Schweden mietet ein Atomkraftwerk für die Netzstabilität

Als Greta Thunberg im vergangenen Jahr auf einer Demo in Deutschland die Kernkraft als Möglichkeit emissionsarmer Stromerzeugung nannte, gab es Irritation bis Ablehnung. Nun zeigt sich in ihrem Heimatland die Systemrelevanz dieser Technologie.

imago images / Kamerapress

Wie in anderen Ländern auch ging in Schweden der Strombedarf pandemiebedingt stark zurück. Viel Wind- und Wasserstrom drückte die Großhandelspreise in den Keller und bescherte dem Staatskonzern Vattenfall heftigen Verlust. CEO Magnus Hall wird den Konzern Anfang nächsten Jahres verlassen („aus persönlichen Gründen“). Ob ihm das schlechte Ergebnis angelastet werden kann, ist unklar. Ein anderer Chef hätte den Realitäten kaum anders begegnen können. Hohe Abschreibungen auf das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg und die verfallenen Preise im eigenen Land ließen die Zahlen rot werden.

Die Strompreise waren so niedrig, dass sich das Unternehmen entschloss, den im März in Revision überführten Kernkraftwerksblock Ringhals 1 über den Sommer stehen zu lassen. Die Schwankungen im Netz durch hohe Windstromeinspeisung zwangen jedoch den Netzbetreiber Svenska Kraftnät, zwecks Stabilisierung um die Wiederinbetriebnahme des Blockes schon Ende Juni zu bitten. Dafür vereinbarte man umgerechnet 30 Millionen Euro Schadenersatz für Vattenfall und erkaufte sich damit einen sicheren Netzbetrieb. Ende des Jahres soll Ringhals 1 allerdings für immer außer Betrieb gehen. Das wird spannend.

Nun hat Schweden im Strommix auch 40 Prozent gut regelbare Wasserkraft, aber die wird vor allem im Norden verstromt, während sich die Verbrauchszentren im Süden befinden. Das Netz ist keine Kupferplatte. Ringhals liegt in der Nähe von Göteborg und netztechnisch günstig. Obwohl Schweden nur einen jährlichen Windstromanteil von reichlich 12 Prozent hat (2019) und so gut wie keine Photovoltaik, reichen ein niedriger Bedarf und hohe Windeinspeisung aus, die Netzstabilität zu gefährden. Die Schweden können einen Haushaltsstrompreis von etwa 20 Cent pro Kilowattstunde halten und werden im Gegensatz zu Deutschland keinen Strom zu negativen Preisen ins Ausland verkaufen, um nach Abflauen des Windes wieder teuer zu importieren.

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Inwiefern sollte uns dieser Vorgang am anderen Ufer der Ostsee interessieren? Deutschland hat ein dichteres Netz und ist durch seine zentrale Lage in Europa und mit den fast 30 Interkonnektoren (grenzüberschreitende Leitungsverbindungen) günstiger gelegen für den internationalen Austausch. Allerdings bauen auch unsere Nachbarländer mehr Stromerzeugungs-Kapazitäten ab als auf. Wir haben im Jahresdurchschnitt über 25 Prozent Windstrom- und über 8 Prozent Solarstromanteil (2019). Der Windstrom schwankte beispielsweise im Mai 2020 zwischen 375 und 33.490 Megawatt (vgl.  „Vernunftkraft“, Rolf Schuster, Monatsbilanz Mai 2020hin und her, die Leistungsgradienten (Leistungsänderungen) können mehrere tausend Megawatt pro Stunde betragen.

Bisher haben die konventionellen Kraftwerke – regelbar sind sie alle – in Verbindung mit Pumpspeicherwerken und dem Ex- und Import, auch der Zwangsexport mit negativen Preisen, und auch die Abschaltung von Großverbrauchern die Netzstabilität gesichert.

Schweden mietet zeitweise ein Atomkraftwerk zur Versorgungssicherheit. Deutschland fährt unverdrossen weiter nach dem Prinzip Schere:

Im Gegensatz zu Schweden werden alle deutschen Kernkraftwerke dauerhaft abgeschaltet. Um das zu ändern, müsste erstens ein politischer Konsens erzielt werden und zweitens den Betreibern Geld dafür gegeben werden, ihre Planungen zu ändern. Beides ist extrem unwahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich ist dagegen, dass wir mit der Netzstabilität Probleme bekommen werden.

Vorerst werden die Netzreservekraftwerke dies auffangen können. Dies sind zumeist alte ineffiziente Gaskraftwerke, die durch die Betreiber zur dauerhaften Stilllegung angemeldet sind, aber als systemrelevant eingestuft wurden und in Bereitschaft stehen. Für den Winter 2022/23 hat die Bundesnetzagentur dafür eine Gesamtkapazität von 10.650 Megawatt vertraglich gebunden. Das ist mehr als die heute noch vorhandene Leistung aus Kernkraftwerken von etwas über 8.000 Megawatt.

