Der Ausflug in die Nano-Welt ist etwas für Zeitgenossen, die Zeit und Geduld mitbringen: der Blick in eine andere Welt in unserem Inneren.
Darf ich Sie in eine wundersame Welt mitnehmen, in der Sie mit Sicherheit noch nie waren? In die Sie auch niemals hineinkommen werden?
Niemand kann sie sehen. Zumindest nicht direkt. Die Welten im Kleinsten sind vollkommen anders als die, die wir kennen und in der wir leben.
In unserer „realen“ Welt können wir durch Straßen gehen, es stehen Häuser, es fahren Autos und Eisenbahnen.
Doch betrachten Sie jetzt einfach einmal ihren Arm, nur als Beispiel. Fahren Sie in Gedanken natürlich nur in das Innere ihres Armes. Durchbrechen Sie die Grenze der Haut, bewegen sich an Blutgefäßen weiter vorbei und treffen recht schnell auf Muskelzellen. Weiter geht’s durch die Hülle der Zelle, der Zellmembran. Kein großes Problem, die ist nur knapp 10 nm, also zehn millionstel Millimeter dick.
Jeder seine chemische Fabrik
Und schon sind wir in einer lebendigen chemischen Fabrik. Wie die Stahlträger in einer großen Produktionshalle sorgt auch hier ein festes Skelett für Stabilität, das sogenannte Zytoskelett.
Im Inneren wieseln Millionen von Molekülen umher. Da gibt es in der einen Ecke ein komplettes Kraftwerk, merkwürdig fächerförmig angeordnet; das besorgt die Energieversorgung der Zelle. In bestimmten Zellen wie Leberzellen gibt es sogar ein mehr als tausend dieser Kraftwerke. Sie sollen die Energie aus unserer Nahrung so umbauen, dass die Zelle sie für ihren Betrieb verwenden kann.
Dann gibt es eine Fertigung, eine Art Versandlager zum Export der fertigen Produkte und natürlich eine Müllentsorgung. Davor sind noch Recyclinganlagen angeordnet, die Stoffe wiederverwerten. Und wie überall hat sich auch in unserer Zelle eine fette Verwaltung eingenistet. Die sitzt im Zellkern. Sie produziert Pläne, Baupläne für die Zelle und Anweisungen für deren Ausführung.
Bei einer richtigen Verwaltung kommt hier auch mitunter Mist heraus. Diese fehlerhaften Pläne werden gleich wieder in den Mülleimer geworfen und geschreddert.
Begeben wir uns also in den mit einer wässrigen Lösung angefüllten Zellkern, schauen bei der Produktion der Pläne, der so genannten DNA, zu.
Hier erleben wir unsere Überraschung:
Könnten wir tiefer ins Innere unseres Körpers und unserer Organe in die Moleküle fahren, aus denen wir bestehen, würden wir erhebliche Überraschungen erleben:
Stürmisch geht es zu, rau und extrem unwirtlich. Kein Ort, an dem wir uns aufhalten möchten.
„Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einer einsamen Insel und es bläst ein Orkan von 300 km/h.
Man befindet sich in einem ganz schlimmen Hagelsturm, und gleichzeitig, das ist dann schwer vorzustellen, bewegt man sich durch eine träge, viskose Masse.
Was dort auf das Protein andonnert, ist sozusagen die Hölle. Da kommen Wassermoleküle mit hunderten von Metern pro Sekunde angeflogen und donnern auf dieses Protein drauf, und es ist alles permanent in Bewegung.
Man selbst wird ständig hin und her geworfen, aber es fällt einem selber unheimlich schwer, Bewegung zu erzeugen.“
So schildern Wissenschaftler der Technischen Universität München, wie es aussehen würde, könnten wir uns ungefähr eine Million mal kleiner machen und in die Nanowelten eintauchen, in der DNA-Moleküle „leben“.
Hendrik Dietz, Professor für Biophysik leitet das „Dietz Lab“ im Laboratorium für Biomolekulare Nanotechnologie an der Technischen Universität München. Das Ziel seiner Arbeitsgruppe ist die Erforschung neuer Methoden in biomolekularer Physik. Oder wie er es einfacher ausdrückt: Basteln und Stricken auf der Nanoskala. In diesen Welten wollen sie mit den Baumaterialien aus biologischen Systemen, ähnlich wie aus Legosteinen neue Maschinen zusammensetzen, die auch Aufgaben erledigen können sollen.
