Kann die Wiederentdeckung einer verworfenen Idee der Kerntechnik zu neuem Aufschwung verhelfen? Im Prinzip schon. Aber nur, wenn sich Multiplikatoren und Macher diesmal die richtigen Verbündeten suchen und nicht wieder auf ungeeignete Märkte zielen.
Der Weg zur Innovation beginnt häufig damit, der Gegenwart die richtige Frage zu stellen. Kirk Sorensen hatte eine solche. Als Ingenieur bei der NASA war er in den Jahren 2000 bis 2010 an den Plänen zum Aufbau einer ständig bemannten Mondstation beteiligt. Insbesondere beschäftigte ihn das Problem der für eine solche Einrichtung erforderlichen Energiequelle. Autark sollte die lunare Basis sein und vor allem unabhängig von einer teuren Versorgung aus irdischen Quellen. Kohle, Gas und Erdöl gibt es auf dem Mond nicht. Wasserkraft, Geothermie, Windkraft und Biomasse sind auf dem kahlen, atmosphärelosen Felsen ebenfalls keine Optionen. Es bleibt die Photovoltaik. Große Flächen wären mit Solarpaneelen zu belegen, da diese nicht nur den laufenden Bedarf zu decken, sondern auch Speicher für die zwei Wochen dauernde Mondnacht zu füllen hätten. Die hohen Wartungs- und Reparaturerfordernisse gepaart mit dem Risiko, Schäden nicht eigenständig beheben zu können, ließen Sorensen vor dieser Lösung zurückschrecken. Es verblieb die Kernenergie. Aber welche Art von Reaktor kann man einer Mondbasis wirklich zumuten?
Im Frühjahr 2000, so die häufig kolportierte Geschichte,entdeckte Sorensen im Büro eines Kollegen eine alte Abhandlung aus dem Jahr 1958 mit dem Titel „Fluid Fuel Reactors“, das seine Frage beantwortete. Das Werk beschrieb die am Oak Ridge National Laboratory in den USA zu Flüssigsalzreaktoren durchgeführten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Ein Ansatz, der kleine und kompakte Kernkraftwerke möglich machte, die sich, weil inhärent sicher und ohne vorgelagerte Brennelementfertigung auskommend, besonders für extraterrestrische Kolonien eignen würden. Thorium findet man auch auf dem Mond. Sorensen war elektrisiert. Und überlegte, ob das, was für den Mond ideal schien, nicht besser zuerst auf der Erde eingesetzt werden sollte. Womit er begann, in die falsche Richtung aufzubrechen.
Wie Ideen verschwinden und wieder auftauchen können
Wie konnte diese wundersame Maschine Flüssigsalzreaktor, deren Konzept sich grundlegend von allen heute im Einsatz befindlichen Kernkraftwerken unterscheidet und deren technisch/physikalische Eleganz alle Bedenken der Kernkraftgegner gegenstandslos macht, jemals in Vergessenheit geraten? Ganz einfach, es gab damals noch kein Internet. Tatsächlich hatten wohl kaum mehr als hundert Leute auf dem ganzen Planeten ein tieferes Verständnis dieser Technologie, die in den 1950ern konzipiert, in den 1960ern realisiert und zu Beginn der 1970er verworfen wurde. Den Technikern und Wissenschaftlern fehlten nicht nur nicht die geeigneten Ansprechpartner, in den Medien, im Freundes- und Bekanntenkreis oder bei Fachkollegen aus anderen Forschungseinrichtungen. Sie sahen auch keine Notwendigkeit, ihre Vorstellungen aktiv zu verbreiten. Denn Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima waren noch lange nicht geschehen, eine große politische Bewegung gegen die Kernkraft gab es nicht und die Entscheidung der Nixon-Administration, alle Gelder in den Plutonium-Brüter zu stecken, erschien auf den ersten Blick sogar sinnvoll. Der Präsident hatte nach allen ihm vorliegenden Informationen von einer bevorstehenden Ressourcenknappheit auszugehen, die auch Uran betraf. Um die Versorgung sowohl der nuklearen Verteidigung, als auch der zivilen Energieproduktion mit geeigneten Spaltstoffen dauerhaft sicherzustellen, blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als sich auf ein Reaktorkonzept zu konzentrieren, das die Herstellung von Plutonium in großen Mengen ermöglichte.
