Scholz behauptet eine Gemeinsamkeit mit den Verbündeten, die nicht existiert

Der Bundeskanzler behauptet, die westlichen Partner seien in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine zu denselben Antworten gelangt wie er. Doch das stimmt nicht: Sie liefern schwere Waffen. Die Kritik seiner grünen Koalitionspartner ist aber ebenso verlogen.

IMAGO / Jens Schicke
Bundeskanzler Olaf Scholz

Es war eine absurde Reaktion des Bundeskanzlers auf eine Journalistenfrage. Er freue sich, dass diese Frage im eine Gelegenheit gebe, „nach der ich schon seit einiger Zeit suche“. Als ob ein Kanzler nicht immer Gelegenheit hätte, sich der Welt mitzuteilen. Der Journalist hatte gefragt, ob nicht deutsche Leopard-Panzer demnächst im Donbas gegen russische Panzer eingesetzt würden. „Schauen Sie sich doch mal um, was andere so tun, die mit uns eng verbündet sind“, sagte Scholz und wirkte dabei für einen kurzen Moment ausnahmsweise einmal nicht ganz so emotionslos und automatenhaft einschläfernd wie zuvor. Aber was er dann sagte, war die glatte Unwahrheit. Er behauptete nämlich, die anderen Verbündeten seien zu ähnlichen Schlüssen gekommen „wie wir“ und lieferten nur „sofort verfügbare Einsatzsysteme“, also „solche Systeme, die bei den osteuropäischen Nato-Partnern noch vorhanden sind“. 

Doch das stimmt eben nicht. Scholz spricht zwar von „eng abgestimmtem“ Vorgehen und „Verbundenheit und Geschlossenheit“ mit den Verbündeten. Aber längst liefern andere Nato-Staaten auch schwere Waffen – Deutschland nicht. Als Scholz sprach, war schon bekannt, dass die USA auch Artillerie-Geschütze und Flugzeuge liefern werden, Großbritannien ebenfalls Geschütze und Flugabwehrpanzer und Norwegen ein Luftabwehrsystem. 

Man kann sich fragen, warum Scholz überhaupt nach der Telefonkonferenz mit US-Präsident Joe Biden und anderen wichtigen Nato-Verbündeten vor die Presse getreten ist. Denn im Grunde hatte er nicht viel neues mitzuteilen. Die Pressekonferenz selbst war wohl für ihn ein Versuch, die wachsende Kritik aus der Ukraine, von der Opposition, aber auch von den eigenen Koalitionspartnern und der ihm immer weniger gewogenen Presse zu überspielen in der Rolle des noch entschlosseneren Ukraine-Unterstützers. Aber faktisch ändert sich nicht viel. Deutschland wird weiterhin nicht direkt und nicht sofort schwere Waffen an die Ukraine liefern. Stattdessen umständliche Konstruktionen: Die Ukrainer dürfen sozusagen mit der Kreditkarte der Bundesregierung bei der deutschen Rüstungsindustrie einkaufen.

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Bezeichnend ist, dass der unter Druck stehende Bundeskanzler und die ohnehin völlig deplatzierte und überforderte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht nun den stellvertretenden Generalinspekteur der Bundeswehr, Generalleutnant Markus Laubenthal, vor die Mikrofone schicken. Jeder weiß, dass deutsche Generale stets das sagen, was ihre politische Führung erwartet, wenn sie überhaupt je öffentlich den Mund aufmachen (dürfen). Laubenthal also behauptet im Sinne seines Kanzlers, Panzerlieferungen aus Bundeswehrbeständen würden  unsere eigene Verteidigung schwächen. Das ist wenig überzeugend, sofern es um Marder-Schützenpanzer geht, die ohnehin ausgemustert und durch neue Puma-Modelle ersetzt werden. Auch das Argument der langwierigen Ausbildung (im Vergleich zu alten russisch-sowjetischen Modellen) ist eher vorgeschoben: Ukrainische Rekruten oder Soldaten, die bisher gar keine Schützenpanzer hatten, müssen ohnehin an ihnen ausgebildet werden, ob es nun alte Sowjetmodelle sind oder ausgemusterte Marder der Bundeswehr. Und gerade die Ausbildungsbedürftigkeit wäre natürlich ein Grund, so rasch wie möglich zu liefern und mit dieser Ausbildung zu beginnen. 

