Relevant ist nicht, ob Mark Zuckerberg Präsident werden möchte. Relevant ist allein die Frage, ob man seinen Wahlsieg überhaupt verhindern könnte, sollte er tatsächlich kandidieren.
Auf eine Gesellschaft, die erfolgreich der Versuchung widersteht, Informationen zu Wissen zu verbinden, auf eine Gesellschaft, die Kompetenz als Ausdruck engstirniger Unbelehrbarkeit ansieht, auf eine Gesellschaft, die Fakten umdeutet oder gar ignoriert, damit kein Zweifel die etablierten Dogmen stört, auf eine solche Gesellschaft, auf unsere Gesellschaft, ist das Geschäftsmodell von Cambridge Analytica perfekt zugeschnitten.
Die in London ansässige Firma arbeitete für Donald Trump während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs. Ob ihre Tätigkeit für seinen Sieg wichtig oder gar entscheidend war, ist umstritten. Die Hintergründe aber, die Julian Wheatland, COO und CFO des Unternehmens, vor einigen Wochen in Wolfsburg präsentierte, ließen Skepsis in Unbehagen umschlagen.
Psychogramme sind das Kapital der Firma. Von mehr als 200 Millionen Erwachsenen in den USA habe man ein solches, sagt Wheatland. Das ist glaubhaft für ein Land, in dem fast alle Wahlberechtigten soziale Netzwerke nutzen, um über sich und ihr Erleben zu berichten, um Gleichgesinnte zu finden und ihre Auffassungen zur besten Barbecuesoße, zur Wahl des nächsten Reiseziels oder eben zu geeigneten Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung kundzutun. Öffentlich geäußerte Ansichten, aus denen man, behauptet der in Stanford lehrende Psychologe Michal Kosinski, Persönlichkeitsprofile nach dem sogenannten OCEAN-Modell ableiten kann. Es geht dabei um die Ausprägung der fünf Charaktereigenschaften Aufgeschlossenheit (Openness), Gewissenhaftigkeit (Conscientiousness), Geselligkeit (Extraversion), Kooperationsbereitschaft (Agreeableness) und Verletzlichkeit (Neuroticism). Wessen Aufgeschlossenheit beispielsweise gering ist, der neigt zur Vorsicht und sucht Beständigkeit. Wer eine hohe Verletzlichkeit aufweist, reagiert häufig emotional. Cambridge Analytica nutzt diesen Ansatz und geht noch einen Schritt weiter. Wer die OCEAN-Konturen eines Wählers kenne, so Wheatland bei seinem Vortrag, dem falle es nicht schwer, diesen in geeigneter Weise anzusprechen, ob es sich um Produkt- oder um Wahlwerbung handelt.
Statt also allgemeine Werbebotschaften in die Zeitleisten sehr vieler Nutzer einzuspielen, können kleine Gruppen oder gar einzelne Personen gemäß ihrer OCEAN-Spezifika unmittelbar und differenziert mit passenden Botschaften versorgt werden: „Hallo Hansdampf46 [ordnungsliebend, eher ängstlich], wir möchten die Videoüberwachung öffentlicher Räume ausbauen, wie gefällt Ihnen das? Falls es Ihnen zusagt, teilen Sie es doch auch ihren Freunden mit!“ Oder auch: „Liebe Biene87 [extrovertiert, unbekümmert], wir wollen das Tanzverbot am Karfreitag abschaffen, unterstützen Sie uns dabei?“ Das mag, so räumte Wheatland in Wolfsburg ein, vielleicht nicht genügen, eine politische Orientierung maßgeblich zu verändern. Aber es kann mobilisieren oder auch ernüchtern. Schaffte Donald Trump auf diese Weise, in den entscheidenden Bezirken der entscheidenden Staaten seine Getreuen an die Urnen zu bringen und die von Hillary Clinton zu demotivieren?
Es bestehen Zweifel. Unklar und widersprüchlich sind die Aussagen seitens Cambridge Analytica und aus dem Lager Trumps hinsichtlich der Frage, inwieweit Persönlichkeitsprofile wirklich erstellt und genutzt wurden und wie intensiv die Zusammenarbeit tatsächlich war. Natürlich, räumt Wheatland ein, gewinnen die Kandidaten Wahlen und nicht ihre Berater. Aber die Behauptung, Trump auf die oben geschilderte Weise unterstützt zu haben, hält er aufrecht.
