Technologie-Feindlichkeit mit Progressivität verwechseln

Die Debatte um das Herbizid Glyphosat beleuchtet die Mechanismen, durch die sich hierzulande Technophobie verbreitet und verfestigt hat. Ein Verbot würde nur dem Seelenheil von Hysterikern dienen und sonst niemandem.

© Sean Gallup/Getty Images
Activists, standing outside Schloss Bellevue presidential palace where members of leading political parties were meeting inside, protest against a recent decision by the European Union to allow the use of glyphosate in agriculture on November 30, 2017 in Berlin

Nein, Glyphosat ist nicht krebserregend. Zu dieser Einschätzung gelangen neben dem heimischen Bundesinstitut für Risikobewertung auch zahlreiche andere nationale wie internationale Behörden und Forschungseinrichtungen, die sich mit Lebensmittelsicherheit beschäftigen. Nach allen Regeln der wissenschaftlichen Kunst ermittelte Fakten aber interessieren hierzulande nicht. Die übergroße Mehrheit der Deutschen ist technologiefeindlich bis ins Mark. Die Glyphosat-Debatte verdeutlicht die Mechanismen, die dem zugrunde liegen.

Es beginnt mit der persönlichen Wahrnehmung, in der sich fast jeder als betroffen von fast allem erkennt. Die inhaltliche Bandbreite der Klagen ist groß. Manche führen Kopfschmerzen auf Mobilfunktransmitter, Husten auf Dieselmotoren oder Allergien auf Pflanzenschutzmittel zurück. Ob diese Spekulationen berechtigt sind, spielt ebenso wenig eine Rolle wie ihr jeweiliger Auslöser. Als Ausdruck von Modernität gilt momentan ohnehin, sich möglichst vieler Bedrohungsszenarien gleichermaßen zu widmen. Wer den Strahlentod durch Kernenergie fürchtet, rechnet meist auch mit Vergiftungen durch Frackfluide und sieht sich als künftiges Seuchenopfer der Gentechnik. In der Addition aller Besorgten entsteht aus einem vielstimmigen und oft ungeordneten Grummeln ein lautstarkes Geschrei, das auf der institutionellen Ebene Gehör findet.

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Bereitwillig greifen Politik und Verwaltung jede Technikphobie auf. Erstens tragen die hier handelnden Personen selbst ihre individuellen Aversionen in sich und zweitens buhlen sie um die Zustimmung derjenigen, die ebenso empfinden. Deswegen gestalten sie eine am Vorsorgeprinzip orientierte ausufernde Regelsetzung. Und errichten dadurch hohe Hürden, die nicht nur Innovationen behindern, sondern auch das bereits Bestehende zunehmend in Frage stellen. Angesichts der eher emotional denn intellektuell gefärbten Kontroverse könnte man fast auf die Idee kommen, es ginge nicht um ein seit mehr als vierzig Jahren weltweit etabliertes Herbizid. Sondern um ein brandneues Mittel, dem unbekannte Risiken innewohnen und das erst vor kurzem in verbrecherischer Absicht aus unterirdischen Geheimlabors des militärisch/industriellen Komplexes geraubt wurde. Viele Hysteriker jedenfalls scheinen die Bezeichnung „Glyphosat“ erst durch die aktuelle Debatte kennengelernt zu haben. Die beste Technik ist eben immer die, die aus der Wahrnehmung verschwindet, weil sie jahrein jahraus ihre Aufgabe erfüllt, ohne Probleme zu verursachen und damit Aufmerksamkeit zu erregen.

Allzu groß ist die Versuchung geworden, solche Wissensdefizite für das Schüren von Stimmungen zu nutzen, aus denen Stimmen erwachsen könnten. Da beeilt sich selbst eine neue Strömung wie die AfD, in Sachen Technologiefeindlichkeit zu den Etablierten aufzuschließen, und wettert gegen Gentechnik und Glyphosat, als wären sie die besseren Ökologisten. Noch nicht einmal die sich „liberal“ nennende FDP kann sich dem entziehen. Schmückt sie sich doch nur äußerlich mit dem Emblem der „Technologieoffenheit“, gegen die sie sich im Kleingedruckten durch eine Begrenzung auf „gesellschaftlich akzeptierte Technologien“ absichert (1). „Gesellschaftlich akzeptiert“ aber ist nichts mehr in diesem Land.

