Das Projekt „Revolution“ ist krachend gescheitert

Nein, die Achtundsechziger haben die Welt nicht aus den Angeln gehoben. Das heißt nicht, dass sie nicht doch einiges verändert hätten. Dazu mehr in den beiden Kolumnen „Das Erbe der Achtundsechziger“ und „Die Erblast der Achtundsechziger.“

© Keystone/Getty Images
August 1968, Berlin

Für die Studentenrevolte von vor 50 Jahren steht die Zahl 1968, für eine von antiautoritären Kräften betriebene angebliche Überwindung der muffigen Adenauer-Ära, für mehr Demokratie, mehr Freiheit, mehr Liberalität. Es sind überwiegend Jubelarien, die derzeit zum „50. Geburtstag“ der Achtundsechziger angestimmt werden.

Das ist insofern nicht verwunderlich, weil die meisten Festredner zum Fünfzigsten damals selbst zu den Revoluzzern zählten und folglich heute selig im Glanz des eigenen Beitrags zu den vermeintlich historischen Umwälzungen schwelgen. Nichts fällt eben leichter als Eigenlob – auch bei heute arrivierten, überwiegend in staatsnahen Institutionen beschäftigten und bestens versorgten Alt-Achtundsechzigern.

Der Mythos verblasst
Heinsohns Kriegsindex und die 68er
In allen Beschwörungen von der damals eingeleiteten Zeitenwende bleibt freilich – bewusst – ausgeklammert, dass die Achtundsechziger bei ihren zentralen Anliegen krachend gescheitert sind. Die gefälschte Glorifizierung beginnt schon damit, dass 1968 eine Große Koalition regierte und 1969 mit Willy Brandt zum ersten Mal ein Sozialdemokrat Kanzler wurde. Da lag die Ära Adenauer schon Jahre zurück. Was noch wichtiger ist: All die revolutionären Umwälzungen, für die die Rebellen auf die Straße gingen, blieben Träume einer Generation, bei der Worte und Ergebnisse weit auseinander klafften. Hier eine Liste gescheiterter Projekte:

  • Die Demokratie hat überlebt: Die  Achtundsechziger kämpften für die Abschaffung des als „repressive Scheindemokratie“ geschmähten pluralistisch-parlamentarischen Systems. Ersetzt werden sollte es durch eine Basis- oder Rätedemokratie, mit deren Hilfe das gesamte Leben demokratisiert werden sollte. Fazit: krachend gescheitert.
  • Der „Kapitalismus“ hat überlebt: Die Achtundsechziger hatten dem „kapitalistischen Schweinesystem“ den Kampf angesagt. Der Kapitalismus sollte überwunden werden: durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel, durch umfassende Mitbestimmung der Arbeitnehmer, durch Abschaffung des Privateigentums. Doch die Arbeiter, die Nutznießer der neuen, schönen Wirtschaftswelt, lachten die von der Befreiung des Menschen schwadronierenden Halbakademiker aus. Fazit: krachend gescheitert.
  • Es blieb bei Häuptlingen und Indianern: Die Achtundsechziger schwärmten von einer repressionsfreien Gesellschaft, ohne Autoritäten, basisdemokratisch organisiert und ohne jede Form der Fremdbestimmung. Für Repressionsfreiheit konnten sie freilich nicht einmal in den eigenen Reihen sorgen. Ergebnis: krachend gescheitert.
  • Der alte Adam ist quicklebendig: Die Achtundsechziger waren überzeugt, ihr Paradies werde den neuen Menschen hervorbringen: antiautoritär, nicht auf Besitz fixiert, durch und durch demokratisch und tolerant, kurz: edel, hilfreich und gut. Die Machtkämpfe in den eigenen Reihen und zwischen diversen kommunistischen, leninistischen, stalinistischen, maoistischen, trotzkistischen Sekten zeigten jedoch: Der alte „Adam“ erwies sich dem neuen Idealisten haushoch überlegen. Ergebnis: krachend gescheitert.
  • Uni bleibt Uni: Den Achtundsechzigern ging es im Anfang nicht um die „Weltrevolution“, sondern um ganze banale Anliegen wie eine Studienreform, mehr studentische Mitbestimmung und das Ende der Ordinarien-Herrlichkeit („Unter den Talaren, der Muff von 1000 Jahren“). Ob Drittel-Parität in den Gremien, Mitwirkung der Studenten bei der Berufung von Professoren oder die Zulassung von „kollektiven“ Abschlussarbeiten – recht bald hatten an den Hochschulen die Professoren wieder das Sagen. Ergebnis: krachend gescheitert.
Sexuelle Revolution und Aufarbeitung der Nazi-Zeit