Es wird also ein Teil der emissionsarmen Kernkraft durch fossile Erzeugung ersetzt werden. Das wollte Greta sicherlich nicht. Sie wurde am Tag nach ihrer Äußerung von ihrem Pressesprecher zurückgepfiffen. Obwohl ihre Formulierung völlig kompatibel zu den Aussagen des IPCC war, passte es nicht zur Strategie. Sie hätte das überall so sagen können – nur eben nicht in Deutschland.


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Kommentare ( 22 )

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22 Comments
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Alexis de Tocqueville
4 Jahre her

Kann nicht stimmen.
Das Gute ist LGBT = Liberty, Guns, Beer, Trump.

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her

Es ist ganz simpel:

Windmühlen sind Mittelalter.
Kohle ist Industrialisierung.
Gas und Öl sind die Moderne.
Kernspaltung ist Atomzeitalter.
Fusion ist die Zukunft.

halbschwede
4 Jahre her

…erwähnenswert ist wohl auch, dass schweden vor kurzem ein kraftwerk wieder hochgefahren hat, dass strom aus dem verbrennen von schweröl produziert.

Andreas aus E.
4 Jahre her

„Nun hat Schweden im Strommix auch 40 Prozent gut regelbare Wasserkraft“

Fragt eigentlich irgendein „Grüner“ mal, wie es die Nutzer (=tierische Bewohner) solcher für „gut regelbare Wasserkraft“ ausgebauten/zerstörten Fließgewässer finden?

Britsch
4 Jahre her
Antworten an  Andreas aus E.

Nach meiner Kenntnis sollte in Bayern beispielsweise ein bestehendes Wasserkraft / Pumpenspeicherkraftwerk erweitert / vergrößert werden. im Stausee hätte der Wasserspiegel für nähere Planung vorübergehend gesenkt werden müssen. Bei diesen Vorgang der Senkung haben aber Einige entdeckt da0 in dem See muscheln und Pflanzen wachsen, die durch dier Senkung des Wasserspiegels Schaden nehmen könnten. Es wurde durchgesetzt, daß der Wasserspioegel nicht in erforderlichem Maße gesenkt werden durfte. Die Planung für die angedachte Vergrößerung war somit nicht möglich, der ausbau / Vergrößerung damit gestorben. Gäbe es den Stausee nicht gäbe es dort auch nicht diese Muscheln und Pflanzen. Dies nur so… Mehr

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  Britsch

Aber jetzt sind sie halt da. Sonst ist das nicht mehr mein Stausee.

Sachse fern der Heimat
4 Jahre her
Antworten an  Andreas aus E.

Dazu gibt es eigentlich nur zu sagen, dass jede Medaille nunmal zwei Seiten hat. Es gibt KEINE, wirklich KEINE, Energiegewinnungsform OHNE irgendwelche nachteiligen Eingriffe in die die Natur. Vergleicht man jedoch die Auswirkungen eines Wasserkraftwerkes mit denen zehntausender Windkraftanlagen, dürfte die ökologische Bilanz eindeutig gegen Windkraft sprechen.

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her

Und eindeutung für das Atom.

Sachse fern der Heimat
4 Jahre her

Mich bewegt bei derartigen Zukunftsaussichten zunehmend die Frage, wo sich in Deutschland die vielen Ingenieure und unter diesen, insbesondere die Experten für Energieerzeugung und Verteilung, verkrochen haben, dass man von denen nahezu NICHTS zur Gefährlichkeit des eingeschlagenen Kurses hört und liest? Liegen die (nahezu) alle im Dornröschenschlaf und warten darauf, von kleinen grünen Kobolden wachgeküßt zu werden? Aber halt, wieso schreibe ich hier nur von den Anderen? Ich bin ja selbst einer von denen (seit 40 Jahren Elektroingenieur), die ich hier kritisiere. Alos formuliere ich meine Frage neu …. Liebe Kollegen, was ist nur mit UNS los? Sind wir denn… Mehr

H. Hoffmeister
4 Jahre her

Alles Angestellte bei politisch beherrschten Großunternehmen des Energiesektors. Keiner traut sich, gegen den Wahnsinn aufzumucken, sonst droht Jobverlust.

Harrycaine
4 Jahre her

Ja ist ziemlich traurig, was gerade passiert. Ich gehöre selbst auch zu dieser Berufsgruppe, würde das heute aber nicht mehr als Berufsziel wählen, zumindest nicht in Deutschland. Sie Deindustrialisierung schreitet immer weiter voran und MINT Berufe verlieren hier immer mehr an Bedeutung/Ansehen.

Sachse fern der Heimat
4 Jahre her
Antworten an  Harrycaine

Als ich vor 43 Jahren mein E-Technikstudium (in der Ex-DDR) begann, zählte dieser Studiengang nicht nur zu den anspruchsvollsten, sondern, neben anderen MINT-Studiengängen, auch zu den begehrtesten Ausbildungswegen und Männer, die sich für ökonomische Studiengänge entschieden, wurden etwas mitleidig belächelt. Ich muss aber zugeben, dass mir aus dieser Zeit der Begriff „MINT-Fächer“ nicht in Erinnerung ist. Sei es drum, ich kann mir aber nicht vorstellen, wie unsere Zukunft aussehen soll, wenn diese Fachrichtungen immer mehr in den Hintergrund treten. Sollen dann tatsächlich hochkomplexe technische Anlagen, wie es Energieversorgungssysteme nun mal sind, von Leuten entwickelt werden, die Energie im Netz speichern… Mehr

Harrycaine
4 Jahre her

: entwickelt und produziert wird ja weiterhin, nur nicht mehr alles hier. Vor Ort bleibt dann Vorstand, Produkt Marketing und die Rechtsabteilung ?

