Die Bundesregierung will neue Probleme finden. Schließlich taugen die bereits vorhandenen schon lange nicht mehr zur Wählerbindung. Stattdessen befördern die momentan vom Klimawandel bis zur Migration aufgerufenen Krisen den Zerfall der Gesellschaft in einander unversöhnlich gegenüberstehende Lager. Da verzweifeln die auf konsensstiftende Zukunftsängste angewiesenen GroKo-Parteien natürlich und spendieren gleich mal eine Milliarde Euro für die Suche nach neuen Sorgen. Mit dieser Summe wird nämlich die „Agentur für Sprunginnovationen“ ausgestattet, deren Gründung das Kabinett vor einigen Tagen beschlossen hat. Passender wäre gewesen, diese Einrichtung auf die Bezeichnung „Institut für die Analyse fortgeschrittener Furchtoptionen“ zu taufen.
Denn das neue bundeseigene Unternehmen soll nicht primär Innovationen unterstützen, sondern als „Ideenscout“ nach „zu lösenden Problemen“ fahnden. Etwa durch Wettbewerbe, die „gesellschaftlich relevante Herausforderungen definieren“. Oder durch zeitlich befristet angestellte „Innovationsmanager“, die „zu lösende Problemstellungen“ suchen, finden und erläutern. Als deren Kernkompetenz entsprechend ein „fundiertes technologisch-wissenschaftliches Verständnis der von ihnen vorgeschlagenen bzw. bearbeitenden Problemstellung“ verlangt wird. Was wohl geschieht, wenn ein kreativer Unternehmer (U) einem so ausgerichteten Gremium (G) gegenübertritt?
G: Name?
U: Jeff Bezos.
G: Projekt?
U: Ich denke da an so eine Art Online-Marktplatz…
G (unterbricht): Und welches Problem lösen Sie damit?
U: Ähm.
Man spiele das einmal durch mit Steve Jobs (möchte ein internetfähiges Kameratelefon ohne Tasten entwickeln), mit Mark Zuckerberg (baut eine Plattform, auf der die Leute Fotos und Geschichten einstellen können) oder gar mit Elon Musk (konstruiert ein Trägersystem für Flüge zum Mond und zum Mars). Keinem dieser Herren hätte die „Agentur für Sprunginnovationen“ auch nur einen Cent gegeben, denn weder Amazon, noch das Smartphone, noch Facebook oder gar die Falcon-Rakete haben Müll vermieden, Energie eingespart, bedrohte Tierarten oder den Regenwald gerettet, um mal ein paar typisch deutsche Fetische aufzuzählen.
Darin sind die hiesigen Wissenschaftseinrichtungen richtig gut, vor allem die der angewandten ingenieurtechnischen Forschung. Aus einer exzellenten Maschine eine noch bessere zu machen, das können sie. Die Zukunft prägt man dadurch natürlich nicht. Zumindest diese banale Erkenntnis ist in Berlin angekommen. An der naiven Vorstellung, aus dem staatlich subventionierten Wissenschaftsbestrieb kämen die Innovationsimpulse, hält man trotzdem trotzig fest. Natürlich identifizieren Forscher häufig neue Chancen jenseits des gegenwärtig Machbaren. Aber auch nur dort. Hinter Grenzen, die wir noch nicht überschritten haben. Innovationen jedoch beruhen nicht auf „radikalen technologischen Neuheiten“. Innovationen erwachsen immer aus der Rekombination des bereits Vorhandenen. Sonst wären sie kaum in den fünf bis sechs Jahren marktreif, die die Bundesregierung den zu fördernden Vorhaben einräumt. Das Automobil entstand aus Kutsche, Fahrrad und einem zunächst für den stationären Betrieb gedachtem Motor, als die Produktionstechnik die Fertigung der notwendigen Komponenten in der erforderlichen Qualität gestattete. Künstliche Intelligenz fußt auf Algorithmen, die bereits vor vier Jahrzehnten erdacht wurden, aber erst heute wirklich eingesetzt werden können. Weil Fortschritte aus völlig anderen Bereichen jetzt die notwendigen Rechengeschwindigkeiten, Datenspeicher- und Datenerhebungskapazitäten bieten. Nun werden wiederum Autos und KI miteinander verknüpft, um völlig neue Mobilitätsoptionen zu schaffen.
Wer jetzt meint, die Agentur müsse solche Dinge fördern, weil die Politik sie auf Technologieoffenheit festgelegt hätte, der übersieht das Kleingedruckte.
Innovationen werden von einzelnen Menschen für einzelne Menschen gemacht. Sie entstehen nicht in Strukturen zur Aufrechterhaltung verkrusteter Denkmuster. Wer Innovationen will, für Wachstum, Arbeitsplätze und Lebensqualität, wie die Bundesregierung so vollmundig verspricht, darf nicht Ideen einer politisch gesteuerten Auswahl unterwerfen, sondern muss Unternehmergeist fördern. Unternehmer aber suchen nicht nach Problemen, Unternehmer entdecken Chancen. Deswegen wird die neue „Agentur für Sprunginnovationen“ wenig bewirken. Außer Kräfte zu binden, die in anderer Weise besser eingesetzt wären.