Auch wenn im Nachhinein der leicht verklärte Eindruck entstehen könnte, die Studenten hätten damals massenhaft aufbegehrt, so entspricht das nicht den Tatsachen. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) zählte zu seinen Glanzzeiten gut 4.000 Mitglieder. Der Kern der aktiven „Revolutionäre“ ging nie über eine niedrige fünfstellige Zahl hinaus. Aber dieses Minderheit schaffte es, den öffentlichen Diskurs nachhaltig zu beeinflussen – durch provozierende Aktionen ebenso wie durch das Aufgreifen von Themen, die ohnehin öffentlich diskutiert wurden. Das galt für die Aufarbeitung der Nazi-Zeit wie für die als „sexuelle Revolution“ gefeierte größere Freizügigkeit im Verhältnis der Geschlechter.

Beides – die Beschäftigung mit dem „1000-jährigem Reich“ wie die „freie Liebe“ – werden als große Erfolge der studentischen Revolte verklärt. Es ist jedoch allenfalls die halbe Wahrheit. Oswalt Kolle etwa wurde nicht erst durch ein universitäres „Teach in“ angeregt, für die damalige Zeit ungeheuer freizügige Aufklärungsfilme zu drehen. Kolle spürte einfach, dass es dafür eine riesige Nachfrage gab. Und diesen Bedarf bediente er mit urkapitalistischem „Profitstreben“. Die Nacktfotos aus der berühmten „Kommune I“ waren da nicht mehr als Begleitmusik.

Sie verdankten ihr Freiheit denen, die sie hassten
Ein Happy Birthday für die 68iger
Der „Urknall“ für freiere sexuelle Beziehungen hatte sich in Wirklichkeit sieben Jahre vor 1968 ereignet: mit der Zulassung der Pille im Jahr 1961. Die Studenten hätten lange propagieren können, dass bereits zum Establishment gehöre, „wer zwei Mal mit derselben pennt.“ Ohne die Pille als Versicherung gegen ungewollte Schwangerschaften hätte sich das Sexualleben in Deutschland damals nicht so dramatisch verändert, wären überkommene Moralvorstellungen nicht so leicht über Bord geworfen worden.

Ebenfalls überbewertet wird der Beitrag der Achtundsechziger zur Beschäftigung der Deutschen mit ihrer Vergangenheitsbewältigung. Der spektakuläre Auschwitz-Prozess fand von 1963 bis 1965 statt und führte der Öffentlichkeit drastisch vor Augen, welch schreckliche Verbrechen von Deutschen im Namen der Deutschen begangen wurden. Nach diesem Prozess war es nicht mehr möglich, die NS-Vergangenheit mehr oder weniger zu verdrängen.

Die Achtundsechziger war dabei eher Trittbrettfahrer. Sie nutzten das geschärfte Bewusstsein für diese schlimme Periode deutscher Geschichte, um ihnen mißliebige Politiker, Professoren und Richter mit deren NS-Vergangenheit zu konfrontieren und bloßzustellen. „Vergangenheitsbewältigung“ wurde somit zur politischen Waffe. Jemand – zu Recht oder nicht – als Nazi zu beschimpften, ersparte jede Auseinandersetzung mit dessen Ansichten und Positionen.

