Asylkrise wird Deutschland stark verändern – nicht nur zum Guten

Bisher werden nur die niedrigsten Mindestkosten der Zuwanderungswelle offengelegt. Aber die Folgen und finanziellen wie gesellschaftlichen Kosten für Arbeitsmarkt, Schule, Wohnungsmarkt und die Systeme der sozialen Sicherung sind sehr viel höher als derzeit diskutiert.

Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob und wie Deutschland den bisherigen Zustrom an Flüchtlingen hätte verringern können. Tatsache ist: In diesem Jahr werden eher über eine Million Menschen kommen als 800.000. Und niemand weiß, ob sich diese Zahl im nächsten Jahr erhöhen oder verringern wird. Der Bundespräsident hat völlig Recht: Wir haben es mit einem Ereignis zu tun, „dessen Ausmaß und Tragweite wir noch schwer erfassen können.“ Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, wir wollten „Ausmaß und Tragweite“ bewusst übersehen oder verdrängen. So kommt in der öffentlichen Diskussion viel zu kurz, dass fast jeder anerkannte Asylbewerber im Wege der Familienzusammenführung Verwandte nachholt: den Ehepartner, die eigenen Kinder, die Eltern. Junge Flüchtlinge dürfen ganz legalen ihre Eltern und minderjährigen Geschwister nach Deutschland einladen. Im Schnitt sind das drei bis vier Angehörige pro Asylbewerber. Da werden aus 500.000 Bleibeberechtigten schnell zwei Millionen. Und das gilt eben nicht nur für diejenigen, die schon da sind, sondern auch für alle, die noch kommen werden.

Kosten? Nicht abzuschätzen.

Wir können auch nicht beziffern, was finanziell auf uns zukommt. Bund, Länder und Gemeinden haben sich auf einen neuen Schlüssel für die Aufteilung der Kosten geeinigt. Aus der Sicht der Bürger ist nebensächlich, wer welche Rechnung begleicht; letztlich ist es immer der Steuerzahler. Ein Flüchtling, der nicht erwerbstätig ist, kostet rund 12.500 Euro im Jahr, macht bei 800.000 etwa 10 Milliarden. Das sollte auf den ersten Blick zu stemmen sein – bei Steuereinnahmen von geschätzten 670 Milliarden. Doch die 10 Milliarden berücksichtigen nicht die erheblichen Folgekosten, nicht den Familiennachzug und keine Bildungsmaßnahmen. Diese 10 Milliarden Euro sind also die absolute Untergrenze; bei einer Million Flüchtlinge steigt diese Mindestsumme schon auf 12,5 Milliarden Euro. Man muss kein Prophet sein, um die finanzpolitischen Konsequenzen vorherzusagen, falls der Zustrom so weitergeht. Die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt, ohnehin überwiegend das Ergebnis sprudelnder Steuereinnahmen und nicht konsequenten Sparens, wird sich nicht halten lassen. Die Länder werden mit Verweis auf die Kosten der Zuwanderung die Schuldenbremse nicht einhalten. Und weil sich die Mehrausgaben nicht durch Einsparungen finanzieren lassen, gibt es bereits die ersten Rufe nach Steuererhöhungen. Die werden auch kommen und die wirtschaftliche Entwicklung eher dämpfen als beflügeln.

Bereicherung oder Belastung – und Schuldzuweisungen?

Anders als viele „Gutmenschen“ behaupten, ist nicht jeder Neuankömmling eine „Bereicherung“ oder eine qualifizierte Fachkraft. Arbeitsministerin Andrea Nahles schätzt, dass nur einer von zehn sofort ausbildungsfähig oder vermittelbar ist. Schon heute liegt die Arbeitslosigkeit unter den hier lebenden Ausländern mit 14,3 Prozent fast drei Mal so hoch wie bei den Deutschen (5,5 Prozent). Und diese Quote dürfte deutlich steigen. Nahles rechnet deshalb im nächsten Jahr mit einer Zunahme der Hartz IV-Empfänger um bis zu 460.000. Ihre Schätzung dürfte jedoch angesichts der Tatsache, dass allein im September Tag für Tag rund 10.000 Menschen zu uns kamen, längst überholt sein. Das führt zu einem enormen Druck auf die Sozialsysteme. Fast alle Zuwanderer zieht es in Ballungsräume. Die Folge: erhöhter Wohnungsmangel und deutlich steigende Mieten. Laut Wohnungsbauministerin Barbara Hendricks müssen jedes Jahr 350.000 neue Wohnungen gebaut werden. Das wären 150.000 mehr als 2014. Unabhängige Wohnungsbauexperten geben den Bedarf mit jeweils 400.000 neuen Einheiten für die nächsten fünf Jahre an, darunter mindestens 80.000 Sozialwohnungen pro Jahr. Weil ein solches Wohnungsbauprogramm – unabhängig von der offenen Finanzierungsfrage – rein zahlenmäßig wohl nicht zu realisieren ist, bedeutet das, dass der Kampf um bezahlbaren Wohnraum in Groß- und Universitätsstädten noch härter wird. Das dürfte auch politisch brisant werden: Viele Deutsche, die sich nicht die gewünschte Wohnung leisten können, werden bei der „Schuldzuweisung“ auf „die Flüchtlinge“ zeigen.