Ein Irrtum, wie wir heute wissen. Es gab nie Engpässe bei der Uranversorgung und es wird auch keine geben.
Dem Oak-Ridge-Team aber blieb nichts anderes übrig, als die Dinge niederzuschreiben, in die Bibliothek zu stellen, sich in den Ruhestand zu verabschieden oder sich anderen Aufgaben zu widmen.
Heute funktioniert das anders. Heute präsentiert man seine Ideen im Web. Dadurch kann man noch lange nicht jeden erreichen. Tatsächlich lesen, was auch immer man in sozialen Kanälen, Diskussionsforen, Blogs oder andere Plattformen verbreitet, meist kaum eine Handvoll Leute. Wirklich substantiell große Aufmerksamkeit zu erzielen, bedarf erheblicher Investitionen, wie in den klassischen Medien auch. Der wahre Vorteil des Netzes liegt in seiner Fähigkeit, eine unüberschaubare Menge an Informationen auf einfache Weise dauerhaft für jeden zur Verfügung zu stellen. Ohne große Zugangsbarrieren auf beiden Seiten, weder für den Verbreiter, noch für den Konsumenten. Keine im Internet geäußerte Idee geht mehr verloren. Schon eine unscharfe Vorstellung von dem, wonach man Ausschau halten sollte, genügt, um zu finden, was man sucht.
Kirk Sorensen nutzte diese Möglichkeiten intensiv. Neben der direkten Ansprache des interessierten Publikums durch Vorträge auf Konferenzen und Kongressen begann er im Jahr 2006 zu bloggen und richtete ein Diskussionsforum ein. Bald fanden sich Multiplikatoren, die seine Botschaft weitertrugen, erste Artikel in technologieorientierten Fachmagazinen erschienen, das Thema lockte weitere Mitstreiter an, die immer mehr Anlaufpunkte im Netz boten und sich schließlich in festen Strukturen vernetzten. Der Flüssigsalzreaktor stand plötzlich auf der Tagesordnung, von der er nun auch nie wieder verschwinden kann.
New Nuclear – von der Verheißung zur Verheizung
Sorensen wurde damit, ohne es zu intendieren, zu einem der Gründungsväter einer neuen Bewegung, die neudeutsch mit dem Begriff „New Nuclear“ beschrieben werden kann. Einige hundert, vielleicht tausend Menschen weltweit, Wissenschaftler, Techniker, Unternehmer, Publizisten, Freizeitblogger und schlicht engagierte Bürgerwirken unter dieser Überschrift zusammen, um die Kerntechnik in eine neue Zukunft zu führen. Was sie auszeichnet, ist ihr „Graswurzel-Ansatz“. New Nuclear startete nicht mit Unterstützung der klassischen kerntechnischen Großindustrie.
Sondern versucht, die Branche von außen zu revolutionieren. Natürlich sind Flüssigsalzreaktoren nicht die einzigen fortgeschrittenen Reaktorkonzepte, mit denen man sich in diesem Netzwerk beschäftigt. Aber sie stellen eine zentrale Säule dar, um die man sich gruppiert. Im Laufe der letzten Jahre entstanden aus losen Verbünden organisierte Strukturen wie die Thorium Energy Alliance, die International Thorium Energy Organization, die Alwin Weinberg Foundation und die Thorium Energy Association, die Öffentlichkeitsarbeit betreiben und zahlreiche Veranstaltungen organisieren. Sogar hierzulande gibt es mit der Nuklearia eine Anlaufstelle für Kernenergie-Enthusiasten jenseits der etablierten Industrielobby. New Nuclear induzierte schließlich die Gründung zahlreicher Startups, die sich alle der Realisierung von Flüssigsalzreaktoren in unterschiedlichen Varianten verschrieben haben. Zu nennen sind Transatomic Power und ThorCon Power (beide USA), Terrestrial Energy (Kanada), Moltex Energy (Großbritannien), Thorium Energy Generation (Australien), Thorium Tech Solutions (Japan) und Copenhagen Atomics (Dänemark). Selbst in dem der Kernkraft feindlich gegenüberstehenden Deutschland hat sich das Institut für Festkörperkernphysik aus Berlin mit seinem Dual Fluid Reactor einen Namen in der Szene gemacht. Wer dies alles genauer betrachten möchte, findet eine Linkliste unter dem Artikel.
