Feindbild Mensch: die grüne Falle

Mit der Strategie "Risikovermeidung statt Gefahrenabwehr" konnte die grüne Bewegung in den letzten Jahrzehnten Deutschland prägen. Weil bei allzu vielen Menschen hierzulande die Angst vor dem Verlust größer ist, als die Lust auf den Gewinn. Dabei haben wir so viele Chancen auf eine bessere Zukunft, wie noch keine Generation vor uns. Um diese auch in Verantwortung für unsere Nachkommen nutzen zu können gilt es, ökologistische Denkverbote und Dogmen zu überwinden.

© Jeff Swensen/Getty Images

Auf der CeBIT 2013 erlebte ich den damaligen Bundesumwelt- und heutigen Kanzleramtsminister Peter Altmaier erstmals live. Von seiner Rede ist mir die Passage besonders in Erinnerung geblieben, in der er ausführte, mit der Kernenergie wäre es in Deutschland vorbei, für immer. Wie die dogmatische Attitüde des Vortrags verdeutlichte, wollte er damit nicht einen zu diskutierenden Debattenbeitrag leisten. Nein, Altmaier schien wirklich überzeugt zu sein, eine endgültige Entscheidung zu vertreten, an der niemand mehr rütteln würde, niemals mehr, bis an das Ende der Zeiten. Die Verkündigung bereitete ihm sichtlich Freude und erfüllte wohl auch ein tiefes inneres Bedürfnis.

Warum sonst sollte man dieses Thema mit einem Abstand von zwei Jahren zum Fukushima-Störfall auf einer IT-Messe anschneiden? Der Zustimmung des Saales konnte er sich natürlich sicher sein. Denn Festlegungen mit Ewigkeitscharakter zu treffen und Denkverbote zu definieren, ist nicht nur in Bezug auf die Kernkraft und nicht erst seit der Energiewende ein großer Wunsch der Deutschen an ihre Regierungen. Das Verlangen nach Regulierung und Erziehung durchzieht mit unterschiedlichen Schwerpunkten die gesamte deutsche Geschichte. Die Wurzeln seiner aktuellen, auf den Umwelt- und Naturschutz ausgerichteten Ausprägung liegen in den 1970er Jahren.

Deutsche gehorchen gern

Es war die Zeit, als hierzulande die erste Generation die Früchte des von ihren Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg erarbeiteten Wohlstands erntete und daher etwas zu verlieren hatte. Der Wunsch, das Erreichte nicht wieder einzubüßen, induzierte die Suche nach Umständen, unter denen genau dies geschehen würde. Mit der Konstruktion plausibel erscheinender Katastrophenszenarien konnte diese zunächst diffuse Furcht auf bestimmte Themen gelenkt werden. So kehrte mit dem Club of Rome die längst überwunden geglaubte malthusianische Vorstellung von der drohenden Selbstzerstörung der Menschheit durch ihre Expansion zurück. Dessen Impulse die Vernetzung der Ängstlichen zu einer grünen Bewegung beförderten.

Gerade die Kernenergie mit dem ihr innewohnenden Potential, preiswerte Energie in unbegrenzter Menge überall verfügbar zu machen, bot sich den Misanthropen als ideales Ziel an. Denn was wäre schlimmer, als der uneinsichtig auf ihr weiteres Fortkommen bedachten Menschheit eine solche Quelle des Wohlstandes zur Verfügung zu stellen? Dieses Argumentationsmuster wird bis heute in unterschiedlichen Bereichen mit immer größerem Erfolg eingesetzt. Vor einigen Wochen erst titelte der Spiegel mit einer Mücke als „gefährlichstem Tier der Welt“ aufgrund der von ihr verbreiteten Krankheiten (Ausgabe 29/2016). Nimmt man die Auswahl der zu dieser Geschichte gedruckten Zuschriften als repräsentativ, haben die meisten Leser den Artikel deswegen kritisiert, weil der Verfasser den unentschuldbaren Fauxpas beging, nicht den Menschen als gefährlichstes Lebewesen für sich selbst und für den Rest der Biosphäre zu geißeln und die Mücke dadurch zumindest auf den zweiten Platz zurückzustufen.

