Ein Brief vom Genossen Minister an den Kanzler und den Wirtschaftsminister

Stimmen aus dem Off sind irgendwie unheimlich. Umso mehr, wenn sie Unangenehmes und Bedrohliches aussprechen. Ein Funktionsträger aus längst entschwundener Zeit meldet sich und spricht aus Erfahrung und Wissen energiepolitisch unkorrekte Fakten aus.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Ein älterer Herr schrieb einen Brief an Kanzler Scholz und Minister Habeck, in dem er starke Besorgnis zum Ausdruck bringt. Das tun gegenwärtig viele, was ist daran erwähnenswert? Der Mann ist 92 Jahre alt und macht sich Sorgen um die Zukunft, seine eigene meint er nicht.

Wolfgang Mitzinger, so heißt der Absender, ist nicht nur ein besorgter älterer Herr, sondern er war auch der letzte DDR-Minister „für Kohle und Energie“, so lautete die offizielle Bezeichnung des Ministeriums. Er war natürlich SED-Genosse, ein Nomenklaturkader, der die lange Treppe des Aufstiegs in Partei und Wirtschaft erfolgreich hochstieg. Der Katastrophen-Jahreswechsel 1978/79, der fast die ganze DDR stromlos machte¹, brachte ihn auf den Ministersessel. Sein Vorgänger war vom Zorn des Politbüros weggeweht worden.

Ja, Mitzinger war ein strammer Genosse, aber einer, der von unten kam. Er lernte Elektriker, studierte an der Bergingenieursschule Zwickau, arbeitete als Hauptenergetiker im Tagebau Geiseltal. Mitzinger wurde Mitglied der Staatlichen Plankommission und Generaldirektor des Kombinats (damals noch VVB – Vereinigung Volkseigener Betriebe) Kraftwerke in Cottbus. Die nächste Stufe vor dem Ministeramt war die eines Staatssekretärs im entsprechenden Ministerium.

Die damalige Personalauswahl ließ im Grunde keine Quereinsteiger zu. Es wurden Leute „entwickelt“, die nah am jeweiligen Fachgebiet waren. Von Subalternen konnten sie kaum hinter die Fichte geführt werden. Undenkbar, dass damals völlig Fachfremde in technischen Ministerien an die Spitze gelangt wären.

Als einer, der sich fachlich und im Parteiapparat von der Pike auf hochgedient hatte, waren seine 10 Jahre als Minister vor allem vom Management des Mangels gekennzeichnet. Ein Beispiel erlebte ich am Rande mit. Etwa 1986 ergab eine Materialprüfung am Jänschwalder Kohle-Kraftwerksblock 4 (internes Kürzel: B20) einen Befund in Form von Rissen an einem Rohrbogen einer Frischdampfleitung. Er musste gewechselt werden. Immerhin kein kleines Teil, mehrere Meter Schenkellänge und von beachtlicher Wandstärke. Gefertigt aus hochlegiertem Edelstahl, Chrom-Molybdänstahl, es musste dem 170-fachen Atmosphärendruck und einer Temperatur von 540 Grad standhalten.

Minister Mitzinger (Mitte) im August 1989 im Kraftwerk Jänschwalde anlässlich einer Großrevision²

In einem marktwirtschaftlich angelegten System wäre die Einkaufsabteilung des Kombinates auf Tour gegangen und hätte Ersatz beschafft. Unter Bedingungen der staatlichen sozialistischen Planwirtschaft war das nicht möglich. Der Hersteller, der VEB (Volkseigene Betrieb) Stahl- und Walzwerk Finow, arbeitete nach Staatsplan und der sah Extrawünsche nicht vor. Importe, vielleicht sogar gegen Devisen, waren so gut wie ausgeschlossen. So musste das Problem über den Tisch des Ministers gehen, der nach einem Vor-Ort-Besuch im Kraftwerk und in Abstimmung mit dem Wirtschaftsminister den Genossen Stahlwerkern dann die Anweisung erteilte. Nach einigen Wochen war der Rohrbogen gewechselt.

