45 % der Wahlberechtigten und 49 % der Unionsanhänger fänden es gut, wenn die CSU 2017 auch außerhalb Bayerns anträte. Warum also sollten sie es nicht tun? Liegen die Vorteile nicht auf der Hand? Hugo Müller-Vogg spielt die Varianten durch.
Die Umfragezahlen sind klar: 45 Prozent aller Wahlberechtigten und 49 Prozent aller Unionsanhänger fänden es gut, wenn die CSU 2017 auch außerhalb Bayerns anträte. Warum also sollten die Bayern es dann nicht tun? Liegen die Vorteile nicht auf der Hand?
Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen
Die CSU könnte außerhalb Bayerns all die Wähler einsammeln, denen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ebenso missfällt wie sozialdemokratische Sozial- und die grüne Energiepolitik der CDU, die eben ihre „alte CDU“ vermissen und deshalb bereits zur AfD abgewandert sind oder mit diesem Gedanken spielen. Und hätte umgekehrt eine noch deutlicher sozialdemokratisierte, grün imprägnierte CDU nicht die besten Chancen, bei den „modernen“ Wählern zu gewinnen, was sie rechts an die CSU verliert?
Also getrennt marschieren, vereint siegen? Unplausibel sind solche Sandkastenspiele nicht. Wobei es darauf ankäme, ob die beiden Parteien, deren „geschwisterliches“ Verhältnis – mal wieder – einen Tiefpunkt erreicht, sich im besten Einvernehmen oder im Streit trennten. Spielen wir also beide Varianten durch: die harmonische und die streitige.
Variante 1: Friedliche Koexistenz
Um eine optimale Ausschöpfung ihres Wählerpotentials – links wie rechts der Mitte – zu erreichen, stellt die CSU außerhalb Bayerns keine Direktkandidaten auf, tritt aber mit Landeslisten an. Wer jenseits des Weißwurst-Äquators CSU wählt, kann dennoch mit der Erststimme der CDU zu einem Direktmandat verhelfen. Umgekehrt beschränkt sich die CDU auf eine Landesliste in Bayern.
Bei einem klug aufeinander abgestimmten Wahlkampf könnten CDU und CSU auf diese Weise mehr Stimmen auf sich vereinen und mehr Mandate erringen als bisher. Allerdings würde die CSU außerhalb Bayerns viele Mandate auf Kosten der CDU gewinnen, was der CDU in Bayern – wenn überhaupt – in viel geringerem Umfang gelänge. Auch wenn die Union insgesamt stärker würde, wäre der numerische Verlierer die CDU.
Variante 2: Blutiger Schwesternkrieg
Bei einem offenen Bruch zwischen CSU und CDU sieht die Schlachtordnung ganz anders aus. Dann kommt es zum Duell – von Wahlkreis zu Wahlkreis und von Bundesland zu Bundesland. Überall konkurrieren CDU und CSU um Erst- und Zweitstimmen. Und weil es leichter ist, Stimmen aus dem bürgerlichen Lager für sich zu gewinnen als bisherige SPD- oder Grünen-Wähler zu überzeugen, werden CSU und CSU im selben Teich fischen. Aus der Geschichte wissen wir, dass Bruderkriege besonders brutal und blutig geführt werden. Das wäre bei diesem Schwesterkrieg nicht anders. Und eines wäre absehbar: Die Formel „aufeinander einschlagen, gemeinsam siegen“ kann nicht aufgehen.
Das politische Leben ist kein Sandkasten
Ob die Unionsparteien versuchen, sich strategisch aufzustellen, oder ob sie sich gnadenlos bekriegen: Es gäbe Verletzte und Tote. Selbst bei einem zwischen Berlin und München abgestimmten Verhalten wären außerhalb Bayerns viele CDU-Kandidaten nicht davon abzuhalten, mit Volldampf gegen die CSU zu kämpfen. Denn mit jeder Zweitstimme für die CSU verringern sich die Chancen der CDU-Kandidaten, wenigstens über die Liste in den Bundestag einzuziehen.
Für die CSU würden beide Varianten ihre besondere Stellung als regionale Partei mit bundespolitischem Einfluss gefährden. Wer außerhalb Bayern antritt – sei es auch nur mit Landeslisten – kann seine erfolgreiche „Bayern zuerst“-Politik nicht glaubwürdig fortsetzen. Eine bundesweit agierende CSU würde also ihre Position in Bayern gefährden. Das gälte umso mehr bei einem Einmarsch der CDU in den Freistaat: Würde sich ein bayerischer Landesverband der CDU etablieren, könnte die CSU ihren Hoffnungen auf absolute Mehrheiten bei Landtagswahlen begraben. Ihr bisher so erfolgreiches Modell – Bayern mit absoluter Mehrheit gut zu regieren, in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein Machtfaktor zu sein und in Berlin möglichst viel für Bayern herauszuholen – wäre obsolet.
Etwas Besseres als den Selbstmord findest du überall
So sehr CSU-Chef Horst Seehofer mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin hadert, so begründet seine Sorgen sind, treue CSU-Wähler könnten wegen Merkel zur AfD abwandern, so sicher wird er 2017 keinen Wahlkampf gegen die CDU führen. Denn mitregieren in Berlin kann die CSU nur zusammen mit der CDU, wie immer auch der dritte oder vierte Koalitionspartner heißen mag.
Wer übrigens meint, das Verhältnis zwischen CDU und CSU sei viel schlechter als früher, scheint vergessen zu haben, wie es früher in der Unions-„Familie“ zuging. Als sich im Juni 1975 CDU und CSU mühsam auf Helmut Kohl als Kanzlerkandidaten geeinigt hatten, ließ Franz Josef Strauß ins gemeinsame Kommuniqué schreiben, dass die CSU ihn unverändert für den „geeigneten Kandidaten“ halte. Als Kohl 1976 dann trotz ausgezeichneter 48,6 Prozent für CDU/CSU nicht Kanzler wurde, weil die FDP treu an der Seite der SPD stand, wütete Strauß in seiner berüchtigten „Wienerwald-Rede“: „Kohl, den ich nur im Wissen, den ich trotz meines Wissens um seine Unzulänglichkeit um des Friedens willen als Kanzlerkandidaten unterstützt habe, wird nie Kanzler werden.Er ist total unfähig, ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür.“
Es wird also getrennt marschiert – ein bisschen
Solche Töne aus München sind heute undenkbar. Auch sollte man dem weiß-blauen Raunen über einen möglichen Spitzenkandidaten Seehofer auf der CSU-Landesliste und ein eigenes Wahlprogramm der CSU keine allzu große Bedeutung beimessen. Schon Strauß und Edmund Stoiber waren bei Bundestagswahlen Spitzenkandidaten der CSU – und blieben anschließend in der Münchener Staatskanzlei. Auch in früheren Bundestagswahlen trat die CSU bisweilen mit einem eigenen Wahlprogramm an, mal in Ergänzung zum gemeinsamen „Regierungsprogramm“ von CDU und CSU, mal bewusst als Kontrast. Ein bisschen getrennt zu marschieren, das war schon immer eine weiß-blaue Spezialität – im Endeffekt immer zu Gunsten beider „Schwestern“.
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