Die SPD macht sich mal schnell vom Acker

Da mögen Martin Schulz und Genossen erzählen, was sie wollen: Ihr Drang in die Opposition ist Flucht aus der Verantwortung. Der gescheiterte Kanzlerkandidat Schulz will seine Position als SPD-Vorsitzender retten.

© Odd Andersen/AFP/GEtty Images

Die Stimmen waren am 24. September kurz nach 18 Uhr noch nicht ausgezählt, da ließ die SPD ihre Wähler und die gesamte Öffentlichkeit wissen: Ihr habt uns ein so schlechtes Ergebnis beschert, dass wir uns für nichts und niemanden mehr verantwortlich fühlen. Deshalb gehen wir in die Opposition. Macht euren Dreck alleene. Basta.

Seitdem intonieren alle SPD-Größen dieselbe Melodie. Die 20,5 Prozent waren eine Absage an die Große Koalition. Deshalb werden wir auf keinen Fall eine neue eingehen. Opposition ist nicht mehr Mist, wie einst Franz Müntefering meinte, sondern sozusagen die Krönung parteipolitischer Existenz. Mit uns zieht die neue Zeit: Erst die Partei, dann der Staat.

Natürlich kann keine Partei gezwungen werden, in eine Regierung einzutreten, Verantwortung zu übernehmen, gegebenenfalls auch die Prügel für unpopuläre, aber unumgängliche Entscheidungen einzustecken. Auch reine Protestparteien wirken an der politischen Willensbildung mit und erfüllen insofern einen Auftrag des Grundgesetzes.

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Doch es gibt eben einen Unterschied zwischen Parteien, die Wutbürger und Wutwähler einsammeln, um es den „Altparteien“ mal so richtig zu zeigen, und Gestaltungsparteien, die Verantwortung für Staat und Gesellschaft übernehmen. Auch die Grünen und Die Linke alias PDS haben einst als Protestparteien angefangen. Heute wollen sie ganz selbstverständlich regieren. Die AfD verkörpert den Typus der Protestpartei geradezu perfekt. Und die SPD? Die alte Volkspartei, die immer bereit war, Verantwortung zu übernehmen – schon im Kaiserreich, dann in der Weimarer Republik und schließlich in der Bundesrepublik? Die wandelt sich unter ihrem entzauberten Gottkanzler Martin Schulz zur Ohne-mich-Truppe. Die SPD macht sich einfach vom Acker.

Ja, die GroKo ist vom Wähler nicht bestätigt worden. Der Anteil der drei Parteien CDU, SPD und CSU ist von 67 Prozent im Jahr 2013 auf 53 Prozent geschrumpft. Gleichwohl: Auch jetzt verfügt Schwarz-Rot noch deutlich über mehr als die Hälfte der Sitze. Dass die GroKo also kein Mandat mehr hätte, stimmt einfach nicht.

Die Kanzlerin sei „die größte Verliererin“, fauchte er am Wahlabend in der Elefantenrunde. Das stimmt sogar: Der Rückgang der CDU/CSU von 41,5 auf 32,9 Prozent entspricht einem Minus von 8,6 Prozentpunkten oder 20,7 Prozent. Bei der SPD führt der Rückgang von 25,7 auf 20,5 Prozent zu einem Minus von 20,2 Prozent. Schulz hat also recht: Die Union hat noch etwas mehr verloren als seine eigene Partei.

Doch Schulz‘ Schlussfolgerung ist nicht nachvollziehbar. Weil die Sozialdemokraten 20,2 Prozent eingebüßt haben, haben sie angeblich kein Regierungsmandat mehr. Die CDU/CSU hingegen mit einem etwas größeren Minus von 20,7 Prozent soll und muss regieren? Wo bleibt da die Logik, Herr Schulz?

Irgendwie scheint die SPD selbst zu spüren, dass ihre Begründung, warum sie sich einfach vom Acker macht, nicht sehr glaubwürdig ist. Also wird der Vorrang der Protest-Politik vor der Verantwortungs-Politik staatspolitisch verbrämt. Es gelte, die AfD als „Oppositionsführerin“ zu verhindern. Denn sollten Union und SPD abermals koalieren, käme diese Rolle der AfD als drittstärkster Kraft zu.