Im Gegensatz zu heute hatte bei der Energieversorgung der DDR die Versorgungssicherheit die höchste Priorität. Der gegenwärtige Kurs der Energiepolitik macht Mitzinger heute so unruhig, dass er die oben angeführten Briefe schrieb. Vom Kanzleramtsbüro kam wenigstens eine nichtssagende Antwort, aus dem Hause Habeck nur Schweigen.

Der Bedarf an Elektroenergie sei „zeitgleich“ zu decken, die Schwankungen des eingetragenen Windstroms seien enorm. Auch die These von angeblich nicht mehr vorhandener Grundlast sei falsch.

„Viele Menschen haben vor der Zukunft Angst, auch ich für meine Kinder bis Urenkel.“ Die Aussage Habecks „voll ins Risiko – und vielleicht gelingt es ja auch“ könne man als Philosoph verwenden, als Energieminister werde damit bewusst ein ganzes Land aufs Spiel gesetzt und ruiniert. Eine Vielzahl der hochentwickelten Industriebetriebe werde bei unsicherer Elektroenergieversorgung insolvent oder auswandern. Das ist nun bereits Realität. Auch der Appell Mitzingers im Jahr 2023, die Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, verhallte ungehört und ohne Antwort.

In einem Interview mit der Jungen Freiheit sprach er sich für die Aussetzung der Energiewende aus, bis entsprechende Randbedingungen geschaffen seien. „Leider aber herrscht eine grüne Ideologie im Land, erfüllt vom Wunderglauben, Wunschvorstellungen unter Missachtung der Naturgesetze realisieren zu können!“

Der Brief, über den nun auch die Berliner Zeitung berichtete, kam von einem, der die realsozialistische Vergangenheit hinter sich hat und die Gefahren einer grünsozialistischen Zukunft kommen sieht. Try-and-Error statt Staatsplan, Verbote und Abschaltungen führen zu Mangel. Volles Risiko auf dünner Basis, Glaube und Hoffnung bei umfassender Realitätsverweigerung.

Ideologie steht über Fachkompetenz. Dies war auch in der DDR der Fall und führte am Ende zum Scheitern.

Wolfgang Mitzinger schrieb übrigens kein einziges Kinderbuch.


1 – Der wenige übriggebliebene Strom wurde nach Priorität verteilt. Die Beleuchtung der Mauer und der innerdeutsche Grenze war durchgängig gegeben. Diese Winterkrise wie auch die Geschichte eines Unangepassten sind spannend und eindrucksvoll beschrieben im Buch vom Zeitzeugen Manfred Haferburg, damals Oberschichtleiter im Kernkraftwerk Greifswald: „Wohn-Haft“.

2 – Scan aus „Energie aktuell“, Organ der Parteileitung des Kraftwerks Jänschwalde, 1. September-Ausgabe 1989

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Kommentare ( 16 )

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Sonny
3 Monate her

Es ist absolut nutzlos, mit dieser Regierung zu kommunizieren.
Weil fast die gesamte Regierung nur aus einer sektenähnlichen Vereinigung besteht ohne jegliches Fachwissen, beratungsresistent und übergriffig.

Privat
3 Monate her
Antworten an  Sonny

Volle Zustimmung.
Eine Sektenähnliche Vereinigung ohne Fachwissen – ohne Gewissen.
Beratungsresistent und übergriffig gegen anständige Deutsche nur wegen einer anderen Meinung.

what be must must be
3 Monate her

Entschuldigung – ein ehemaliger DDR-Minister ist für mich keine Autorität.

Kassandra
3 Monate her
Antworten an  what be must must be

Aber er beweist Kompetenz!
Und den Mut, diesem Habeck mitsamt Kombattanten den Spiegel vorzuhalten.
Weshalb stehen wir eigentlich nicht alle auf der Straße – denn es ist angerichtet. Und ab Herbst werden wir hier voraussichtlich „sans confort“ zu leben haben. In Belagerung zudem.

Der Ingenieur
3 Monate her
Antworten an  what be must must be

Der Mann war Elektriker, dann viele Jahre Ingenieur im Energiesektor und wurde nach hervorragender Bewältigung einer existenziellen Krise als „Bester der besten“ als Energieminister ausgewählt. Danach hat er 10 Jahren in dieser Position einen sehr guten Job gemacht.

