Wie eine existenzielle Frage für Parteitrickserei missbraucht wird

Die Frage der Finanzierung der Wiederaufrüstung der Bundeswehr droht zu einem parteitaktischen Gefecht zu degenerieren. Die Idee der Union, nur mit einem Teil der Abgeordneten abzustimmen, ist eines freien Parlamentes unwürdig.

IMAGO / Political-Moments
Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktionschef, mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Deutschen Bundestag, 19.05.2022

Die von Olaf Scholz angekündigte „Zeitenwende“ droht im Bundestag eine unwürdige parteitaktische Trickserei zu werden. Das geht schon mit der Begriffsgebung für das entscheidende Vorhaben los, bei der sich alle beteiligten Parteien einig sind: Ein „Sondervermögen“ für die Bundeswehr wird genannt, was natürlich genau das Gegenteil von Vermögen ist. Der Staat will 100 Milliarden Euro zusätzliche Schulden aufnehmen – die aber nicht zum regulären Bundeshaushalt gehören, also auch nicht von der grundgesetzlichen Schuldenbremse betroffen sein sollen. 

Man trickst also die selbst gesetzten Regeln aus – und hofft, dass die Steuerbürger es nicht merken oder es sich zumindest nicht ganz offen eingestehen, dass die Wiederaufrüstung der Bundeswehr nicht ohne Einbußen an anderer Stelle zu haben ist. Wenn am Bundeshaushalt nicht an anderer Stelle gespart wird, zahlen die Deutschen dafür eben später. Und wie? Im Zweifelsfall eben durch Inflation.

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Zu einer ehrlichen politischen Debatte über die Zeitenwende würde auch dieses Eingeständnis gehören: Die Deutschen werden auf die Friedensdividende verzichten müssen. Zum Thema der Hilfe für die Verteidigung der Ukraine und der eigenen militärischen Stärkung gehören nicht nur grundlegende strategische und moralische Fragen, sondern auch die Frage der Kosten. Für den Bürger ist es letztendlich egal, ob die 100 Milliarden Euro neue Schulden für die Bundeswehr außerhalb des Budgets stehen und die Schuldenbremse damit formalistisch umschifft wird, oder mit Verweis auf eine Notlage die Schuldenbremse außer Kraft Gesetz wird. Letzteres wäre eigentlich ehrlicher. 

Wichtiger wäre die eigentliche politische Verteilungsfrage: Woran können wir stattdessen sparen? Sie ist der sprichwörtliche Elefant im Raum, an dem alle angestrengt vorbeischauen.

Wenn die Frage der Kosten nicht offen und ehrlich debattiert wird, sondern formalistisch, wenn also so getan wird, als seien Rüstungsausgaben mit irgendeinem „Vermögen“ zu bezahlen, das aus einem außerbudgetären Hut gezaubert werden kann, wird sich das rächen. Schulden sind nicht weniger belastend, wenn man sie Sondervermögen nennt.

Zu diesem überparteilichen (Selbst-)Betrug kommt nun aber noch ein besonders unwürdiges und die parlamentarische Kultur in Deutschland beschädigendes Taktieren hinzu. 

Olaf Scholz ist nicht nur Bundeskanzler, sondern auch Mitglied einer Partei, die traditionell zwar Begeisterung zeigt, wenn es ums Geldausgeben des Staates geht, aber nicht, wenn das Geld ins Militär fließen soll. Scholz muss daher eine große Zahl von Abweichlern in der SPD-Fraktion fürchten. Die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung zu Diensten der Sonder-Schulden hätte ihn aus der Bredouille bringen können, wenn die Unionsfraktion geschlossen mitstimmen würde. 

Aber natürlich hat man in der Union den Braten gerochen. Und nun bringt Oppositionsführer Friedrich Merz seinerseits den Gedanken ins Speil, es würden nur so viele Unionsabgeordnete zustimmen, wie die Ampel-Fraktionen für eine Zweidrittelmehrheit brauchen. Absurd: Die CDU will sich selbst in zwei Hälften brechen, um die SPD zur Geschlossenheit zu zwingen beziehungsweise ihre Uneinigkeit öffentlich auszustellen.  

