Standby – der Strombedarf des grünen Energiesystems

Die Einsparung von Energie, ihr sinnvoller Einsatz und die Vermeidung von Verschwendung sind neben dem exzessiven Ausbau der „Erneuerbaren“ die Grundlagen der gewünschten Energiewende. Das neue System bringt jedoch neue Verhältnisse mit sich, die zusätzlichen Strom nötig machen. Von Frank Hennig und Detlef Ahlborn*

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Standby kann aus dem Englischen mit Bereitschaft oder Bereithaltung übersetzt werden. In unseren allgemeinen Sprachgebrauch gelangte das Wort erst, als die Fernbedienungen für TV-Geräte und für andere haushaltselektronische Geräte aufkamen. Vorher war das mühsame Aufstehen aus dem Fernsehsessel nötig, um die Sender zu wechseln oder den Abend nach „Wetten, dass..?“ oder vor dem „Schwarzen Kanal“, je nach Verortung der Zuschauer, mit dem Druck auf die Ein/Aus-Taste zu beenden. Die elektronische Bereitschaft erspart das Aufstehen zum Abschalten, erfordert jedoch weiterhin etwas Strom.

Wir erinnern uns, dass vor einigen Jahren diese Form des Stromverbrauchs, in der Vielzahl der Geräte durchaus erheblich, den Energiewendern ins Visier geriet. Im Rahmen der klimaökologischen Volkserziehung gab es immer wieder den Hinweis, auf die Standby-Schaltung zu verzichten und die Netzschalter zu betätigen oder schaltbare Steckdosenleisten zu verwenden. Ganze zwei „Atomkraftwerke“ könnten dadurch eingespart werden, wenn die Verbraucher ihr Verhalten ändern würden.

Der grüne Frontalunterricht war offenbar so erfolgreich, dass inzwischen nicht nur zwei, sondern alle „Atomkraftwerke“ eingespart werden konnten. So eine mögliche propagandistische Argumentation – oder eine satirische. Wer allerdings vermutet, Standby sei nun Geschichte, der kennt die Anforderungen eines künftigen naturbasierten und smarten Stromsystems nicht. Dort wird es weitaus mehr Standby als früher geben und Strombedarf für die „Intelligenz“ des Systems.

Beziehen statt liefern – Windkraftanlagen als Verbraucher

In Deutschland und auf der zugehörigen See stehen heute 31.224 Windkraftanlagen (Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur, Stand 9. September 2024). Für den ordnungsgemäßen und sicheren Betrieb ist elektrische Hilfsenergie nötig, die während des Betriebes vom produzierten Strom abgezweigt wird. Zahlreiche Geber und Sensoren brauchen Strom, Daten müssen permanent übertragen werden, die Gondelnachführung muss aktiv bleiben, Öldruck und -temperatur müssen im Sollbereich sein, die Warnbeleuchtung (korrekt: die Flugwarnbefeuerung) braucht Strom. Sollten die Anlagen mangels Windaufkommen selbst keinen Strom erzeugen, muss die Hilfsenergie aus dem öffentlichen Netz bezogen werden.

Dieser Eigenbedarf ist nötig für die Anlagensicherheit im Stillstand und für die Betriebssicherheit für den zeitlich unbekannten, aber jeder Zeit möglichen Fall des Wiederanlaufens.

Je mehr Anlagen zugebaut werden, desto mehr speisen sie bei gutem Wind ein, aber desto mehr Strom ziehen sie aus dem Netz, wenn der Wind eigene Stromproduktion nicht ermöglicht, also bei Windgeschwindigkeiten unter drei Metern pro Sekunde. Zunächst ein Blick auf den Windatlas:

Mittel der Windgeschwindigkeit in einer Höhe von 116 m über Grund im Monat Januar für den 20-jährigen Zeitraum 1995–2014 (BORSCHE et al. 2016)

Wie viel Strom braucht eine Windkraftanlage im Stillstand? Der Eigenbedarf einer Vestas V172 (mit 7,2 Megawatt maximaler Leistung) beträgt nach Angaben von Hersteller Vestas 55.000 Kilowattstunden pro Jahr. Diese Strommenge wird gegenüber dem Netzbetreiber verrechnet.
Wie kann man die elektrische Leistung ermitteln, die im Stillstand der Anlagen erforderlich ist? Dazu ist eine Annahme nötig, wie viele Tage im Jahr die Anlagen im Durchschnitt stillstehen respektive keinen Strom erzeugen.