Weil sie es völlig falsch anstellen. Ihre Marketingstrategie beruht auf der ständigen Wiederholung angestaubter und nichtssagender ökologistischer Dogmen, von Nachhaltigkeit ist viel die Rede und von grüner Elektrizität. Ausgerechnet die Stromproduktion haben sie sich als Zielmarkt ausgewählt, wohl, weil man glaubt, hier das große Geld zu finden. In dieser Branche aber treffen sie nicht nur auf zahlreiche Wettbewerber, die das Thema bereits beherrschen und keine Milliarden mehr in das Risiko einer Entwicklung stecken müssen, die am Ende vielleicht doch nicht so gut wie angenommen funktioniert. In dieser Branche treffen sie auch auf ein Dickicht von Regulierungen, das in einzelnen Staaten bis hin zu einer vollständig realisierten Planwirtschaft reicht. New Nuclear hat zielsicher ein Umfeld gewählt, das für Startups toxisch ist.
Trotzdem biedert man sich der Politik als Klimaschutzbewegung an. Ausgerechnet der Politik, die bislang noch jede Technologie in den Sand gesetzt hat, der sie sich mit hoher Aufmerksamkeit widmete. Die Kernenergie selbst ist das beste Beispiel dafür, zunächst euphorisch unterstützt, dann, man beachte die oben angesprochene Nixon-Entscheidung, in die falsche Richtung gelenkt, und schließlich unter dem Druck des ökologistischen Zeitgeistes im Stich gelassen. Wer sich dem Klimaschutz verschreibt, stärkt diese grüne Stimmungsmache nur. Denn er räumt ein, daß anthropogene Einflüsse auf das irdische Klimasystem zu katastrophalen Entwicklungen führen könnten, die die Anwendung des Vorsorgeprinzips rechtfertigen. Nach dem jedes noch so kleine Risiko zu vermeiden ist, wenn es im Falle seines Eintretens zu Schäden führt, die man als nicht akzeptabel ansieht. Wer zusätzlich noch mit der Bekämpfung der Luftverschmutzung argumentiert, bestätigt implizit jene Rechenmodelle, nach denen nicht nur die Anzahl hypothetischer Stickoxidopfer, sondern auch virtuelle Strahlentote ermittelt werden. Wenn New Nuclear zu „Green Nuclear“ mutiert, unterwirft es sich also exakt den Argumentationsmustern, die der Kernenergie schon einmal den Garaus bereitet haben.
Deswegen haben derzeit nicht private Initiativen in den westlichen Industrienationen, sondern ausgerechnet ein staatliches chinesisches Programm hinsichtlich der Entwicklung von Flüssigsalzreaktoren die Nase vorn. Aber auch im Reich der Mitte führt man allzu häufig die Dinge nicht zu Ende. Auch China hat zu Beginn der 1970er Jahre bereits an dem Thema gearbeitet und auch China hat dann wieder aufgegeben. Sollte es diesmal tatsächlich anders sein, gestaltet man die Zukunft der Kernenergie wohl leider im Osten.
Alternative Ansätze werden gebraucht
Wer seine Idee unbedingt als Substitution bereits etablierter Systeme durchsetzen will, erleidet mit Sicherheit Schiffbruch. Denn Innovationen lösen keine Probleme, Innovationen schaffen neue Möglichkeiten. Was also kann der Flüssigsalzreaktor, was andere Energietechnologien nicht können? Auf sein Potential als chemische Fabrik, die komfortabel und preiswert allerlei Metalle und Gase sowie Materialien für die Nuklearmedizin, für Radionuklidbatterien, für betavoltaische Zellen und für viele technische Anwendungen in der Sensorik liefert, wurde bereits im Vorgängerartikel hingewiesen. Auch wenn die Protagonisten von New Nuclear dies natürlich ansprechen, führen sie diese Fähigkeit inklusive der Option zur Vernichtung vorhandenen radioaktiven Abfalls lediglich im Kleingedruckten auf.
Was den Flüssigsalzreaktor zusätzlich auszeichnet, sind seine hohen Betriebstemperaturen. Er liefert Wärme, sehr viel Wärme, auf sehr kleinem Raum, mit vergleichsweise kleinem Aufwand. Wärme für industrielle Prozesse aller Art, von der Meerwasserentsalzung bis hin zur Produktion synthetischer Treibstoffe. Aber wer braucht eine Einheit, die ein Truck transportieren und die daher überall stationiert werden kann, um Temperaturen von mehreren hundert bis tausend Grad zur Verfügung zu stellen? Für wen könnte ein solches System wertvoll genug sein, um seine Entwicklung zu finanzieren?
