und schließlich Nationalkonservative, die dem Nationalstaat alter Prägung nachtrauern und sich nach der früheren Übersichtlichkeit der von zwei Supermächten geordneten Welt zurücksehnen. Die meisten von ihnen werden – wie fast alle Wähler – niemals ein Parteiprogramm lesen. Sie werden sich eher davon leiten lassen, was sie von den führenden AfD-Politikern zu hören bekommen. Da aber gilt: Nicht an ihren Texten, an ihren Taten sollt ihr sie erkennen.
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