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Dafür sorgen schon die diversen, unterschiedlich organisierten Gruppen und Netzwerke, die im Humus der individuell diffusen und institutionell fokussierten Ressentiments gedeihen und Technikfeindlichkeit zu einer tragenden Säule ihrer Geschäftsmodelle gemacht haben. Kirchen und Gewerkschaften, kampagnenorientierte Medien und natürlich die vielen Umwelt- und Naturschutzverbände bilden ein wirkmächtiges Konsortium, das der instinktiven Antipathie gegen alles Artifizielle erst eine sinnstiftende Begründung verleiht.

Mittels eines spirituellen Unterbaus, der in Begriffen wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder Ressourcenschonung eine Dogmatik formuliert, die jedem Bürger eine scheinbar valide Rechtfertigung für seine subjektiven Vorbehalte liefert. Selbst die unbewiesene Spekulation, Glyphosat könne die Artenvielfalt gefährden, wird dankbar aufgeblasen und auf allen verfügbaren Kanälen der breiten Öffentlichkeit als feststehende Tatsache eingehämmert. Dem auf diese Weise entfesselten Proteststurm schließen sich viele vor allem des wohligen Gefühls wegen an, Teil einer moralisch überlegenen Gruppe zu sein.

So entwickelt sich ein sich selbst tragender und verstärkender Kreislauf gegenseitiger Bestätigung zwischen der individuellen, der institutionellen und der initiativen Ebene, der es gestattet, sogar Rückschritte als erstrebenswert zu propagieren. Wenn ein einzelner Minister durch eine einsame Entscheidung mal ein paar Körner Sand in diese Maschinerie streut, darf man das schon als einen echten Lichtblick empfinden. Regt er doch in zumindest einer Sachfrage einen Wechsel der Perspektive an.

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Es ist nämlich nicht erforderlich, Chemiker, Physiker oder Biologe zu sein, um die zahlreichen Irrwege zu erkennen, auf die uns eine auf Aversionen gegen Technologien beruhende Politik führt. Technische Systeme sind schließlich nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Befriedigung unserer Bedarfe. Und Innovationen, denen dies effektiver und effizienter gelingt, setzen sich am Markt durch. Deswegen ist die Welt so, wie sie ist. Deshalb fahren wir nicht mehr mit Batteriefahrzeugen herum, obwohl diese doch vor hundert Jahren marktführend waren. Deswegen erzeugen wir Strom nicht schon längst nur noch aus Windrädern und Solarzellen, die auch schon seit Jahrzehnten zur Verfügung stehen. Man sollte sich einfach mal fragen, warum sich solche Alternativen nicht aus eigener Kraft überall im Wettbewerb durchsetzen, sondern nur dort, wo – und so lange – sie massiv subventioniert oder gar gesetzlich erzwungen werden.

In Bezug auf Herbizide genügt es schon, sich zu verdeutlichen, dass Unkräuter auf Anbauflächen vernichtet werden müssen, um hinreichende Ernten zu erzielen. Ohne Glyphosat geschähe dies auch, nur auf eine andere, weit weniger sanfte Weise. Es ist das Wesen der Landwirtschaft, Nutzpflanzen und Nutztiere zu hegen und zu pflegen, sie vor Schädlingen, Krankheiten und Konkurrenten zu beschützen. Sonst würden wir alle nicht satt. Besser als ein ertragreicher Acker ist eben nur ein noch ertragreicherer Acker. Das gilt für den Landwirt ebenso, wie für den Konsumenten.