Basteln und Stricken auf der Nanoskala
Dietz, der auch in Harvard arbeitete, ist fasziniert vom Leben, das sich in den Zellen jedes Organismus abspielt. Rund 4.000 bis 5.000 Eiweiße arbeiten in einer einzigen Zelle nach strengen, aber einfachen Regeln. Alle Aufgaben sind miteinander verbunden, und es funktioniert perfekt.
Mit Intuition erfassen lässt sich für Menschen aus unserer Welt nichts mehr. Erfahrungen aus unserer großen, makroskopischen Welt gelten im Nanokosmos nicht.
Nanomaschinen – damit sind nicht jene Gebilde aus Silizium gemeint, die ähnlich wie Computerchips aus festen Stoffen meist in Form irgendwelcher Kristalle hergestellt werden. Die mit der Aufmerksamkeit garantierenden Vorsilbe »Nano« garnierten Visionen zeigen meist Zahnräder, die locker auf dem Knie einer Ameise liegen, oder Bilder, von denen die Forscher fest behaupten, es handele sich um vier Räder an einem Nanoauto. Nur drehen können die sich noch nicht, weil sich die herkömmliche Mechanik nicht so ohne Weiteres auf Nanostrukturen anwenden lässt.
Solche Gegenstände sind lediglich tote Materie, raffiniert meist aus Kohlenstoffatomen zusammengebaut.
Die Nanotechnik, um die es hier geht, spielt sich im Reich der bewegten Materie ab. Deren Bausteine sind lebendige Proteine, Eiweiß-Molekülhaufen, die frei herumwabern, deren Atome in ständiger Bewegung sind.
Das beliebteste Element der Forscher ist das DNA-Molekül. Das Molekül mit der berühmten Doppelhelix gehört zu den am besten erforschten Molekülen, fast alle Eigenschaften sind bekannt.
Friedrich Simmel ist Professor für experimentelle Physik an der Technischen Universität in München. Seitdem in den Vereinigten Staaten die ersten frappierenden Fortschritte gemacht wurden, dämmerte auch den Forschungsförderungsinstanzen hierzulande, dass sich dahinter womöglich eine sehr zukunftsträchtige Angelegenheit verbirgt. Dieser Technologie wird durchaus ein ähnliches Potential zugeschrieben wie seinerzeit in den Anfängen der Computertechnologie. Forschungsgelder fließen, ein neues modernes Forschungszentrum in München wurde gebaut, Lehrstühle wurden eingerichtet und deutsche Wissenschaftler kamen tatsächlich aus den Staaten zurück und leiten Arbeitsgruppen oder »Labs«. Mittlerweile haben sich dort erstaunliche Forschungsaktivitäten entwickelt, die auch international anerkannt und gelobt werden.
Friedrich Simmel zum Beispiel, der früher in den berühmten Bell Labs in den Vereinigten Staaten forschte, untersucht an der TU München die Physik der Nukleinsäuren und ihre Anwendungen in der Bionanotechnologie.
Seine Vision ist ein sich selbst organisierendes Molekularsystem, das sogar auf Einflüsse seiner Umgebung reagieren können soll. Grundlage sind die berühmten vier Bausteine, aus denen das DNA-Molekül zusammengesetzt ist: Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin.
Ein Durchbruch geschah vor ungefähr einem Dutzend Jahren, als die ersten künstlichen Strukturen aus Biomolekülen geschaffen werden konnten, die sich tatsächlich auch bewegten.
Der amerikanische Biochemiker Nadrian Seeman entwickelte erste Konzepte und Visionen für eine Nanotechnologie, die auf DNA-Proteinen bestehen sollte. Er stellte bereits vor 30 Jahren mit einem Würfel aus DNA-Molekülen das erste dreidimensionale Nanoobjekt her und entwickelte Methoden, wie sich die vier Basenpaare der DNA zu ganz neuen Strukturen zusammensetzen lassen.
DNA-Moleküle herstellbar
DNA-Moleküle lassen sich heute sehr gut künstlich herstellen. Mangel an Material für die Forschungsarbeiten herrscht nicht.