Wir betrachten die Häufigkeitsverteilung, eine sogenannte Weibull-Verteilung, der Windgeschwindigkeit in Deutschland und nehmen vereinfacht eine durchschnittliche Windgeschwindigkeit von acht Metern pro Sekunde an, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die meisten Anlagen eher im Norden stehen:

Quelle: Dr. Detlef Ahlborn

Für eine Windgeschwindigkeit von weniger als drei Metern pro Sekunde ergeben sich 38 Stillstands- oder Schwachwindtage im Jahr, an denen Strom aus dem Netz gezogen wird. Nehmen wir einen Eigenverbrauch im Stillstand von 45.000 Kilowattstunden pro Jahr an (die meisten Anlagen sind kleiner als die V 172), so ziehen diese Anlagen in dieser Zeit (38 Tage sind 912 Stunden) immerhin 49 Kilowatt aus dem Netz. Sollte bei nebligem und kaltem Wetter die Blattheizung zuschalten, um eine Vereisung zu verhindern, erfordert das weitere etwa 80 Kilowatt. Die lassen wir hier weg.

Kommt es tatsächlich vor, dass viele oder die meisten Windkraftanlagen stillstehen, zumindest keinen Strom liefern? Ja, zentrale Hochdruckwetterlagen führen sogar häufig dazu. Über den Windfinder lassen sich die aktuellen Verhältnisse nachvollziehen. Das Minimum der Windeinspeisung lag im August 2024 bei 911 Megawatt, das entspricht 0,9 Prozent der installierten Leistung. Unter der Annahme durchschnittlich bezogener 49 Kilowatt pro Anlage und 28.000 nicht produzierender Anlagen (dann würden sogar noch 2.200 Stück liefern), ergibt sich bei solchen Wetterlagen ein Fremdleistungsbedarf von etwa 1.400 Megawatt.

Viel Strom für nichts

Das entspricht etwa drei der nach Habeckscher Kraftwerksstrategie noch zu bauenden Gaskraftwerke. Die sollen eigentlich den Strom fürs Netz liefern, Atom- und Kohlestrom ersetzen. Diese Leistung entspricht der eines Kernkraftwerks oder des Bedarfs einer Stadt wie Frankfurt am Main. Aber ausgerechnet in Zeiten knappen Stromangebots muss dieser Strom noch aus dem Netz für die stehenden Windkraftanlagen abgezweigt werden.

Die Aussage, die neuen Gaskraftwerke würden für die Versorgung der Kunden gebraucht, „wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht“, ist also nur teilweise richtig. Sie werden auch für den Eigenbedarf für unser weltweit einmaliges grünes Stromsystem gebraucht.

Diese rund 1.400 Megawatt hochpreisigen Stroms fehlen dann auch der Industrie, die aber in solchen Zeiten ohnehin die Produktion zurückfahren oder einstellen soll. Arbeitnehmer, die sich nach abgebrochener Schicht auf den Heimweg machen, können dies in der Gewissheit tun, dass die stehenden Windkraftanlagen sicher mit Strom versorgt werden.

Je nach Tageszeit und Wetterlage kann der Strom für die bedürftigen Windkraftanlagen auch von den noch laufenden Windkraftanlagen oder aus der Photovoltaik geliefert werden, oft wird es aber konventioneller Strom oder Importstrom sein. Dann helfen uns ausländische Kernkraftwerke, den Standby-Bedarf der Windkraftanlagen aufzubringen, nachdem unsere Kernkraftwerke durch entfallenen Standby-Bedarf der TV-Geräte abgeschaltet werden konnten. Abweichende Interpretationen sind hier zugelassen.