Die Geschäftsordnung kennt keinen Oppositionsführer

Das Problem ist nur: Die Geschäftsordnung des Parlaments kennt eine besondere Rolle der „Oppositionsführerin“ gar nicht. Redezeiten und Ausschussvorsitze werden strikt nach der Größe der Fraktionen vergeben, ganz gleich, ob eine Fraktion die Regierung stützt oder gegen sie opponiert. Wer stärkste Oppositionsfraktion ist, macht sich vor allem in der Reihenfolge der Redner bemerkbar. Auf eine Rede des Kanzlers oder der Kanzlerin darf die stärkste Oppositionsfraktion zuerst antworten; sie darf bestimmte Debatten auch eröffnen. Das bekommt außerhalb des Parlaments jedoch kaum jemand mit. Was in den Fernsehnachrichten aus dem Parlament gesendet und was in den Zeitungen berichtet wird, bestimmt sich nie nach der Reihenfolge der Redner.

„Oppositionsführer“, das ist in gewisser Weise eine Erfindung von Gregor Gysi. Als die Linke vor vier Jahren erstmals einen Sitz mehr hatte als die Grünen, rief sich der große Taktiker Gysi zum Oppositionsführer aus. Er füllte diese Rolle auch aus. Aber nicht dank seines Status, sondern weil er einer der besten Redner unter der Reichstagskuppel war und ist. Seine beiden Nachfolger an der Spitze der Linke-Fraktion, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, fielen da weniger auf – auch wenn sie gelegentlich direkt auf Angela Merkel antworten konnten.

Da mögen Martin Schulz und Genossen erzählen, was sie wollen: Ihr Drang in die Opposition ist eine Flucht aus der Verantwortung. Mit dem Kampf gegen „die Nazis“, wie Schulz die Auseinandersetzung mit der AfD nennt, hat das nichts zu tun. Der gescheiterte Kanzlerkandidat Schulz will seine Position als SPD-Vorsitzender retten. Sein Dreiklang lautet so: Erstens die Person, zweitens die Partei, drittens das Land. Das sind neue Töne. Man könnte auch im neuen SPD-Sound sagen: Das Land bekommt eins „in die Fresse“.

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Kommentare ( 27 )

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Chris Lam
7 Jahre her

Die CDU ist nicht „abgestraft“. Sie ist die stärkste Partei und bildet die Regierung. Alles andere ist Wunschtraum politischer Wettbewerber und erinnert an Herrn Schröder 2009, der auch glaubte, dass Frau Merkel ja „eigentlich“ verloren habe und nur er Kanzler sein könne. Wer in der Verlängerung mit einem Standard gewinnt, ist auch Weltmeister.

Old-Man
7 Jahre her

Hallo Herr Müller-Vogg! Schulz war von Anfang an zum scheitern verurteilt,was aber an seiner nicht vorhandenen Strahlkraft auf Wähler außerhalb des rot-linken Spektrums liegt. Und das die SPD sich vom Acker gemacht hat,das ist sogar gut,oder hätte irgendwer Schulz in einer Ministerposition auf „Nazijagd“ erleben wollen?? So ist es besser,so kann er mit Gabriel um die Wette die SPD im Parlament noch unmöglicher machen,denn im dummen Zeug reden sind die beiden ja einsame Spitze! Das dumme ist nur,das den roten ja die eigenen Leute nichts mehr glauben,die gehen ja auch in Scharen von der Fahne,da helfen auch die tollen Neuzugänge… Mehr

Artikel-5-GG-Verfechterin
7 Jahre her

Eine Punktlandung, Ihre Metapher.
Im Fussballjargon heißt es ja nicht umsonst:
die Wahrheit liegt auf dem Platz.