Der Sicherheitsexperte Carlo Masala, als Professor an einer Bundeswehruniversität weniger befangen als ein aktiver Generalleutnant, zweifelt öffentlich an Scholz Behauptung: „Die Position, dass wir keine (Schützenpanzer) Marder geben können, erscheint mir nicht glaubwürdig, weil es sicher noch ein paar Marder in der Umlaufreserve gibt“, sagte er im ZDF-Morgenmagazin. „Da wird es ein paar geben, die könnte man sicherlich mit einem verkürzten Training relativ schnell in die Ukraine bringen. Aber da gibt es halt erhebliche Widerstände. … Wenn die Verteidigung des Bündnisses an 15 Mardern hängt, dann ist es um die Verteidigung des Bündnisses nicht besonders gut bestellt. Also von daher ist dieses Argument ein bisschen, ich sage mal: vorgeschoben.“ 

Was Scholz eigentlich antreibt, welchen Zweck seine Ukraine-Politik eigentlich hat, bleibt obskur. Sein Auftritt vor der Presse gab darüber keinen Aufschluss. Wenn er geglaubt hatte, die Kritik mit Worten statt mit Waffenlieferungen zu besänftigen, hat er sich jedenfalls geirrt. Das erwartbare Melnyk-Donnerwetter ging schon über ihn hinweg: Der ukrainische Botschafter verkündete umgehend „große Enttäuschung und Bitterkeit“.  

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Naheliegend ist als Motiv für die Zurückhaltung deren vermeintliche Signalwirkung an Putin: Sieh her, wir sind mit Worten zwar ganz groß, aber tun so wenig wie möglich gegen dich. Durchaus vorstellbar, dass Scholz von der Furcht vor einer wenn nicht militärischen, so doch ökonomischen Eskalation des Konflikts getrieben wird. Putin könnte schließlich, falls seine Truppen im Donbass erneut ein Desaster erleben und Russlands Wirtschaft kriegs- und sanktionsbedingt ohnehin schon zusammenbricht, verleitet werden, Deutschland und andere europäische Gas-Importeure durch einen Lieferstopp mit in den ökonomischen Abgrund hinabzuziehen. Das kann kein Regierungschef riskieren wollen.

Scholz und mit ihm seine Partei stecken durch den Ukrainekrieg auch macht- und parteipolitisch in einer tiefen Krise. Ihre jahrzehntelange, russlandfreundliche Grundhaltung ist angesichts des Krieges vollkommen desavouiert. SPD-Spitzenpolitiker wie Manuela Schwesig, die es gewohnt waren, von einer moralisierenden Öffentlichkeit getragen zu werden, erleben nun einen tiefen Fall.   

Dass die lauteste Kritik und Rufe nach Schweren Waffen für die Ukraine ausgerechnet vom grünen Koalitionspartner kommen, gehört zu den erstaunlichsten Wendungen der vergangenen beiden Kriegsmonate. Die Grünen beweisen erneut ihre Qualität als Partei, die alles fordert, was der moralisierende und jeglicher Ambivalenz abgeneigte Zeitgeist will – aber das mit besonderer Verve. 

Dabei ist ihre Politik der vergangenen Jahrzehnte, zu der die Schwächung der Bundeswehr, der deutschen Rüstungsindustrie und ganz generell des Wehrwillens in Deutschland gehörte, mindestens ebenso als wirklichkeitsfremd und schädlich entlarvt wie die SPD-Russland-Politik. Noch im grünen Wahlprogramm 2021 forderten sie zwar eine „permanente und schnell einsatzbereite Reserve an EU-Mediator*innen und Expert*innen für Konfliktverhütung, Friedenskonsolidierung und Mediation“ und „Genderanalysen für einzelne Länderkontexte“, lehnten aber bewaffnete Drohnen grundsätzlich ab. Wenn Anton Hofreiter nun Olaf Scholz auffordert, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, könnte der ihn an dieses Wahlprogramm erinnern, in dem auch „Keine deutschen Waffen in Kriegsgebiete“ steht.