Auch konventionelle Kraftwerke haben einen Eigenverbrauch, der im fossilen Bereich bei vier bis acht Prozent der Generatorleistung beträgt. Im Stillstand ziehen auch sie Strom für Beleuchtung, Ölpumpen, Belüftungen, Steuer- und Regelungstechnik und so weiter. Da diese Kraftwerke in der Regel aus mehreren Erzeugungseinheiten (Blöcken) bestehen, liefert in der Regel dann ein anderer Block am Standort.

Der Bundesverband Windenergie (BWE) weist auf Anfrage darauf hin, dass der aus dem Netz benötigte Eigenbedarf bei einer V 172 verschwindend gering im Vergleich zur Jahresproduktion an Strom ist. Das ist richtig, jedoch kommt es auch hier wie im Netzbetrieb generell auf den Zeitpunkt der Produktion an. Windkraftanlagen produzieren nicht nur nicht bedarfsgerecht, sie werden bei Windstille oder Schwachwind zu merkbaren Verbrauchern knappen und hochpreisigen Stroms.

Der windstille Süden

Interessant ist noch eine Nebenerkenntnis aus dem Windatlas: Südlich einer Linie Bitburg – Frankfurt – Hof beträgt die durchschnittliche Windgeschwindigkeit kleiner/gleich fünf Meter pro Sekunde. Nach der Häufigkeitsverteilung erzeugen hier stehende Anlagen sogar an 90 Tagen im Jahr keinen Strom:

Quelle: Dr. Detlef Ahlborn

Gesundem Menschenverstand folgend wäre die Schlussfolgerung, dort keine Windkraftanlagen zu errichten. Stattdessen erhalten Anlagen in diesen Regionen über das „Referenzertragsmodell“ im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eine besonders hohe Vergütung für ihren unwirtschaftlichen Betrieb. Am Ende fließt dann Steuergeld über das defizitäre EEG-Umlagekonto. Nunmehr kann es über nicht gebrauchte Intel-Milliarden aufgefüllt werden. Auf lange Sicht ist es ein Minusgeschäft, volkswirtschaftlich schädlich, Geldverbrennung. Das Geld ist allerdings nicht weg – folgt man der Spur, sind die politischen Interessen zugunsten der Branche zu erkennen.

„Intelligenz“ hat seinen Preis

Auch das sogenannte smarte Netz braucht Strom zum vermeintlichen Denken. Zunächst aber braucht es einige Voraussetzungen, die weit über digitale Zähler hinausgehen. Die alten Zähler mit Drehscheibe sind zwar ein Sinnbild elektrotechnischer Steinzeit, dafür aber zuverlässig, robust, sparsam und langlebig. Die elektronischen Zähler haben teilweise erhebliche Probleme mit dem Zählen, der Auslesbarkeit oder der Lebensdauer.

Ein Gateway als Datenschnittstelle zum Versorger, in der nächsten Stufe dann separat abschaltbare Stromkreise, zum Beispiel für die Waschmaschine oder die Wallbox, sind auch durch ihren Datentransfer und die IT-Verarbeitung beim Versorgungsunternehmen Stromverbraucher. Kommt dabei KI zum Einsatz, steigt der Strombedarf erheblich.

Wenn die Versorger ab 2025 zeitabhängige Stromtarife anbieten werden, muss der Verbrauch der Kunden permanent oder in geringen Zeitabständen erfasst, registriert und abgerechnet werden. Zunächst können die Kunden, die über einen digitalen Zähler und ein Gateway verfügen, durch eigenes Zu- oder Abschalten versuchen, die Schwankungen des Börsenstrompreises auszunutzen. Dem sind Grenzen gesetzt. Mit Sonnenuntergang steigt der Strompreis teils drastisch, auf Beleuchtung werden die Haushalte trotzdem nicht verzichten wollen. Das E-Mobil könnte um die Mittagszeit preiswert geladen werden, da sind die Fahrzeuge aber oft unterwegs. Wenn sie abends an die Dose kommen, wird es teuer.

