Warum der Aufschwung in Europa so jämmerlich ist, hat mit vielen Faktoren zu tun, im Saldo aber mit den Strukturproblemen und Lebenslügen des Brüsseler EU-Europas und des Euros.
Bald sieben Jahre ist es her, dass die Eurokrise im Herbst 2011 massiv ihr hässliches Haupt erhoben hat. Und nun im Jahr 2018, befindet sich Europa wieder in einer existentiellen Krise, die nur vordergründig auf einer ganz anderen Problematik beruht. Denn hintergründig, sind nach meiner Ansicht die gleichen Mechanismen am Werk, die 2011 erst die Lage haben so eskalieren lassen: Formelkompromisse, Machterhalt, wirtschaftliches Analphabetentum, Schaufensterpolitk, Etatismus und Kuhhändel sind die Stichworte dieses Politikstils, der die Lösung nicht in der Substanz, sondern im kleinsten gemeinsamen Nenner findet.
Ohne diese Mechanismen, statt dessen mit zupackenden, pragmatischen, realitätsbezogenen Maßnahmen im europäischen Geiste, hätte es zu dieser Strukturkrise Europas 2018 nie kommen müssen. Denn auch die Migrations-Krise hat, wenn man sie ohne Scheuklappen betrachtet, logische Lösungsansätze, die sich allerdings wie jeder Realismus, nicht mit Hypermoralismus vertragen. Viele negative Entwicklungen, die Europa in den letzten Jahren erlebt hat – der Brexit gehört auch dazu – , sind nach meiner Ansicht letztlich die Folge des oben beschriebenen Politikstils.
Viel Wasser ist seit dem Herbst 2011 den Rhein herabgeflossen und viel Papier wurde mit wohlklingenden Formulierungen bedruckt, wie der Euro doch so wunderbar „gerettet“ wurde, alles ganz fundiert vom Ende her gedacht – schon klar.
Auch zum Thema Griechenland dringen nun Nachrichten zu uns, dass das Land ja die Krise überwunden hätte. Das glaubt zwar nur, wer der Grundrechenarten nicht fähig ist, da sich aber die Öffentlichkeit herzlich wenig für die Hintergründe dieser Behauptung interessiert, kann man alles Mögliche zur gefühlten Wahrheit umdefinieren.
Das soll jetzt hier aber nicht Thema sein, weil mit länglichen Argumentationen, mit Zahlen und Herleitungen, erreicht man nur die kleine Minderheit, die sowieso schon von alleine in der Lage ist, die Insovenzverschleppung in Griechenland zu erkennen. Einen Aha-Effekt, erreicht man bei der Mehrheit so nicht.
Ich will mich daher dem europäischen Problem mal auf ganz andere Art und Weise nähern, vielleicht ist das ja eindrucksvoller, gerade weil es nicht argumentiert, sondern nur etwas zeigt.
Wir wissen, dass die Aktienmärkte der Vorlaufindikator der Wirtschaft sind und ihre Kursentwicklung in der Regel ein getreuliches Bild der wirtschaftlichen Leistungskraft abgeben. Wenn die Aktienmärkte am Boden sind wie 2008, dann gibt es in der Regel auch ein substantielles Problem in der Weltwirtschaft. Und wenn sie auf Höchstständen sind, zeigt es, wie die Wirtschaft „brummt“.
Ich denke das ist unstrittig, auch wenn die Kursentwicklung nicht alleine davon abhängt. Aktienmärkte sind primär von Zukunftserwartungen geprägt und werden auch von schierer Liquidität bewegt, trotzdem bleibt es dabei, dass sie auch ein Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung sind, denn in ihnen werden die Wachstum- und Gewinnerwartungen mit einem Preisschild versehen.