Die Revoluzzer und der Sex
Von 68 nach Köln und zurück
Was die Alt-Achtundsechziger für sich in Anspruch nahmen und nehmen, nämlich mit dem Thema der Nazi-Barbarei die breite Öffentlichkeit aufzuwühlen, schaffte dagegen ein Produkt der Filmindustrie aus der kapitalistischen USA: Die vierteilige TV-Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“. Deren Ausstrahlung im deutschen Fernsehen führte 1979 in der Bundesrepublik zu einer viel intensiveren Beschäftigung mit diesem Thema, als die „Nazi, Nazi“- Sprechchöre von Achtundsechzigern bei Wahlkampfauftritten von Unionspolitikern.

Nein, die Achtundsechziger haben die Welt nicht aus den Angeln gehoben. Das heißt nicht, dass sie nicht doch einiges verändert hätten. Dazu mehr in den beiden Kolumnen „Das Erbe der Achtundsechziger“ und „Die Erblast der Achtundsechziger.“

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Kommentare ( 48 )

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Regina Lange
6 Jahre her

Und die großen Götzen der 68iger, Ho Chi Minh, Castro, Guevara, usw., waren wohl auch nicht die großen Befreier, für die sie damals gehalten wurden! Der Kommunismus hat in keinem Land funktioniert! Wo Kommunismus ist, ist Armut und Unterdrückung! Daran hat sich bis heute nichts geändert!

Rightwing Liberal
6 Jahre her

Keine Ahnung von welchem Land HMV spricht.
Das Land, in dem ich lebe, ist durch und durch korrumpiert von Linksgrünen und ihrer utopistischen sowie selbstzerstörerischen Geisteshaltung.
Dass sie nicht jede ihrer kommunistischen Forderungen im Detail durchsetzen konnten, verbuche ich nicht unter deren Scheitern.

Insbesondere aus den Bereichen Politik, Medien und Bildung quillt aus allen Ecken und Enden Linksgrün in einem Ausmaß raus, dass man schon einen linksgedrehten Gurkenfilm auf den Augen haben muss, um diesen den Verstand zerfressenden Schleim nicht zu bemerken.

Moni
6 Jahre her

„Nein, die Achtundsechziger haben die Welt nicht aus den Angeln gehoben.“
Nein, die Welt sicherlich nicht.
Deutschland dagegen schon, wie jeder feststellen kann, der mit offenen Augen vor die Haustüre tritt oder das Bildungs-„Angebot“ des ÖR nutzt.

Tom
6 Jahre her

Die 68iger sind bzw. waren ein Element und Werkzeug der Frankfurter Schule. Die Frankfurter Schule, um das mal etwas näher zu beleuchten, sind marxistische Kulturzerstörer und haben sich auf Familie, Bildung, Medien, Sex und Populärkultur konzentriert. Der Beginn war in den 20er und 30er Jahren an der Frankfurter Universität. Nach der Machtergreifung Hitlers ist die Frankfurter Schule in die USA ausgewandert. Die Schule empfahl (unter anderem): 1. Die Schaffung von Rassismusdelikten. 2. Kontinuierlicher Wandel schafft Verwirrung 3. Die Vermittlung von Sexualität und Homosexualität an Kinder 4. Untergrabung der Autorität von Schulen und Lehrern 5. Riesige Einwanderung, um die Identität zu… Mehr

Neue Heimat
6 Jahre her

Widerspruch, geehrter HMV! Die 68er sind nicht gescheitert, ganz im Gegenteil. Der Marsch durch die Institutionen war überaus erfolgreiche. Das schleichende Gift der 68 er hat sich tief ins Bewusstsein all derer gebrannt, die an den Schaltstellen des verachteten, reaktionären Schweinesystems sitzen. Ob Verwaltung, Justiz, Universitäten, Redaktionen, Kirchen oder Politik, die ehemaligen SDS-Aktivisten, Maoisten, Trotzkisten, RAF-Sympathisanten, KBW und KPD Kader und deren geistigen Erben ist es gelungen den elenden Geist der Weltrevolution bis in die Niederungen der Kommunen zu verankern. Völlig ausgeblendet in dem Fazit über die 68er bleibt der massive Einfluss des MfS der DDR auf die Studentenrevolte, die… Mehr