Vogelperspektive
Andreas Kieling und die Windräder
Auch ich durfte erleben, wie mein Kommentar zur Kritik von Naturschützern an der Windenergie wegen der Aussage heftig kritisiert wurde, der Mensch sei nicht Zerstörer, sondern Gestalter seiner Umwelt. Als jüngst der Club of Rome die Vorstellung seiner neuesten Ergüsse mit der Aussage eines der Autoren würzte, seine Tochter sei wegen ihres Ressourcenbedarfes „das gefährlichste Tier der Welt“, hielt sich der öffentliche Aufschrei in Grenzen. Das „Feindbild Mensch“ ist mittlerweile tief genug in der Gesellschaft verankert, um selbst den direkten Umgang miteinander zu vergiften. Argwöhnisch bewerten viele das Verhalten ihrer Mitmenschen hinsichtlich der Risiken, die sie für sich selbst darin zu erkennen glauben. Raucher wissen, was ich meine.

Instinktiv fahndet der Habende nach Bedrohungen, die seinen Status gefährden, seine Gesundheit, seinen Besitz, sein Lebensglück oder das seiner Nächsten und Nachkommen. Wer mit geeigneten Narrativen diesen Reflex bestätigt und zu einer kollektiven Furcht bündelt, verfügt über ein mächtiges Mobilisierungsinstrument.

Die Krise als Statussymbol

Wenn also der Wähler nach Risiken sucht, bietet man ihm welche an. Die Frage, ob aus einer bestimmten Entwicklung irgendwann einmal schlimme Folgen erwachsen könnten, wird irgendein Träger kompetenzvortäuschender akademischer Titel im Rahmen einer gutbezahlten Studie immer mit einem ausreichend deutlichen „Ja!“ beantworten. Untauglich für die weitere Verwertung sind Szenarien, die zu wenig Bürger betreffen und daher kein ausreichendes Erregungspotential aufweisen, die nicht weit genug in der Zukunft liegen und daher zu schnell nachprüfbar werden, die zu weit in der Zukunft liegen und daher bis auf weiteres keine Maßnahmen erfordern oder die sich nicht in eingängigen Bildern und Geschichten formulieren und daher schlecht vermarkten lassen.

Waldsterben und Eiszeit haben nicht überlebt. Aber Ressourcenknappheit, demographischer Wandel und Klimakatastrophe als die drei wirkmächtigsten „gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen“ genügen diesen Kriterien. Sie betreffen uns, wenn überhaupt, erst in Jahrzehnten, bedürfen also keiner sofortigen Lösung, deren Formulierung vielleicht nicht gelingt. Sie ermöglichen stattdessen die Aufstellung langfristiger Pläne, für deren Versagen oder Nutzlosigkeit die Verfasser nicht mehr haftbar gemacht werden können. Sie bieten auch gar kein Kriterium, an dem der Erfolg politischer Maßnahmen beweisbar wäre. „Nachhaltigkeit“ ist kein erreichbares Ziel. Sondern eine immerwährende Aufgabe.

Politiker beobachten genau, wie Wähler auf gesetzte Reize reagieren. Erweist sich eine apokalyptische Geschichte als erfolgreich, wird sie lauter kommuniziert und deutlicher beschrieben, um den Bindungseffekt zu verstärken. Wohlhabende Gesellschaften sind anfällig für einen solchen rückgekoppelten Kreislauf, durch den schließlich ein Filter die Wahrnehmung der Realität verdeckt, der eine virtuelle Parallelwelt vorgaukelt. Nach wie vor sind sehr viele Menschen hierzulande überzeugt, der Störfall in Fukushima hätte tausende Leben gefordert, und reagieren äußerst verwirrt, ja geradezu verärgert, wenn man sie mit der Wirklichkeit von Null Strahlenopfern konfrontiert, wie mir ein entsprechender Test im privaten wie beruflichen Umfeld jüngst verdeutlichte.