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Kommentare ( 63 )

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CIVIS
2 Jahre her

Nun gut, …mag ja sein, dass die von Scholz behauptete Gemeinsamkeit mit den Verbündeten nicht existiert.

Meine Frage ist jedoch, ob es immer und überall und zu allen Tagesordnungspunkten eine zwanghafte Gemeinsamkeit mit diesen Verbündeten geben muss, bzw. sogar geben darf oder geben sollte.

Ich kann den Scholz -genau so wenig wie früher Merkel- auch nur im geringsten leiden.
Aber warum muss Scholz -und mit ihm Deutschland- von der Brücke in den Fluss springen, nur weil plötzlich moraltriefende Verbündete das auch tun?

kiki667
2 Jahre her

Nur eine Frage, Herr Knauss: Waren Sie bei der Besprechung mit den Partnern dabei? Nein? Glauben Sie wirklich, Scholz würde in einer öffentlichen Presseerklärung behaupten, es sei so mit den Partnern abgesprochen, wenn es nicht so wäre und diese es ja jederzeit öffentlich dementieren könnten? Ist der Kanzler verpflichtet, Ihnen, uns oder der Öffentlichkeit alles auf die Nase zu binden, was mit den Partnern geplant ist, so dass auch die Kriegsparteien alles mitbekommen? Im übrigen: Ich finde das allgemeine Kriegsgeschrei von allen Seiten unerträglich und ich bin froh, wenn Besonnenheit mit im Spiel ist statt Kopflosigkeit. Und nicht zuletzt: Warum… Mehr

Helfen.heilen.80
2 Jahre her

Die Leitmedien haben der Bevölkerung keinen guten Dienst erwiesen, Putin als unberechenbar, abgründig, irrational, durchgeknallt darzustellen. Das führt zur Unterschätzung seiner strategischen Denkfähigkeit, täuscht darüber hinweg, dass er Berater hat, und verleitet zu undifferenzierten politischen Maßnahmen. So wie es aussieht, sind seine strategischen Fähigkeiten klar vorhanden. Was würde er also tun, wenn er unterhalb der „totalen“ Eskalationsschwelle (Krieg) vorhätte, Deutschland in die Schranken zu weisen? Da gibt es logischerweise Werkzeuge der Softpower. Hat die Regierung mal darüber nachgedacht was hier los ist, wenn keiner mehr den Strom bezahlen kann, kaum noch Sprit da ist, Inflation, Arbeitslosigkeit und Lebensmittelknappheit herrscht? Plus… Mehr

mlw_reloaded
2 Jahre her

Ja tja, in den Krieg eingreifen, will man nun, oder will man nicht? Das Entsenden von Ausrüstung ist nicht kriegsrelevant. Waffensysteme schickt man aber inklusive Personal wenn sie kurzfristig hilfreich sein sollen. Was soll die Ukraine mit Gerät, das erst nach intensiver Ausbildung effektiv im Feld eingesetzt werden kann? Ist doch kein Mietwagen, so ein Panzer. Wie machen die USA denn das? Eintägiger Crashkurs an der Selbstfahr-Haubitze oder dem Abfangjäger? Mumpitz. Typisch Politik. Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass.

HGF
2 Jahre her

Olaf Scholz sollte zurücktreten: Der Schaden, den er der Bundesrepublik Deutschland beifügt, insbesondere der Vertrauensverlust bei unseren Alliierten, ist einmalig in unserer Geschichte seit 1949. Wenn er nur einmal an seinen Amtseid denkt, sollte er handeln und aufhören zu lügen und zu schwurbeln! Diese SPD ist ein Verein von Putin-Speichelleckern, dass es eine Schande für unser Land ist!

jwe
2 Jahre her
Antworten an  HGF

Scholz Amtseid beinhaltet, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Wenn er mit wehenden Fahnen dazu übergeht, schwere Waffen und alles, was die Kriegstreiber der Ukraine wollen, zu liefern, könnte die Chance riesengroß sein, das Putin Gas und Öl für Deutschland abstellt. Dann ist hier Schluss mit Strom, Sprit, … . Die Franzosen, Amis, Briten wird das nicht so stören, eher freuen ob des Kollapses der deutschen Wirtschaft. Das ist dann das Ergebnis, wenn man moralisch oben auf sein will. Bis jetzt hat Scholz in diesem Krieg manches richtig gemacht. Noch besser wäre es gewesen, auch kein Geld für Waffenkäufe zu liefern.… Mehr