(1) Fußnote: Man lese nach im Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2017 auf Seite 137, Download hier: https://www.fdp.de/denkenwirneu

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Kommentare ( 82 )

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82 Comments
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Wolfgang Wegener
6 Jahre her
AlNamrood
6 Jahre her

Ich muss mich doch wundern – Wir würden nicht satt werden? Es werden ständig riesige Mengen an Lebensmitteln weggeworfen, so schlecht scheint es also um die Nahrungsproduktion nicht zu stehen. Wer tatsächlich nicht satt wird, das sind die Menschen in den völlig überbevölkerten Teilen Afrikas. WIR könnten bestimmt auch ohne harte Pestizide auskommen.

antipodean
6 Jahre her

Was nie erwaehnt wird in solchen, ansonsten vollkommen schluessigen Argumentationen, ist das ‚gender issue‘. Unsere technologische Zivilisation ist im wahrsten Sinne des Wortes ‚man- made‘. Die Feminisierung westlicher Gesellschaften fuehrt daher zu einer Ent- Technologisierung und einer Ent- Wissenschaftlichung. Wir ersetzen Chemie, Biologie und Physik durch Genderforschung und den Nanny- Staat. Das ist existenzbedrohend fuer ein Industrieland.
Ich glaube allerdings, das wird in Europa keine Rolle mehr spielen. Unsere offene Gesellschaft, der Rechtsstaat und die liberale Demokratie sind ebenfalls ‚man- made‘, und deren Abschaffung durch feminisierte Regierungen macht uns noch viel schneller den Garaus.

dragonloader
6 Jahre her

Glyphosat ist giftig, toxisch, das wird in keiner Studie verleugnet! Ob das Gift nun sofort zu Krebs, Tod oder was auch immer führt, ist doch völlig unerheblich (siehe auch das von Ihnen angeführte Bundesamt für Risikobewertung: http://www.bfr.bund.de/cm/343/bfr-stellungnahme-zu-major-pesticides-are-more-toxic-to-human-cells-than-their-declared-active-principles.pdf – „Dort wird dargestellt, dass die Toxizität von glyphosathaltigen Pflanzen-Schutzmitteln (PSM) höher sein kann als die Toxizität von Glyphosat selbst.“)! Es wird außerdem immer klarer, dass der von Monsanto angebotene „Gesamtcocktail“, bei dem Glyphosat nur einen Teil ausmacht, massiv, ja unter Umständen 1000-fach, giftiger ist, als das Glyphosat alleine (https://wakeup-world.com/2015/08/04/monsanto-roundup-ready-1000-times-more-toxic-than-glyphosate-alone/), d.h. die Diskussion über das Glyphosat ist nichts anderes als eine Nebelkerze! Wenn… Mehr

Eysel
6 Jahre her
Antworten an  dragonloader

Sie haben ein klitzekleines Wörtchen überlesen: „KANN“!!! Weder ich noch sie können ausschließen, dass sie oder mich in der nächsten Sekunde „der Schlag trifft“. – Was NUR bedeutet, dass wir es nicht wissen KÖNNEN. – Was nur bedeutet, dass man prinzipiell(!!!) nicht ausschließen kann, dass etwas NICHT passiert. – Genau DAS aber hätten sie gerne. – – Und stellen damit (indirekt) eine Forderung nach prinzipiell/logisch UNMÖGLICHEM! – PS: Was zumindest wünschbar, wenn auch nur äusserst schwer zu erbringen ist, ist die wenigstens größenordnungsmässige Quantifizierung des Restrisikos. – PS2: Mensch hat ein paar uralte Risiko-Indikatoren aus seiner Frühzeit: Dunkel, laut, bitter,… Mehr

Eysel
6 Jahre her

Die Glyphosat-Sache läuft ziemlich analog zur Atom-Sache.
Keine Ahnung aber jede Menge Überzeugung bestimmen „selig macht“.
Wofür man in den „Himmel der Gerechten“ kommt.
Und er „Rest der Welt“ lacht sich über „deutsche Befindlichkeit“ kaputt.
Und baut mehr den je AKWs nach Prinzipien die in D. entwickelt wurden. Ganz ähnlich wird es mit Gly bzw. Gentehnik laufen.