Nicht totzukriegen ist außerdem die Angst vor Altersarmut, noch nicht einmal bei Immobilienerben, obwohl die Produktivität in Deutschland stetig anwächst. Die Schreckensvision vom Ende des Erdöls wird immer noch propagiert, obwohl mittlerweile fast alle glauben, vorher aufgrund des Klimawandels entweder zu ersaufen oder zu verdursten. Tatsächlich konnte man bislang noch für kein einziges Wetterereignis auf diesem Planeten den Nachweis erbringen, außerhalb natürlicher Schwankungen zu liegen und zweifelsfrei auf eine Erderwärmung zurückzugehen.

Gewählt wird, wer mit den gängigsten Emotionen spielt

Nichts in der Politik ergibt Sinn, betrachtet man es nicht vor dem Hintergrund der Erlangung oder Verteidigung von Macht. Es mag Politiker geben, die an die Parallelwelt, in der sich alles zum Schlechteren entwickelt, wirklich glauben. Die daher ernsthaft überzeugt sind, solche Entwicklungen verhindern zu können und zu müssen, koste es, was es wolle. Aber auch diese arbeiten und funktionieren letztendlich in einem System, in dem nur Stimmen zählen. Gewählt wird, wer auf der Klaviatur der Emotionen die eingängigsten Harmonien komponiert. Der Gassenhauer Klimaschutz ist eben für die Seele und nicht für den Verstand. So gelang es der grünen Bewegung, vertreten durch die Parteien CDU, SPD, Grüne und Linke (und ein paar kleinere wie die Piraten), ihren Anteil bei Wahlen auf über 70% zu steigern. Am Ende einer solchen Entwicklung steht dann Peter Altmaier am Rednerpult. Die Wähler haben es so gewollt.

Dabei ruft die Fokussierung auf die Vermeidung potentieller Zukunftsrisiken reale gegenwärtige Gefahren erst hervor. So bedeuten Technologieverbote, wie bei der Kernenergie, bei der Gentechnik oder beim Fracking, vor allem den Verzicht auf Innovationen, auf Wettbewerbsfähigkeit, auf Wertschöpfungsoptionen und damit auf künftigen Wohlstand. Den ungehemmten Zuzug von Migranten als Antwort auf demographische Fragen zu preisen, beinhaltet, die mit dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen verknüpfte Probleme zu vernachlässigen. Bis hin zur vollständigen Ignoranz gegenüber der Entstehung abgeschotteter Subkulturen, die islamistischen Terroristen Operationsbasen und Rückzugsräume auch hierzulande bieten. Im Namen der Klimakatastrophe schließlich wird unsere Energieversorgung umgestaltet, um Strom und Treibstoffe (und damit auch alles andere) zu teuren und knappen Luxusgütern zu machen. Auf das unsere Widerstandskraft gegen Fluten und Dürren, deren Eintreten auch ohne Klimawandel sicher ist, nur nicht noch weiter steigt.

Wer nun glaubt, aus dieser Misere böte die AfD einen Ausweg, der mag sich täuschen. Sicher, es ist schon bigott, wie diejenigen, die das Schüren und Ausnutzen von Ängsten seit Jahrzehnten als Krönung der Staatskunst begreifen, dies nun ausgerechnet der Alternative vorwerfen. Aber es gibt auch in der AfD eine starke, ökokonservative Strömung, die Gentechnik ebenso ablehnt wie Fracking und (bei der Kommunalwahl in Niedersachsen) gar den weiteren Ausbau der Windenergie durch Repowering befürwortet. Ja, selbst die AfD beginnt, die politische Kraft von Dystopien zu verstehen und zu nutzen. Und nähert sich dadurch den etablierten Kräften an. Die grünen Fesseln zu sprengen bleibt vorerst eine individuell zu verwirklichende Aufgabe.