Das lohnt nicht nur in Wahlkampfzeiten. Psychogramme als „digitale Wählerzwillinge“ ermöglichen der Politik schon im Vorhinein zu testen, wer wahrscheinlich wie auf welche Maßnahme reagiert. Regierungshandeln orientiert sich dann noch intensiver als heute an seinen Auswirkungen auf die Stimmungslage. Zeitpunkte und Inhalte von Entscheidungen werden nicht mehr nur instinktiv, sondern mathematisch validiert auf den Wahltag ausgerichtet, um an diesem Zustimmung und Zufriedenheit in der Bevölkerung zu maximieren.
Vorsicht ist geboten, denn das Konzept von Cambridge Analytica öffnet auch Manipulationen, Täuschungen und Tricksereien Tür und Tor. Gerade Fake-News können völlig neue Höhen der Wirksamkeit erklimmen, werden sie auf psychometrischer Grundlage von künstlichen Intelligenzen massiv in den sozialen Medien verbreitet. Zudem profitieren Kandidaten ohne eigene Überzeugungen, die ihre Pläne wetterwendisch an die wechselnden Windrichtungen des Zeitgeistes anpassen, die nicht Orientierung bieten, sondern nur profillose Projektionsflächen für eine breites Meinungsspektrum darstellen. Welche Bewerber für das Kanzleramt würde wohl eine KI empfehlen, die Wahlergebnisse anhand vieler Millionen auf OCEAN-Psychogrammen basierenden Wählerprofile hochrechnet? Am Ende gar sich selbst?
Es sei denn, die Bürger restaurieren ihre Mündigkeit. Denn die von Wheatland angenommene Beziehung zwischen Persönlichkeitsprofil und politischer Einstellung existiert nur in seiner Vorstellung. Belegt ist sie nicht. Der Ansatz von Cambridge Analytica funktioniert ohnehin nur, wenn Menschen aus emotionalen Gründen wählen. Wenn sie sich Ängste oder Hoffnungen einreden lassen, wenn sie Sympathien oder Antipathien zum Maßstab ihrer Entscheidungen erheben, wenn sie ignorieren, welche Auswirkungen welche Politik auf ihr eigenes Leben hat und sich stattdessen zu wissen einbilden, was für andere gut und richtig ist. Wer aber mit einem gesunden Egoismus Programme und Konzepte strikt rational bewertet, ist gegen die Verführungskünste populistischer Datenakrobaten weitgehend immun. Vielleicht verdeutlichen die neuen Gefühlsmechaniker mit ihren Psychogrammen und Algorithmen uns am Ende lediglich, wie leicht wir verführbar sind. Vielleicht beginnen die „Hansdampf46“ und „Biene87“ deswegen wieder damit, Dogmen durch Fakten und Glauben durch Wissen zu ersetzen. Dann würde auch ein Mark Zuckerberg nicht automatisch US-Präsident, sondern nur mit einem Programm, das seinen Mitbürgern wirklich nutzt, statt ihnen das nur geschickt vorzugaukeln. Vielleicht führt der Weg von der digital gelenkten Demokratie schließlich in eine digital aufgeklärte, vielleicht sogar in Deutschland. Das wäre doch ein echter Lichtblick.
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Das wäre doch mal ein Thema für unseren Justizminister, bei dem er berechtigterweise über Verbote nachdenken könnte. Der Wunsch, die Menschen auszuspionieren, heimlich zu analysieren und sie ohne ihr Wissen manipulieren zu können ist uralt und für meine Begriffe mit den heutigen, modernen Mitteln noch genauso unlauter wie einst das Horchen an der Wand oder die Installation von Überwachungstechnik im persönlichen Umfeld. Nur weil es einfacher geworden ist, ist es nicht weniger gegen die Freiheit auf Selbstbestimmung des Individiums gerichtet. So wie die Freiheit der Meinung muss auch der Schutz vor gezielter Manipulation, und sei sie noch so subtil gewährleistet… Mehr
Nach der modernen Kognitionsforschung nutzt der Mensch sein Gehirn nur zu 2 bis 3% für rationale Gedanken.
Die Geschichte vom mündigen Bürger ist ein fake new“ für intelektuelle Träumer.
Wenn „unfaire“ Wählereinflüsse verhindert werden soll, sollten Abgeordnete per Los ermittelt werden.