Reduziertes Bildungsniveau

Ein weitere Herausforderung: Gerade die Kinder der Flüchtlinge brauchen, wenn sie hier eine Chance haben sollen, Kita-Plätze. Das Familienministerium rechnet mit einem zusätzlichen Bedarf von 68.000. Diese Schätzung dürfte eher eine Untergrenze darstellen. Auch auf unser Bildungssystem kommen gewaltige Aufgaben zu. Kinder und Erwachsene, die kein Wort Deutsch sprechen, brauchen Lehrer, auch solche, die arabische Sprachen beherrschen. Die gibt es nicht in ausreichender Zahl. Was aber noch schlimmer ist: Unser Bildungssystem kann schon jetzt nicht verhindern, dass jedes Jahr sechs Prozent eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss verlassen. Schon jetzt haben wir es mit 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten zu tun und schaffen 15 Prozent der jungen Erwachsenen keinen Berufsabschluss. Dass unser Bildungs- und Ausbildungssystem unter den zu erwartenden zusätzlichen Belastungen bessere Ergebnisse hervorbringen wird, kann man hoffen; realistisch ist das freilich nicht. Vor enormen Schwierigkeiten steht auch unser Gesundheitssystem. Der Großteil der Geflohenen ist körperlich in keiner guten Verfassung, insbesondere die Zahnärzte sind gefordert. Auch hier werden Ärzte und ihre Helfer an sprachlich nur schwer zu überwindende Hürden stoßen. Verständigungsschwierigkeiten werden insbesondere die Behandlung der vielen traumatisierten Ankömmlinge erschweren. Wir werden auch erleben, dass die neue Gesundheitskarte als zusätzlicher Anreiz verstanden wird, Deutschland als Zielland auszuwählen. Nicht zu unterschätzen sind die zusätzlichen Aufgaben der chronisch unterbesetzen Polizei. Die muss nicht nur Flüchtlinge gegen Übergriffe dumpfer Neonazis schützen. Sie ist ebenfalls gefordert, wenn Schiiten, Sunniten oder Kurden ihre importierten Konflikte bei uns mit Gewalt weiterführen wollen. Obendrein kommt es in überfüllten Sammelunterkünften leicht zu Gewaltausbrüchen. Zusätzlich zur Polizei sind auch die Geheimdienste gefordert. Natürlich gibt es unter den hier Untergekommenen fanatische „Gotteskrieger“, die uns Ungläubige mit Gewalt auf den ihrer Meinung nach richtigen Weg oder in die Burka zwingen wollen. Auch ist zu beobachten, dass Salafisten versuchen, unter den jüngeren Flüchtlingen neue „Kämpfer“ anzuwerben.

Zuwanderung steuern oder ertragen

Am schwierigsten wird jedoch die Integration dieser vielen Menschen aus fremden Kulturen sein. Unsere Grundwerte sind nicht verhandelbar, auch nicht unter dem Deckmantel einer falsch verstandenen Toleranz. Flüchtlinge müssen wissen, dass unsere Gesetze allemal Vorrang haben vor religiösen Regeln, dass Frauen gleichberechtigt sind – in der Familie, wie am Arbeitsplatz, dass Zwangsheiraten verboten und homosexuelle Beziehungen erlaubt sind, um nur einige Bespiele zu nennen. Deshalb muss Asylbewerbern klar sein: Wer unsere Werte nicht respektiert und unsere Regeln nicht befolgt, ist hier fehl am Platz. Zum Glück ist die große Mehrheit der bei uns lebenden Zuwanderer gut integriert. Man darf aber die Augen nicht davor verschließen, dass ein Teil der Migranten sich gar nicht integrieren will und mit Unterstützung deutscher Multikulti-Ideologen von uns verlangt, wir hätten uns gefälligst nach ihnen zu richten. Der Anteil der Nicht-Integrierten wird allein schon deshalb wachsen, weil die Zuwanderung einer so großen Zahl in so kurzer Zeit die Chancen auf Integrationserfolge drastisch reduziert. Heinz Buschkowsky, Ex-Bürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln, sieht ganz schwarz: „Ein Großteil der Flüchtlinge ist nicht integrierbar“ Neben all den arbeitsmarkt-, sozial- und integrationspolitischen Schwierigkeiten könnten auf uns wohl auch tiefgreifende parteipolitische Veränderungen zukommen. Die drohenden Verteilungskonflikte und das Gefühl vieler Deutscher, für Flüchtlinge werde mehr getan als für sie, könnte Rechtspopulisten und Rechtsradikalen enormen Auftrieb geben – zu Lasten von Union und SPD, in den neuen Ländern auch auf Kosten der Linkspartei. Für einen möglichen Rechtsruck würden jedoch nicht nur die Bürger sorgen, die sich schon jetzt wirtschaftlich und sozial „abgehängt“ fühlen. Wenn Gutmenschen aus Politik, Kirchen und Medien ständig mahnen, die neue Entwicklung verlange auch von den Deutschen, „sich zu integrieren“, kann das auch bei Wählern der Mitte eine Gegenreaktion an der Wahlurne auslösen. Joachim Gauck hat in seiner Mainzer Rede darauf hingewiesen, dass „der Zug der Flüchtenden (…) unser Land verändern wird.“ Und hinzugefügt: „Wie – das liegt an uns.“ Wie schön wäre es, wenn der Bundespräsident in diesem Punkt Recht hätte: dass wir es wirklich noch in der Hand haben, die auf uns zukommenden Veränderungen zu steuern und nicht nur zu ertragen.

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