Er bringt also vermutlich etwa 1 Mio. Mal mehr Fachkomptenz mit, als ein Philosoph und Kinderbuchautor, der sich selbst zum Wirtschafts- und Energieminister erkoren hat und anscheinend große Probleme hat, gesamt-systemisch zu denken. So verbraucht jedes E-Auto von der Produktion über Herstellung, kurzlebigen Betrieb bis hin zum bisher quasi nicht vorhandenen Batterierecycling mehr Primärenergie und produziert mehr Schadstoffe als jeder Verbrenner.

Last edited 3 Monate her by Der Ingenieur
Dr.KoVo
3 Monate her

Damals wie heute sind die Entscheider der herrschenden Ideologie hörig. Allerdings war die fachliche Kompetenz der damaligen Entscheider deutlich größer als die der jetzigen sogenannten Eliten. Was derzeit in Regierungsverantwortung kommt, hätte ich mir nie vorstellen können. Hier hatte die DDR klare Vorteile. Ideologisch sehe ich zwischen den den Genossen der SED, Grünen und Linken keinen Unterschied mehr.

NordChatte
3 Monate her
Antworten an  Dr.KoVo

Leider ist der Begriff „Regierungsverantwortunghier vollkommen fehl am Platz, Herr Dr.KoVo. Regierung: vielleicht. Verantwortung: keine. Denn, geht bei diesen „Regierungsverantwortlichen“ etwas schief, übernehmen sie die „Verantwortung“ – was immer seltener wird – und lassen sich mit einem „Goldenen Handschlag“ aus der „Regierungsverantwortung“ verabschieden. Das ist dann für den – jetzt ehemaligen – „Regierungsverantwortlichen“ so ähnlich wie Frühverrentung – mit doppeltem Gehalt. Denn, zur fürstlichen Versorgung kommen ja verschiedene Übergangszahlungen, Überbrückungshilfen und ein Beraterposten in der Wirtschaft – die man schon vorsorglich vorab eingefädelt hatte – hinzu.

Freiheit fuer Argumente
3 Monate her

Die DDR hat gezeigt, dass noch so gute Planwirtschaft – selbst mit gut ausgebildeten Leuten – nur zu Versorgungsschwierigkeiten bei gleichzeitiger Verschwendung und Verschmutzung führt. Unser Kabinett besteht dagegen aus vollkommen ungebildeten Leute (abgesehen von einem hochgradigem Verständnis von Psychologie, Macht und Medien). Daher haben diese Leute die Hybris, das Land mit irren, untereinander inkompatiblen und mit der Realität unvereinbaren Vorgaben steuern zu können. Stets in der Hoffnung, irgendwelche Ingenieure würden für jeden Wunsch Lösungen finden können. Es ist Ideologie gepaart mit dem kindlichem Technikglauben derjenigen, die noch nie versucht haben, mit eigenen Händen etwas Technisches zu schaffen. Die Klügeren… Mehr

bfwied
3 Monate her

Was ein überzeugter Sektierer ist, ein Ideologe von Gottes Gnaden und ein Sozialist, der zwangsläufig totalitär ist, der fühlt sich von Gott selbst auserwählt und grundsätzlich unangreifbar im Recht. Nur so ist Habecks Satz: „Der Staat irrt nicht!“ zu verstehen. Und der Staat, das sind nicht wir Bürger, nein, der Staat sind die Regierungsfunktionäre. Habeck und all die anderen Mitsektierer werden die Wirklichkeit, die Logik, die Naturgesetze und die Wirtschaftsgesetze nie verstehen. Was hat Habeck nicht schon für einen grandiosen Mist erzählt, wie z. B. dass die Firmen ja gar nicht insolvent wären, sie hörten nur auf zu arbeiten!!! Oder:… Mehr

Klaus D
3 Monate her

Ideologie steht über Fachkompetenz….das gilt ja für alle ideologien und hat auch gründe und auch in vielem ähnliche/gleiche abläufe zu beobachten. Ich meine das das am menschlichen sozialsystem liegt sprich unten MITTE oben. Am ende geht es der jeweiligen macht nur um eins = geld. Darum passieren viele dinge die nicht fachlich zu erklären sind aber verdammt viel geld bringen.