Wem nützt die grüne Welle?

Man könnte sich die Frage stellen, was die zur Vermeidung von Zukunftsrisiken als notwendig erachteten Maßnahmen tatsächlich für die Menschen bedeuten. Wem hilft es, wenn der Strompreis immer weiter steigt? Wem hilft es, wenn individuelle Mobilität nur noch in teuren und wenig alltagstauglichen Elektromobilen möglich ist? Wem hilft es, wenn Eigentümer zu einer Kreditaufnahme gezwungen werden, um ihre Häuser mit leicht brennbaren Schaumstoffplatten zu verkleiden? Wem bringt all dies etwas ein, jetzt und hier? Ist die Beruhigung eines eingeredeten schlechten Gewissens soviel wert? Zumal die Profiteure, von den Subventionsempfängern in der Energieindustrie bis hin zu den politisch exzellent vernetzten ökologistischen Verbänden und Vereinen, ihre Gewinne völlig ohne Scham einstreichen.

Ohnehin wären Schuldgefühle gegenüber der Zukunft kein guter Ratgeber. Unser Wohlstand ist nicht entstanden, weil wir unseren Nachkommen etwas weggenommen hätten. Das wäre auch schlecht möglich, denn wir kennen die Bedürfnisse künftiger, noch nicht existierender Generationen nicht. Nein, unser Wohlstand ist unsere eigene Leistung, er beruht auf dem, was wir vorfanden und in Werte verwandelt haben. Er basiert auch auf den Möglichkeiten, die uns unsere Vorfahren hinterlassen haben. Hätte man beispielsweise im Mittelalter in Nachhaltigkeitskonzepten gedacht, würden wir heute Lagerräume voller Felle, Holzkohle, Bienenwachs und Waltran finden. Dinge, über die wir ohnehin in großen Mengen verfügen könnten, würden wir sie denn brauchen. Wie aber würden wir leben müssen, hätte sich die Welt im 18. Jahrhundert in einer globalen Anstrengung verpflichtet, durch die Nichtnutzung fossiler Energieträger die industrielle Revolution ausfallen zu lassen?

Meine Tochter ist nicht „das gefährlichste Tier der Welt“

Verantwortlich zu denken, beinhaltet nicht, sich selbst zugunsten der Nachfahren einzuschränken. Verantwortliches Handeln bedeutet, alle eigenen Chancen zur Wohlstandsmehrung zu ergreifen, damit künftige Generationen auf einem noch stabileren Fundament stehen als wir heute schon. Vor allem müssen wir ihnen mehr Optionen verschaffen, sich den dann aktuellen Herausforderungen zu stellen. Wir sollten uns dazu nicht ausmalen, was wir auf welche Weise verlieren könnten. Sondern zu erkennen lernen, was es zu gewinnen gibt. Meine Tochter ist eben nicht „das gefährlichste Tier der Welt“, sondern eine Quelle der Inspiration, der Kreativität und der Innovation. Sie ist, wie alle anderen Kinder auf diesem Globus auch, nicht ein weiterer Sargnagel für die Menschheit, sondern der Schlüssel zu einer besseren Zukunft. Sie sollte in eine Welt hineinwachsen, in der ein Club of Rome nicht mehr wagt, sie als Bedrohung zu verunglimpfen. Sie sollte in eine Welt hineinwachsen, in der kein Politiker mehr Beifall dafür einheimst, gesellschaftliche, ökonomische und technische Fortschritte dogmatisch zu verdammen. Ein kleiner, aber in diesem Zusammenhang hilfreicher Ansatz bestünde darin, über Kernkraft neu nachzudenken. Das lohnt sich – allein schon um des Vergnügens willen, Peter Altmaier zu ärgern.

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