Die Versorger hätten von dieser Gestaltung der Tarife durchaus Vorteile. Es lassen sich kundenspezifische Lastprofile erstellen, mit denen der Stromeinkauf optimiert werden kann. Auch lässt sich folgern, wann in der Regel niemand zu Hause ist, ein Hinweis, der die Versorger weniger interessiert, aber der für die organisierte Kriminalität wertvoll sein kann. Natürlich werden die Versorger einen sensiblen Umgang mit den Daten zusichern, aber die Messstellenbetreiber und Abrechner sind Unterauftragnehmer, meist private Anbieter.

Wie können nun die Kunden von flexiblen Tarifen profitieren? Die Versorger können den aktuellen Börsenpreis über das Gateway mitteilen, sodass das Verbrauchsverhalten angepasst werden kann. Oder es wird, beim nächsthöheren Niveau, bei einem vereinbarten Preis, ein Signal übermittelt, das bestimmte Stromkreise schaltet und zum Beispiel die Waschmaschine oder den Geschirrspüler anlaufen lässt. Die Auftrennung von Stromkreisen dürfte vierstellige von den Verbrauchern aufzuwendende Euro-Beträge erfordern. Ob der Start der Waschmaschine in einem Mehrfamilienhaus nachts um drei eine klimakorrekte Toleranz bei den Nachbarn auslöst, ist allerdings fraglich.

Kostenspirale dreht sich immer schneller
600 Milliarden Euro für die Energiewende
Hinzu kommen die Zählerkosten. Ab 2025 wird der Einbau von elektronische Zählern und Gateways verpflichtend. Die Kosten des Messstellenbetriebes dürfen für Normalverbraucher maximal 20 Euro pro Jahr betragen. Bei mir waren es im Jahr 2022 noch 8,22 Euro für einen Ferraris-Zähler.

Am Ende könnten einige Euro am Strompreis gespart werden, jedoch nur über den günstiger bezogenen Großhandels-Strom. Der macht am Haushaltsstrompreis um die 40 Prozent aus, Steuern und Umlagen bleiben erhalten, auch wenn sie anteilig ebenfalls sinken. Eine Amortisationsrechnung für den Umbau der eigenen Haushaltsstromversorgung ist schwierig.

Die Versorger haben durch die „smarte“ Tarifgestaltung, das Handling großer Datenmengen und deren Verarbeitung über Großrechner höheren Strombedarf und höhere Kosten und sie werden künftig mehr denn je gezwungen sein, steigende Kosten auf die Kunden abzuwälzen.

Zum Abschluss flexibler Verträge ist möglicherweise wieder etwas Volkserziehung nötig. Es kann Druck aufgebaut werden, indem normale Stromtarife wie eine Flatrate interpretiert und im Preis angehoben werden, flexible Tarife dagegen billiger gemacht werden, wenn sich also Kunden zeitabhängig teilweise zu- oder auch abschalten lassen. Der ständig verfügbare Strom wäre der teuerste, auch bieten sich motivierende Komponenten an. Eine zugestandene preiswerte Basisstrommenge kann gedeckelt werden, für einen Vierpersonenhaushalt zum Beispiel 3.000 Kilowattstunden pro Jahr. Nach einem klimapädagogischen Ansatz könnte diese Menge nach und nach abgeschmolzen werden. Jede Kilowattstunde darüber hinaus würde dann mehr kosten, je mehr, desto teurer.

Sollte sich ein solches System etablieren, könnte man an der abendlichen Beleuchtung der Wohnungen den sozialen Status der Mieter erkennen, nicht mehr nur daran, welches Auto vor der Tür steht.

Fazit

Das naturbasierte und smarte Energiesystem der Zukunft braucht selbst zunehmend Strom, damit es funktioniert. In windschwachen Zeiten werden auch ausländische „Atomkraftwerke“ helfen, den Standby-Bedarf unserer Windkraftanlagen zu sichern. Eigene können wir nicht mehr zuschalten. Sie stehen nicht im Standby, sie werden in Zeiten von wenig Naturenergie durch Kohle, Gas und Importe ersetzt.

* Dr.-Ing. Detlef Ahlborn ist Unternehmer, Maschinenbauingenieur, Statistiker und Technikvorstand im Bundesverband Vernunftkraft.


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