Deshalb wäre es doch mal eine gute Idee zu schauen, wie sich denn die US-Aktienmärkte und die europäischen Aktienmärkte seit 2011 im Vergleich entwickelt haben. Ich meine, wenn ich den Tenor einiger Medien nehme, müsste es doch klar sein. Dann haben wir in den US ein dysfunktionales, politisches System am Werk, das mit Donald Trump seinen Höhepunkt der Lächerlichkeit erreicht hat. Kurz, knapp und flapsig gesagt, da drüben scheinen ja nur „Idioten“ am Werk zu sein. Nur gut, könnte man da meinen, dass wir in Europa leben, wo wir so gut, nachhaltig und wirtschaftsfreundlich geführt werden – immer vom Ende her gedacht natürlich! Und besser als die „Amis“, verstehen wir die Welt ja sowieso. Oder nicht?
Also schauen wir mal und vergleichen seit 2011 den großen S&P500 Index der 500 größten US Unternehmen und den Eurostoxx 50 Index, der 50 grössten europäischen Unternehmen:
Upps! Da muss wohl jemand die Skala vertauscht haben, kann das wirklich sein, dass die US-Märkte so nach oben geflogen sind und die europäische Wirtschaft nicht vom Fleck kommt?
Das kann doch nicht sein, so gut, wie wir regiert werden und so furchtbar die US!
Halt, da gibt es ja einen Fehler im Vergleich, die Indizes werden in Landeswährung verglichen und da es ja zwischen Euro und Dollar auch Währungseffekte gibt, sollte man den Vergleich fair auf Basis eines Maßstabs, einer Währung also, machen.
Nun gut, machen wir das in der Weltwährung Dollar und nehmen auf beiden Seiten ETFs aus dem Dollarraum, womit die Vergleichbarkeit perfekt gegeben ist. Wir nehmen den größten S&P500 ETF SPY und auf der anderen Seite den größten Eurostoxx 50 ETF FEZ. Und jetzt schauen wir mal, nun wird man die Leistung unserer europäischen Rettungspolitiker bestimmt sehen können:
Autsch, das ist ja noch schlimmer? Und an dieser Stelle verlasse ich den Boden des obigen Sarkasmus und werde wieder ernst.
Denn es ist tatsächlich schlimmer, weil der Euro in der Zeit zum Dollar weiter gefallen ist, sprich an Außenwert verloren hat, sprich alle Besitzer von Eurobeständen im Vergleich zu Dollarbesitzern ärmer geworden sind.
Da haben Sie also den Vergleich der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa im Vergleich zu den USA aus Sicht der Kursentwicklung der größten Unternehmen. Und selbst wenn man ein paar Faktoren wie Liquidität aus der Gleichung nimmt, bleibt immer noch genügend Differenz übrig, um das zu einem Dokument der europäischen Schwäche zu machen.
Da sehen Sie, wie gut die Eurozone wirklich „gerettet“ wurde. Sie wurde am Leben gehalten, das stimmt. Die Musik wirtschaftlicher Expansion und Innovation, findet aber woanders statt und zwar da drüben über dem Atlantik, wo aus Sicht vieler Europäer die „Idioten“ wohnen – je wirtschaftsferner der Autor, desto zuverlässiger wird dieses Urteil gefällt.
Warum der Aufschwung in Europa so jämmerlich ist, hat mit vielen Faktoren zu tun, im Saldo aber mit den Strukturproblemen und Lebenslügen dieses Brüsseler EU-Europas und des Euros, die sich politisch wie oben zeigen.
Dass sich Großbritannien bei der Gestaltung des Brexits nun gerade in den Fuß schießt, ist dabei kein Gegenargument, denn deren politische Vertreter sind auch nicht anders als unsere. Und sich aus dem Brüsseler Verordnungsgewirr zu lösen, wäre eine Aufgabe für einen echten Entfesselungskünstler, den die Briten aber derzeit nicht an der Spitze haben. Die Klebrigkeit des Brüsseler Verordnungsgewirrs und die Schwierigkeit sich daraus zu lösen, sagt aber nichts über die Qualität desselben aus. Die Qualität im Sinne der Auswirkungen auf die Unternehmen, können wir oben im Chart bewundern.
