Falls sich SPD, Linke und Grüne im Februar 2017 bei der Wahl des Bundespräsidenten verbünden sollten, könnten Merkel und die Union im Herbst ohne Koalitionspartner dastehen. Sollte es dagegen zu einem schwarz-grünen Präsidenten kommen, sähe die Welt schon wieder anders aus.
Prognosen, die die Zukunft betreffen, sind bekanntlich die schwierigsten. Man kann da völlig daneben liegen. Es gibt für Medien deshalb eigentlich nur zwei seriöse Methoden. Man verzichtet darauf, sich im Voraus auf bestimmte Wahlergebnisse oder politische Entscheidungen festzulegen. Oder man wagt es und steht dann dazu – auch wenn sich der sichere Tipp als Fehlprognose entpuppt.
Der Spiegel hat noch einen dritten Weg gefunden. Man gibt mehrere, sich teilweise widersprechende Vorhersagen ab. Dann kann man – je nach Ausgang – behaupten, man habe das ja richtig prognostiziert. Genau das tut das „Nachrichtenmagazin“ jetzt bei der alle Sommer wiederkehrenden Frage, wie lange Angela Merkel denn noch Kanzlerin bleiben wolle: bis 2017 oder darüber hinaus?
Ein Blick zurück: Vor einem Jahr, im Sommerloch 2015, meldete der Spiegel: „Merkel will die vierte Amtszeit“. Da wurde nicht gerätselt oder vermutet. Nein, das wurde als Tatsache verkauft. Der Spiegel wusste im August vergangenen Jahres zudem, Merkel werde ihr Ja zur erneuten Kandidatur im Frühjahr 2016 bekannt geben. Zudem wären zwischen CDU und CSU sogar schon Details des Wahlkampfes besprochen worden, zum Beispiel, dass der Wahlkampf vom Konrad-Adenauer-Haus aus geführt werde soll und nicht in einem eigens eingerichteten Wahlkampf-Hauptquartier. Auch sollten angeblich schon „erste Helfer angesprochen worden“ sein.
Das alles wusste der Spiegel exklusiv. Ein Jahr später weiß der Spiegel wiederum mehr als andere, oder tut jedenfalls so. Jetzt berichtet das Magazin, Merkel habe ihre Entscheidung verschoben – auf das Frühjahr 2017. Begründung: Merkel wolle sich nicht festlegen, ehe ihr Unionsfreund Horst Seehofer sich entschieden habe, ob die CSU eine abermalige Kanzlerkandidatur Merkels unterstütze oder nicht. „Merkel verschiebt Verkündigung“, lautet die Überschrift im aktuellen Heft.
Der Spiegel sagt alle Varianten voraus, kriegt also Recht
Nun hat Angela Merkel im Sommerinterview mit der ARD zu Recht darauf hingewiesen, sie habe bisher nie einen Termin genannt, an dem sie sich erklären wolle. Doch Spiegel Online verkündete in der vergangenen Woche dennoch, „es ist das zweite Mal, dass Merkel die Verkündung ihrer Pläne verschieben muss.“ Und am Montag setzte Spiegel Online! in seinem „Morning Briefing“ noch eins drauf: „Schmeißt Merkel hin?“ lautete die Überschrift. Das konnte dann im Text zwar nicht belegt werden, doch jetzt darf sogar darüber spekuliert werden, ob Merkel sogar vor 2017 zurücktritt. Der Spiegel hat mit seiner „Nachrichten“-Strategie also vorgesorgt: Tritt Merkel abermals an, hat er es schon im August 2015 gewusst. Tritt sie nicht mehr an, hat das Blatt es im August 2016 angedeutet. Und das alles exklusiv.
Natürlich befindet sich Merkel in einem Dilemma. Vor der Wahl 2013 hatte sie den Wählern zugesagt, das Amt die volle Legislaturperiode auszuüben. Würde sie jetzt – also vor den Wahlen – für einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin Platz machen, würde ihr Wortbruch vorgeworfen. Doch falls sie wieder antritt, müsste sie sich wohl abermals für volle vier Jahre verpflichten. Das Modell, dass ein Regierungschef zusammen mit einem designierten Nachfolger nur für die halbe Legislaturperiode antritt, ist bisher erst zwei Mal auf Länderebene praktiziert worden: 1990 in Niedersachsen mit Ernst Albrecht (CDU) und 1991 in Rheinland-Pfalz mit Carl-Ludwig Wagner (CDU). Es endete jeweils mit der Abwahl.
Noch kein Langzeitkanzler beherrschte den Abtritt
Bisher hat noch kein deutscher Kanzler den richtigen Zeitpunkt zum freiwilligen Rückzug erwischt, auch nicht die beiden Langzeitkanzler Konrad Adenauer (14 Jahre) und Helmut Kohl (16 Jahre). Adenauer wurde 1963 von der eigenen Partei auf recht ruppige Weise aufs Abstellgleis geschoben, weil auch der Koalitionspartner FDP ihn loshaben wollte: „Der Alte muss weg“. Kohl wurde 1998 vom Wähler ziemlich rüde abgewählt. Mit knapp elf Jahren Amtszeit liegt Merkel bereits auf Rang 3. Noch hat sie es in der Hand, ob sie aus freien Stücken aufhört oder im Amt bleibt, bis sie gestürzt wird – sei es von der eigenen Partei, sei es vom Wähler.
Ob Angela Merkel 2017 wieder antritt oder nicht, war und ist offen. Die Schwierigkeiten, die sie mit Horst Seehofer hat, werden dabei nicht den Ausschlag geben. CDU und CSU haben sich im Ernstfall, also wenn es gegen die „Sozis“ geht, noch immer zusammengerauft. Viel wichtiger für Merkels Entscheidung dürfte sein, wie die Wahl- und Koalitionschancen aussehen. Falls sich SPD, Linke und Grüne im Februar 2017 bei der Wahl des Bundespräsidenten verbünden sollten, könnten Merkel und die Union im Herbst ohne Koalitionspartner dastehen. Sollte es dagegen zu einem schwarz-grünen Präsidenten kommen, sähe die Welt schon wieder anders aus. Merkel, die kühle Rechnerin, wird sich – anders als Kohl 1998 – jedenfalls nicht sehenden Auges in eine Wahlschlacht stürzen, die die Union nur verlieren kann.
Einen Opfergang antreten? Nein, so weit geht die Liebe der Vorsitzenden zu ihrer Partei wohl kaum.
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