Michael M.
4 Jahre her

Ich für meinen Teil (Elektroingenieur mit Fachrichtung Automatisierungstechnik, seit nunmehr 25 Jahren, Studium an der TUM) erzähle es jedem, ob er/sie es hören und oder glauben will oder nicht.
Auch wenn es mühsam ist glaube ich trotzdem, dass steter Tropfen den Stein langfristig eben doch höhlt. Mittelfristig wird dann wohl auch noch das Kapitel „Lernen durch Schmerz“, z.B. durch Blackouts und weiter stark steigende Strompreise, hinzukommen. Einige erscheinen mir allerdings so „vernagelt“, dass auch das nichts helfen wird, aber „wurscht“ ich gebe nicht auf … ✌️

Bernd Simonis
4 Jahre her

Ich habe die Sprengung des Kühlturms in Phillipsburg mit angesehen und war sehr traurig. Ich finde die die Zerstörung von solchen Anlagen als unfassbar dämlich. Für eine Übergangszeit hätte diese Technik noch sehr helfen können. Aber es stellt ja niemand die Politiker zur Rede. Unfassbarer Populismus.

Agrophysiker
4 Jahre her
Antworten an  Bernd Simonis

Also Deutschland noch ein Rechtsstaat war hätte man die Täter dieses Zerstörungswerks nach §316b (Abs. 2) angeklagt und verurteilt (Störung öffentlicher Betriebe). Aber wenn die dafür Verantwortlichen in der Reglierung sitzen, dann greift bei der heutigen disfnktionalen Gewaltenteilung das Strafrecht da ins Leere.

sb51
4 Jahre her

Die Schweden sind wie in der Corona krise Außenseiter. Ohne ideologische Verblendung. Davon sind Merkel& Co Licht jahre entfernt. Bei der Dominanz der öffentlich rechtlichen Medien wird sich daran sobald nichts ändern. Was?,k also brauchen wir?

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  sb51

Ausgerechnet die Schweden als „ohne ideologische Verblendung“ zu bezeichnen, klingt schon recht schräg. Die haben nur etwas andere Verblendungen als wir. Überschneidungen gibt es auch genug, z.B. den Islamfimmel.

Politkaetzchen
4 Jahre her

Deutschland muss mit der derzeitigen Energiepolitik auf die Nase fallen.
Anders lernt der Michel nicht dazu. Glaubt mir, spätestens wenn die Generation Greta plötzlich kein Strom mehr fürs Internet hat, wird die Meinung sich blitzschnell ändern.

Agrophysiker
4 Jahre her
Antworten an  Politkaetzchen

Nein, die werden dann nach noch mehr Sozialismus rufen. Natürlich ist dann der Kapitalismus (und böse rechte Saboteure) daran Schuld wenn das Stromnetz zusammenbricht. Immerhin sorgt die Agrarwende dafür, dass die Leute im Winter bald nicht nur frieren, sondern auch noch hungern werden. Mit Bezugskarten für Strom, Wärme und Lebensmittel wächst gleich nochmal die Macht des Staatsapparats.

krauswil
4 Jahre her
Antworten an  Politkaetzchen

@Politkaetzchen Ich bin mittlerweile der Auffassung, dass sich nichts ändern wird, wir werden uns anpassen und mit den schlechteren Bedingungen leben lernen (die Bewohner der ehemaligen DDR haben es 40 Jahre bis zur Perfektion vorgelebt). als Beleg hier noch ein aktuelles Beispiel aus meinem Lebensbereich: Wir haben uns vor 9 Monaten ein Upgrade auf einen“modernen“ Internetanschluss über Kabel Deutschland von Vodafone aufschwatzen lassen und haben seither täglich mit Internetausfällen zu kämpfen. Reklamationen und Erneuerungen meiner eignen Infrastruktur haben keine Verbesserung gebracht (sie können es einfach nicht!!!). Mittlerweile sind wir – 4 intensive Internetnutzer – auf dem Weg der Resignation soweit,… Mehr

HGV
4 Jahre her

Hier zeigt sich wieder der vollkommen verstellte Blick der ökosozialistischen Grünen, die in ihrer mangelnden Technikaffinität aufgehen. Die Verbotspartei besteht ausschließlich aus Rechthabern und Schönschwätzern. Wenn der Ast erst einmal richtig abgesägt ist, kann man ihn nicht einfach wieder ankleben. Der muss an anderer Stelle wieder Nachwachsen und bis der Früchte trägt, gibt es halt keine Ernte.