Europa hat einfach ganz tiefgehende strukturelle Probleme, die unter anderem in strukturellen Fehlkonstruktionen wie dem Euro begründet sind, die aber permanent nur mit Formelkompromissen und „weißer Salbe“ zugeschmiert werden. Ich nenne das einfach strukturelles Politikversagen, ein anderes Wort fällt mir dafür nicht ein.
Und wissen Sie eigentlich, was das ganz Schreckliche an den obigen Charts ist?
Ich sage es Ihnen: Unsere Leitzinsen sind immer noch bei Null. Was machen wir eigentlich im nächsten Abschwung, der so sicher wie das Amen in der Kirche kommt?
Ihr Michael Schulte (Hari)
Zuerst bei Mr. Market erschienen.
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Herr Schulte, ein prima Beitrag. Nur leider interessiert das fast keinen Bürger – schon gar keinen jüngeren – und daher auch kaum einen Politiker. Wir streichen einfach den Satz „Unseren Kindern soll es mal besser gehen“ aus unserem Sprachschatz und schon ist wieder alles in Butter. Hauptsache, die bösen Parteien vom linken und rechten Spektrum muss man mit ihrer Kritik nicht anhören und Deutschland scheidet beim nächsten Mal erst im Achtelfinale einer WM aus; dann wird alles gut.
Herr Schulte, Sie finden sehr klare Worte in Ihrer Würdigung der ökonomischen und sonstigen „Analphabeten“, die Euroland im Würgegriff kaputtregieren.
Das werden wahrlich interssante Zeiten beim nächsten wirtschaftlichen Abschwung. Rette sich wer kann. Auf die Vernunft und damit auf das Verhindern der Katastrophe muss man in diesem Laden wohl vergeblich warten.
Sehr geehrter Herr Schulte, Sie irren in mancherlei Hinsicht, aber zunächst möchte ich mich bedanken, so etwas hier lesen zu können, was ich sonst gerne bei der Financial Times versuchte herauszulesen, was dann wiederum zu meiner Bitte führt, gerne herzuleiten und ausführlicher zu werden, auch wenn wirtschaftliches Analphabetentum eine längere Einarbeitung meinerseits nötig macht. Sie ersetzen nicht meine Lektüre der im Verteiler zugänglichen Verlautbarungen eines Prof. Varoufakis, nein, beides scheint zu korrespondieren und deshalb mein Unverständnis darüber, dass diese Kommunikation in concreto nicht stattfindet, stattdessen Sündenböcke hin- und hergeschoben werden, wobei es wiederum den diesbezüglichen Analphabeten überlassen bleibt, sich etwas… Mehr
Ich bin, vielleicht auch weil zu wenig oder zu einseitig informiert, kein Fan des internationalen Währungsfonds, wohl aber von Frau Lagarde.
Ist über ihn ein Aufbau international besetzter Ratingagenturen denkbar?
Ach was, Griechenland ist gerettet, habe ich zumindest vor wenigen Tagen im DLF gehört: https://www.deutschlandfunk.de/griechenland-rettung-der-richtige-weg-zeit-fuer-weitere.720.de.html?dram:article_id=421085
Der Herr Kapern ist sicher der vier Grundrechenarten mächtig, und hat sich hiermit als Kanzlerberater beworben. Passt gut neben den Prof. Schellnhuber für Klimafragen.
„Warum der Aufschwung in Europa so jämmerlich ist, hat mit vielen Faktoren zu tun, im Saldo aber mit den Strukturproblemen und Lebenslügen des Brüsseler EU-Europas und des Euros.“
Eine Welt ohne Armut, das gabs schon mal in Deutschland:
https://www.sffo.de/sffo/Das_Geld_in_der_Geschichte.pdf
Wer die Armut eliminieren will, muss alle Armen reicher machen ohne das die Reichen ärmer werden. Schwundgeld (Brakteaten) und Schuldgeld (Existenz nur per Kredit) sind nicht dazu geeignet dies zu erreichen. Und wieder wird keiner mit mir Diskutieren!