Gunther Wied
6 Jahre her

Ich bin oft beeindruckt über die gut recherchierten Kommentare und Beiträge. Hier wundert es mich doch sehr, dass gleich zu Beginn das Bundesinstitut für Risikobewertung unkommentiert zitiert wird. Dieses Amt ist ausschließlich von Mitarbeitern der Pharmaindustrie besetzt! Eine Krähe….. Bei diesem Kommentar über Glyphosat fehlt zudem ein Hinweis auf den hauptsächlichen Einsatz des mittels, nämlich zur Förderung einer Turbo-Kornreifung!! Es wird nur wenige Tage vor der Ernte gespritzt um die Reifezeit zu verkürzen. Wir nehmen das somit voll in den Nahrungskreislauf auf. Früher gab es auch Menschen die haben E605 getrunken um zu beweisen wie ungefährlich das ist – sind… Mehr

Teufelskralle
6 Jahre her

Die Technologiefeindlichkeit ist parallel zur Frauenquote in die Politik einmarschiert.

Hans Maier
6 Jahre her

Da bin ich ganz anderer Meinung wie der hier schreibende. Und ich bin bestimmt nicht Technologie feindlich. Ich bin aber auch „auf dem Land aufgewachsen“ täglich in der Natur und habe erlebt wie sich das Wachstum auf Äckern und Wiesen verändert hat. Ich bin gegen Glyphosat. Wenn man die Wissenschaft diesbezüglich bemüht, gibt es auch genügend Studien, die zu dem Ergebnis kommen daß Glyphosat durchaus Gesundheitsschädlich ist. Ich gehöre auch zu denen die auch manmche Funkstrahlung für nicht gerade gesundheitsförderlich erachten. Jüngste Erfahrung z.B.: Eine Frau hatte plötzlich für Arzte unerklärliche starke Gesundheitsprobleme. Sie wohnte schon Jahre an diesem ort… Mehr

Beteigeuze
6 Jahre her

Die übergroße Mehrheit der Deutschen ist nicht mal rudimentär technisch-wissenschaftlich gebildet geschweige denn in diesen Bereichen tätig, wurde durch 40 Jahre Umweltreligion und -hysterie verunsichert und desorientiert, welche von Grünen und Umweltverbänden ausging und vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk ohne Unterlass verbreitet wurde und wird, ist dadurch im Denken entrationalisiert und irrationalisiert worden. Das folgt dem von Charles MacKay 1841 beschriebenen Wahn einer ganzen Nation: „In der Geschichte von Nationen erkennen wir, wie bei Einzelpersonen, dass sie Marotten und Eigenheiten haben; ihre Zeiten der Erregung und des Draufgängertums, in denen sie nicht beachten, was sie tun. Wir erkennen, dass ganze Gemeinschaften plötzlich… Mehr

Eysel
6 Jahre her
Antworten an  Beteigeuze

„nicht mal rudimentär technisch-wissenschaftlich gebildet“
So ist es!
Ich halte es in diesem Zusammenhang für a) keinen Zufall, dass die rer.nat. Fächer bei nicht Wenigen (Schülern/Studenten) inzwischen regelrecht verhasst sind. Man will ja nicht mit-schuldig sein/werden. – Dass diese zumindest aber Abneigung b) durch eine gewisse Schulpolitik ZUMINDEST begünstigt wurde. –
Nein, ich bin KEIN „Verschwörungstheoretiker“.
Aber so VIELES passt so verflixt gut zusammen.

Klaus Klinner
6 Jahre her

Ich erinnere mich, dass ich in meiner Jugend als Schüler, später Student zum Bauern auf den Acker ging, um mir etwas Geld SELBST zu verdienen. „Beliebte“ Arbeiten waren dabei Rüben hacken (statt Glyphosat) und Kartoffeln von Hand lesen. Selbst unsere Kinder schauen mich heute mitleidig an, wenn ich aus Versehen mal davon erzähle. Allerdings, damals hat Geld selbst zu verdienen stolz gemacht und das Ego gestärkt, die Arbeit im Freien war zwar schwer, aber auch gesundheitsbildend und … ich hatte keine Zeit zu jammern über die heute angenommenen Unbilden dieser schlimmen Welt.