Simmel: „Man kann beliebige DNA Strukturen chemisch synthetisieren, sodass wir solche Strukturen am Reißbrett gewissermaßen konstruieren können.“
Beeindruckende technische Fortschritte in der Biophysik und Biochemie erlaubten die ersten größeren Sprünge in den Nanowelten. Zunächst einmal galt es für die Forscher, die Regeln zu erkennen, nach denen hier gespielt wird.
Arbeiten in der Nanowelt – das ist ungefähr wie auf dem Meer auf einem Segelschiff. Der Kapitän nutzt die Kraft des Windes für die Vorwärtsbewegung und versucht, die Natur für seine Zwecke zu nutzen. Genauso versuchen dies Wissenschaftler mit Molekülen in den Nano-Welten.
Es eröffneten sich vollkommen andere „Landschaften‘“ wenn man in diese Tiefen steigen könnte. Fahren wir tief zum Beispiel in das Blatt eines Baumes hinein, erkennen wir Adern und Blattmasse. Mit dem normalen Lichtmikroskop können wir gerade noch kleine Strukturen erkennen wie zum Beispiel die einzelnen Zellen.
Bakterien können wir auch noch mit dem Mikroskop sehen. Danach aber wird es schwierig, wenn es noch weiter in die kleinsten Teilchen geht.
Dazu benötigen wir einen deutlich höheren technischen Aufwand. Nur mit Geräten wie zum Beispiel einem Elektronenmikroskop können wir dann Viren erkenne oder Aminosäuren.
Dann kommen wir bei unserer Fahrt in das Kleinste in den sogenannten Nano-Bereich, den Bereich der Moleküle. Die sind so groß wie der Milliardstel Teil eines Meters. Hier geschieht das Erstaunliche: Es weht an den Teilchen ein heftiger Wind vorbei. Die Luftteilchen bewegen sich – angetrieben von der Wärme der Umgebung. Denn Temperatur, das wissen Physiker, ist nichts anderes als Bewegung von Teilchen. Je höher die Temperatur, desto stärker bewegen sich Atome und Moleküle in Flüssigkeiten.
Diese Brownsche Molekularbewegung wirkt genauso auch in den Welten des Nanokosmos.
Es sind dieselben Vorgänge in der Luft, wie wir sie in unserer ‚großen‘ Welt auch erleben. Doch uns machen sie nichts aus. Wir sind schwer genug, um nicht gleich umgeworfen zu werden. Da muss schon ein starker Orkan her, um uns wegzublasen.
Matthias Rief ist Leiter des Lehrstuhles für Biophysik in München und untersucht die mechanischen Kräfte in diesen biomolekularen Systemen. Doch würden wir so klein, sagt der Professor für Biophysik, dass wir in die Nanowelt passten, dann wehte uns bereits der normale Wind leicht weg.
Nanowind
Weil die Objekte in der Nanowelt so extrem klein sind, sind die Bewegungen der Umgebung im Verhältnis zu ihrer Größe sehr stark. Das bedeutet, dass sie heftig hin und hergeworfen werden – Spielball der Winde oder der thermischen Bewegungen, wie Wissenschaftler sagen.
Honig, wie wir ihn kennen, fließt zäh herunter. Tauchen wir einen Löffel in den Honig, so bremst der Honig die Bewegung. Die Moleküle erleben im Kleinsten genau eine solche Welt, in der Bewegungen gedämpft werden.
Simmel: „Man muss sich vergegenwärtigen, dass Bewegungen auf dieser Skala in wässriger Umgebung zumindest auch immer gedämpft sind, das heißt, wenn man ein Objekt anschubst, dann bleibt es sofort wieder stehen, während auf unserer makroskopischen Skala sich Objekte einfach weiter bewegen gemäß den Newtonschen Gesetzen.“
Dennoch gelten die Gesetze der Physik wie in der großen Welt auch in den Bereichen des Kleinsten. Nur sind die Auswirkungen andere, weil die Größenverhältnisse anders sind. Und das macht es für Wissenschaftler so reizvoll, sich mit diesen geheimnisvollen, unbekannten Welten zu befassen und zu erforschen, wie sie funktionieren.
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