Was ist Schwundgeld? Inflation? Und wie kann man Arme reicher machen, ohne Reiche ärmer zu machen, und ohne gleichzeitig die Geldmenge zu erhöhen?
Indem man nicht die Geldmenge, sondern die Gütermenge erhöht. Also mehr von den Dingen produziert, die man sich tatsächlich für Geld kaufen kann. Das Konzept dafür heißt „Kapitalismus“.
Danke für den erhellenden Artikel, Herr Schulte. Verständlich auch für Markt-Dummies wie mich.
Sie nennen die Symptome beim Namen und die anschaulichen Grafiken sprechen für sich. Zu dem wirtschaftlichen gesellt sich dann auch noch das soziologische Analphabetentum dazu.
So wie die Mafia für das organisierte Verbrechen steht, so steht die EU für den organisierten Dilettantismus.
Wenn Juncker und Merkel die politische Bühne in Brüssel verlassen und damit auch die Verliebtheit in eine selbstherrliche Moral, wäre der Weg frei die von Merkel verursachte Spaltung von Europa durch die Öffnung der Grenzen zu schließen und England in die EU zurück zu holen.
Ich bin überzeugt, dass es dafür politische Wege geben könnte.
Das wäre eine wichtige Voraussetzung um den Wirtschaftsraum Europa zu stärken, um eine weitere Schwächung durch das aufstrebende Asien und USA zu verhindern.
So lange man May und damit England an den Katzentisch setzt, wird das nicht funktionieren
Man sagt, dass jedes Land die Regierung hat, die es verdient. Wie bescheiden muss es mit unserem Land dann aussehen.
Man sagt auch das die Regierung das Spiegelbild der Bevölkerung ist oder besser, der Wähler wählt den, der in seinen Augen eine Führungselite darstellt. Ergo die Bildungsklasse der Wähler ist unter dem der Regierenden.
Der Kollektive Dunning-Kruger Effekt.
Es wird für EU-Deutschland noch schlimmer kommen…Anfang 2019 werden die Steuerreform von Trump zum ersten mal in den Büchern der US-Unternehmen sichtbar werden…US-Unternehmen und auch die die US Arbeiterschaft werden mehr in der Kasse/Taschen haben….somit werden US Firmen noch besser gegenüber der Konkurrenz in EU-Deutschland da stehen….und die US-Arbeiterschaft hat mehr Geld für den Inlandskonsum überig…es wird also weiter in die US-Volkswirtschaft investiert….eine Win-Win Situation was Trump hier mit der Steuerreform angestossen hat…und es wird auch zum Schluss eine Win Situation für den US Staat werden…mehr Geld in den Taschen der Bürger und Unternehmen treibt die Investionen an und dies… Mehr
So berechtigt die Kritik an der Politik der Berufseuropäer ist, folgende Anmerkungen: 1. Das Bild sieht anders aus, wenn man beim S&P 500 die vier Technologiegiganten herausrechnet, auf die ein Großteil des Indexanstiegs entfällt. 2. Nur 50 europäische Unternehmen mit zehnmal sovielen aus den USA zu vergleichen, ist unangemessen. 3. Der Vergleich wäre erst dann aussagefähig, wenn die Indexstände um die unterschiedlichen Bewertungsniveaus korrigiert würden. 4. Die bloße Betrachtung börsennotierter Unternehmen mag die Realität in der Breite der Volkswirtschaft über- oder unterschätzen. Insgesamt m.E. keine überzeugende oder irgendwie anregende Darstellung, insbesondere wenn man die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen zugrundelegt, die… Mehr