Michael W.
3 Monate her
Antworten an  Klaus D

Es sieht aber so aus, als hätte die DDR bei aller Ideologie die Fachkompetenz nicht außen vor gelassen.

Kassandra
3 Monate her

Ähnlich auch Egon Hopfenzitz, Bundesbahnoberrat a.D. und ehemaliger Leiter des Stuttgarter Hauptbahnhofs von 1981, der sich gegen das Projekt S 21 engagierte – und auch nicht gehört wurde: https://www.bei-abriss-aufstand.de/2014/12/09/rede-von-egon-hopfenzitz-auf-der-250-montagsdemo/ Inzwischen sind alle Punkte, die gegen den Bahnhofsumbau sprachen, samt der Kostenerhöhung Realität. „Das Projekt wurde 1994 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Bauarbeiten begannen im Februar 2010. Die Inbetriebnahme war dabei für Dezember 2019 geplant, wurde aber mehrmals verschoben. Die Eröffnung ist nun zum Fahrplanwechsel am 13. Dezember 2026 geplant. Die offiziellen Kostenschätzungen sind seit der Projektvorstellung mehrmals gestiegen: von 4,1 Milliarden bei Baubeginn auf 11 Milliarden Euro im Dezember 2023.“ schreibt… Mehr

Juergen P. Schneider
3 Monate her

Die Energiewende ist eine ruinöse Idiotie, die sofort beendet werden müsste. Um das zu erkennen muss man keinen ehemaligen DDR-Bonzen bemühen. Ingenieure und Ökonomen gibt es in Deutschland genug, die einschätzen können, dass diese unbezahlbare Utopie von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Die heutigen Polit-Bonzen wollen sich nur Zeit kaufen, indem sie den Schwachsinn weiter verlängern, in der Hoffnung, nicht mehr in der Verantwortung zu stehen, wenn auch der letzte deutsche Untertan erkennt, wie man ihn seit mehr als 20 Jahren hinter die Fichte geführt hat.

Evero
3 Monate her

Warum bekommen besorgte Briefeschreiber keine Antwort von der Bundesregierung? Weil die Bundesregierung dann zugeben müsste, dass die Briefeschreiber recgt haben.

Kassandra
3 Monate her
Antworten an  Evero

Wenn man in Parallelwelten schwebt oder gar Orders abzuarbeiten hätte und sich auch durch solche Briefe von der Realität nicht nur umzingelt sondern eingeholt fühlen muss – was soll man antworten, wenn man weiter zu Lasten des Landes unterwegs sein will? Aber er muss wissen, was er anrichtet, denn in Davos 2022 redete Robert Habeck so: „Wenn Sie sich vorstellen, dass ein Teil der Menschheit Hunger erleiden wird im Laufe des Jahres oder des nächsten Jahres, dann ist das natürlich auch eine Frage, wenn wirklich ein Teil der Bevölkerung den Hungertod stirbt.. …und deswegen ist es wirklich auch undenkbar, dass… Mehr

Farbauti
3 Monate her
Antworten an  Evero

Ich habe mal Ministerpräsidentin Hannelore Kraft angeschrieben und erklärt das wir in Deutschland Schulpflicht haben. Zwei Jahre lief ich rum und putzte Klinken, um Schulplätze für Kinder und Jugendliche zu besorgen. Diese mussten halt von ihrem Zuhause aus erreichbar sein, also ein Schulweg der je nach Alter und öffentlichem Nahverkehr, zu bewältigen war. Entstanden war die Katastrophe weil das grüne Schulministerium ziemlich zeitgleich, alle Real-, Haupt – und Förderschulen der Stadt geschlossen hatte. Alternativ gab es eine recht kleine Sekundarschule die noch gar nicht in Betrieb war. Ich bekam einen echten Brief auf Papier, in dem mir mitgeteilt wurde man… Mehr