Anne
7 Jahre her

Noch ist die SPD nicht in die Opposition gegangen, vielmehr ist gegenwärtig alles offen. Denn was heute gilt, ist morgen schon überholt. Die Stimmen aus den Reihen der SPD senden bereits andere Signale. Ich denke, dass letztlich die Gier nach Macht und Posten bei den gewählten Berufspolitikern der SPD siegt und wieder eine GroKo zustande kommt. Ob eine Regierungsbildung der CDU/CSU mit der FDP und den Grünen (Illusionisten) besser für das Land sein wird als ein Zusammengehen mit der SPD, wage ich zu bezweifeln. Die SPD wäre für mich zwar das kleinere Übel, obwohl ich „rosarot“ noch nie wählte. Übrigens… Mehr

Ghost
7 Jahre her

Die Schulz-SPD hat keine andere Wahl als die zur reinen Oppositionspartei zu werden. Der Wahlkampf der SPD war eine Katastrophe was das taktische Vorgehen angeht, Fehler über Fehler, Schulz hat sich als zu schwach und völlig ungeeignet als Kanzler präsentiert. Die Partei müsste erst einmal wieder beweisen, dass sie Verantwortung übernehmen kann – jetzt ist das nicht Fall.

karel
7 Jahre her

Sorry,
die SPD hatte 2013 schon die Gelegenheit, eine Regierung mit den GRÜNEN und den LINKEN zu bilden, Politik zu gestalten.
Nicht in die Verantwortung zu gehen, war schon da erkennbar.

Die Kanzlerin war da aus einem anderen Holz geschnitzt,
hatte sie den Mut, ohne eine eigene Mehrheit Verantwortung zu tragen.

Aber wer will das so sehen?
In den Zeitungen steht ja auch nix davon.

Ludwig1964
7 Jahre her

Ich kann dieses phrasenhafte und leere “AfD ist doch nur Protestpartei” oder „die haben doch keine Inhalte“ Geplapper langsam nicht mehr hören. Das wird doch nicht durch ständiges Wiederholen zur Wahrheit? Es gibt wahrlich genug Gründe die AfD wegen ihrer Positionen zu wählen. Ich habe mich für die AfD mindestens schon mal aus folgenden Gründen entschieden: 1) Ich möchte gerne direkte Demokratie auf Bundesebene haben. Da scheint mir das AfD Angebot das ehrlichste zu sein. Bei allen anderen Parteien, die das mal vertreten haben, verschwindet das immer ganz schnell im Schrank nach der Wahl. 2) Eine Einschränkung / Reduzierung der… Mehr

Markus Gerle
7 Jahre her
Antworten an  Ludwig1964

Hmm, darf ich mir Ihren Text kopieren? Ich tue es einfach. Allen 10 Punkten stimme ich vollumfänglich zu, obwohl ich FDP gewählt habe 😉

Störk
7 Jahre her
Antworten an  Markus Gerle

dito…

Montgelas
7 Jahre her
Antworten an  Ludwig1964

Hervorragend zusammengefasst! Volle Zustimmung!

Bambu
7 Jahre her

Will die SPD wirklich, in der heute zugegebenermaßen komplexen Welt, eine erfolgreiche Politik machen, welche von ihren Wählern akzeptiert wird, dann braucht sie intelligente Lösungen, darf kein Wählerbashing mehr betreiben und braucht die Bereitschaft sich Lobbyisten zu widersetzen. Dafür sind die Abgeordneten aber zu ideenlos, zu wenig kämpferisch, zu wenig politisch motiviert und zu träge. Es wird das bequeme Amt bevorzugt und das bekommt man noch am ehesten in der Opposition. Da kann man dann herummäkeln und darauf hoffen, dass die Anderen es so schlecht machen, so dass es dann bei der nächsten Wahl zum eigenen Vorteil gereicht. Ob das… Mehr

treu
7 Jahre her

Naja, da ist sicher auch eine Menge verletzter persönlicher Stolz dabei. Eben noch der fast sichere SPD-Kanzler, der Merkel großzügig anbietet unter seiner Regierung mitzumachen und dann darmatisch abgestürzt, sowohl im direkten Vergleich, als auch mit der Partei.

treu
7 Jahre her

„Anstatt sich ueber die SPD zu echauffieren sollte Herr M-Vogg sich eher ueber die mangelnde politiische Verantwortung von Frau Merkel Gedanken machen.“
Sie blenden hier völlig aus, daß die SPD voll mitverantwortlich für das Disaster der letzten Jahre ist. Es reicht eben NICHT, sich nur über Merkel zu echauffieren. Ohne die SPD und ihrer Zustimmung zu praktisch allem was Merkel tat, wäre dies nicht möglich gewesen.