Thomas Hellerberger
2 Jahre her

Was Kanzler Scholz antreibt, ist doch mit Händen zu greifen: Die Innenpolitik. Der simultane Ausstieg aus Kernkraft und Kohle erzwingt, daß in etwa gleicher Leistung Gaskraftwerke zur Verfügung stehen. Bald, und auf Dauer. Das, und nichts anderes ist die „Energiewende“. Fischer, Flassbeck und Trittin wollten von der Kernkraft auf die Kohle umsteigen und haben das für ihre Klientel mit den Windmühlen listig geschmückt, die eine wahre Gelddruckmaschine für ihre Kreise wurden. Ihre radikalere Nachfolgeneration will die Kohle nicht mehr und ersetzt sie also mit Erdgas. Mit dieser weltweit einmaligen Umstellung der Stromerzeugung wird Deutschland zum bei weitem größten Erdgasverbraucher in… Mehr

Lichtenberg
2 Jahre her
Antworten an  Thomas Hellerberger

Kann jedem einzelnen Ihrer Sätze zustimmen. Und das Wort „Ukraine“ in Zusammenhang mit Scholz zu bringen, dem „Kanzler für bezahlbares Wohnen“ (Wahlkampf-Slogan) wäre geradezu burlesk.

Bernd Schulze sen.
2 Jahre her

Weiß der Autor eigentlich und andere ebenfalls, daß das russische Außenministerium dem amerikanischen Außenministerium eine formelle Note zugestellt hat. Diese besagt nichts anderes , daß die Lieferung von Rüstungsgütern eine direkte Kriegsbeteilung darstellt. In wieweit die bereitgestellten Millarden schon dazu zählen, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube mal das Scholz diese Note kennt und angesichts der Stützpunkte die es in Deutschland gibt und den Atomwaffen die hier lagern, vorsichtig ist. Denn sollte sich der Konflikt ausdehnen wird Deutschland mit einst der ersten Ziele sein. Wer so erpicht auf Waffenlieferungen ist sollte schleunigst zur einer Schnellausbildung bei der BW sich melden… Mehr

Nun ja
2 Jahre her

Die paar Geschütze sind keine ernsthaften Waffenlieferungen. Die schrottreifen M113 aus den USA ebenfalls nicht. Und Flugzeuge wurden auch keine geliefert, sondern Ersatzteile. Scholz hat daher absolut Recht: es gibt offenbar einen Konsens, keine ernsthaften Waffenlieferungen in die Ukraine vorzunehmen. Es wäre auch an der Zeit mal eindeutig zu erklären, was diese Waffenlieferungen außer einer weiteren Eskalation, die uns nicht bekommen würde, und zusätzlich fließenden Blut bringen sollen. Am Verlauf des Krieges werden sie nichts Wesentliches ändern. Deutschland und die EU stehen nur Millimeter vor dem Abgrund. Ein Gas- und. Ölstopp durch Russland würde das Kartenhaus nicht nur ins Wanken… Mehr

GrinansPere
2 Jahre her

Scholz ist meiner ganz persönlichen Meinung nach ein KPC-Maulwurf.
Er spielt ein doppeltes Spiel, genau wie seine Schwester im Geiste, die gute Erika.
Allerdings glaube ich auch, dass die NATO-Staaten sich vorsehen sollten, dass ihr Heiligenschein nicht herunterrutscht und zur Schlinge wird.

Oneiroi
2 Jahre her

Vermutlich wird Scholz intelligent genug sein, zu wissen, dass er an der Spitze steht und im schlimmsten Fall gar nicht gut in die Geschichte eingehen wird, sollte die Kriegssituation eskalieren oder sich verstetigen..er wird klammheimlich auf einen schnellen Sieg Putins hoffen.
Sollte die Situation tatsächlich eskalieren sind schlechte Tipps von Experten, Umfragen, Studien und Beratern sind schlechte Entschuldigungen, wenn „aus Versehen“ Menschen zu Schaden kommen. Mit virtue signaling gewinnt man in der Ukraine nichts mehr. Man erwartet nun mehr als Worte.