Scholz täuscht
Leopard voraus
Allein dass diese Idee aufkam, offenbart bereits, wie sehr sich der parteipolitische Betrieb von den ideellen Grundlagen des Parlamentarismus entfernt hat. Viel ist derzeit von Verfassungstreue oder Verfassungsfeindschaft die Rede. Aber dass das Grundgesetz ausdrücklich ein „freies Mandat“ garantiert (Artikel 38) und Abgeordnete nicht an Weisungen von irgendjemandem gebunden, sondern nur ihrem Gewissen verpflichtet sind, vergisst man in Berliner Kreisen gerne. Durch den sogenannten Fraktionszwang ist dieses Ideal ohnehin schon im parlamentarischen Alltag de facto sehr stark eingeschränkt, um ein kalkulierbares „Durchregieren“ zu ermöglichen. Aber wenn nun eine Fraktionsführung festlegen will, welcher Abgeordnete für etwas stimmt und wer dagegen stimmen oder fernbleiben soll, so führte das den Parlamentarismus endgültig ad absurdum. Warum unterhält dieser Staat dann überhaupt noch eines der größten Parlamente der Welt, wenn seine Mandatsträger ohnehin nicht selbst über ihre Stimmabgabe zu entscheiden haben? 

Die parlamentarische Demokratie ist das politische System der Freiheit. Die „Zeitenwende“ und die Wiederaufrüstung der Bundeswehr haben nur den einen Zweck, diese Freiheit für Deutschland und die Bündnispartner zu sichern. Umso größer ist die Verantwortung der darüber politisch Entscheidenden, ausgerechnet diese existenzielle Angelegenheit nicht aus kleinlichen parteitaktischen Motiven zu entwürdigen.  

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Kommentare ( 17 )

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Siggi
2 Jahre her

Merz ist eine einzige Enttäuschung. Es scheint, als wäre auch er immer noch von Merkel gesteuert.

Odysseus JMB
2 Jahre her

Vorwort: Man muss die Meinung des Autors nicht teilen. Die „lupenreine“ -parlamentarische- Demokratie deutscher Bauart ist zu einem heuchlerischen Lippenbekenntnis geworden, in der nun einmal die Parteien die „Marschmusik“ vorgeben. Der Illusion, dass das BVerfG dies in Details oder gar grundsätzlich in Frage stellen könnte, muss man sich angesichts eingeschliffener fader Praktiken „abschminken“. Die Partein lassen nichts anbrennen um ihre Gier infrage zu stellen. Tricks, um die Geschäftsordnung im jeweiligen Eigensinn zu verbiegen und zu entstellen, gehören zum Tagesgeschäft. Ob ein Schattenhaushalt mit dem schönen Titel „Sondervermögen“ im GG verankert werden sollte, bleibt wohl eine Geschmacksfrage, die man sich stellen… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Odysseus JMB
Stefan Tanzer
2 Jahre her

Unser Problem ist nicht das Geld, unser Problem ist struktureller Natur.
Es ist völlig egal, ob die Bundeswehr 10, 100 oder 1000 Milliarden zusätzlich bekommt, wenn das Problem bzw. die Probleme im 11.000 Mann starken Beschaffungsamt in Koblenz sitzen. Es macht keinen Sinn, nach mehr Geld zu fragen, wenn nicht einmal das bereits vorher eingeplante Geld nicht vernünftig verwendet wird. Stattdessen wurde über die letzten Jahre nur Schrott eingekauft. Meint irgendwer, das wird sich plötzlich mit 100 Milliarden ändern? Die Bundeswehr wird dadurch moderner? Die Probleme werden beseitigt?

norbertb783
2 Jahre her

Die Regierungsdarsteller müßten nur endlich und konsequent geltendes Recht in der Asylpolitik umsetzen und alle Wirtschaftsflüchtlinge, straffällig gewordenen „Aasylanten“, Clan-Mitglieder unverzüglich ausweisen und schon wären – über alle staatlichen Ebenen einschl. Sozialversicherung- locker 100 Milliarden Euro „frei“. Und das ist nur ein einziges Beispiel an Einsparungsmöglichkeiten. Es gibt deren sehr, sehr viele.