Vor einiger las ich einen Artikel (FAZ-online?) in dem es hieß, Zuckerberg wolle eine Auszeit im Unternehmen um sich mit Politik zu beschäftigen.
Was dieser Mann für Möglichkeiten hat oder hätte, halte ich für äußerst gefährlich.
Mit den Erwartungen an die KI verhält es sich wie mit den Vorstellungen der 60er Jahre an die sagenhafte Zukunft des Jahres 2000. Flugmobile hatten den Straßenverkehr abgelöst und Roboter verrichteten den Haushalt, zum Urlaub gings auf dem Mars, der damals noch von Einheimischen bewohnt war. Ob es den Hyper-KI-Androiden ′David/Walter′ von Ridley Scott bereits zum Ende dieses Jahrhunderts geben kann, wage ich ebenfalls zu bezweifeln. Zumal in dieser gottverlassenen Gegenwart alles daran gesetzt wird, dem frühmittelalterlichen, statischen Ideal der Ansicht den Weg zu ebnen. In dem Zusammenhang ebenfalls spannend, wie die kommende Menschheitsaufgabe des ‚Deep Space Mining‘ bzw. ‚Asteroid… Mehr
Sehr spannend, Herr Heller, sehr interessant und auch sehr beängstigend, vielen Dank dafür ?
Hier dachte ich allerdings, dass es die Russen waren ?:
„Aber die Behauptung, Trump auf die oben geschilderte Weise unterstützt zu haben, hält er aufrecht.“
man kann da sehr schön falsche Spuren legen.
Trump gewann, indem er Big Data vom Brett sprang. Er hat gegen FB, Google, die gesamte MSM Macht und Hypercomputer des Deep State des Obama/Clinton Systems gewonnen. Peter Heller spricht etwas aus, das mir in Bezug auf ‚Tichys Einblick‘ schon länger bemerkenswert ist: „Auch Sie, liebe Leser, die hier regelmäßig kommentieren, wären entsprechend analysierbar.“ Es ist ‚Disqus‘. Der letzte kleine Hort der Freiheit. Es war ja kein Zufall, als z.B. ‚Welt-Online‘ das abstellte. Denn der Leser kann mit Disqus seine Privatsphäre schützen, wenn er will. Zunmindest gegenüber den MSM und deren Drahtziehern. Der Weg von der digital gelenkten Demokratie in… Mehr
Interessanterweise ist es der böse, böse, rechtspopulistische, böse Steve Bannon der genau dieses Problem erkannt hat:
http://fortune.com/2017/07/29/bannon-facebook-google-monopoly/
Dieses seltsame Tool stuft sowohl mich (38,m), als auch meinen 76-jährigen Vater als 24-jährige Frauen ein, mit Eigenschaften, die denen von Ihnen im Artikel beschriebenen aufs Haar gleichen. Gehe ich recht in der Annahme, dass ähnlich wie bei „persönlichen“ Horoskopen einfach immer ein identisches Ergebnis ausgegeben wird?
Die Manipulationsmaschinerie nimmt wirklich erschreckende Maßstäbe an. Und sie muss nicht einmal auf offene Gewalt zurückgreifen. Heimtückisch und verborgen forscht sie unsere Schwachpunkte und Triggerpunkte aus, auf die Druck ausgeübt werden kann. Die gelenkte „Heringsschwarm-kratie“
Das wird noch „abgehen“ wenn z.B. 20 Millionen Leute in eine Richtung gepuscht werden. Konzentriert an der „richten Stelle“ ist dann alles möglich.
Ich glaube ja, in Zukunft wird es mal irgendwann genauso sein, wie in manchen Zukunfstfilmen/Büchern, wo Konzerne die Welt beherrschen. Längst haben sie mehr Geld und Einfluss, als viele Staaten und das wird man in Zukunft noch ausbauen. Denn diese Medien Konzerne haben bereits die Jugend in der Hand, was immer eine Voraussetzung ist, um Erfolg zu haben. Wobei jetzt auch schon die älteren Menschen mit dem digitalen Virus angesteckt sind und sich teils schlimmer verhalten, als die junge Generation. Ich beobachte das oft auf Familienfeiern, wenn die ältere Gen plötzlich alle ihre Smartphones zückt und dann darüber philosophiert, was… Mehr