KUNO
6 Jahre her

„Sexuelle Revolution und Aufarbeitung der Nazi-Zeit“.
Genau darum ging es. Natürliche jahrtausende alte Verhaltensweisen sollten relativiert und lächerlich gemacht werden („jeder zählt zum Etablisement der zweimal mit derselben bumst“). Später, also jetzt, folgte die Genderindeologie. Man kann in dieser Schwachsinnsideologie sogar seinen Doktor machen- das lässt Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Kanzlerin zu. Oder weiß Merkel nicht, was man alles in Deutschland studieren darf?
Und zum Schluss: die Aufarbeitung der Zeit zwischen 1933 und 1945 bedeutet in der
Realität nur ein aus dem Zusammenhag Reißen historischer Ereignisse ohne
Berücksichtigung von Zeit, Raum und Einsicht in Gesamtzusammenhänge.

Farbauti
6 Jahre her

Sie haben die Kinderläden und die antiautorizäre Erziehung vergessen. Hatte doch mächtige Nachwirkungen, bis heute.Ist zwar Mist aber nicht gescheitert, leider.

Hohenstaufen
6 Jahre her
Antworten an  Farbauti

: Kinderläden gibt’s heute immer noch. Deshalb kann man wohl sagen, dass sie nicht gescheitert sind. Aber die Erzierhung, die ist 100% gescheitert. Kenne kaum ein ‚Versuchsobjekt‘ (Kind), das aus den 68er Läden der ersten Stunde ‚heil‘ aus gekommen ist. Und das ist meine Erfahrung als ‚Versuchsobjekt‘ eines Ladens der ersten Stunde in Berlin.

Ingolf Pärcher
6 Jahre her

Huh, das Thema hat mich aufgewühlt, das passiert selten. Vermutlich weil ich Eltern aus der 68er- Zone habe, die ich zutiefst verachte. Das verstellt den Blick, da kommt auch partiell Sozialneid auf. Implizit oute ich mich damit als Generation X, um bei Schubladen zu bleiben, kann jeder Nachsuchmaschinendingsen. Nein, die haben ihr Bettchen gemacht, die eigene Existenz bis zur Radieschenzucht von unten im Trockenen. Sei ihnen vergönnt. Was mir die Zornesadern schwellen läßt, ist der ewige Zeigefinger, den mir diese Absahner vor die Nase fuchteln, sie hätten dafür gekämpft. Gar nix haben die, das Label ’68 steht für genau nix… Mehr

Laissez Faire Provocateur
6 Jahre her

In Japan haben in den 60ern kulturmarxistische Professoren nicht die Universitäten übernommen. Besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften wird immer die nächste Generation an Journalisten, Redakteure, Kolumnisten, Drehbuchschreibern, Produzenten, Regisseuren, Galeristen, Verlegern, Romanautoren, Historikern, Philosophen etc. ausgebildet. Genau jene marxistisch indoktrinierten Storyteller (Autoren etc.) und Gatekeeper (Verleger, Produzenten, Redakteure etc.) produzieren dann nicht nur die zeitgenössischen Geschichten, sondern entscheiden vor allem welche Geschichten und Interpretationen der Ereignisse überhaupt erlaubt sind. Alles was innerhalb den Universitäten passiert, passiert 5 bis 10 Jahre später außerhalb der Universitäten. Japan wurde die Demoralisierung der eigenen Bevölkerung erspart und sieht somit keine Verpflichtung bzw. Notwendigkeit… Mehr

Ananda
6 Jahre her

„„Vergangenheitsbewältigung“ wurde somit zur politischen Waffe. Jemand – zu Recht oder nicht – als Nazi zu beschimpften, ersparte jede Auseinandersetzung mit dessen Ansichten und Positionen.“

Werter Herr Müller Vogg, völlig richtig. Das zeigt dann auch das Niveau dieser „Kulturpräger“. Der Realitätsgehalt war völlig nebensächlich aber immer für eine effekthaschende Show zu haben.

Dem Alt 68iger Gedankengut verdanken wir doch weite Teile der grün- und Sozialistendenke mit der unsere Gesellschaft durchzogen ist.