Es ist die Erdölindustrie, die häufig in entlegenen Regionen jenseits entwickelter Zentren den Rohstoff fördert, der die chemische Industrie füttert, der Maschinen schmiert, der Straßen bedeckt und vor allem die Motoren treibt, die auf ihnen fahren. Aus vielen Lagerstätten, man denke insbesondere an Ölsande, wird das schwarze Gold mit heißem Dampf gewonnen. Zu dessen Erzeugung oft wiederum Öl verbrannt wird, mitunter solches aus dem Vorkommen selbst. Auch die Weiterverarbeitung der auf diese Weise gewonnenen Rohstoffe, die häufig noch vor Ort stattfindet, bedarf großer Wärmemengen. Man kennt die Bilder der dazu errichteten großen Infrastrukturen, beispielsweise aus dem kanadischen Athabasca-Revier. Dies alles preiswerter, mit weniger Flächenverbrauch und daher weniger Naturzerstörung haben zu können, wäre für die Ölindustrie ein Geschenk des Himmels. Bei ihr sollte sich New Nuclear daher nach Kunden und Entwicklungspartnern umsehen und nicht ausgerechnet bei verbohrten Umweltschützern, die meinen, die Menschheit müsse ihren wichtigsten Energieträgern zügig entsagen.
Und wenn er sich in den harschen Bedingungen eines Dschungels, einer Wüste oder nördlicher Prärien bewährt, dann in der Tat ist der Flüssigsalzreaktor auch bereit für Mond, Mars, Asteroiden oder Raumstationen. Kirk Sorensen verließ leider die NASA im Jahr 2010 und gründete nach einem weiteren Jahr in der kerntechnischen Industrie mit Flibe Energy sein eigenes kleines Startup um selbst einen Flüssigsalzreaktor zu bauen. Auf der Suche nach potenten Geldgebern tingelt er weiter mit immer denselben Präsentationen auf immer denselben Konferenzen und Kongressen herum. Wäre er nur gedanklich im Weltraum geblieben. Dann könnte er mit seiner Idee schon viel weiter sein. Vielleicht hat er das begriffen, jedenfalls weist sein jüngster Werbefilm, der „Thorium Remix 2016“, deutlich darauf hin (ein zwei Stunden langer Videoclip, dessen Betrachtung sich dennoch wirklich lohnt). New Space und New Nuclear sollten eine Verbindung eingehen, denn nur letztere können die Energiesysteme bereitstellen, die erstere für ihre Pläne brauchen.
Bis dahin sind antiquarische Buchhändler die einzigen, die mit dem Thorium-Flüssigsalzreaktor ein richtig gutes Geschäft machen. Denn durch Sorensen wurde das Werk über „Fluid Fuel Reactors“, von dem es noch etwa zweihundert Exemplare geben soll, berühmt genug, um mittlerweile für vierstellige Beträge über den Ladentisch zu wandern.
Unsere kleine Serie zur Zukunft der Kernenergie endet an dieser Stelle. Aber nur vorläufig, denn in den Tiefen der Archive schlummern noch weitere spektakuläre Ideen.
Hinweis: Der Autor ist Mitglied der Nuklearia.
Wichtige Netzwerke und Vereine:
• Thorium Energy Alliance: http://thoriumenergyalliance.com
• International Thorium Energy Organization: http://www.itheo.org/
• Alvin Weinberg Foundation: http://www.the-weinberg-foundation.org/
• Thorium Energy Association: http://thorea.hud.ac.uk/
• Nuklearia e.V.: http://nuklearia.de/
Unternehmen (Auswahl):
• FlibeEnergy (USA): http://flibe-energy.com
• Transatomic Power (USA): http://transatomicpower.com/
• ThorCon Power (USA): http://thorconpower.com/
• TerrestrialEnergy (Kanada): http://terrestrialenergy.com/
• MoltexEnergy (GB): http://www.moltexenergy.com/
• Thorium Energy Generation (Australien): http://thoriumenergy.com.au/
• Thorium Tech Solutions (Japan): http://ttsinc.jp/indexenglish.html
• CopenhagenAtomics (Dänemark): http://www.copenhagenatomics.com/
• Institut für Festkörperkernphysik (Deutschland): http://dual-fluid-reactor.org/
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