2 Jahre her

Die CDU sollte da nicht mitmachen, wenn die Grünen nicht darauf verzichten können einen Teil des Geldes an „Aktivisten“ zu verteilen. Die linken Parteien mästen ihre NGOs auf Kosten der Steuerzahler und dafür ist das Geld zu schade.

Elki
2 Jahre her

Ein „Skandal“ wäre es für mich nicht, wenn auch die Bundeswehr wieder mehr Mittel für ihre Bewaffnung zur EIGENEN Landesverteidigung bekäme, jedoch nicht für fragwürdige „Friedensprojekte“ in anderen Ländern oder „Gendermaßnahmen“ z.B. an Panzern.
Schlimmer für Land und Demokratie ist für mich, wenn Fraktionsvorsitzende das Abstimmungsverhalten von angeblich freien „Volksvertretern“ bestimmen und den Zustand dieses „Parlaments“ auch öffentlich nicht verbergen:
„Und nun bringt Oppositionsführer Friedrich Merz seinerseits den Gedanken ins Speil, es würden nur so viele Unionsabgeordnete zustimmen, wie die Ampel-Fraktionen für eine Zweidrittelmehrheit brauchen.“

Index
2 Jahre her

1.) Q.: Wer wohl wird von den 100 Milliarden(!!) profitieren? A.: Die Rüstungsindustrie und deren Industrievertreter, Letztere sind die Schlaumeier, in den Medien als Politker bezeichnet werden. 2.) Die Finanz-Meteorologen scheinen sich allesamt sicher zu sein, dass in den nächsten 10 Jahren unzählige Abermilliarden an Geld vom Himmel auf Deutschland niederprasseln wird. Na klar wird es das! Sowas von oberklar, das sehen wir doch schon jetzt! „Fachkräfte“überschuss bis zum Abwinken, Lebenshaltung so billig wie noch nie. 3.) Sorry, aber eine turbogemästete Bundeswehr ist doch die wohl dämlichste und teuerste „ABM“-Maßnahme, die sich unsere Volkszerkneter je ausgedacht haben. Wohin also mit… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Index
Mikmi
2 Jahre her

Ich mit meinem Sonderverstand, sehe da kein „Sondervermögen“, egal wie es benannt wird, es sind Schulden. Herr Merz gibt auch nur seine Zustimmung, wenn was für die CDU raus springt. Ich warte auf das nächste Sondervermögen, was nur virtuell existiert, weil unsere Träumer wieder Geld brauchen( Sparstrumpfvermögen von Großmutter).

Juergen P. Schneider
2 Jahre her

In allen Fraktionen des Fassadenparlaments entscheiden kleine Gruppen von 10 bis 15 Personen, wie abgestimmt wird. Der Rest dieser Pseudoparlamentarier ist gewähltes oder ernanntes (Ausgleichmandate) Stimmvieh. Den vielen Zivilversagern im Bundestag kann man doch wichtige Entscheidungen nicht überlassen. Diese werden von den „Vordenkern“ getroffen, die das Sagen haben. Alle anderen heben die Hand, wie befohlen. Der Bundestag ist schon seit Jahren nur noch die Karikatur eines Parlaments. Viele der Nieten, die es dorthin geschafft haben, sind am Ende froh, dass sie nichts entscheiden dürfen. Das würde ja Verantwortung bedeuten und wer will das schon.

bkkopp
2 Jahre her

Das sogenannte Sondervermögen erst einmal verfassungsgemäß zu schaffen ist eine Sache. Dafür wird die Union, oder ein Teil der Unions-Abgeordneten gebraucht, auch wenn der genannte Verfahrensvorschlag etwas kurios erscheint. Die strukturelle und operative Mittelverwendung würde aber dann der Ampel alleine unterliegen, aus der kein Wille erkennbar ist, das Ministerium, die operative Bundeswehr, und das Bundeswehrbeschaffungsamt zu deutlich mehr Effektivität und Effizienz zu reformieren. Ohne verbindliche Vereinbarungen der Union mit der Ampel in dieser Sache, sollte die Union überhaupt nicht zustimmen.